Arbeitskultur in Schweden
Anfang Mai: Die letzten Reste der Schneeberge weigerten sich, zu schmelzen, und mein Wintermantel war noch immer mein bester Freund. Zwei Wochen später lag ich am See und wagte ein erstes Bad in dem Wasser, das vor knapp einem Monat noch gefroren war. Diesen extremen Wechsel der Jahreszeiten, Temperaturen und Lichtverhältnisse hautnah zu erleben, war sicherlich eine der spannendsten und exotischsten Erfahrungen meiner Zeit in Nordschweden.
Eineinhalb Jahre habe ich in Umeå gelebt und gearbeitet. „Wo ist das denn?“, war die häufigste Reaktion, wenn ich von meinen Auslandsplänen erzählte. Eine kurze geografische Einordnung: Von Stockholm fahrt ihr circa 640km an der Küste entlang nach Norden. Was verschlug mich dorthin? Kurz gesagt, ein tolles Praktikumsangebot. Meine Liebe zu Schweden hatte ich bereits während meines Erasmus-Semesters an der Universität im südschwedischen Växjö entdeckt und seitdem fleißig Sprachkurse besucht und Astrid-Lindgren-Filme geguckt. Nun wollte ich gerne meine Sprachkenntnisse vertiefen und den schwedischen Alltag abseits vom Erasmus-Trubel kennenlernen. Ich bewarb mich an schwedischen Universitäten im Bereich Kommunikation, Webredaktion und Marketing. Aus Umeå kam schnell eine positive Antwort und nach mehreren Telefonaten war klar: Das Information Office der Universität Umeå wird für fünf Monate mein Praktikumsplatz. Gefördert wurde mein Aufenthalt durch ein EU-Stipendium des Leonardo da Vinci Programms, das ich über das International Office meiner Heimatuniversität beantragt hatte.
Schließlich hieß es dann Koffer packen und ab Richtung Norden. Eine Wohnung zur Untermiete hatte ich zum Glück vorher über eine Internetbörse gefunden, sodass ich direkt mein neues Heim beziehen konnte. Meine Nervosität vor dem ersten Arbeitstag erwies sich als unbegründet, denn ich wurde sehr herzlich in das Team aufgenommen und langsam an meine Aufgaben herangeführt. Die Arbeitssprache im Büro war ein Mix aus Englisch und Schwedisch. Ich arbeitete hauptsächlich mit meinem amerikanischen Vorgesetzten David zusammen und betreute die englischen Internetseiten der Universität. Mit meinen schwedischen Kollegen verlief die Kommunikation zu Beginn noch etwas stockend, aber durch das tägliche Sprechen konnte ich mich bald fließend verständigen. Beispielsweise verfasste ich Artikel und kündigte Neuigkeiten auf den englischen Internetseiten an. Dafür interviewte ich oft Studierende und Wissenschaftler, machte Fotos und stellte meine Texte online. Daneben war ich Co-Administrator der englischen Facebook-Seite. In dieser Funktion beantwortete ich Nachrichten und informierte unser internationales Publikum über die Geschehnisse an der Uni. Unsere Posts reichten von Forschungsergebnissen über Veranstaltungstipps bis hin zu Fotos vom zugefrorenen Campusteich – welche meistens die größte Resonanz bekamen.
Das Information Office betreute nicht nur die Homepage, sondern erstellte auch Inhalte für Flyer und Broschüren, gab das Mitarbeitermagazin der Uni heraus, betreute Alumni und organisierte Events. Durch meinen Platz im Großraumbüro war ich mitten im Geschehen. So durfte ich auch bei einigen Veranstaltungen mithelfen, zum Beispiel beim Schülerinfotag, bei der Zeremonie zur Verleihung der Doktorwürden und der großen Feier am Campus zur Walpurgisnacht am 30. April. Die Arbeitsatmosphäre war sehr freundschaftlich, trotz eines großen Teams von über 30 Mitarbeitern. Die gute Stimmung war nicht zuletzt auf die regelmäßigen Kaffeepausen zurückzuführen, die man auf Schwedisch „fika“ nennt. „Fika“ ist nicht nur ein Wort, sondern essenzieller Teil der schwedischen Kultur. Es beinhaltet besonders das soziale Miteinander während einer Pause bei heißen Getränken, Kuchen oder Sandwiches. Als feste Institution in der Arbeitswoche trafen wir uns jeden Dienstag und Donnerstag mit allen Mitarbeitern zur „fika“. Bei Kaffee und Knäckebrot konnte ich meine Kollegen schnell besser kennenlernen.
„Das Berufsleben in Schweden empfand ich als sehr arbeitnehmerfreundlich“
Fünf Monate Praktikum erwiesen sich als viel zu kurz. Ich fühlte mich gerade richtig wohl, hatte meine Arbeitsroutine gefunden und mir einen Freundeskreis aufgebaut, und nun sollte es schon wieder nach Hause gehen? Als die Chefin des Information Office mir das Angebot machte, für ein weiteres Jahr dort zu arbeiten, nahm ich ohne Zögern an. Einige organisatorische Hürden musste ich dafür allerdings überwinden. Während das Praktikum noch relativ einfach zu planen gewesen war, stellten sich nun Fragen nach Kranken- und Rentenversicherung, Steuern, Wohnsitzanmeldung usw. Obwohl Mobilität in der EU eigentlich kein Problem sein sollte, wussten die zuständigen Behörden oft nicht richtig Bescheid, und ich musste mir aus unterschiedlichen, zum Teil widersprüchlichen Informationen die richtigen heraussuchen. Schlussendlich konnte ich jedoch alles fristgerecht regeln und meinen ersten richtigen Job antreten. Ich hätte es sicherlich nicht besser treffen können. Das Berufsleben in Schweden empfand ich als sehr arbeitnehmerfreundlich – schließlich ist das Land berühmt für seinen Sozialstaat. Im Sommer hatten wir Anrecht auf vier Wochen Urlaub und vor nationalen Feiertagen konnten wir häufig schon früher Feierabend machen. Zudem durften wir eine Stunde pro Woche während der Arbeitszeit Sport treiben.
„Freizeit und vor allem Zeit für die Familie wird jedoch ebenso hoch gewertet“
Angesichts der vielen freien Tage und ständigen „fika“-Pausen fragte ich mich anfangs manchmal: „Arbeitet hier auch mal jemand?“ Doch dann begriff ich, dass Work-Life-Balance hier nicht nur eine Phrase ist. Während der Arbeitszeit wird fleißig und zügig gearbeitet. Freizeit und vor allem Zeit für die Familie wird jedoch ebenso hoch gewertet. Glückliche Mitarbeiter sind eben gute Mitarbeiter. Dies war nicht der einzige Unterschied zu Deutschland, der mir in der Kultur bzw. in der Arbeitskultur auffiel. Die Hierarchien sind deutlich flacher, ebenso gehören gegenseitiges Duzen und ein legerer Kleidungsstil zum Alltag. Es wird sehr viel Wert auf Konsens gelegt, Konflikte werden vermieden. Dies führt einerseits zu einem entspannten Miteinander und jeder, sogar die Praktikantin, darf und soll seine Ideen und Ansichten einbringen. Andererseits erschienen mir Meetings und Diskussionen oft endlos, ohne dass wir zu einem Ergebnis kamen. In diesen Situationen wurde mir meine deutsche Mentalität bewusst, und ich wünschte mir einen Vorgesetzten, der einfach mal auf den Tisch haute und eine Entscheidung traf.
„Ich freundete mich gut mit meinen schwedischen ,Buddies‘ an“
Privat können die Schweden, wie ihnen nachgesagt wird, tatsächlich etwas reserviert sein. Lernt man sie jedoch näher kennen, sind sie ausgesprochen freundliche, hilfsbereite und loyale Menschen. Besonders im multikulturellen Umeå mit seinen vielen internationalen Studierenden und Gastwissenschaftlern erlebte ich sehr viel Offenheit und Neugier gegenüber fremden Kulturen. Dadurch fiel es mir auch sehr leicht, Kontakte zu knüpfen und Freunde zu finden. Das International Office organisierte ein fantastisches „Buddy“-Programm, das mehrere schwedische und internationale Studierende in einer „Buddy“-Gruppe zusammenschloss, und bei dem ich mitmachen durfte. Die Schweden halfen den ausländischen Gästen nicht nur beim Einleben, sondern organisierten das ganze Semester über Koch- und Filmabende, Ausflüge und Partys. Ich freundete mich besonders gut mit meinen schwedischen „Buddies“ an. Wir fuhren zum Beispiel Schlitten und Schneemobil, verbrachten ein Wochenende auf einer Insel, grillten Würstchen am See über dem Lagerfeuer und spielten Fußball oder Hockey. Umeå ist eine sehr sportbegeisterte Stadt. Der Verein IKSU besitzt eines der größten Sport- und Fitnesszentren Europas, das sich direkt auf dem Campus befindet. Dort werden unter anderem unzählige Mannschaftssportarten und Fitnesskurse angeboten, es gibt ein Schwimmbad und Indoor-Beachvolleyball. Dort kam sogar im tiefsten Winter Strandfeeling auf. Obwohl ich sicherlich keine Sportskanone bin, gehörte ein Besuch im IKSU bald fest zu meinem Tagesablauf.
“Grün schimmernde Bänder aus Licht tanzten am Himmel“
Den Winter im Norden zu erleben, war ebenso spannend wie herausfordernd. Wir hatten Temperaturen bis -30°C, Schnee bis Anfang Mai und zwischen November und Februar nur ein paar Stunden Dämmerlicht am Tag. In diesen Monaten fiel es mir manchmal schwer, zur Arbeit zu gehen und mich acht Stunden lang zu konzentrieren. Kreative Ideen sprudelten in dieser Zeit weniger, stattdessen stieg mein Kaffeekonsum exponentiell an. Auch wenn mir manchmal eher nach Winterschlaf war: Mit Sport und Spaziergängen in den wenigen Sonnenstunden überstand ich meinen ersten richtigen Winter. Dieser hatte auch seine schönen Seiten, nämlich glitzernden Schnee in der Märzsonne, Wintersportmöglichkeiten und ein unvergessliches Highlight: die Nordlichter. Dieses Naturschauspiel stand schon lange auf meiner Liste der „Dinge, die ich einmal im Leben sehen will“. Viele Nächte starrte ich in die Dunkelheit, bis ich endlich belohnt wurde. Grün schimmernde Bänder aus Licht tanzten am Himmel und ich saß verzückt auf einem Schneeberg und fotografierte, bis mir fast die Finger abgefroren waren. Doch so schön und aufregend meine Zeit in Umeå auch war, fehlten mir nach eineinhalb Jahren meine Familie und meine Freunde doch sehr. Als mein befristeter Vertrag auslief, entschied ich daher, nach Deutschland zurückzukehren. Der Abschied fiel mir nicht leicht, denn ich hatte Umeå und seine Einwohner sehr ins Herz geschlossen. Ich bin mir aber sicher: Viele wundervolle Erinnerungen, tolle Menschen, jede Menge Fotos und ein paar kleine schwedische Eigenarten bleiben mir erhalten.
Christina Hülsmann, 27, arbeitet in Köln in einer PR-Agentur. Vom Schweden-Fernweh ist sie noch längst nicht geheilt: 2014 steht ein weiterer Besuch im hohen Norden an, dann ist Umeå nämlich Kulturhauptstadt Europas.
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