High-School-Jahr in Südafrika

Einmal Kapstadt und zurück

weltweiser · High-School-Jahr · Südafrika · Kapstadt
GESCHRIEBEN VON: ELLA SEITER
LAND: SÜDAFRIKA
AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
Nr. 8 / 2018, S. 22-23

Natürlich werde ich oft gefragt: „Na, erzähl doch mal! Wie war dein High-School-Jahr in Kapstadt?“. Doch diese Frage kann man nicht nur mit einem einzigen „Schön“, „Toll“ oder „Super“ beantworten, denn es steckt viel mehr dahinter. Es steckt viel mehr hinter der Stadt am anderen Ende der Welt, hinter dieser unbekannten Kultur und hinter den Menschen, die so anders leben als wir.

Womit soll man also anfangen, wenn man von seinem einjährigen High-School-Programm in Südafrika erzählen soll? Meine Reise begann vor einiger Zeit. Für ein Jahr sollte ich nun in einer völlig fremden Familie und einer ganz anderen Stadt leben und eine Schule besuchen, in der ich niemanden kannte. Den ersten „Kulturschock“ hatte ich bereits, als ich vom Flughafen an all den Townships vorbei zu meinem neuen Zuhause gefahren wurde und mein Gastvater scherzhaft sagte: „We are almost there!“. Weit und breit sah man aber nichts anderes als Blechhütten. Zu meiner Erleichterung wurde es dann doch keine Blechhütte. Meine Gastfamilie war erst kürzlich in ihr neues Haus gezogen, welches zwar klein, aber gemütlich war. Außerdem lebten dort noch zwei Hunde, sechs Katzen und vier Fische. Da ich im Juli ankam, war es gerade Winter, und obwohl es ein „südafrikanischer Winter“ war, war es sehr kalt, denn meine Gastfamilie hatte weder Heizung noch Daunendecken. So setzten wir uns abends an den Kamin, um uns aufzuwärmen.

Meine Gastfamilie war indischer Herkunft und bestand aus den Gasteltern und einer 10-jährigen Gastschwester. Sie waren Zeugen Jehovas, was für mich eine komplett neue Erfahrung war, denn meine Familie in Deutschland ist katholisch. Neben mir lebte in der Gastfamilie für die ersten fünf Monate eine zweite Gastschwester aus Italien, mit der ich mich sehr gut verstand. Durch sie habe ich in diesem Jahr nicht nur eine, sondern zwei neue Familien gefunden. Mein Gastvater versuchte wirklich immer, uns viel von Kapstadt zu zeigen. Mehrmals fuhren wir mit ihm in die Stadt, wo er arbeitet, und gingen dort auf eigene Entdeckungstour. Wir erkundeten das farbenfrohe Viertel Bo Kaap, gingen an der Victoria & Alfred Waterfront shoppen und besuchten verschiedene Museen. Ich vermisse diese Tage sehr. Außerdem verstand ich mich besonders gut mit meiner kleinen Gastschwester, die mir ans Herz gewachsen ist wie eine richtige Schwester. In Deutschland habe ich nämlich keine kleine Schwester, nur ältere Geschwister, und jetzt kann ich stolz sagen, dass ich beides habe.

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Die Menschen leben anders in Südafrika. Sie wachen mit der Sonne auf und schlafen meistens wieder, wenn sie untergeht. Das habe ich auch gemerkt, als ich nach ein paar Tagen anfing, in die Schule zu gehen. Eine andere Austauschschülerin und ich waren die einzigen Weißen, die auf die Livingstone High-School gingen. Ich hatte gehofft, dass wir wegen der Schuluniformen nicht zu sehr auffallen würden, doch ich irrte mich. Ich war in der elften Klasse und im zweiten Halbjahr in der zwölften Klasse, dem „Matric“-Jahrgang oder Abschlussjahrgang. Es fiel mir sehr leicht, Freunde zu finden, denn fast alle waren sehr nett, freundlich und offen, auch wenn ich sie anfangs durch ihren starken Akzent kaum verstand. Meine Hauptfächer, die ich in der Schule wählte, waren Geschichte und Deutsch. Das war nämlich das Besondere an meiner Schule, der Deutschunterricht. Ich würde nicht sagen, dass es meinen Freunden besonders leicht fiel, trotzdem war es sehr lustig und spannend, ihnen zu helfen, die Sprache zu lernen, die ich von Geburt an spreche. Der Unterricht lief anders ab als in Deutschland und es gab während des Unterrichts keinen richtigen Austausch zwischen den Schülern und dem Lehrer. Ich bevorzuge unser deutsches Bildungssystem. Der Unterricht ging jeden Tag von 8 Uhr bis 15 Uhr und freitags in der ersten Stunde gab es eine „Assembly“ für die ganze Schule, bei der erst die Schulhymne, dann die Nationalhymne gesungen wurde und der Schulleiter mögliche Probleme thematisierte. Danach gingen die Muslime in der Mittagspause in die Moschee, um zu beten.

„Ich ging surfen, bestieg Berge und schwamm mit Pinguinen“

Meine besonderen Highlights in der Schule waren, dass ich an einem großen Tanzwettbewerb teilnehmen durfte und bei der dreitägigen Abschlussfahrt dabei war. Mein Alltag in Südafrika bestand unter der Woche meist nur aus Schule am Vormittag, während nachmittags meist Sport oder mit meiner Gastschwester spielen auf dem Programm standen. An den Wochenenden unternahm ich immer viel, denn ich wollte so viel wie nur möglich zu sehen bekommen und das habe ich auch. Ich ging surfen, bestieg Berge, schwamm mit Pinguinen, nahm an einem Gottesdienst in einer Moschee teil und besuchte den südlichsten Punkt Afrikas. Zudem bot sich mir die Möglichkeit, mehrere Reisen anzutreten. Im Oktober fuhr ich mit meiner Gastfamilie in den Schulferien für eine Woche nach Durban, wo wir Verwandte besuchten. Das war wirklich einer der Höhepunkte, denn ich durfte noch mal eine ganz andere Kultur und Religion kennenlernen. Bei einem Besuch in ihrer Kirche habe ich sogar einen Exorzismus beobachten können. Das klingt ziemlich gruselig, war es auch. Aber in einem Land mit mindestens zwölf verschiedenen Religionen und elf Amtssprachen lernt man mit so etwas umzugehen. Mit den Verwandten meiner Gastfamilie habe ich bis heute noch Kontakt.

„Beim Riverrafting schliefen wir vier Nächte lang unter freiem Sternenhimmel“

Eine weitere Reise machte ich mit meiner Familie und Freunden nach Hermanus, der Welthauptstadt der Wale, wo wir campten. Auch von der Austauschorganisation wurden Reisen und Ausflüge in Südafrika angeboten, an denen ich zweimal teilnahm. Einmal ging es nach Namibia zum Riverrafting und einmal nach Botswana in die Kalahari Wüste. Beim Riverrafting schliefen wir vier Nächte lang unter freiem Sternenhimmel – einmal, nach einem 50°C heißen Tag mit praller Sonne, Skorpionen, Moskitos und Affen am Ufer des Orange Rivers. Nach fünf Tagen ohne Toilette, Dusche und jegliche Art von Elektrizität kehrten wir zurück und fühlten uns alle wie kleine Überlebenskünstler. Ich denke gerne an diese Zeit zurück, fern von der Zivilisation, auf sich alleine gestellt zu sein, so viele Abenteuer zu erleben. Auch die Kalahari Wüste war sehenswert. Es war eine ganz andere Erfahrung, eine, die man im Berliner Zoo einfach so nicht bekommt. Diese Möglichkeiten zu haben, war toll und ich bin sehr dankbar dafür. Während meines Auslandsjahres lief aber auch nicht immer alles perfekt. Ich hatte zeitweilig viele Probleme mit meiner Gastfamilie. Oft fehlte mir in Kapstadt auch ein verständnisvoller Ansprechpartner. Zum Ende hin lebte ich drei Monate bei meiner Gastoma, die für mich zu den liebsten Menschen der Welt gehört. Ich habe den Kontakt zu meiner Gastfamilie gehalten, besonders zu meiner Gastschwester, denn sie sind keine schlechten Menschen, wir haben einfach unsere Differenzen.

„Ich fragte mich, wie ich dieses Land verlassen kann, all diese Menschen und Orte“

Zum Ende hin verlief alles viel zu schnell und gerade, wenn man denkt: „Jetzt bin ich angekommen“, muss man auch schon wieder weg. Meine besten Freunde haben mir eine rührende Überraschungsparty zum Abschied organisiert und auch meine Gastfamilie hatte Abschiedsgeschenke für mich. Ich fragte mich, wie ich dieses Land verlassen kann, ohne all diese Menschen und Orte mitzunehmen, die ich liebte. Ich habe gelernt, wie ein Land so wunderschöne und unterschiedliche Kulturen an einem Ort haben kann. Ich habe gesehen, wie Menschen um ihr Leben kämpfen und alles dafür tun, um selbstverständliche Dinge wie Brot und Milch zu kaufen. Ich habe beobachtet, wie Menschen kein Essen verschwenden, denn auch nur eine kleine Mahlzeit ist teuer und wertvoll. Ich habe gesehen, wie Menschen so wenig haben können und doch so viel – Liebe, Freude und Glück: Geld macht nicht immer glücklich. Ich habe erlebt, wie die Menschen die kleinen Dinge im Leben wertschätzen, aber auch, wie sehr einige von ihrem Gott abhängig sind. Ich habe gelernt, wie sehr der Sicherheitsaspekt in Südafrika – dem Land mit einer der höchsten Kriminalitätsraten der Welt – die Freiheit einschränken kann, da man immer jemanden braucht, der einen bringt oder abholt. Ich habe gesehen, erfahren, gelebt und gelernt in einer vollkommen anderen Welt.

„Natürlich werde ich nochmal in diese Regenbogenstadt fahren“

In meiner Zeit in Südafrika glaube ich, Teil dieses diversen, lächelnden und manchmal auch bösen Landes geworden zu sein. Was soll ich sagen? Der Abschied war mehr als schwer, vielleicht sogar das Schwierigste, was ich je getan habe. Man denkt immer, es wäre schwer seine Heimat zu verlassen, es wäre schwer, seine Komfortzone zu verlassen, es wäre schwer, seine Familie und Freunde hinter sich zu lassen, aber das ist es nicht. Es war für mich viel schwerer, all das, was ich mir aufgebaut hatte, zurückzulassen und nun zu wissen, dass das Leben, wie man es dort einmal leben durfte, nie mehr dasselbe sein wird. Natürlich werde ich zurückkommen, natürlich werde ich nochmal in diese Regenbogenstadt fahren, doch als Austauschschüler lebt man in der Kultur und wird Teil des Landes. Mit 15kg Übergepäck und acht Handgepäckstücken schaffte ich es dann doch, ins Flugzeug zu steigen. Jetzt sitze ich hier und bin seit einiger Zeit wieder zurück. Der Anfang in Deutschland war schwer. Ich hatte Heimweh, obwohl ich doch eigentlich zu Hause war. Doch man gewöhnt sich wieder an alles, die abgehackte Sprache, die Ordnung und die Pünktlichkeit. Nach und nach fällt mir auf, dass mein Leben in Deutschland gar nicht so schrecklich ist und dass man viel zu viele Dinge als selbstverständlich betrachtet.

Ella Seiter, 18, möchte nach ihrem Abitur zunächst noch einmal ins Ausland, um zu reisen, und dann Astronomie studieren.

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