Freiwillig engagieren in Moldawien
„Endlich bin ich 18, habe gerade mehr oder weniger erfolgreich viele Jahre Schule hinter mich gebracht und brauche nun dringend eine Pause. Am besten weit weg von den Eltern und in einem Land, in dem immer die Sonne scheint und das mit seiner atemberaubenden Landschaft beeindruckt. Ach ja, und sich sozial freiwillig engagieren wäre auch nicht schlecht.“ Diese Gedanken mögen so oder so ähnlich vielen Jugendlichen im Kopf umherschwirren. Und wer denkt da nicht als Erstes an ein Traumland wie Moldawien.
Also ich jedenfalls nicht. Ich dachte eher an Afrika, einen Kontinent, der weit genug von den Eltern entfernt liegt und in dem es verschiedene Hilfsprojekte gibt. Doch spätestens nach dem Auswahlverfahren wurde den Verantwortlichen und mir schnell klar, dass meine Angst vor Spinnen und meine Vorstellungen von Hygiene nicht mit den afrikanischen Standards übereinstimmten und zu Problemen führen würden. Also wurde ich für Moldawien eingeteilt, ein Land, das die wenigsten kennen und in das ich eigentlich gar nicht wollte. Aber alleine konnte ich nicht fahren, weshalb man mir noch eine Partnerin zuwies. Ausgewählt wurde ein Mädchen aus dem Rheinland – sportlich und selbstbewusst, also das genaue Gegenteil von mir zur damaligen Zeit. Mit jemandem zusammenzuwohnen und arbeiten zu müssen, der so ganz anders ist als man selbst, stellte uns beide auf eine zusätzliche Belastungsprobe. Ab dem 11. November laut Partyschlager zu hören und das Zimmer mit Girlanden und Clowns zu schmücken, war für mich als traditionelle Bayerin ein zusätzlicher Kulturschock.
Aber jetzt erst einmal von Anfang an. Schon die Hinreise entpuppte sich als ein kompliziertes Unterfangen, da wir unseren Anschlussflug verpassten und erst mal fünf Stunden am Bukarester Flughafen festhingen, um dann in eine nicht besonders vertrauenerregende Maschine zu steigen und gegen 0 Uhr Ortszeit endlich in Moldawien anzukommen. Die ersten Tage waren natürlich spannend und aufregend. Die Kinder zwischen vier und 16 Jahren wirkten zu Beginn noch alle wie kleine Engel auf uns, was sich jedoch schon bald als Täuschung herausstellen sollte. Am ersten Tag waren wir sehr hungrig und freuten uns auf das gute russisch-rumänische Mittagessen im Heim, bis wir etwas nicht identifizierbares Braunes vorgesetzt bekamen. Wie ich erfuhr, war das Hrișca, Buchweizen-Brei, an den ich mich, obwohl es eine Art Nationalgericht ist, bis zum Schluss nicht gewöhnen konnte. Unsere Wohnung war für moldawische Verhältnisse relativ modern. Die Lage war gewöhnungsbedürftig, denn neben Transnistrien zu wohnen und deshalb täglich an einer mit Panzern gesicherten Grenze vorbeizukommen, war eine interessante Erfahrung. Zudem war es gar nicht so einfach, ein Visum zu erhalten, was verwunderlich war, wollten wir uns doch in einem Projekt freiwillig engagieren. Aber das waren Kleinigkeiten, über die man noch mehr oder weniger hinwegsehen konnte.
Dennoch gab es auch Dinge, bei denen man das nicht mehr konnte, nämlich wenn man sah, wie das Personal teilweise mit den Kindern umging. Die etwas raue moldawische Art waren wir schon gewohnt, aber bei manchen „Erziehungsmethoden“ hatten wir dann doch unsere Zweifel, weshalb wir uns an unsere Organisation wandten. Schon bald darauf hatten wir ein Gespräch mit den Verantwortlichen des Heimes. Aber es wurde schnell ersichtlich, dass man unterschiedliche Einstellungen vertrat. Danach wurden wir zunächst vom Rest des Personals gemieden. Auch die Aufgabenfindung war zu Beginn nicht ganz einfach, doch mit der Zeit spielte sich eine Art Routine ein: morgens im Haushalt helfen, dann die Kinder von der Schule abholen, essen, Hausaufgaben machen, putzen, Kinder vom Kindergarten abholen und, wenn man Zeit hatte, auch noch etwas mit ihnen spielen oder basteln. Jedes einzelne Kind hatte seine eigene traurige Geschichte. Eltern, die im Gefängnis waren, Alkoholiker waren oder zum Arbeiten weggegangen waren und die Kinder im Heim zurückgelassen hatten. Dass daraus bestimmte Verhaltensweisen resultierten, war verständlich, machte den Umgang mit unseren Schützlingen aber noch schwieriger.
„Wir wohnten nicht weit weg von einer Art Strand“
Schon zu Weihnachten war ich mit meinen Kräften am Ende. Doch beschloss ich, weiterzumachen und mich durchzukämpfen. Nach dem harten langen Winter kam auch schnell der Frühling in seiner vollen Pracht und mit bereits hohen Temperaturen. Wir wohnten nicht weit weg von einer Art Strand, was natürlich sehr von Vorteil im Sommer war. Aber Sommerzeit bedeutete auch drei Monate Ferienzeit. Für die Kinder bedeutete dies gleichzeitig Camp-Zeit, wie sie uns kurz nach unserer Ankunft wissen ließen. Also fuhren wir im Juli, rund drei bis vier Wochen vor unserem Rückflug, zu besagtem Camp. Wir, eine 19- und eine 20-Jährige, waren alleine mit 18 traumatisierten Kindern. Pfadfinder-Camp mag sich erst mal spannend und spaßig anhören, aber für mich war es das Härteste, was ich je erlebt habe. Während Kinder hierzulande Spaß am Spurensuchen und gemeinsamen Zelten haben, stand in Moldawien der morgendliche und abendliche Fahnenappell mit militärischen Eigenschaften auf der Tagesordnung. Damit alles seine Ordnung hatte, musste natürlich dem Campleiter auch angemessen salutiert und die Camphymne gesungen werden. Dabei sollte man die rechte Hand anheben. Für uns als Deutsche mit gewisser Vorgeschichte ein etwas komisches Gefühl. Dass Kinder von fünf Jahren keine halbe Stunde ruhig in einer Linie stehen können, muss ich nicht erklären, und umso schwieriger war es, alle Kinder unter Kontrolle zu halten.
„Wir fanden uns auf einer Kontaktbörse mit dem ein oder anderen Heiratsantrag wieder“
Genügend Platz in den kleinen Hütten hatten wir auch nicht, weshalb wir uns ein Bett mit bis zu drei Kindern teilten. Hinzu kam, dass es oft nur kaltes Wasser zum Duschen gab und die Toiletten drei Löcher nebeneinander auf einem kleinen Hügel waren, was die Sache auch nicht einfacher machte. Und zu allem Überfluss regnete es auch noch, was den Waldboden in ein riesiges Schlammfeld verwandelte und unsere Kinder gleich mit. Zum Glück stellte sich die letzte Woche als etwas entspannter heraus, bekamen wir doch Unterstützung von anderen Jugendlichen und kleinere Gruppen zugewiesen. Wir begannen Freundschaften zu schließen, was uns durch unsere Arbeitszeiten das ganze Jahr über nicht so leicht fiel, welche wir dann wegen unseres baldigen Rückflugs aber leider nicht intensivieren konnten. Während das alles sehr negativ klingt, gab es natürlich auch viele schöne Erfahrungen. Beispielsweise „crashten“ wir mit unseren Kindern eine Hochzeit, fuhren in Kleinbussen, den sogenannten Marschrutka, fanden uns auf einer echten Kontaktbörse mit dem ein oder anderen Heiratsantrag wieder und besuchten ein Frauengefängnis.
„Man kommt mit erstaunlich wenig aus“
Dank der für uns günstigen Preise reisten wir durch den halben Balkan, gingen Essen und besuchten Ballettvorstellungen. Das sind nur einige der Dinge, für die ich unglaublich dankbar bin. Besonders meinen Geburtstag, den ich in Transnistrien verbringen durfte – in diesem kleinen Land, was so gerne offiziell anerkannt und unabhängig wäre –, werde ich nie vergessen. Die ganze Landschaft war verschneit und vereist. Der Besuch eines wunderschönen Klosters und bei einer der ärmsten und zugleich großzügigsten Familien, die ich je kennenlernen durfte, haben mich tief beeindruckt. So habe ich vor allem eines in meiner Zeit in Moldawien gelernt: Man kommt mit erstaunlich wenig aus. Außerdem stellte ich fest, wie wichtig Sprachkenntnisse für die Beziehung zu den Kindern sind und dass der Nokia-Klingelton die inoffizielle Hymne des Landes ist, lernte meine Angst vor Latrinen zu überwinden und merkte, dass es immer weitergeht, egal wie verfahren eine Situation zu sein scheint. Aber am meisten habe ich gelernt, Verantwortung zu übernehmen und mich dadurch weiterzuentwickeln. Die Rückkehr und Eingewöhnung zu Hause war nicht besonders schwierig, auch wenn es ungewohnt war, von so viel Wohlstand umgeben zu sein.
Das Interesse aus meinem Umfeld an meinen Erfahrungen war jedoch nicht so hoch wie erwartet, was zu Beginn etwas problematisch für mich war. Trotz des Seminars für uns Rückkehrer gab es noch viel aufzuarbeiten und ich konnte erst nach einem Jahr mit meinem Auslandseinsatz abschließen. Ich fühlte mich zeitweise wie in zwei Welten gefangen. Mein neues Leben als Studentin ohne Verantwortung für 20 Kinder, mit denen man so viel Zeit verbracht und die man nun zurückgelassen hatte, war einfach ein Kontrastprogramm. Ständig schwirrten mir dennoch Gedanken im Kopf herum, was ich hätte besser und anders machen können, und ich war sauer über mein Versagen in bestimmten Situationen. Ein Auslandsjahr ist einfach eine Zeit, die man nie vergisst und die einen prägt, egal wie schön oder hart sie war. Ich weiß, dass die meisten durchweg begeistert von ihrem Auslandsaufenthalt zurückkehren, aber ich habe gelernt, dass das nicht immer so sein muss, was aber nichts Negatives ist. Ich habe wirklich zu schätzen gelernt, einen deutschen Pass zu haben und in so einem reichen Land leben zu dürfen.
„Bereue ich, es gemacht zu haben? Auf gar keinen Fall!“
Als Fazit kann ich sagen, dass ich vielleicht nicht so viel erreichen konnte, wie ich es mir zuvor erhofft hatte. Aber wenn ich auch nur einem Kind mit einer Kleinigkeit helfen konnte, sei es durch Zuhören oder das Heraussuchen von Kleidung für den nächsten Tag, und dadurch Spuren bei ihm hinterlassen konnte, dann haben sich diese elf Monate voller Strapazen und interessanten Erfahrungen vollkommen gelohnt. Und das ist es, was am Ende zählt, nämlich einen Sinn in seinem Einsatz zu sehen. Würde ich das Jahr genauso noch einmal machen? Ich glaube nicht. Bereue ich, es gemacht zu haben? Auf gar keinen Fall! Deswegen kann ich nur jedem empfehlen, sich zu trauen und andere Länder kennenzulernen und dabei vielleicht auch auf seine eigenen Grenzen zu stoßen. Am Ende lohnt es sich, auch wenn man es nicht gleich erkennen mag. In dem Sinne, „Mulțumesc, Moldova!“
Jessica Nico, 22, studiert Südosteuropa-Studien und Geschichte in Regensburg und möchte gerne ihren Bachelor und ein Praktikum in Rumänien absolvieren.
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