Gastfreundschaft im fernen Kaukasus

Europäischer Freiwilligendienst in Armenien

weltweiser · Freiwillige auf Reisen in Armenien
GESCHRIEBEN VON: STEFANIE BLUM
LAND: ARMENIEN
AUFENTHALTSDAUER: 4 MONATE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
Nr. 7 / 2017, S. 49-50

So ganz wusste ich eigentlich nicht, auf was ich mich da eingelassen hatte, als das schmale Fenster im Flugzeug den eindrucksvollen Blick auf den heiligen Berg Ararat freigab. Was ist Armenien, der erste christliche Staat der Welt, welcher kaum größer als Brandenburg ist, eigentlich für ein Land? Ich wusste nur, dass man im Leben immer das bereut, was man nicht getan hat. Und die Zeit drängte, denn eine Teilnahme am Europäischen Freiwilligendienst ist nur vom 17. bis zum vollendeten 30. Lebensjahr möglich.

Ich hatte mich gegen die Vermittlung durch eine der großen deutschen Entsende- organisationen entschieden, war selbst aktiv geworden und hatte etwa ein Jahr vor dem geplanten Freiwilligendienst direkt ausländische Organisationen kontaktiert. Dieser Weg fordert allerdings in der Regel Durchhaltevermögen, denn von den meisten erhält man leider nie Rückmeldung. Eine Teilnahme ist prinzipiell in fast allen Ländern Europas möglich und insbesondere, wenn man auch mal den Blick nach Osteuropa richtet, stehen die eigenen Chancen recht gut. Mich selbst reizten vor allem die mir unbekannteren Ausläufer unseres Kontinents und so kontaktierte ich ausschließlich Projekte in Ländern wie Island, Aserbaidschan, Armenien und Georgien. Und ich hatte riesiges Glück und bekam tatsächlich bereits eine Viertelstunde nach meiner Bewerbung schon die erste Zusage – aus Armenien! Die endgültige Bestätigung, dass auch die von meiner deutschen Entsendeorganisation beantragten Fördermittel bewilligt wurden, kam dagegen erst etwa zwei Monate vor der Ausreise. Wenige Wochen, bevor ich in den Flieger stieg, nahm ich noch an einem interessanten Seminar meiner Entsendeorganisation teil, um mich auf meinen Auslandsaufenthalt vorzubereiten.

Dann war der große Moment schon gekommen und ich verabschiedete mich leicht wehmütig von meinen Freunden und meiner Familie. Nach kurzem Umsteigen in Moskau stand ich dann auch schon mit einigen Fragezeichen und ohne konkrete Erwartungen am Flughafen von Armeniens Hauptstadt Jerewan, wo ich die nächsten vier Monate verbringen würde. Ein von der Organisation entsendeter Taxifahrer holte mich ab, denn meine Koordinatorin war gerade auf Geschäftsreise und traf erst ein paar Tage später ein. Ich hatte also etwas Zeit, um mich an meine neue Umgebung zu gewöhnen. Bei der Ankunft in meiner neuen Unterkunft durchfuhr mich allerdings erst einmal ein kleiner Schock: mit fünf anderen Freiwilligen sollten wir die Kelleretage unter dem Büro der Organisation bewohnen. Die stickigen 2m²-Zimmer waren fensterlos und in die ganze Wohnung drang keinerlei natürliches Licht. Die kleinen Flurfenster zeigten in den Durchgang zum Hinterhof und wurden meist von den vielen Straßenkatzen als öffentliche Toilette missbraucht. Tatsächlich wurde unsere Wohnung immerhin selbst von den Mitarbeitern der Organisation „Der Bunker“ genannt. Zudem war die Stimmung im Bunker bei meiner Ankunft recht angespannt, denn zwischen den drei französischen und dem polnischen Freiwilligen hatte sich eine zwischenmenschliche Kluft gebildet. Die ersten Tage dachte ich ernsthaft darüber nach, mir eine eigene Unterkunft zu suchen, zumal auch meine armenischen Freunde bestätigten, dass Armenien zwar ein armes Land sei, aber eigentlich keiner unter solchen Bedingungen hausen würde. Man gewöhnt sich jedoch an vieles, die Organisation war um Verbesserungen bemüht, und vor allem, nachdem die ehemaligen Freiwilligen abgereist waren und neue kamen, wuchsen wir zu einer richtigen Wohngemeinschaft zusammen und verbrachten viel Zeit miteinander.

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Dann lernte ich endlich meine Koordinatorin kennen, die sehr nett, wenn auch extrem beschäftigt und daher oftmals ziemlich vergesslich war. Obwohl wir anfangs besprochen hatten, dass ich prinzipiell offen gegenüber jeder Tätigkeit bin, aber ungern unterrichten oder mit Kindern arbeiten würde, brachte sie mich erst in mehrere Kinderzentren, wo ich unter anderem unterrichten sollte. Aber die Aufgaben waren recht flexibel, und so einigten wir uns darauf, dass ich zweimal wöchentlich einer gemischten Gruppe Spanisch beibringen sollte, während ich die restliche Zeit mit ihr im Büro arbeiten würde, um sie bei Projektanträgen zu unterstützen. Es war interessant, Einblicke in die kulturell bedingten, unterschiedlichen Arbeitsweisen zu bekommen. So wurden wichtige Anträge oft bis zum Ende der Deadlines hinausgezögert und andererseits eher unbedeutende Facebook-Anfragen selbst um Mitternacht sofort beantwortet. Generell ist Facebook das Hauptarbeits- und Kommunikationsinstrument und es wurde darauf bestanden, dass ich mir einen Account zulege, da man auf anderem Wege nicht in Kontakt bleiben könne. Da die Arbeit in den ersten zwei Monaten aber sehr überschaubar blieb, hatte ich viel Zeit, mit meinen Mitbewohnern Land und Leute kennenzulernen. Wir waren dabei immer wieder überwältigt von der kaukasischen Gastfreundschaft.

„Es war immer wieder beeindruckend, wie man auch ohne Worte kommunizieren konnte“

Es berührte mich zutiefst zu sehen, wie offen und interessiert Armenier Fremden gegenübertraten, mit wie viel Bereitschaft und Fürsorge sofort geholfen und wie rührend man mit Essen, Unterkunft oder Sonstigem versorgt wurde. Und das, obwohl die Menschen im Durchschnitt kaum mehr als 200 Euro im Monat verdienen und somit nie etwas ansparen können, denn das Essen ist zum Beispiel vergleichsweise teuer. Als Europäische Freiwillige ist man somit fast bessergestellt, denn neben der Unterkunft und den Flugkosten erhält man auch eine länderbezogene monatliche Verpflegungspauschale und ein kleines Taschengeld. Trotzdem waren die Leute sofort gewillt, alles zu teilen. Das Reisen im Kaukasus setzte für mich ohnehin neue Standards, was die Freiheiten und Sicherheit betrifft. Wir trampten fast ausschließlich, und so gut wie jeder Autofahrer hielt augenblicklich, versorgte uns mit frischem Obst aus dem eigenen Garten und wir schlossen viele neue Freundschaften. Es war immer wieder beeindruckend, wie man auch ohne Worte kommunizieren konnte. Denn leider stellte die komplexe armenische Sprache mit ihrer eigenen Schrift und den 39 für uns zum Teil unaussprechlichen Buchstaben bei einem Aufenthalt von nur vier Monaten doch eine unüberwindbare Hürde dar. Dennoch kam man auch mit rudimentären Grundkenntnissen schnell ins Gespräch und ich lernte unglaublich viel über die Kultur und Traditionen dieses wunderbaren Landes. Auch kulinarisch hat Armenien durch die vielen Einflüsse aus der persischen sowie sowjetischen Küche sehr viel Leckeres zu bieten. Und die Landschaft – mit ihren unzähligen Klosteranlagen und Kirchen zwischen rauen Bergen und Höhlenstädten im Süden, Schluchten und Steppen, dem endlos weiten, tiefblauen Sewansee und den grünen Wäldern um Dilidschan – ist einfach unglaublich beeindruckend und abwechslungsreich für so ein kleines Land.

„Es gab eigentlich täglich etwas zu tun in Armeniens pulsierender Hauptstadt“

Zudem gab es sehr viele kulturelle Veranstaltungen in Jerewan, unter anderem eine Gedenkfeier anlässlich des 100. Jahrestages des Genozids, den die Türkei 1915 am armenischen Volk verübt hatte und dem mehrere Hunderttausend Armenier zum Opfer fielen. Außerdem besuchten wir viele kostenlose Musikveranstaltungen, ein veganes Fest, ein Ballett, einen Tanzkurs und Essensverkostungen. Es gab eigentlich täglich etwas zu tun in Armeniens pulsierender Hauptstadt. Zweimal fuhren wir auch ins Nachbarland Georgien, zum einen zum „One Caucasus Festival“, einem völkerversöhnenden Musikfestival mit Bands aus Armenien, Georgien und Aserbaidschan sowie Polen und dem Senegal, und zum anderen zum Einführungsseminar. Zurück in Jerewan war ich schließlich durch all die wundervollen Reiseerfahrungen und bewegenden Begegnungen voller Motivation, die letzten zwei Monate nun dazu zu nutzen, etwas zurückzugeben. Es machte mich zum Teil sehr traurig, mit anzusehen, wie ein Land wie Armenien in Deutschland von den Medien meist nur auf die Armut, den Genozid und den andauernden Konflikt mit dem Nachbarland Aserbaidschan um die Region Bergkarabach reduziert wird. Ich beschloss deshalb, ein Projekt ins Leben zu rufen, das Armenien aus einer anderen Sicht zeigt, denn besonders in den jungen Leuten steckt sehr viel kreatives Potenzial und soziales Engagement. Mit einem befreundeten iranischen Fotografen organisierten wir eine Fotoausstellung mit Porträtaufnahmen junger Armenier vor verschiedenen bedeutsamen Orten in Jerewan und kurzen Texten über ihre persönlichen Zukunftsvisionen.

„Das Projekt war eine riesige Bereicherung für mich“

Meine Organisation war von der Idee begeistert und ließ mir komplett freie Hand. Die letzten zwei Monate wurden demnach extrem arbeitsintensiv, denn ich war nun für jeden einzelnen Schritt bis zum Eröffnungsevent allein zuständig. Aber das Projekt war eine riesige Bereicherung für mich, denn ich lernte nicht nur viel über Projektmanagement und sah viele schöne neue Orte in Jerewan, sondern bekam durch die Gespräche auch tiefe Einblicke in die Gedankenwelt unserer Teilnehmer. Kurz vor dem großen Eröffnungsevent in einem modernen Anti-Café, in dem man nicht für das zahlt, was man konsumiert, sondern nach Zeit, schalteten sich die lokalen Medien ein und ich gab Radio-, Zeitungs- und TV-Interviews und war einfach nur glücklich, dass mein Projekt auf so viel Interesse stieß. Immer wieder bedankten sich unsere Teilnehmer und andere Leute für die Ausstellung, und während unserer Spendenaktionen auf den zentralen Plätzen der Stadt konnten wir einen Großteil der benötigten finanziellen Mittel aufbringen. Mein Projekt wurde also ein voller Erfolg und ich plane, die Ausstellung im Anschluss in verschiedenen Orten in Deutschland zu zeigen. Letztlich gehört mein Freiwilligendienst in Armenien zu den schönsten und kreativsten Abschnitten meines Lebens und ich bedauere lediglich, dass ich nicht länger geblieben bin. Ich kann jedem nur ans Herz legen, ein ganzes Jahr zu bleiben, denn es gibt so viel zu sehen und zu entdecken. Und das Programm Europäischer Freiwilligendienst bietet einem nicht nur die nötigen Rahmenbedingungen sowie finanziellen Mittel, sondern in der Regel auch viele Freiheiten, um sich selbst zu verwirklichen und Neues auszuprobieren. Zudem ist es besonders reizvoll, einmal von den geläufigen Reisezielen Abstand zu nehmen und sich auf eine völlig fremde Kultur einzulassen. So kann man noch recht unberührte Paradiese wie die Kaukasusregion mit ihrer wunderschönen Natur, ihrer geschichtsträchtigen Kultur, ihren kulinarischen Köstlichkeiten und den höchst liebenswerten und gastfreundlichen Menschen entdecken.

Stefanie Blum, 32, hat Englisch und Spanisch studiert und ist auch nach ihrer Zeit in Armenien weiterhin in der Welt unterwegs. Sie engagiert sich derzeit im Rahmen von mehreren selbst organisierten Kurzzeit-Freiwilligeneinsätzen in Südamerika.

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Koala Bär
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