Ein Jahr in den Anden

Freiwilligendienst in 3000 Metern Höhe

GESCHRIEBEN VON: Christine
LAND: PERU
AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
Nr. 7 / 2017, S. 44-45

Schon immer war mir klar, dass ich nach dem Abitur erst einmal ins Ausland wollte, weg von der gewohnten Umgebung und hinein in etwas Neues, um woanders ganz von vorne anzufangen, neue Erfahrungen zu machen und neue Dinge kennenzulernen. Da ich wie viele davon träumte, mich sozial zu engagieren, entschied ich mich aus dem Pool der Möglichkeiten für einen einjährigen Freiwilligendienst in Peru, bei dem Verein „Corazones para Perú“.

Dieser Verein unterhält in Urubamba, einem kleinen Ort mitten im Heiligen Tal der Inkas, in der Nähe von Cusco, ein Kinderdorf mit circa 70 Kindern als Hauptprojekt, sowie ein Stipendienprogramm für Schüler und Schülerinnen aus armen Verhältnissen, ein Projekt für Menschen mit Behinderung und ein Schulnetzwerk, das Schulspeisungen bietet und Freiwillige wie mich als Unterstützung für den Englischunterricht einsetzt. Als Vorbereitung für mein Jahr in Peru frischte ich mein Schulspanisch mit neuen Vokabeln auf, kaufte mir einen warmen Schlafsack, da es in den Anden nachts sehr kalt wird, und verabschiedete mich von meiner Familie und meinen Freunden. Das fiel mir ziemlich leicht, da ich überhaupt nicht realisierte, dass ich sie alle nun ein Jahr lang nicht mehr sehen würde. Zwar trauerte ich ein wenig dem Sommer nach dem Abi nach, den ich nun verpassen würde, aber mit einem Fotoalbum im Gepäck stieg ich Anfang Juli aufgeregt in das Flugzeug.

Insgesamt waren wir 15 Freiwillige, die für ein Jahr in dem Verein zusammen arbeiteten und lebten. Dazu teilten wir uns in zwei Wohngemeinschaften auf: Die eine Hälfte wohnte in dem Freiwilligenhaus des Kinderdorfs, das mit dem Auto 20 Minuten von Urubamba entfernt liegt, und ich zog mit der anderen Hälfte in die Unterkunft in Urubamba ein, wo auch meine Arbeitsbereiche lagen. Der riesige Pluspunkt an dem Projekt war für mich, dass ich als Freiwillige in mehreren unterschiedlichen Bereichen mitwirken konnte und mich nicht nur auf eine Arbeitsstelle festlegen musste. So arbeitete ich hauptsächlich in dem Projekt „Aprender con Corazón“, zu Deutsch „Lernen mit Herz“. In diesem Stipendienprogramm werden Familien finanziell unterstützt, damit ihre Kinder weiterhin die Schule besuchen können und nicht abbrechen müssen, um auf dem Feld oder auf dem Bau zu arbeiten und so den Lebensunterhalt der Familie kurzfristig zu sichern. Außerdem bietet der Verein den Stipendiaten ideelle Unterstützung, zum einen durch Zusatzunterricht, zum anderen durch Rat und Beistand in schwierigen Situationen. Als Freiwillige war es meine Aufgabe, die Familien zu besuchen, das Projekt präsent zu halten und persönlich zu gestalten, Ansprechpartner zu sein und bei Problemen zu vermitteln, beispielsweise wenn die Kinder unter häuslicher Gewalt oder Alkoholismus in der Familie litten. Meine Arbeit in dem Stipendienprogramm begeisterte mich, da ich in direktem Kontakt zu peruanischen Familien stand und ihr Leben kennenlernen durfte. Ich verbrachte schöne Nachmittage, an denen ich mich einfach nett mit den Leuten unterhielt, immer wieder zum Essen eingeladen wurde und bei den Hausaufgaben half. Zugleich bekam ich einen guten Einblick in die Sozialarbeit. Mein Chef nahm mich zu allen Besuchen und Terminen mit, wenn es etwas zu klären gab, und erläuterte mir die nächsten möglichen Schritte sowie die Rechtslage in speziellen Fällen.

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Besonders prägend war für mich die Begegnung mit Analí und ihrer Familie. Ursprünglich kamen sie Besonders beeindruckt hat mich die Begegnung mit Analí und ihrer Familie. Ursprünglich kamen sie aus einem kleinen Ort, welcher etwa sieben Stunden von Urubamba entfernt liegt, und wohnen erst seit zwei Jahren in einem Vorort Urubambas. Ihre Eltern und die zwei ältesten Brüder arbeiten auf dem Bau und auf dem Feld, um den Unterhalt für die Familie zu verdienen. Analí und ihr Bruder sind die Ersten der Familie, die weitere Schulbildung erhalten. Sie träumen davon, eine Ausbildung zu absolvieren und betonten oft ihre Motivation und Entschlossenheit, alles dafür zu tun, um, wie sie es sagen, „in ihrem Leben voranzukommen“. Ich fand ihre Einstellung und ihren Einsatz beeindruckend. Gleichzeitig gab es auch viele andere Familien, die es sich nicht finanziell nicht leisten konnten, auf den Arbeitslohn beziehungsweise Arbeitserträge ihrer Kinder zu verzichten. Es stimmte mich nachdenklich, wie unterschiedlich Chancen auf der Welt verteilt sind. Manchmal hatte ich den Eindruck, eigentlich wenig dagegen tun zu können.

„Die Motivation der Schüler war unglaublich“

Mein zweites Lieblingsprojekt war das Unterrichten: Zwei Mal die Woche fuhr ich eine Stunde lang in die Berge, in ein kleines Dorf namens Huilloc, um dort Englisch in der weiterführenden Schule zu unterrichten. Die Motivation der Schüler war unglaublich. So brüllten manche Kinder in ihrem Übereifer die Antworten nur so in den Raum oder liefen mich fast um, um mir die richtige Lösung ins Ohr zu schreien. Auch wenn es teilweise wirklich anstrengend war, war ich jedes Mal sehr gerne dort. Huilloc war für mich wie eine andere Welt, weil alles viel ruhiger zu laufen schien. Um mich herum sah ich nur Berge, viele Felder und Tiere. Neben dem Unterrichten durfte ich auch bei der Öffentlichkeitsarbeit des Vereins aushelfen. Hier kümmerte ich mich vor allem um die Internetpräsenz des Projektes und um die Kommunikation mit dem deutschen Partnerverein. Dabei konnte ich vieles lernen, aber auch feststellen, dass ich diese Arbeit nicht zum Beruf machen will. Zwar entwickelte sich durch meinen festen Arbeitsplan eine Routine im Alltag, aber immer wieder gab es besondere Veranstaltungen. Ein großes Highlight meines Jahres war der Drei-Tages-Ausflug in den Ferien mit den Kindern aus dem Kinderdorf. Alle Mitarbeiter, Kinder und Freiwillige fuhren nach Quillabamba, einem Ort in den Subtropen, und hatten einen Heidenspaß bei Wasserschlachten, Schwimmbadbesuchen und abends auf dem großen Matratzenlager. Zwar hatte ich im Arbeitsalltag mit den Kinderdorf-Kindern nicht viel zu tun, aber in den drei Tagen lernte ich sie ein wenig kennen. Es war unglaublich, was für eine Lebensfreude diese Kinder ausstrahlten.

„Mit vielen Mitarbeitern im Projekt verstand ich mich so gut, dass ich sie in meiner Freizeit traf“

Auch die Zeit außerhalb der Arbeit genoss ich sehr. Die anderen Freiwilligen, insbesondere meine WG, wurde in dem Jahr sehr wichtig für mich. Wir verbrachten viel Zeit miteinander, kochten abends zusammen, saßen oftmals noch lange am Küchentisch und plauderten, unternahmen am Wochenende gemeinsame Aktivitäten und halfen uns gegenseitig aus. So viele andere Freiwillige um mich herum zu haben, hatte den Vorteil, immer jemanden zum Austauschen zu haben, der oder die mich verstand und vieles nachvollziehen konnte. Mit der Zeit entwickelten sich ein starker Zusammenhalt und enge Freundschaften unter uns. Aber auch mit vielen Mitarbeitern im Projekt verstand ich mich so gut, dass ich sie in meiner Freizeit traf, und auch abends beim Ausgehen lernte ich viele Leute kennen, von denen einige Freunde wurden. Zudem war ich in dem Jahr nicht nur in Urubamba, sondern bin auch viel gereist, habe viel von Peru gesehen und sogar einiges von Bolivien. Aber am schönsten war doch die Zeit im Projekt – in meinem Zuhause, mit den lieb gewonnenen Menschen und mit meiner Arbeit. Auch wenn ich das Jahr als eine sehr große Bereicherung sehe, weiß ich auch, dass nicht alles einfach war und ich nicht immer freudestrahlend unterwegs war. Anfangs zweifelte ich an meinem Spanisch, traute mir einige Sachen nicht zu und war nicht sicher, ob ich den Anforderungen der Arbeit gerecht werden könnte. Zudem schlauchte mich vor allem in der ersten Zeit die 40-Stunden-Woche.

„Damit dieses Jahr direkt einen guten Anfang hat, solltet ihr vorher die Sprache lernen“

Da ich noch keine Erfahrung mit einer Vollzeitstelle hatte, empfand ich sie als sehr anstrengend und brauchte immer mal wieder Zeit zum Entspannen und Nichtstun. Außerdem kosteten mich im Laufe des Jahres die Spannungen mit einer Mitfreiwilligen aus meiner WG viel Energie. Einen Kulturschock hatte ich jedoch nicht – weder beim Ankommen in Peru noch bei der Rückkehr nach Deutschland. Irgendwie akzeptierte ich beide Male, dass das Leben und die Umgebung eben anders sind. Dieses Jahr hat mich persönlich enorm weitergebracht und ich empfehle jedem, nach der Schule erst mal ein Jahr Pause einzulegen, bevor es weiter mit einer Ausbildung oder dem Studium geht. Es muss nicht immer das weit entfernte Ausland sein. Aber ein Jahr, um sich selbst zu finden, sich über seine eigenen Vorstellungen klarer zu werden und viel selbstständiger zu werden, ist auf keinen Fall vergeudete Zeit. Damit dieses Jahr direkt einen guten Anfang hat, solltet ihr vorher die Sprache lernen. Bei einem Freiwilligendienst ist das Nichtbeherrschen der jeweiligen Sprache nicht nur hinderlich für das Projekt und eure Arbeit, sondern auch sehr frustrierend für euch persönlich, da ihr euch nicht verständigen könnt. Ich rede hier nicht über fließende Sprachkenntnisse, aber solide Grundkenntnisse sollten vorhanden sein. Des Weiteren sollte euch als Freiwillige oder Freiwilliger von Anfang an bewusst sein, dass ihr mit eurem Freiwilligendienst nicht im Alleingang die Welt verbessern werdet. Vieles hängt von eurer Eigeninitiative und Motivation ab, aber vor allem werdet ihr den lokalen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zuarbeiten, um gemeinsam etwas zu bewegen.

Christine, 19, strebt ein Studium der Politikwissenschaft mit Nebenfach Wirtschaftswissenschaften an und möchte nebenher jobben, um weitere Reisen zu finanzieren.

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Koala Bär
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