Vom Leben in der neuen Heimat

High School in den USA

weltweiser · High School · USA
  • GESCHRIEBEN VON: RYAN SCHMIDT
  • LAND: USA
  • AUFENTHALTSDAUER: DAUERHAFT
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    NR. 9 / 2019, S. 12-13

Eines Abends, als ich noch in Bonn wohnte, kamen meine Eltern in mein Zimmer, um mit mir zu reden. Sie erzählten mir, dass sie ans Auswandern dachten. Ich habe ihnen erst nicht geglaubt, dass wir wirklich in die USA umziehen. Doch in den nächsten Wochen redeten sie öfter darüber, bis mir klar wurde, dass wir tatsächlich in das große traumhafte Amerika umziehen würden.

Aber mir wurde nie wirklich bewusst, was das eigentlich bedeutete, bis ich mein „Deutschland“, mein „Leben“ verloren hatte. Aber zu dem Zeitpunkt war ich extrem aufgeregt und wollte alles Neue entdecken und erleben. Dieses mysteriöse Amerika, von dem alle immer redeten. Jetzt hatte ich meine Chance. Ich lebte mein Leben normal weiter, während wir alles vorbereiteten. Zu Hause fingen wir an einzupacken und auch mein Zimmer wurde leerer und leerer. Die letzten Monate an meiner Schule gingen vorüber und meine Freunde und ich sammelten so viele Fotos wie möglich von all unseren Erinnerungen. Es fühlte sich unendlich an und das Einzige, an das ich denken konnte, war, dass ich endlich nach Amerika umziehen wollte. Da ich Familie in den USA habe, habe ich fast jeden Tag mit meinem Cousin geredet, um mehr über mein zukünftiges, neues zu Hause zu erfahren.

Kurz darauf fing ich an, alles zu dokumentieren und auf meinen YouTube-Kanal hochzuladen. Ich wollte schon immer mal mit YouTube anfangen und hatte auch gerade erst eine neue Kamera bekommen. Seitdem habe ich viele Videos über meinen Umzug gedreht, vom Einpacken in Deutschland bis zum Ankommen in Washington D.C., und über all die Unterschiede und neuen Dinge, die ich erlebt habe. Anfang des Sommers hatte ich mich von all meinen Freunden verabschiedet, hatte meine letzten Abschiedspartys gefeiert und hatte all meine Lieblingsorte in meiner Stadt besucht. Erschwerend kam hinzu, dass wir nicht direkt am Anfang von den Sommerferien umgezogen sind, sondern erst drei Wochen später. Das war viel Zeit, um zu Hause herumzusitzen und alles zu verdauen. Ich fing an, meine Freunde zu vermissen und Heimweh zu bekommen. Dabei war ich noch nicht einmal weg. Ich konnte es kaum ertragen, mein Haus, mein Zimmer, meine Welt so zu sehen. Alles leer, ganz leer, und alles weg. Jeder wusste, dass man mich nach diesem Sommer nicht mehr sehen würde, dass ich weg sein würde. Mein Leben, meine Identität, alles was ich jemals gemacht habe, was ich kannte, hatte sich aufgelöst. Meine Freude auf die USA war verflogen.

Bundesverwaltungsgericht in Leipzig
13. April
Leipzig
Reclam-Gymnasium
10 bis 16 Uhr
St. Pauli Landungsbrücken in Hamburg
13. April
Hamburg
Gymnasium Oberalster
10 bis 16 Uhr
junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
14. April
Online
Wherever you are
17 bis 19 Uhr
Neues Schloss in Stuttgart
20. April
Stuttgart
Eschbach Gymnasium
10 bis 16 Uhr

Drei ziemlich lange Wochen später kamen Umzugsleute und nahmen all die Kisten, das Letzte, was ich noch hatte, und packten alles in einen großen Container, in dem unsere Sachen über den Ozean transportiert wurden. Das war auch der letzte Tag, an dem ich in unserem Haus geschlafen oder unser Haus gesehen habe. Das gute alte Reihenhaus in einer Vorstadt von Bonn. Meine Familie und ich verbrachten die nächsten Tage in einem Hotel. Dann war es so weit und wir flogen vom Flughafen Köln-Bonn Richtung USA. Die nächsten Wochen und Monate entdeckte ich Amerikas Ostküste – von Boston über das große New York City bis nach Washington D.C. und noch weiter. Da wir in die Nähe unserer Familie zogen, war ich den Großteil des Sommers über abgelenkt und habe nicht viel über das, was da passiert war, nachgedacht. Natürlich hatte ich öfter Heimweh. Am Ende der dreimonatigen amerikanischen Sommerferien fing meine Schule an. In Deutschland ging ich auf ein Gymnasium, was in den USA als High School bekannt ist. In Amerika musste ich allerdings auf die Middle School gehen. Die sechste bis achte Klasse ist hier eine separate Schule. Es war interessant und neu, denn in Amerika konnte ich mir Fächer aussuchen, die es in Deutschland nie geben würde, beispielsweise Theater, ein Fach übers Schauspielern, und ein weiteres Fach, das alles rund um Computer behandelt. Ich lernte ein paar neue Freunde kennen, jedoch hielt ich mich anfangs zurück und verbrachte die meiste Zeit mit meiner Familie, meinen Eltern, meiner Schwester, meinem Cousin, meinem Onkel und meiner Tante. Ich weiß nicht warum, aber aus irgendeinem Grund hatte ich mir den Umzug, diese Umstellung einfacher vorgestellt.

„Ich fing an, meine Freunde zu vermissen und Heimweh zu bekommen“

Da ich in einer großen Stadt wohnte, lernte ich Leute kennen, die aus vielen verschiedenen Ländern kamen. Ich traf sogar ein paar Mitschüler, die selber aus Deutschland kamen. Aber zurück zum Schulalltag: In der Schule in den USA ist es gefühlt einfacher, gute Noten zu bekommen. Solange man seine Hausaufgaben macht, kann man leicht ein „A“ bekommen, was in Deutschland eine „1“ ist. Ich hatte seit der Grundschule nicht mehr solch gute Noten gesehen. Was mir dabei wahrscheinlich am meisten geholfen hat, ist der Unterschied in der Anrechnung der mündlichen Beteiligung während des Unterrichts. In Deutschland zählt diese 50% der Gesamtnote, in Amerika überhaupt nicht. In der Schule hatte ich nicht eine Klasse, so wie in Deutschland, sondern durch das Kurssystem in jedem Kurs andere Mitschüler. Die vielen Hefte und Bücher, die ich gewohnt war, brauchte ich nicht mehr, denn in Amerika läuft fast die gesamte Schularbeit übers Internet. Überall gibt es kostenloses WLAN und Computer oder Laptops in jedem Klassenzimmer. Öffentliche Verkehrsmittel werden von Teenagern oder Kindern nie benutzt, also wurde ich mit dem offiziellen Schulbus zur Schule chauffiert. Und ja, das ist der große, gelbe, laute Schulbus, wie in den Filmen. Ich mochte meine Schule, meine neuen Freunde, das neue „amerikanische“ Leben, und alles kam mir perfekt vor. Ich redete mit meinen jetzt, „alten“ Freunden und erzählte ihnen von der neuen Schule und meinem neuen Leben. Ich fing an, meinen deutschen Akzent zu verlieren, wenn ich Englisch sprach.

„Ich sehnte mich zurück nach Deutschland“

Als es fast Weihnachten war, packten wir erneut unsere Sachen und zogen sieben Stunden weiter in den Süden, nach North Carolina. Es fühlte sich an wie die absolute Pampa, im Gegensatz zu Deutschlands Großstädten und Washington D.C. Kleine Häuser hier und da und einfach Land. Ich wohnte im Nirgendwo und musste immer gefahren werden. In Deutschland hatte ich sogar mit 13, zehn, sogar neun Jahren mehr Freiheit, da ich Busse und Züge nutzen konnte, um meine Freunde zu besuchen oder mir ein Eis in der Innenstadt zu holen. Ich traf andere Jugendliche in meinem Alter, die noch nie dieses Dorf verlassen hatten. Ich war überrascht und geschockt. Meine zweite Erfahrung mit einer Middle School war viel schlechter als die erste. Im Gegensatz zu Washington sahen alle gleich aus wie in einem Schwarz-Weiss-Film. Die Schüler, die in der achten Klasse sein sollten, benahmen sich wie im Kindergarten. So etwas war ich gar nicht gewohnt, da man auf dem deutschen Gymnasium früher mit älteren Schülern in Kontakt kommt. In Washington sind die meisten Schüler mehrmals umgezogen und haben auch in unterschiedlichen Ländern gewohnt. Ich denke, dass man dadurch früher reif wird und mehr Erfahrung sammelt. Aber nicht nur die Schüler waren anders, sondern auch die Erwachsenen und die Lehrer. Plötzlich durfte ich nicht mehr das Schulgebäude verlassen und musste immer eine Genehmigung bekommen, wenn ich auf die Toilette musste. Überall gab es Kameras, die einen rund um die Uhr aufnehmen, und Lehrer, die einem das Gefühl gaben, dass man niemals da herauskommt. Jeden Freitag mussten meine Lehrer ein Papier unterschreiben, auf dem stand, dass ich nichts angestellt habe. Ich fühlte mich wie im Gefängnis.

Ein halbes Jahr lang musste ich es in diesen Klassenräumen ertragen. Wenn ich nicht in der Schule war, saß ich in meinem undekorierten neuen Zimmer. Ich sehnte mich zurück nach Deutschland oder wenigstens nach dem Amerika, von dem alle immer redeten. Das Amerika, das ich die ersten Monate erlebt hatte – das schöne Amerika. Das Einzige, was mir blieb, waren ein paar deutsche Freunde, mit denen ich in Kontakt blieb, und meine Zuschauer auf meinem YouTube-Kanal. Ich filmte eine große Anzahl von Videos, in denen ich die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA aufzählte, sowie die Unterschiede zwischen den Schulen, dem Autofahren, Weihnachten und noch viel mehr. Nach 153 Tagen oder 3672 Stunden fingen endlich die Sommerferien an und Ende August kam ich auf die High School. Endlich war ich wieder auf einer Schule, die dem deutschen Gymnasium ähnlich war. Mit mehr als 3.000 Schülern und einer riesigen Auswahl an Fächern hatte ich meinen Platz gefunden. In Deutschland gibt es das Gymnasium, die Realschule und die Hauptschule, während es in den USA nur eine Schule gibt. Das gleicht einer Gesamtschule in Deutschland. Ich wählte Webpage Design und Marketing als Kurse für mein erstes Schuljahr. Die Schule hatte noch andere Kurse zu bieten, wie zum Beispiel Fotografie, Theaterkurse und Tanzkurse. Natürlich musste ich auch die Standard-Fächer auswählen, wie Englisch, Mathe, Biologie und Geschichte.

„Autofahren ab 15 Jahren ist ein kleiner Geschmack von Freiheit“

Insgesamt erschienen alle mehr erwachsen und es wurde klar, dass man von hier an Verantwortung übernehmen musste, da diese vier Jahre an der High School für das College entscheidend sein werden. Ich lernte neue Freunde kennen, manche genauso alt wie ich, manche älter. Die Schule macht mir nun wieder Spaß, da ich viele junge Lehrer habe, die mich ernst nehmen. Neben dem Schulalltag fielen mir noch andere Dinge auf: Wenn man in den USA lebt, gibt es nicht nur „schlechte“ Unterschiede, wie zum Beispiel, dass man erst ab 21 Jahren Alkohol kaufen darf. Es gibt auch gute Unterschiede, wie zum Beispiel, dass man ab 15 Jahren schon Auto fahren darf. Nach einem langen Kurs übers Autofahren und einem Fahrkurs durfte ich endlich Auto fahren. Es fühlte sich so schön an. Endlich wieder ein kleiner Geschmack von Freiheit. Der Freiheit, die ich früher gewohnt war. Ein kleiner Geschmack von dem, was ich als „Heimat“ oder „Zuhause“ kannte. Ich gewöhnte mich langsam an meine Schule, das kleine Dorf und mein jetziges Leben. Nicht nur hatte ich diese massive Umstellung überlebt, aber ich denke auch, dass all diese Ereignisse und Erfahrungen meine Familie mehr zusammengeschweißt haben, was sehr schön ist.

Ryan Schmidt, 15, ist mit seiner Familie in die USA ausgewandert und besucht nun dort die Schule. Auf seiner Website www.ryanschmidt.de, seinem YouTube-Kanal www.youtube.com/ryanschmidtproductions und auf Twitter (www.twitter.com/imryanschmidt) und Instagram (www.instagram.com/imryanschmidt) dokumentiert er seine Erlebnisse.

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