Auslandsstudium in der dänischen Hauptstadt
Morgens 10:30 Uhr in Kopenhagen. Ich rufe meiner dänischen Mitbewohnerin noch „Have a nice day!“ zu und lasse die Tür zu meiner kleinen und gemütlichen WG im schönen Stadtteil Frederiksberg ins Schloss fallen.
Die ersten Schritte aus dem fünften Stock hinab beschäftige ich mich, wie immer, mit der Suche nach meinen Fahrradlichtern und meinem Fahrradschlüssel. Im vierten Stock komme ich an den Laufschuhen des jungen Paares unter mir vorbei. Im zweiten Stock steht, wie immer, eine Gemüsekiste, die gerade frisch aus der nahe gelegenen dänischen Provinz angeliefert wurde. Stockwerk eins hat heute nur einen Kinderwagen zu bieten und die linke Tür des gemütlichen Altbaus einen Sticker mit der Aufschrift „Ich bin ein Klimaschützer“. Kopenhagen ist in meinem Treppenhaus vereint: jung, grün, kreativ, kinderlieb, sauber und zugleich abgenutzt, sportlich und zu guter Letzt doch ein bisschen konservativ. Vor allem aber viel mehr als kleine Meerjungfrau, Carlsberg-Brauerei, Parlament und was der dänische Reiseführer sonst noch hergibt.
Von der Haustür aus kann ich mein weißes, mit Rostflecken ummanteltes, dafür mit komfortablem Sitz ausgestattetes Fahrrad bereits sehen. Egal was du tust, egal wer du bist, egal wohin du musst, vergiss in Kopenhagen eins nicht: dein Fahrrad. Das Hollandrad für die hübschen dänischen Stilikonen, das Rennrad für den Hipster und City-Bikes für die Kurzzeitgäste der Stadt. Die ersten Tage und Wochen meines Auslandsaufenthaltes habe ich Ausschau nach einem geeigneten Rad für mich gehalten und bald das Passende gefunden. Über Polizeiauktionen bis zu herrenlosen Rädern auf der Straße, überall haben meine Kommilitonen und ich gesucht. Zufällig und zu meinem Glück hatte eine meiner ersten Bekanntschaften noch ein Zweitfahrrad übrig. Meine Fahrradsuche zeigt, dass die Kopenhagener Studierenden gut vernetzt, offen und hilfsbereit sind und ein gemütlicher Abend bei Wein im Bestfall zu einem fahrbaren Untersatz führt.
Nun liegen knapp 20 Minuten Fahrradfahrt vor mir, bevor ich die erste Station des Tages erreiche: meine Fakultät für Sozialwissenschaften nahe des Altstadtkerns. Das rote Backsteingebäude und ehemalige Krankenhaus, über das einige gruselige Geschichten kursieren, liegt direkt neben den fünf großen Seen und einem zauberhaften botanischen Garten, in dem ich bei Bedarf in tropische Wärme eintauche. Trotz der gezielten Entscheidung, im „Sommer“semester nach Kopenhagen zu gehen, waren es bei meiner Ankunft Anfang Februar gerne noch bis zu minus 15°C. Kalte Finger und Füße waren da trotz dicker Winterkleidung nicht zu vermeiden. Vor dem Hauptgebäude warten zwei Kommilitoninnen, eine aus Kanada und eine aus Schweden, die ich in der Einführungswoche der Fachschaft Politikwissenschaft kennengelernt habe. Die Fachschaft hatte Einführungstage für internationale Studierende vorbereitet und für jeden ankommenden Gaststudenten einen Mentor organisiert. Von den engagierten Kopenhagenern waren wir in den ersten Wochen rundum versorgt worden. Infoveranstaltungen zum Leben in Kopenhagen und dem akademischen Umfeld hatten auf dem Programm gestanden. Veranstaltungen, wie zum Beispiel Kennenlern-Abende, hatten dabei geholfen, Grundsteine für erste Freundschaften zu legen.
„Es ist mehr als wichtig, Kontakte zu haben und diese zu pflegen“
Die Kanadierin, die Schwedin und ich haben uns auf einen Kaffee verabredet, bevor unser Seminar beginnt. In der Kommune, einem von Studierenden geführten Café auf dem Campus, sind die Heißgetränke für zwei Kronen, also knapp 30 Cent, zu bekommen. Kaum zu glauben, denn im Rest der Stadt zahlen wir für eine Tasse Kaffee umgerechnet mindestens das Zehnfache. Kopenhagen ist eine der teuersten Städte Europas. Diese Tatsache hat nicht nur das ein oder andere Mal meinen Geldbeutel schlanker gemacht, sondern auch mein Gewissen geplagt. Das Erasmus-Stipendium deckt nur einen Bruchteil der anfallenden Kosten ab. Zum Glück hatte ich vor dem Aufenthalt etwas Geld angespart. Von der Kommune aus machen wir drei uns auf den Weg zu unserem Seminar und unterhalten uns hitzig darüber, wie lange wir diesmal für die über 100 Seiten englischen Lesestoff gebraucht haben, die pro Sitzungsvorbereitung durchgearbeitet werden müssen. Zu Beginn des Semesters dauerte das Lesen einige Stunden, am Ende des Semesters sind wir alle bereits flüssiger, aber auch geschickter in der Aufteilung. Ob es um das Ausleihen von Alltagsgegenständen, um die Mund-zu-Mund-Propaganda an der Uni oder nervige Kopierdienste geht, es ist mehr als wichtig, Kontakte zu haben und diese zu pflegen. Wer in den ersten Wochen zum Kochen in seine WG einlädt, wird bei Einladungen in den darauf folgenden Wochen sicherlich nicht vergessen.
„Auch laufen die Seminare anders ab“
Das Seminar verläuft wie immer: Ben, der Dozent, gibt eine circa 15-minütige Einführung in das heutige Thema „Gewalt an Frauen als kriegspolitisches Instrument“, um dann drei oder vier Fragen aufzuwerfen, die wir – auf der Grundlage des angelesenen Wissens – in Kleingruppen diskutieren. Anschließend stellen wir den Kommilitonen unsere Überlegungen vor. Heute haben wir Glück, dass alle in unserer Kleingruppe die gelesenen Texte verstanden haben. Die Vorstellung der Ergebnisse unserer Gruppendiskussion ist somit ziemlich ergiebig. Ganz klar, die Seminarinhalte unterscheiden sich in Kopenhagen von denen an meiner Heimatuniversität. Fremde Studien- oder Forschungsschwerpunkte versetzen mich zum Teil wieder in die Position eines Studienanfängers, ermöglichen auf der anderen Seite aber viele spannende Debatten und neue Sichtweisen. Auch laufen die Seminare anders ab: Hier muss sich jeder mündlich beteiligen, und das ist für das Erlernen des akademischen Englisch sicherlich das Beste. Mein persönliches Arbeitspensum ist mit vier Kursen – insgesamt elf Stunden die Woche plus Vor- und Nachbereitung – erreicht.
Gemeinsam mit Freunden schwinge ich mich im Anschluss an das erste Seminar des Tages wieder auf mein Fahrrad. Geistig bin ich für den Moment geschafft, und das nicht nur wegen des gerade hinter mir liegenden Seminars. Denn selbst nach einigen Wochen in Kopenhagen sind die zwei bis drei Sprachen – Englisch, Dänisch, Deutsch –, mit denen ich im Alltag hantiere, aber auch die fortwährend neuen Eindrücke immer noch aufwühlend. Auf dem Cykel wird mein Kopf gut durchgepustet. Auf unserem Weg zum zweiten und gerade erst neu gebauten, fast schon futuristisch anmutenden Campus auf der Insel Amager müssen wir über eine Brücke und überqueren den nach Kopenhagen einfließenden Meeresarm. An diesem liegen unter anderem das königliche Theater, die königliche Oper und der touristische, aber schöne neue Hafen, eine tolle Kulisse für die Anfahrt zum täglichen Unileben. Die Fahrtzeit von einem zum anderen Campus beträgt immerhin fast 20 Minuten. Ja, wer es bis jetzt noch nicht gemerkt hat, in Kopenhagen leben heißt Fahrradfahren lieben. Als alternatives Fortbewegungsmittel gibt es allerdings noch eine Metro, die von der Innenstadt zum etwas abseits gelegenen Campus fährt.
„Wir alle Kämpfen uns durch den dänischen Aussprachewald“
Am Campus angekommen, gehe ich auf einen Kakao bei einer Freundin vorbei, die im angrenzenden Wohnheim lebt. Über Klavierzimmer bis hin zum Fitnessstudio haben die Studierenden, die hier wohnen, im Prinzip alles. Die Dänen lassen sich nicht allzu viel vormachen, was Design und Praktikabilität angeht, und was bei dänischen Möbeln beginnt, findet in moderner Architektur, wie diesem Wohnheim, seine Vollendung. Natürlich zu einem stattlichen Preis von rund 440 € pro Zimmer, dagegen ist mein WG-Zimmer im teuren Frederiksberg mit 390 € richtig günstig. Nächster Tagespunkt ist der Dänisch-Sprachkurs, in dem es eigentlich im dänischen Sinne ganz „hyggelig“ zugeht. Das ist das Allround-Wort für eine entspannte, angenehme Atmosphäre, Umgebung, Situation und sollte möglichst häufig verwendet werden. Spanier, Italiener, Deutsche, Amerikaner – wir alle kämpfen uns durch den dänischen Aussprachewald. Regeln nein danke, und obwohl, laut meines dänischen Kulturprofessors, 70% des dänischen Wortschatzes vom Deutschen abgeleitet werden, kommt es mir vor, als hätte mir jemand einen Knoten in die Zunge gezaubert. Trotzdem, es ist schön, zentrale Wörter der Sprache meines Gastlandes zu kennen und sich damit zumindest bei Bestellungen im Café nicht direkt als Ausländerin zu outen.
“Diese Offenheit macht die Dänen sehr sympathisch”
Am frühen Abend sitze ich wieder auf meinem Fahrrad und radle die acht Kilometer zurück nach Hause, wo meine Mitbewohnerin und ich zusammen kochen. Irgendwie dänisch und irgendwie deutsch, aber eigentlich ganz lecker. Jeden Tag bin ich aufs Neue dankbar, dass eine deutsche Freundin mir damals den Kontakt zu meiner jetzigen dänischen Mitbewohnerin hergestellt hat. Ich finde es einfach bewundernswert, dass sie so offen für eine Austauschstudentin gewesen ist, obwohl sie mich vor meiner Ankunft noch nicht einmal gesehen hatte. Diese Offenheit macht die Dänen sehr sympathisch, denn fast jeder kann Englisch und hat Lust, sich mit Menschen aus anderen Ländern zu beschäftigen. Nicht nur aus Höflichkeit, sondern einfach aus Interesse an Neuem. Diese Eigenschaft und der enge Draht zu meiner Mitbewohnerin haben mir einige dänische Freundschaften eingebracht, die ich nicht missen möchte.
“Heimweh habe ich nicht, dazu gefallen mir die Stadt und die Menschen viel zu gut”
Der Abend bricht an. Aber da Ende Mai ist, bleibt es lange hell. Meine Freunde überlegen, in einen Abend mit Lagerfeuer am Strand zu starten, im alten Schlachterviertel, dem derzeitigen Szeneviertel für Clubs, Bars und Galerien, wegzugehen oder sich in das alternative Viertel der Stadt, also nach Christiania, aufzumachen. Ich selbst entscheide mich heute allerdings zunächst einmal für Skype-Gespräche mit Familie und Freunden zu Hause. Kontakthalten ist manchmal anstrengend, aber insbesondere für die Daheimgebliebenen wichtig, wie mir scheint. Heimweh habe ich nicht, dazu gefallen mir die Stadt und die Menschen, die ich kennengelernt habe, viel zu gut. Um 22 Uhr trabe ich dann mit Vorfreude auf den schönen Abend endlich los, Richtung Fahrrad. Kurz blitzt noch der Gedanke auf, dass ich morgen früh noch ein paar Texte vorbereiten muss, dann setze ich mich beschwingt auf mein Zweirad und schiebe den Gedanken erst einmal beiseite. Morgen ist ein neuer Tag und Energie habe ich, seit ich Tag und Nacht Fahrrad fahre, sowieso genug.
Sabine, 25, schließt ihren Master in Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ab. Anschließend möchte sie in die Arbeitswelt einsteigen, vielleicht sogar im Ausland.
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