Mein Auslandsjahr in Südkorea
Ursprünglich hatte ich gar nicht vorgehabt, nach Südkorea zu gehen. Mein Wunsch war es, mein Auslandsjahr in einem Land mit gänzlich anderer Kultur und einer neuen Sprache zu verbringen. Demzufolge wählte ich alle asiatischen Länder auf der Liste meiner Austauschorganisation aus.
Nach einiger Zeit erhielt ich einen Brief, in dem fettgedruckt „Südkorea“ stand. Motiviert fing ich an, Koreanisch zu lernen, mich über das Land zu informieren und alles vorzubereiten. Meine Familie und Freunde waren zwar erst etwas geschockt über meine Entscheidung, doch dann freuten sie sich mit mir. Ein paar Monate später saß ich mit drei anderen Deutschen im Flugzeug nach Seoul und konnte noch immer nicht realisieren, dass ich für ein Jahr in Südkorea leben würde. Am Flughafen wurde ich von meinem Gastbruder herzlich willkommen geheißen, bei dessen Familie ich für eine Woche in Seoul wohnte, um mit den anderen Austauschschülern am Vorbereitungsseminar teilzunehmen.
Danach kam ich zu meiner Gastfamilie nach Daegu, bei der ich zusammen mit einer japanischen Austauschschülerin namens Koharu leben sollte. Das Leben mit meiner Gastschwester war nicht immer einfach. Wir wetteiferten insgeheim um die Gunst der Eltern, um die Anzahl der Freunde und um vieles mehr. Aber wir hatten auch viel Spaß miteinander, und nun habe ich eine japanische Freundin fürs Leben gewonnen.
In der ersten Zeit verständigte ich mich mit einem Mix aus Koreanisch und Englisch, wobei ich schnell bemerkte, dass die Koreaner entweder kein Englisch konnten oder zu schüchtern waren, um Englisch zu reden. Doch meistens kam ich mit dem koreanischen Ausdruck für „Es schmeckt gut“ und „Ich habe keinen Hunger“ ohnehin ganz gut zurecht. Denn die Koreaner drücken ihre Zuneigung dadurch aus, dass sie ständig etwas zu essen anbieten, da die Mahlzeiten in Südkorea höchste Priorität haben. Statt „Wie geht es dir?“ fragt ein richtiger Koreaner: „Hast du schon gegessen?“
Meine Gasteltern waren, wie alle Koreaner, immer sehr beschäftigt, sodass wir uns leider kaum sahen. Sie waren den ganzen Tag bei der Arbeit und ich verbrachte viel Zeit in der Schule. Apropos Schule: Den ersten Schultag stellt man sich normalerweise beängstigend vor. Man kennt niemanden und hat Angst davor, keine Freunde zu finden. Für mich war der erste Schultag auch beängstigend, allerdings in anderer Hinsicht. Die Schülerinnen – ich war auf einer Mädchenschule – kreischten bei meinem Anblick, versuchten meine „goldenen“ Haare anzufassen und Fotos mit mir zu machen. Am Anfang genoss ich die Aufmerksamkeit, aber nach einiger Zeit nervte es mich, dass mich alle nur als Ausländerin und nicht als Menschen sahen.
Schließlich ließ die Aufmerksamkeit nach und ich stellte fest, dass ich zwar sehr viele Bekannte, aber kaum richtige Freunde hatte. Das war der Anfang einer anstrengenden Zeit, in der ich oft einsam war, an der asiatischen Mentalität verzweifelte und die Schule verfluchte. Denn das Leben der koreanischen Jugendlichen spielt sich in der Schule ab, meine Mitschülerinnen blieben oft bis zehn Uhr abends dort. Ich durfte zwar schon um vier Uhr gehen, blieb aber oft länger, denn was sollte ich alleine zu Hause machen? Irgendwann begann ich, zusammen mit kleinen süßen Grundschülern Taekwondo zu lernen, die zugegebenermaßen größeres Talent als ich vorzuweisen hatten. Je besser ich Koreanisch konnte, desto einfacher lief alles, und ich fand bald richtige Freunde. Abgesehen von den Fächern Deutsch, Englisch, Kunst und Sport konnte ich dem Unterricht allerdings bis zum Ende nicht richtig folgen, da es einfach zu anspruchsvoll war. Stattdessen lernte ich Koreanisch oder nahm mir ein Beispiel an den anderen und schlief während des Unterrichts.
Und dann neigte sich mein Auslandsjahr schon langsam dem Ende zu. Auch wenn es kein Partyjahr voller Spaß und Freude war, beinhaltete es einmalige, verrückte Erlebnisse mit warmherzigen Menschen und vielen Herausforderungen. In den ersten Monaten zurück in Deutschland fiel mir die Eingewöhnung schwer. Ich verbeugte mich vor den Lehrern, ich vergaß immer wieder, meine Eltern zu duzen, und schlief während des Unterrichts ein. Inzwischen bin ich wieder ganz auf mein Leben in Deutschland eingestellt, aber dennoch lässt Südkorea mich einfach nicht los.
Julia Söhnholz, 20, hat nach ihrem Schulabschluss einen einjährigen Freiwilligendienst in Nicaragua absolviert. Zurzeit studiert sie Liberal Art and Sciences in den Niederlanden.
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