Cowboys gibt es heute noch

Work & Travel in Australien

  • GESCHRIEBEN VON: LENA FLIEGER
  • LAND: AUSTRALIEN
  • AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
  • PROGRAMM: WORK & TRAVEL
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 10 / 2020, S. 63-64

„Wie, ihr wollt einfach losfahren? Ohne Plan oder Kontaktadresse? Wo wollt ihr denn schlafen?“ So oder ähnlich sahen die Reaktionen meiner Freunde und Bekannten aus, wenn ich ihnen von meinem Vorhaben erzählte. Mein Plan, mit meiner besten Freundin ein paar Monate nach Skandinavien zu fahren, wurde meist als nette Idee gebilligt.

Doch das stimmt alles nicht! Diese Wahrheit mag vielleicht für Deutschland und Europa gelten, aber nicht für den Rest der Welt. Denn Cowboys gibt es wirklich, auch heute noch – und zwar in Australien. Kein Wunder also, dass ich nach dem Abitur ans andere Ende der Welt flog, um ein Jahr lang auf Farmen auszuhelfen. Und dass dieses Jahr zum bisher größten Abenteuer meines Lebens wurde! Clitheroe – so hieß die Cattle-Station, auf der mir die australische Partnerorganisation, die sich auf Farmarbeit spezialisiert hat, einen Job vermittelte. Eine Cattle-Station ist eine australische Rinderfarm, auf der meist mehrere Tausend Tiere für Fleischerzeugnisse gezüchtet werden. Mit europäischen Bauernhöfen oder gar Mastbetrieben kann man eine australische Farm auf gar keinen Fall vergleichen. Im Gegensatz zu Dairyfarmen, auf denen Milchkühe zweimal am Tag gemolken werden und die Kälber schon früh von den Müttern getrennt werden, bleiben auf einer Cattle-Station die Kälber ca. ein halbes Jahr bei der Mutterkuh. Außerdem gibt es nicht mal einen Stall, die Tiere sind bei jedem Wetter draußen, in einem riesigen Paddock, der eher mit einem Urwald als mit einer Weide zu vergleichen ist. Menschen sehen sie meistens selten, die Herde lebt eigenständig in der Natur. So ein schönes Tierleben haben Rinder wohl selten. Auf Clitheroe habe ich mich auch sofort wohlgefühlt. Neben unzähligen Rindern, die auf unterschiedlich große Paddocks oder ganze Blocks aufgeteilt waren, gab es Pferde, Hunde, Schafe, Ziegen, Schweine, einen Esel und sogar ein Babykänguru. Als ich erfuhr, dass die Pferde und Hunde hauptsächlich für die Arbeit mit den Rindern gebraucht wurden, war ich sofort begeistert! Ich konnte zwar überhaupt nicht reiten und hatte auch nie einen richtigen Reitkurs gemacht, aber ich hoffte, dass ich vielleicht nach ein paar Wochen mal auf einem der ruhigeren Pferde reiten dürfte, wenn ich mich anstrengen und meine Arbeit gut machen würde.

Nicht nur die Tiere, sondern vor allem die lieben Menschen auf Clitheroe haben mir die Eingewöhnung sehr leicht gemacht. Offiziell arbeitete ich für Wade und Jo, ein junges Pärchen, mit dem ich mich sofort verstanden habe. Obwohl die beiden eigentlich meine Chefs waren, war das Verhältnis von Anfang an sehr freundschaftlich, wofür ich ihnen echt dankbar war. Gerade auf Facebook und im Internet hört man ja immer wieder Horrorgeschichten von Backpackern, die nur als billige Arbeitskräfte gesehen werden und für einen Hungerlohn schuften müssen. Ich hatte immerhin den Vorteil, dass mir der Job von einer Organisation vermittelt wurde, die immer wieder Rückmeldungen über ihre Farmen und Arbeitgeber bekam und an die ich mich bei Problemen jederzeit wenden konnte. Ich hätte es besser aber kaum treffen können, Streitigkeiten oder Auseinandersetzungen zwischen mir und den Australiern gab es nie und wir hatten immer etwas zum Lachen. Außer Wade und Jo gehörten noch deren acht Monate alte Tochter Stella, Roy, Jos Vater, Kylie und Dan, Jos Geschwister, und Dans Freundin Amy zur Großfamilie. Obwohl wir sonst sehr abgeschieden von jeglicher Zivilisation waren, der nächste Supermarkt 30 Kilometer entfernt war und es im Haupthaus von Clitheroe meistens weder Handynetz noch WLAN gab, wurde es bei so vielen Menschen nie langweilig und es war wunderschön, wenn man sich abends zum gemeinsamen Essen traf und die Erlebnisse des Tages ausgetauschte.

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In den ersten paar Wochen bestand meine Arbeit vor allem darin, Wade beim Bau von Holzzäunen zu helfen; und es hat Spaß gemacht zu sehen, wie einerseits unser Zaun immer länger wurde, ich mich andererseits aber auf Clitheroe auch immer besser auskannte, ständig Neues dazulernte und mehr Verantwortung übertragen bekam. So war ich zum Beispiel schon nach kurzer Zeit alleine für die Schweine und Hunde von Wade und Jo zuständig und fütterte sie jeden Morgen. Vor allem das Gassigehen mit den acht Arbeitshunden war jeden Tag ein Highlight. In Australien läuft das nämlich so ab, dass man die Hunde laufen lässt, das Quadbike startet und davondüst. Verfolgt von bis zu acht Hunden, die sich gegenseitig jagen, versuchen, schneller als das Quad zu sein, oder brav daneben herlaufen. Natürlich saß ich vor Australien auch noch nie auf einem Quad, doch das lernt man dort einfach und es macht richtig viel Spaß! Auch wenn ich morgens um 5:30 Uhr meinen Wecker oft am liebsten aus dem Fenster geschmissen hätte – sobald ich um kurz nach 6 Uhr mit den Hunden durch den Paddock raste, es noch nicht extrem heiß, sondern angenehm kühl war, und wir manchmal ein Känguru auf den Wiesen stehen sahen, war ich einfach nur froh, auf Clitheroe gelandet zu sein, und freute mich auf den Tag.

„Es war wunderschön, nach einem langen Arbeitstag einfach auf dem Pferd zu sitzen, sich um nichts Gedanken machen zu müssen.“

Obwohl ich schon so einfach nur glücklich war, die Arbeit mir sehr viel Spaß machte und ich den Farmalltag mit all den Tieren sehr genoss, kam es noch besser! Denn es stand ,,Cattle-Work“ an und Jo hatte beschlossen, dass ich Wades altes Pferd Wildfire reiten durfte, um auch mithelfen zu können. Endlich saß ich auf einem Pferd! Ich war so aufgeregt und gespannt, wie ich mich anstellen würde. Wildfire war zum Glück ein sehr zutrauliches und ruhiges Pferd und laut Jo auch nicht sehr schnell. Doch für mich war sie genau richtig und auf jeden Fall schnell genug! Am Anfang hatte Jo kleinere Ausritte mit mir unternommen und mir gezeigt, wie ich meine Beine und die Zügel richtig einsetzen konnte. Und sobald das halbwegs klappte, durfte ich, wenn alle Arbeit getan war, Wildfire satteln und ganz alleine im Paddock herumreiten. Wirklich reiten konnte ich zwar immer noch nicht, aber Wildfire und ich wurden mit jedem Mal besser und es war wunderschön, nach einem langen Arbeitstag einfach auf dem Pferd zu sitzen, sich um nichts Gedanken machen zu müssen und in der Ferne schon den Sonnenuntergang zu sehen. Im Gegensatz zu Reiterhöfen in Deutschland gab es auf Cattle-Stations auch meistens weder Stall noch eine Reithalle, die Pferde stehen wie die Rinder in einem großen Paddock und müssen erstmal eingefangen werden, wenn man sie braucht. Deshalb war ich mit Wildfire auch immer mitten in der Natur unterwegs und musste mit ihr über Baumstämme steigen, Tore vom Pferd aus öffnen und wieder schließen, steile Hügel rauf und runter reiten und immer mal wieder einem Spinnennetz ausweichen, das genau in Kopfhöhe gespannt war und das man erst im letzten Moment sah. Typisch Australien halt …

„Es war unglaublich und fühlte sich fast wie Fliegen an, als wir so schnell durch das hohe Gras ritten.“

Wenige Tage später stand dann wirklich ,,Cattle-Work“ auf dem Plan. Zuerst mussten Jo und ich allerdings das ,,Mustering“ machen. Dabei sitzt man auf einem Pferd, treibt mithilfe von Hunden Rinder aus einem Paddock zusammen und bringt die Herde entweder in einen anderen Paddock oder in einen Cattle-Yard, um sie zu branden, enthornen, kastrieren oder zu impfen. Und es war einfach das Beste, was ich in Australien gemacht habe. Zuerst mussten wir in den richtigen Paddock reiten, und weil die Pferde noch ausgeruht und ziemlich motiviert waren, galoppierten wir ein Stückchen. Es war unglaublich und fühlte sich fast wie Fliegen an, als wir so schnell durch das hohe Gras ritten! Bald waren wir auch schon im richtigen Paddock und dort sah ich, was der Unterschied zwischen Arbeitspferden wie Wildfire und normalen Reitpferden ist. Wildfire wusste genau, was zu tun war. Zuerst galoppierten wir um die Rinderherde herum, um sie in die andere Richtung zu treiben. Dann musste Jo ein paar Rinder von anderen trennen und meinte, ich solle schon mal die kleine Herde, die nun vor uns stand, am Zaun entlang treiben und durch das Tor am Ende des Paddocks bringen.

„Ich dachte mir, ich falle jetzt besser nicht runter, als wir im gestreckten Galopp in einer Kurve um die ersten Kühe herumflogen und sie dort blockierten.“

Jo ritt in die andere Richtung davon und ich fing an, die Rinder vor mir herzutreiben. Was anfangs auch problemlos klappte, nur waren am Ende der Herde zwei Kühe extrem langsam und ich konnte sehen, dass die ersten Rinder, die schon viel weiter vorne waren, begannen, nach links zu rennen und natürlich nicht nach rechts, wo das Tor war. Ich dachte mir also: „Die sind wichtiger als die beiden langsamen Kühe am Ende“ und trieb Wildfire an. Und irgendwie wusste sie, was wir zu tun hatten! Wir preschten also nach links, um die Kühe einzuholen, diese sahen uns kommen und fingen ebenfalls an zu laufen. „Mal schauen, wer schneller ist“, dachte ich mir. Wildfire war unglaublich gut drauf, ohne dass ich sie viel hätte antreiben müssen, wurde sie schneller und schneller. Von wegen, dieses Pferd ist etwas langsam! Ich dachte mir, ich falle jetzt besser nicht runter, als wir im gestreckten Galopp in einer Kurve um die ersten Kühe herumflogen und sie dort blockierten. Wieder gab es für mich nicht viel zu tun, Wildfire wusste von selbst, dass sie dort stehenbleiben sollte. Es war so beeindruckend, einem solchen Pferd bei der Arbeit zuzusehen. Die Rinder waren nun natürlich etwas aufgeregt, machten sofort kehrt und liefen in die entgegengesetzte Richtung. Die wilde Jagd ging also weiter, nun rannten die Kühe aber endlich genau auf das Tor zu und ich musste nur darauf achten, dass uns keine seitlich ausbüxte!

Diese und alle weiteren Tage, vor allem die mit „Cattle-Work“, waren einfach toll, ich habe wirklich jede Stunde genossen und mir gewünscht, der Tag würde nie zu Ende gehen. Für mich ist ja fast schon fraglich, wie man sowas ,,Work“ nennen kann, denn irgendwie machte es so viel Spaß, dass es sich ganz und gar nicht nach Arbeit anfühlte. Und „Mustering“ ist genau das, was man sich unter einem Cowboyleben vorstellt. Cowboys gibt es also wirklich noch! Zum Beispiel in Australien. Und ich bin so froh, dass ich dieses Abenteuer erleben durfte und mein Kindheitstraum Wirklichkeit wurde!

Lena Flieger, 21, hat ihr Auslandsjahr in Australien so gut gefallen, dass sie dieses Jahr noch zwei Mal nach Clitherhoe gereist ist. Seit Oktober studiert sie nun Forstingenieurwesen in München.

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Koala Bär
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