Y steht für Yam

Freiwilligenarbeit in Ghana

weltweiser · Freiwilligenarbeit · Ghana
GESCHRIEBEN VON: ALEXANDRA HAGEMANN
LAND: GHANA
AUFENTHALTSDAUER: 6 WOCHEN
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
NR. 2 / 2012, S. 47-48

„Was?! Zu den Straßenkindern nach Ghana soll es gehen? Sind die Slums nicht viel zu gefährlich? Und überhaupt, wer stattet Malariamücken freiwillig einen Besuch ab?“ So oder ähnlich hörte sich der ein oder andere Überraschte aus dem Freundes- und Bekanntenkreis an. Zweifel, ob die freiwillige Sozialarbeit in Ghana während meiner Sommerferien die richtige Entscheidung ist, kamen mir selbst während der Vorbereitung auch. Im Nachhinein bin ich jedoch absolut überzeugt, dass es gut war, dem Stubenhockerdasein zu entfliehen und die Welt zu entdecken! Im Ausland hatte ich die Möglichkeit, etwas zu erleben, meinen Horizont zu erweitern und wertvolle Erfahrungen zu sammeln, die ich hier in Deutschland nie hätte machen können.

Bevor ich ins Schwärmen komme: Damit der Auslandsaufenthalt gelingt, ist die richtige Vorbereitung natürlich entscheidend. Das mag für dich etwas Aufwand bedeuten, lohnt sich aber. Wie heißt es so schön? Gut geplant ist halb gewonnen! Vor meinem Aufenthalt in Ghana war ich noch nie in einem Entwicklungsland gewesen – dementsprechend wenig wusste ich über die Sicherheitsvorkehrungen, die getroffen werden müssen, über Krankheiten, Kultur und Mentalität. Ganz gleich, wo es hingehen soll, das Auswärtige Amt informiert im Internet tagesaktuell zur Sicherheitslage in allen Ländern – von Argentinien bis Zentralafrika. Mögliche gesundheitliche Risiken bespricht man am besten mit einem Tropenmediziner. In meinem Fall musste ich eine Reihe von Impfungen über mich ergehen lassen: Typhus, Gelbfieber bis hin zu Cholera. Zusätzlich bekam ich vorsorglich Malariamedikamente verschrieben. Um mich über wirksamen Mückenschutz zu informieren, ließ ich mich in einem Outdoor-Fachgeschäft beraten. Ich entschied mich für ein imprägniertes Mückennetz, unter dem ich nachts geschützt schlafen konnte, sowie für chemische Sprays, die jedes Insekt in die Flucht schlagen. Mit etwas Glück und einem nicht zu exotischen Ziel triffst du in solchen Fachgeschäften auf Menschen, die selbst in deinem zukünftigen Gastland waren und gern berichten. Auf diesem Weg erfuhr ich schon im Outdoor-Laden etwas über die Kultur und Mentalität der Menschen in Ghana. Auch gute Reiseführer können als wichtige Quelle dienen. Wenn du deine Freiwilligenarbeit über eine deutsche Organisation planst, erhältst du über diese meist ebenfalls Informationen zum Land und hast zudem sowohl einen Ansprechpartner in Deutschland als auch im Zielland, falls Fragen auftreten oder du Hilfe brauchst.

Ein Tipp, was das Packen betrifft: Lass alles zu Hause, was du nicht unbedingt brauchst. Vor Ort wirst du keinen Gedanken an Designersachen verschwenden. Schnickschnack bleibt besser daheim, lieber solltest du praktische Kleidung einpacken. Solltest du tatsächlich noch etwas Platz im Gepäck haben, freuen sich die Menschen aus den Entwicklungsländern vielleicht über ausrangierte und trotzdem gut erhaltene Kleidung. Ich durfte 42kg Gepäck mitnehmen, sodass ich mithilfe meiner Klavierschüler im Vorfeld fleißig Kleidung und Spielsachen gesammelt habe. Die Sachen dann an die Familien aus den Slums zu verteilen, war die größte Freude und definitiv ein Erlebnis, das mich sehr geprägt hat. Die leuchtenden, glücklichen Kinderaugen sind mir noch gut in Erinnerung. Wie froh waren auch die Eltern über weiche Decken, Kleidung und Hygieneartikel. Natürlich hatte ich gehofft, dass die Menschen die Sachen gut gebrauchen können, aber ich hatte nicht geahnt, wie dankbar sie sein würden. Einige tanzten, woanders ertönten Jubelgesänge – ein Erlebnis, das man nur in einem solchen Land machen kann. Dafür hatten sich die aufwändige Vorbereitung und das Sparen mehr als gelohnt.

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Auch die eigentliche Freiwilligenarbeit vor Ort bereitete mir viel Freude. Durch das bunte und laute Treiben der Märkte der Hauptstadt Accra lief ich morgens zu meinem Tro-Tro, dem ghanaischen Bus. Schon früh am Tag waren die Marktfrauen fleißig zugange und verkauften ihre frischen Früchte. Ananas, Bananen und Orangen haben in Ghana ein Aroma, von dem man in Deutschland nur träumen kann. Wenn die Zeit ausreichte, trank ich noch eine lecker erfrischende Kokosnussmilch; die Kokosnuss wurde dafür direkt vor meinen Augen aufgeschlagen. Mit dem klapprigen Bus – einmal fiel während der Fahrt tatsächlich die Tür ab – fuhr ich anschließend über die holperigen, kurvigen Sandstraßen zu dem Büro der Schule, in der ich während meines Aufenthaltes half. Von dort aus wurde ich durch die heruntergekommenen Slums bis zu meinem Projekt begleitet. Dort angekommen, umarmten mich die jungen Schüler erst einmal stürmisch. Ich begann mit meiner Arbeit und versuchte, ihnen das Alphabet zu vermitteln und ihre Zahlenkenntnisse zu fördern. Aber nicht nur die ghanaischen Kinder, welche ich sofort ins Herz geschlossen hatte, lernten dazu. Nein, wir brachten uns gegenseitig Sachen bei. Zum Beispiel ertönte im Chor „Y stands for Yam“, als wir beim Buchstaben Ypsilon angekommen waren. Von diesem, hauptsächlich in den Tropen zu findenden Wurzelgewächs, hatte ich zuvor noch nie gehört. Ein paar Kinder der goldigen Schülerschar fingen an zu kichern – erstaunt und sichtlich amüsiert, dass ich noch nie Yam gegessen hatte. Also zogen wir los, um Yam zu kaufen und zu kochen. Dann durfte ich das leckere Gemüse probieren. Solche Erfahrungen tragen zu einem besonderen Auslandsaufenthalt bei!

„Ich lernte viele liebe Menschen aus der ganzen Welt kennen“

Nach der Arbeit freute ich mich darauf, in das Haus zurückzukehren, in dem ich mit anderen Freiwilligen untergebracht war. Wir verbrachten die Nachmittage und Abende damit, über Märkte zu schlendern, gemeinsam zu kochen und uns auszutauschen. Ich lernte viele liebe Menschen aus Ghana und der ganzen Welt kennen. Du brauchst dir als Alleinreisender keine Gedanken darüber zu machen, ob du Kontakte knüpfen wirst. Mir fällt es in Deutschland nicht immer leicht, auf andere zuzugehen, aber im Freiwilligenhaus standen alle vor den gleichen Problemen und vor neuen Situationen, was uns zusammenschweißte. Alle kamen schnell miteinander ins Gespräch. Kontakte zu Einheimischen knüpften wir durch unsere Projekte automatisch. Hellhäutige fallen zudem in den Straßen auf und werden gern angesprochen. Gerade die kleinen Kinder freuen sich darüber, einen Weißen zu sehen. Das Wort „Obruni“, Weißer, wurde uns oft hinterhergerufen, während uns die kleinen schwarzen Händchen aufgeregt zuwinkten.

„Ghana war mir so laut, so bunt, so voll vorgekommen“

Den anfänglichen Kulturschock hatte ich mithilfe der anderen Freiwilligen schnell überwunden. Am Anfang war alles neu und anders gewesen: Ghana war mir so laut, so bunt, so voll vorgekommen. Da die Straßen keine Namen haben, musste ich mir den Weg merken, um nach dem Arbeitstag zu meiner Unterkunft zurückzufinden. Denn wie soll man nach dem Weg fragen, wenn sich keiner an Adressen orientiert? Zu Beginn verlief ich mich einmal. In dem ganzen Trubel war ich anscheinend eine Hütte zu früh abgebogen. Aber ein hilfsbereiter Straßenhändler, der mich morgens auf meinem Weg zur Arbeit gesehen hatte, brachte mich zum „Kaneshi“-Markt, von dem aus ich allein nach Hause fand. Wie froh war ich in dem Moment, dass „Obrunis“ so sehr auffallen! Auch in anderen Situationen kamen die Hilfsbereitschaft, Fürsorge und Gastfreundschaft der Ghanaer deutlich zum Ausdruck. Im Gegensatz zu der Freude über die Freundlichkeit der Einwohner waren die Eindrücke in den Slums teilweise ernüchternd. Es ist wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass man als Freiwilliger womöglich mit schwer zu verarbeitenden Situationen und Bildern konfrontiert wird. Ich erlebte menschenunwürdige Lebensumstände, apathische Kinder mit starrem Blick, kaum auszuhaltenden Gestank bedingt durch Mülllandschaften, so weit das Auge reichte.

„Ich bin froh, diesen Lebensoptimismus erlebt zu haben“

Ich selbst hatte ein schlechtes Gewissen, die Menschen in den Slums zurückzulassen, auch wenn sie mit ihrer Situation bemerkenswert gut zurechtkommen. Die Probleme, mit denen die Slumbewohner konfrontiert werden, sind bitter. Ein Beispiel: Einige Monate, nachdem ich wieder in Deutschland war, kam von dem Leiter der ghanaischen Hilfsorganisation die erschütternde Nachricht, dass eine Epidemie ausgebrochen sei. Die fehlende medizinische Versorgung ließ innerhalb kürzester Zeit 17 Kinder sterben. Trotz der schwierigen Umstände sehen die Slumbewohner ihr Leben nicht als hoffnungslos an. Sie stöhnen nicht, sie klagen nicht. Die meisten Slumbewohner, die ich kennenlernen durfte, sind dankbare Menschen. Dankbar dafür, dass sie leben dürfen. Dankbar für die warme Sonne, dankbar für den erfrischenden Regen. Sie nehmen alles so an, wie es kommt. Vergleicht man die Lebenssituationen in westlichen Ländern mit den Zuständen in Entwicklungsländern, müssten die „Reichen“ meiner Meinung nach viel zufriedener sein. Bezüglich der optimistischen Einstellung sind die recht glücklichen Ghanaer dem ein oder anderen unzufriedenen Deutschen um einiges überlegen! Ich bin froh, diesen Lebensoptimismus erlebt zu haben. Ein Freiwilligenprojekt in einem Land wie Ghana kann uns die Augen dafür öffnen, welch selbstverständlichen Luxus wir hier genießen.

Ich denke mit Freude an meine Zeit in Ghana zurück. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mein Aufenthalt in Ghana ein einzigartiges Erlebnis war. Sehr prägend, persönlichkeitsbildend, wertvoll, manchmal ernst, aber auch verbunden mit viel Freude, Spaß und Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen. Es tut jedem gut, neue Horizonte zu entdecken – also trau auch du dich! Such dir eine gute Organisation, wähle ein Land, welches dir gefällt, und lass dich auf den Freiwilligendienst ein. Zunächst magst du vielleicht zweifeln. Auch ich hatte Bedenken, würde es aber jederzeit wieder machen. Die einzig langwierige Krankheit, mit der ich mich angesteckt habe, ist das Reisefieber. Also, wage auch du den ersten Schritt und lass das Abenteuer beginnen!

Alexandra Hagemann, 19, aus Overath in NRW nutzt die Zeit zwischen Schulabschluss und Studium dazu, Neuseeland zu bereisen und in Deutschland Praktika zu absolvieren. Ab Frühjahr 2012 wird sie Humanmedizin studieren.

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