Mein Tor zur Welt

Inspiriert durch ein Praktikum in Japan

weltweiser · Auslandspraktikum · Sprachreise · Japan
GESCHRIEBEN VON: JULIE G. HENNING
LAND: JAPAN
AUFENTHALTSDAUER: 7 MONATE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
Nr. 3 / 2013, S. 50-51

Als ich aus dem Flughafengebäude trat, kam mir eine Welle warmer Luft entgegen. Hier roch es ganz anders als zu Hause in Deutschland. Dann hörte ich das laute Zirpen der Zikaden und wusste, ich bin endlich in meinem Traumland angekommen.

Japan war schon immer ein Land gewesen, das mich besonders interessiert hatte. So weit weg und so vollkommen anders. Die Menschen, die Kultur, die Lebensweise, all das wollte ich unbedingt einmal selbst erfahren. Somit zog es mich gleich nach meinem Abitur für sieben Monate in die wunderschöne Küstenstadt Fukuoka auf der Südinsel Japans. Am Flughafen wurde ich sogleich freundlich vom Chef meiner Sprachschule empfangen, der mich zu meinem neuen Zuhause brachte. In einer kleinen Wohnung, nicht weit vom Meer entfernt, erwarteten mich zwei andere Sprachschüler aus Frankreich und Deutschland, sowie die Japanerin, die ihre Wohnung so lieb mit uns teilte, meine Okasan. Ich wurde freundlich begrüßt, danach gab es ein traditionell japanisches Abendessen. Noch etwas überwältigt, fiel ich an diesem Abend früh ins Bett und spürte sofort, dass ich eine großartige Zeit vor mir haben würde.

Wer nach Japan reisen möchte, hat eigentlich sehr viele Möglichkeiten, seinen Aufenthalt dort zu gestalten. Man kann Vollzeit-Sprachschüler sein und jeden Tag zum Sprachunterricht gehen, aber auch ein Praktikum oder Work & Travel sind möglich. Da ich vor meiner Abreise noch kein Japanisch sprechen konnte und mich auch sonst nicht in diesem fremden Land auskannte, beauftragte ich einen Reiseveranstalter mit der Organisation meines Aufenthalts. Es war eine große Erleichterung, mit jemandem zu kooperieren, der sich auskannte und somit die Reise ganz auf meine Bedürfnisse abstimmen konnte. Meine Vorstellung war die Verbindung von Sprachelernen und einer berufspraktischen Tätigkeit. Ich entschied mich für einen dreimonatigen Sprachkurs und ein anschließendes Praktikum im PR-Bereich eines Modelabels. Für eine Aufenthaltsgenehmigung, die länger als sechs Monate gültig ist, und eine Arbeitsgenehmigung, die man braucht, wenn man ein unbezahltes Praktikum machen möchte, beantragte ich ein Working-Holiday-Visum. Von der Organisation wurden mir dann noch der Flug und eine Unterkunft gebucht. Alles total unkompliziert und flexibel. Schon konnte es losgehen.

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Der Montag nach meiner Ankunft war mein erster Tag in der Sprachschule. Das erste Mal U-Bahn fahren, alleine, in Japan. Ein bisschen nervös war ich vorher schon, denn in den ersten Tagen sieht in einer neuen Stadt erst einmal alles gleich aus. Glücklicherweise meisterte ich die Anfahrt ohne Probleme und kam pünktlich an, um die anderen Schüler kennenzulernen und mit ihnen zusammen die Stadt zu erkunden. Wir bekamen unsere Stundenpläne und gleich am nächsten Tag ging der Unterricht los. Zusammen mit drei anderen Deutschen fand ich mich am Dienstag im Klassenraum ein und wir lernten unsere Lehrerin kennen. Ayumi, eine kleine, unglaublich liebe und niedliche junge Frau, brachte uns an diesem Tag die ersten Worte auf Japanisch bei. Wir begannen mit den beiden Schriften Hiragana und Katakana, die zu Anfang gar nicht so einfach zu lernen waren. Doch wir machten alle fleißig unsere Hausaufgaben und somit war bald Besserung in Sicht. Leider musste ich mich von meinen Mitschülern nach vier Wochen verabschieden, da es für sie schon wieder zurück nach Deutschland ging. Dafür hatte ich von nun an Einzelunterricht, der schwieriger, aber dafür auch sehr effektiv war. Es war für mich zwar kein Problem, nach Japan zu kommen und mit dem Erlernen der Sprache erst dort zu beginnen, trotzdem würde ich aufgrund meiner eigenen Erfahrung dazu raten, schon vor dem Aufenthalt so viel zu lernen wie möglich. Dadurch macht man im Unterricht schneller Fortschritte und kann auf der Straße oder im Supermarkt schon einfache Fragen stellen. Entgegen aller Erwartungen können die meisten Japaner nämlich nicht besonders gut Englisch. Zum Glück sind Schilder und Wegweiser oft auch auf Englisch, zumindest die in der U-Bahn.

„In der Tat, Japan ist exotisch“

Je mehr ich Fukuoka kennenlernte, desto mehr gefiel es mir dort. Die Stadt ist unglaublich vielseitig, vor allem in den Sommermonaten. Hat man die für Japan typische Regenzeit erst einmal überstanden, kann man den ganzen Tag am Strand, im Park oder am See verbringen. Abends ging es meist mit vielen Leuten in eine Bar, ein Izakaya oder zum Karaoke. Da die Sprachschule immer wieder internationale Partys anbot, hatte ich die Möglichkeit, all die anderen kennenzulernen, auch Japaner. Es ergaben sich verschiedene Aktivitäten, zu denen immer jeder eingeladen war. So waren wir zum Beispiel zusammen auf der kleinen Blumeninsel Nokonoshima, die direkt vor Fukuoka liegt. Mit einer Fähre fährt man circa 15 Minuten und wird dann auf der hügeligen Insel abgesetzt. Ganz oben erwartet einen der Blumenpark, allerdings muss man dazu erst die Steilen der Inselberge erklimmen. Oder man nimmt einfach den Bus. Des Abenteuers wegen wanderten wir allerdings zu Fuß hoch und konnten dabei die dichten Wäldchen, kleine japanische Häuser mit Obstgärten, eine gar nicht mal so kleine Katzenfamilie und ganz viele Orangenbäume sowie eine gigantische Kröte in einer Regentonne entdecken. Wirklich zum Abenteuer wurde der Ausflug, als wir vor den japanischen Hornissen flüchten und den Spinnenpfad durchwandern mussten. In der Tat, Japan ist exotisch. Am Ende des Tages wurden wir jedoch mit dem Anblick des Blumenparks belohnt, für den die Insel berühmt ist, und mit einem Strand, den man sonst nur in der Karibik findet: meterhohe Palmen, Ruhe und eine Schaukel über dem Wasser – der Tag auf Nokonoshima war wirklich einer der schönsten.

„Außerdem ging es gemeinsam auf eine Geschäftsreise nach Osaka und Kyoto“

Im Herbst ging mein Sprachkurs zu Ende und ich begann mein Praktikum bei einem japanischen Modelabel. Bei dem Interview, das auf Japanisch stattfand, war ich wahnsinnig nervös. Völlig unbegründet, denn meine Chefinnen waren total locker und nett, sie sprachen sogar gut Englisch, weshalb unserer Zusammenarbeit nichts mehr im Wege stand. Ich wurde also als Praktikantin eingestellt, schrieb einen Blog auf Englisch und kreierte eine deutsche Facebookseite für das Label. Umgeben von Stoffen, zahlreichen Bildern von vergangenen Fashion Events in Paris und New York und einem eleganten Interieur durfte ich meiner literarischen Kreativität freien Lauf lassen. Zu meinen Aufgaben zählten das tägliche Bloggen, Fotos schießen und ich durfte sogar ein bisschen für das Label modeln. Über die Kontakte meiner Vorgesetzten bekam ich auch noch andere Modeljobs und konnte mir so nebenbei ein wenig Geld verdienen. Die Arbeitsatmosphäre war stets locker und freundlich. Jeden Nachmittag machten wir eine kleine Pause, tranken Kaffee und aßen japanische Snacks oder Kuchen. Außerdem ging es gemeinsam auf eine Geschäftsreise nach Osaka und Kyoto. Dort brachten meine Chefinnen mir die japanische Kultur näher. So besuchten wir Tempel und gingen japanisch essen. Als kleine Belohnung für meine Arbeit wurde ich von ihnen zu vielen Dingen eingeladen. Das war natürlich unglaublich nett!

Mit meinem Praktikum hatte ich wahnsinnig viel Glück, denn in den meisten japanischen Unternehmen läuft das Arbeiten ganz anders ab. Von Praktikanten, die in anderen Unternehmen beschäftigt waren, erhielt ich Einblicke in die japanische Arbeitswelt. Einmal hatte ich Gelegenheit, einen Freund an seinem Praktikumsplatz bei einer Computerspielefirma zu besuchen. Dort saßen die Leute an ihren Computern und komponierten Spiele und Grafiken. Gearbeitet wurde von 8 Uhr morgens bis 20 Uhr abends, der typisch japanische 12-Stunden- Arbeitstag. Manchmal möchte der Chef danach noch ein Bier trinken gehen und er erwartet von seinen Mitarbeitern, dass sie mitkommen. So entstehen teilweise sehr lange Arbeitstage mit freizeitlichen Verpflichtungen, und das ist für uns sicherlich erst einmal etwas, an das man sich gewöhnen muss. Bei meinem Praktikum gab es solche Verpflichtungen zum Glück nicht. Wenn wir etwas zusammen unternahmen, dann nur, weil wir alle es gerne wollten, und nicht, weil irgendjemand es vom anderen erwartete. Auch musste ich mich nicht besonders kleiden, was ebenfalls angenehm war. In vielen japanischen Firmen wird erwartet, dass man im Kostüm oder Anzug erscheint.

„Das Praktikum ermöglichte mir einen tollen ersten Einblick ins Berufsleben“

Mein Praktikum war in vielerlei Hinsicht ein Erfolg. In Bezug auf meine Sprachkenntnisse hat mir das Praktikum sehr geholfen. Es ist wichtig, dass man auf die Sprache angewiesen und von ihr umgeben ist, um sie richtig lernen zu können. Das Praktikum ermöglichte mir zudem einen tollen ersten Einblick ins Berufsleben und meine Chefinnen zeigten mir viel von der japanischen Kultur, wofür ich mich – zurück in Deutschland – endlich revanchieren konnte. Da unsere Zusammenarbeit in Japan so gut funktioniert hatte, entschieden meine Chefinnen, eine kleine Modenschau in Berlin zu organisieren, und dabei unterstützte ich das Modelabel gern. Wir trafen uns in der Hauptstadt, ich brachte ihnen deutsches Essen näher und half, wo es ging, bei den Fotoshootings und den Vorbereitungen zur Show. Wir hatten einen sehr schönen Abend in der japanischen Botschaft und ich konnte sogar etwas über die deutsche Modeindustrie lernen.

„In Fukuoka lernte ich einige ganz besondere Menschen kennen“

Was mich wirklich wahnsinnig beeindruckt hat, war die Gastfreundlichkeit der Japaner. Meine Mitbewohnerin und all meine japanischen Freunde waren immer so bemüht, mir ihre Kultur näher zu bringen. Das war in vielen Momenten sehr rührend! Man kochte für mich, brachte mir Süßigkeiten, die ich kosten sollte, probierte mit mir diverse Aktivitäten aus und nahm mich in umliegende Städte mit, um mir diese zu zeigen. Die Tagestouren nach Beppu, Yufuin und Nagasaki, mit meiner Mitbewohnerin, die sich immer so unglaublich lieb um mich kümmerte, waren Höhepunkte meines Aufenthalts. Besonders wichtig sind die Menschen, die man an einem bestimmten Ort trifft. In Fukuoka lernte ich einige ganz besondere Menschen kennen, die mich inspiriert und fasziniert haben. Man lernt nicht nur durch eine neue Kultur und einen neuen Ort seinen Horizont zu erweitern, sondern auch durch die verschiedenen Menschen, die man dort kennenlernt. Meiner Meinung nach machen erst sie den Ort zu etwas Besonderem.

„Mein Aufenthalt in Japan brachte mir auch Europa näher“

Während meiner Zeit in Fukuoka lernte ich nicht nur viel über Japan und die Kultur des Landes, sondern auch einiges über mich selbst. Ich begann, gewisse Dinge im Leben besser zu verstehen, lernte, diese Dinge zu akzeptieren und das Leben in kleinen Schritten weiter zu planen. Auch in Hinblick auf meine Studienpläne stellte ich erst in Japan fest, was ich wirklich will und wie ich Wege suchen kann, um das zu erreichen. Ich erkannte, dass nicht immer alles so läuft, wie man es sich vorstellt, und zugleich verstand ich, dass dies gar nicht schlimm ist, weil sich immer neue Wege auftun. Ein längerer Auslandsaufenthalt ist meiner Meinung nach gerade deshalb sinnvoll, weil man einiges zu begreifen lernt und weil sich, in der Tat, der eigene Horizont erweitert. Mein Aufenthalt in Japan brachte mir zum Beispiel auch Europa näher, als wirklich großartigen Ort in unserer Welt, der so viele unterschiedliche Kulturen an einer Stelle vereint. Distanzen wurden in ganz andere Dimensionen gerückt und ich entwickelte so viele neue Interessen. Ich habe das Gefühl, nun einen weiteren Blickwinkel zu haben, und konnte die Erfahrung machen, dass man sich überall auf der Welt zu Hause fühlen kann. Japan bleibt mein Traumland und mein Tor zur Welt. Später möchte ich noch einmal nach Japan zurückkehren. Nicht für immer, aber für länger. Der Auslandsaufenthalt war für mich das Großartigste in meinem bisherigen Leben und hat mir wahnsinnig tolle Möglichkeiten eröffnet, daher kann ich jedem nur ans Herz legen, auch einmal so etwas zu machen!

Julie G. Henning, 21, studiert seit Herbst 2012 in England Japanisch und Medienkommunikation.

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