Im Land der tausend Seen

Ein Schuljahr in Finnland

GESCHRIEBEN VON: IDA FELDMANN
LAND: FINNLAND
AUFENTHALTSDAUER: 1 JAHR
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
NR. 10 / 2020, S. 12-13

Ich habe mich dazu entschlossen, ein Auslandsjahr zu machen, weil ich gerne eine andere Kultur erleben wollte und mir die Vorstellung, in einem anderen Land zu leben, sehr gut gefallen hat.

Da ich mit meinen Eltern und meinem Bruder in Kalifornien gelebt habe, fand ich die Idee, in die USA zu gehen, nicht so spannend und habe erstmal darüber nachgedacht, Kanada für mich zu entdecken, bis mein Vater meinte, ich könnte mir ja auch ein nicht englischsprachiges Land aussuchen. Dieser Vorschlag gefiel mir und mein erster Gedanke war Island. Ich fing dann an, nach einer Organisation zu suchen, die Island im Angebot hatte. Ich besuchte eine JuBi-Messe, um mich zu informieren, und startete im Anschluss mein Bewerbungsverfahren. Es kam jemand von der Organisation für ein Beratungsgespräch zu uns nach Hause und danach fing der ganze Papierkram erst richtig an. Zu dieser Zeit entschied ich auch, vom Island- ins Finnlandprogramm zu wechseln, da ich ein paar Tage zu jung für Island war. Ab Januar zählte ich die Tage und wartete ungeduldig und lange darauf, platziert zu werden. Kurz vor den Sommerferien gab es ein Vorbereitungswochenende, was wirklich hilfreich war, weil man andere Leute, die in derselben Situation waren, kennengelernt hat.

Der Abschied fiel mir wirklich schwer. Ich hatte mich von meinen Freundinnen schon nach und nach in den Ferien verabschiedet und am Tag des Abflugs hat mich mein Vater zum Flughafen gebracht, weil ich dachte, es sei einfacher, nicht die ganze Familie dabei zu haben. Am Flughafen angekommen hatte ich echt Panik und wollte eigentlich nur noch zurück nach Hause fahren, aber als ich im Flieger saß, ging es mir langsam besser. Mein Gastvater und meine Local Coordinator, kurz LC, holten mich ab. Meine Gastfamilie bestand aus meinem Gastvater, meiner Gastmutter, einem Dackel, fünf Hühnern und einem Hahn. Meine Gasteltern waren beide Mitte zwanzig und lebten in einem kleinen Dorf in der Nähe von Tampere, welche die drittgrößte Stadt Finnlands ist und im Südwesten des Landes liegt. Am Abend, an dem ich dort ankam, fuhren wir erstmal in das nächstgelegene Einkaufszentrum, um mir eine SIM-Karte zu besorgen und um etwas zu essen. Ich war vom ersten Tag an beeindruckt von der Weite dieses Landes, die sich gefühlt unendlich erstreckt. Die Landschaft ist einfach nur atemberaubend, die ganzen Seen und Bäume, es war wie in einem Traum. 

Am nächsten Tag war auch schon mein erster Schultag im Nachbardorf. Als Erstes erstellte ich mit der Oberstufenkoordinatorin meinen Stundenplan und dann stellte sie mir meine Klassenlehrerin und eine Gruppe von Mädchen vor, die sich bereit erklärt hatten, mich herumzuführen. Was mich sehr überraschte, war, dass es im Prinzip keine Regeln in der Schule gab, also nur den normalen Menschenverstand. Dass man seine Handys auch die ganze Zeit nutzen darf, war für mich zum Beispiel eine sehr neue Sache. Es fiel mir zunächst schwer, Kontakte zu knüpfen und Freunde zu finden, aber ich habe es geschafft, und im Nachhinein war es auch eine Sache, an der ich gewachsen bin. Viele Leute fragen sich bestimmt, wie es mit der Sprache lief, besonders in der Schule. Dazu muss ich sagen, dass die Lehrer alle sehr nett und unterstützend waren und mir gerne mit englischen Notizen und Aufgaben weiterhalfen. Ich hatte einen besonders netten Physik- und Mathelehrer, der die Hälfte der Zeit Englisch gesprochen hat, weil er meinte, dass dies seinen Alltag interessanter mache. Ich bin einmal in der Woche zum Finnisch-Kurs gegangen, was wirklich hilfreich war und schön, weil man dort auch andere Austauschschüler kennengelernt hat, mit denen man sich austauschen konnte. Ich war auch froh, dass ich in Finnland weiter Trompete spielen und auch in einem kleinen Orchester mitmachen konnte. Zum finnischen Schulsystem in Gänze muss ich sagen, dass die größten Unterschiede zwischen deutschem und finnischem System in der Unter- und Mittelstufe zu finden sind. Dort ist vor allem die Betreuung intensiver und die Gruppen kleiner, aber auch die Oberstufe ist anders organisiert. Das Schuljahr ist in fünf Perioden eingeteilt und man wählt keine Fächer, sondern Kurse, und am Ende der Oberstufe, auf Finnisch „Lukio“, muss man eine bestimmte Anzahl von Kursen belegt haben. Es wird sehr viel am Laptop gearbeitet und die Abschlussprüfungen werden auch am Laptop getippt. Ich war ein großer Fan des Schulessens, weil dieses kostenlos für alle war und nie ein so großes Chaos wie in meiner deutschen Schule ausbrach.

Panorama von Aachen
27. April
Aachen
St. Leonhard-Gymnasium
10 bis 16 Uhr
Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt
04. Mai
Darmstadt
Lichtenberg-Gymnasium
10 bis 16 Uhr
Basilika St. Ulrich und Afra in Augsburg
11. Mai
Augsburg
Barbarasaal
10 bis 16 Uhr
junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
14. Mai
Online
Wherever you are
18 bis 20 Uhr

Ich war wirklich glücklich mit meiner Gastfamilie und es hat keine großen Probleme gegeben. Mein Gastvater ist Jäger und kocht sehr gut, deswegen habe ich in diesen zehn Monaten sehr viel Wild gegessen, meist Reh oder Elch. Meine Gastmutter arbeitet vor allem als Fotografin und ist sehr geschickt im Gestalten und Einrichten von Räumen und das ganze Haus ist voller Pflanzen. Die Eltern meines Gastvaters leben in einem alten Bauernhaus, das direkt hinter dem Garten und dem daran angrenzenden Feld liegt. Mit ihnen bin ich öfters nach Tampere gefahren, um dort etwas zu essen und Konzerte zu besuchen. Die Eltern meiner Gastmutter dagegen leben leider ein bisschen weiter weg. Eines der tollsten Erlebnisse war die Nacht, in der wir vor dem Haus die Polarlichter sehen konnten. Es war beeindruckend und surreal. Ich werde diesen Moment nie in meinem Leben vergessen und es war schöner, als ich es mir hätte vorstellen können. 

Obwohl ich schon um die fünf Monate in Finnland war, überraschte mich trotzdem, dass es eine Sauna in der Bowlinghalle gab.“

Ich hatte ein bisschen Angst vor Weihnachten und dachte, dass ich sehr viel Heimweh haben würde, aber das war nicht so. Ich bin mit meinen Gasteltern zu den Eltern und Geschwistern meiner Gastmutter nach Seinäjoki gefahren, was nordwestlich von Tampere liegt. Ich hatte die Familie schon einmal vorher besucht und so waren mir die Gegend und die Leute nicht vollkommen unbekannt. Am Tag vor Heiligabend sind wir Bowlen gegangen und obwohl ich schon um die fünf Monate in Finnland war, überraschte mich trotzdem, dass es eine Sauna in der Bowlinghalle gab. Am Abend fand dann auch noch ein traditioneller Weihnachtssaunagang statt. An Heiligabend liefen die Essensvorbereitungen auf Hochtouren und nach finnischer Tradition wurden auf den Gräbern der verstorbenen Verwandten Kerzen angezündet. Das finnische Weihnachtsessen ist sehr lecker und besteht aus verschiedenen Aufläufen und Fisch- und Fleischgerichten. Das Schwein hat für die Finnen eine wichtige Bedeutung und es gibt sogar Weihnachtslieder darüber. Natürlich darf der finnische Reispudding an Weihnachten auch nicht fehlen, genauso wenig wie die Lebkuchen und Blätterteigsterne. Die ganze Weihnachtszeit empfand ich als gemütlich, und ich war froh, dass Schnee lag. 

In Finnland herrscht eine unglaubliche Ruhe, was nicht nur an den wenigen Menschen liegt.

Umwerfend war auch das Eisschwimmen, das ich im Winter mit meiner Gastoma gemacht habe. An einem See, der etwa acht Kilometer von meinem finnischen Zuhause entfernt lag, gab es eine öffentliche Sauna mit einem Eisloch. Ich stieg zuerst in das Loch im Eis, um dann so schnell wie möglich wieder in die warme Sauna zu verschwinden. Diesen Vorgang wiederholten wir, so oft wir Lust hatten, denn das eisige Wasser und die heiße Sauna ergänzen sich perfekt und man fühlt sich danach wie neu geboren. In den letzten Monaten hatte ich kaum noch Lust, nach Hause zurückzukommen, da ich mich wirklich in diesem wunderschönen Land eingelebt hatte. Finnland ist nämlich ein Land zum Verlieben, aber es fällt mir trotzdem schwer zu beschreiben, warum es mir so gut gefiel. Ich glaube, es liegt wie bei allen Dingen an ganz vielen Faktoren, aber einer ist ganz klar die Landschaft. Ein anderer Grund ist, dass ich etwas für mich alleine entdeckt habe, was nichts mit meiner Familie oder Freunden zu tun hat. Es klingt vielleicht albern, aber die Erfahrungen, die ich in Finnland gesammelt habe, sind allein meine eigenen und dadurch habe ich es vermutlich noch mal intensiver wahrgenommen. In Finnland herrscht eine unglaubliche Ruhe, was nicht nur an den wenigen Menschen liegt. Es gibt auch diese innere Ruhe der Menschen, die mich so fasziniert hat, weil ich eigentlich ein unruhiger Mensch bin.

Direkt am nächsten Tag standen meine Eltern vor der Tür, was sich sehr merkwürdig anfühlte.“

Ob ich es wollte oder nicht, irgendwann kam der letzte Schultag und die Zeugnisübergabe an die Abiturienten. In Finnland läuft vieles ziemlich locker, aber die Zeugnisübergabe ist extrem formell. Die Abiturienten bekommen nicht nur ihr Zeugnis, sondern auch eine Abiturientenmütze. Tradition ist auch das Überreichen von Rosen. Mein Musikkurs gestaltete bei dieser Veranstaltung das Rahmenprogramm. Nach diesem offiziellen Teil feiern die meisten Abiturienten im Kreis ihrer Verwandten und Freunde und treffen sich dann abends mit den Mitschülern aus der Stufe, um dann richtig zu feiern. Direkt am nächsten Tag standen meine Eltern vor der Tür, was sich sehr merkwürdig anfühlte. Meine zwei Welten kollidierten. Es gab ein Abschlussgrillen und nach ein paar Tagen im „Mökki“, dem finnischen Sommerhaus der Gastgroßeltern in Mittelfinnland, machten meine Eltern und ich einen Roadtrip über Rovaniemi, Estland, Lettland, Litauen und Polen zurück nach Deutschland. Ich war überrascht, dass ich mich so mühelos wieder zu Hause eingefunden habe. Vieles gefällt mir jetzt seltsamerweise besser als vor meinem Auslandsjahr, vielleicht liegt es daran, dass man manche Sachen auch anders wahrnimmt und einschätzt. Ich freue mich, meine Familie und Freunde wiederzuhaben. Ich vermisse aber auch Finnland, die Leute, die ich dort kennengelernt habe, das Essen, die Sauna, mein unbegrenztes und immer vorhandenes Datenvolumen, die öffentlichen Einrichtungen, die Natur und ein klein wenig auch die Sprache (obwohl es sehr angenehm ist, alles um mich herum zu verstehen). Ich kann ein Auslandsjahr absolut empfehlen und rate jedem dazu, den Schritt zu wagen und etwas Neues auszuprobieren. 

Ida Feldmann, 17, macht gerade ihr Abitur und möchte danach gerne Studieren, am liebsten auch im Ausland. Sie wird auf jeden Fall den Norden Europas zurückkehren und kann sich auch vorstellen dorthin zuziehen.

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