Erfahrungsbericht zu High School Aufenthalt in den USA: Wie Arkansas zur zweiten Heimat wurde
„Warum denn Amerika?“, durfte ich mir immer wieder anhören, „da gehen doch alle hin“. Ja richtig, und genau da wollte auch ich hin. Vielleicht sogar, weil es alle machen oder vielmehr weil man so viel Tolles hört.
Schon in der 7. Klasse hatte ich mir fest in den Kopf gesetzt, dass ich eine von denjenigen sein würde, die ins Ausland gehen. Ich wusste, dass ich nicht nur Spaß haben würde, sondern höchstwahrscheinlich auch einige schwierige Situationen auf mich zukommen würden, trotzdem ließ ich mich nie von meinem Wunsch abbringen. Mit der Zeit wurde das Thema in meiner Stufe immer populärer. Viele meiner Mitschüler erzählten stolz, wohin sie gehen würden, die einen klassisch wie ich in die USA, andere waren bereit, den weiten Weg nach Australien zu wagen. In der Pause standen wir immer in einer großen Gruppe von neun Leuten zusammen und unterhielten uns angeregt über unseren bevorstehenden Aufenthalt. Langsam lief die konkrete Planungsphase an, wir gingen zu Informationsabenden in der Schule und bestellten uns Broschüren. Während dieser Phase fragte ich mich insgeheim, ob denn überhaupt alle durchziehen würden, was sie da so erzählten. Auch mich beschäftigte abends im Bett oft die Frage, ob ich mir das wirklich antun sollte. War ich wirklich bereit dazu, meine Freundinnen hinter mir zu lassen und wichtige Partys zu verpassen? Als ich jedoch von meinem Gespräch mit meiner Austauschorganisation zurück nach Hause kam, war ich voller Energie und Enthusiasmus. Meine Unterschrift unter den riesigen Vertrag zu setzen kostete mich Überwindung, aber im Moment des Unterschreibens wusste ich, dass ich mich richtig entschieden hatte. Neben mir trauten sich noch drei Mitschülerinnen, ihre Pläne zu realisieren. Die Hälfte unserer Gruppe sprang also ab. Wahrscheinlich eine gute Entscheidung, denn nicht jeder ist für einen Auslandsaufenthalt geeignet: Es gehört eine Menge Mut dazu und vor allem Lust auf ein großes Abenteuer.
Das musste auch ich spüren, als der Sommer der Abreise immer näher rückte. Und das Schlimmste? Eine Familie hatte ich auch noch nicht genannt bekommen. Es konnte mich überall hin verschlagen: in den hohen Norden nach South Dakota oder in die Südstaaten nach Alabama. Das war ein Nervenkitzel. Ich sehe mich heute noch jeden Tag aufgeregt in den Briefkasten gucken. Natürlich hat jeder Wunschvorstellungen, bei Amerika meist Kalifornien oder Florida, aber meine Eltern waren dagegen, einen Aufpreis zu bezahlen, nur um sicherzugehen, dass ich irgendwo ans Meer komme. Sie meinten, darum ginge es bei einem Schüleraustausch doch gar nicht und man könne überall, möglicherweise sogar auf einer Farm, die beste Zeit seines Lebens verbringen. Und so ist es, meine Eltern hatten Recht. Eines Tages war es so weit, meine Mutter hielt den riesigen Umschlag in der Hand, sie war wahrscheinlich noch aufgeregter als ich. Als ich die ersten Zeilen las und ich das Wort „A-r-k-a-n-s-a-s“ sah, war ich wie vor den Kopf geschlagen. Kansas hatte ich schon mal gehört, aber Arkansas noch nie. Mithilfe von Google wurde mir schnell bewusst, dass es mich in den tiefen Süden der USA verschlagen hatte. Im Internet stieß ich immer wieder auf den Beinamen „The Natural State“. „Na super“, dachte ich, „das kenne ich doch schon aus Deutschland“. Enttäuschung machte sich breit. Als ich auch noch bemerkte, dass meine Gastfamilie nur eine ältere Frau ohne Kinder sein würde, da bekam ich Panik. So hatte ich mir das alles doch gar nicht vorgestellt! Ich war geschockt.
Meine Mutter ermutigte mich jedoch, dass ich nicht alles hinschmeißen solle. Little Rock, die Stadt, in die ich kommen sollte, sei immerhin die Hauptstadt von Arkansas und es würde dort bestimmt viele tolle Freizeitmöglichkeiten geben. Im Laufe der nächsten Tage lernte ich, meine Platzierung zu akzeptieren, und nahm Kontakt zu meiner Gastmutter auf, die sich als sehr freundliche, aufgeschlossene Dame entpuppte. Ich rate jedem: So schwer es auch sein mag, ruft eure Gastfamilien an! Kümmert euch nicht um euer „schlechtes“ Englisch oder darum, dass euch nichts einfällt, schon allein die Stimme des anderen gehört zu haben, ist beruhigend. Also nur Mut! Als Tipp: Schreibt euch vorher auf, was ihr in etwa fragen wollt, damit ihr den Faden nicht verliert. Denn aufregend ist das erste Telefonat auf alle Fälle. Als der große Tag meiner Abreise endlich bevorstand, wurde mir bewusst, dass ich nun Abschied nehmen musste. Das allerdings ging schnell. Beim Abschied von meiner Familie und meiner besten Freundin rollten Tränen, aber sobald ich durch den Security Check war, ging die große Reise mit vielen anderen Austauschschülern los. Hinter den Türen war der Trennungsschmerz schnell vergessen und alle hatten sich so viel zu erzählen. Außerdem ging es erst einmal gemeinsam nach New York. Die Woche dort verging wie im Flug, aufgrund der vielen Nationalitäten war die Hauptsprache im Vorbereitungscamp Englisch. Verwunderlicherweise schloss man sogar Freundschaften in der kurzen Zeit, teils enge Freundschaften. Zu einigen hielt ich während meines Aufenthalts Kontakt und wir melden uns auch heute noch beieinander. Ich denke, dass uns das bevorstehende Abenteuer zusammengeschweißt hat. Alle hatten die gleichen Ängste, und endlich gab es jemanden, der sich genauso fühlte wie man selbst. Meine Freunde zu Hause hatten mir zwar zugehört, aber so richtig verstehen können hatten sie mich nicht.
„Ich stellte mir meinen Traumstundenplan zusammen“
Als ich im Flugzeug auf dem Weg nach Little Rock war, realisierte ich endlich, dass es jetzt ernst werden würde. Fern ab von dem Trubel in New York und mit dem Trennungsschmerz im Hinterkopf, saß ich nun alleine in einer winzigen Maschine und flog Richtung Süden, meiner neuen Heimat entgegen. Je näher ich meinem Ziel kam, desto grüner und einsamer wurde die Landschaft unter mir. Den Moment, als ich am Flughafengebäude meine Gastmutter zum ersten Mal sah, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Es war wunderschön zu wissen, dass jemand genauso aufgeregt war wie ich. Jemand hatte ein Zimmer liebevoll hergerichtet und hatte sich genauso vorbereitet wie man selbst. Die zwei Wochen bis Schulbeginn vergingen schleppend, ich kannte niemanden, es war heiß und die meiste Zeit verbrachten wir am Pool. Der erste Tag in der High School war hingegen sehr aufregend, wahrscheinlich einer der besten Momente in den sechs Monaten. Alle Nationalitäten und besonders auch Hautfarben trafen in der Schule aufeinander. Jeder identifizierte sich mit seinem Sport, schon morgens um 8 Uhr liefen die Footballspieler in ihrer ganzen Pracht mit Schulterpolstern herum, während die Cheerleader kichernd in ihren hübschen kurzen, glitzernden Röckchen durch die Cafeteria liefen. Es war alles so spannend! Die riesige Fächerauswahl erstreckte sich von Management über Fotografie bis hin zu Deutsch. Ich stellte mir meinen Traumstundenplan zusammen: Ich hatte die Pflichtfächer Englisch, Mathe und American History und belegte zusätzlich Marine Biology, Drama, Französisch und Deutsch, was sich als total lustig entpuppte. Meine Deutschlehrerin war hellauf begeistert, endlich eine Muttersprachlerin als Hilfe im Kurs zu haben. Deutsch war für mich mehr als nur ein Spaßfach, denn teilweise übernahm ich den Unterricht. Ich musste feststellen, dass die Schüler ihre Lehrerin wirklich „Frau“ riefen, ich hatte mich also nicht verhört. Das ist so, als würden wir unsere Englischlehrerin in Deutschland „woman“ rufen. Es gab so viel zu gucken, denn meine High School war gigantisch groß. 3.000 Schüler gingen auf die Schule, die Hälfte davon war dunkelhäutig, und manchmal passierte es, dass ich die einzige „Weiße“ in meinem Kurs war. Anfangs war das unangenehm, weil ich das Gefühl aus Deutschland überhaupt nicht kannte. Da saß ich nun „alleine“ und manchmal musste ich die Augen auf- und zudrücken, um zu realisieren, dass ich nicht träumte. Alle waren so freundlich, Lehrer unterhielten sich nach jeder Stunde mit mir und waren sehr interessiert.
„Der beste Ausflug führte uns nach Memphis“
Mit der Zeit musste ich leider feststellen, dass ich und meine Gastmutter einfach nicht zusammenpassten. Unsere Interessen waren zu verschieden, was nicht nur ich, sondern auch sie merkte. Es war ein schwerer Schritt, auf sie zuzugehen und ihr zu sagen, dass ich mich nicht wohlfühlte. Im Nachhinein weiß ich jedoch, dass es die beste Entscheidung war, offen zu sein und mit ihr zu sprechen. Auch nach dem Familienwechsel blieb ich mit ihr in Kontakt und wir trafen uns noch mehrmals. Meine neue Gastfamilie war ein einziger Traum: Ich hatte zwei Gastbrüder, Jake und Tucker. Der eine war der Klassenclown meiner Jahrgangsstufe. In den ersten Tagen war er mir in der Schule sofort aufgefallen, immer von Mädels umringt und immer für Späße aufgelegt. Mein jüngerer Gastbruder war eher einer von der gemütlichen Sorte und ich merkte ihm an, dass es ganz ungewohnt für ihn war, von nun an ein Mädchen im Haus zu haben. Meine Gastmama und mein Gastpapa waren die besten Eltern, die ich mir hätte vorstellen können – nach meinen leiblichen natürlich. Wir unternahmen viel zusammen, fuhren nach Downtown Little Rock, gingen shoppen und auf den Fischmarkt oder ins Theater. Der beste Ausflug führte uns nach Memphis. Karten für ein NBA Basketballspiel der Mannschaften Memphis gegen Miami waren mein Weihnachtsgeschenk an meine zwei Gastbrüder. Da ich selbst Basketball spiele, war das Spiel auch für mich ein absolutes Highlight.
Zwei Tage nach Weihnachten sollte mein Flug nach Hause gehen. Die Woche vor dem Heimflug war schrecklich. Immer wieder bekam ich Abschiedsgeschenke zugesteckt: kleine Fotoalben, Bücher, Bilderrahmen, Pullis, alle ließen sich die verrücktesten Sachen einfallen. Doch das größte Geschenk wartete noch auf mich. Für das Wochenende vor meinem Abflug hatte meine Gastmutter sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Während ich mit Freunden unterwegs war, bereitete meine Gastmama als Überraschung eine riesige „Going Away Party“ für mich vor. Alle meine Freunde und Bekannte waren da, selbst Leute, die ich über das halbe Jahr nur flüchtig kennengelernt hatte. Ich war so gerührt. Der Abend war womöglich der beste während meiner ganzen Zeit in den USA. Wir feierten und tanzten bis spät in die Nacht. Am Abschiedstag kamen 15 Leute im Schlafanzug früh morgens mit zum Flughafen. Es fiel mir so schwer, Abschied zu nehmen und all das, was ich mir gerade aufgebaut hatte, hinter mir zu lassen. Aber ich hatte ja von Anfang an gewusst, dass dieser Moment irgendwann kommen würde. Als ich im Flugzeug saß und aus dem Fenster guckte, spürte ich, dass ich mich verändert hatte. Ich wusste, dass die Monate in Arkansas die besten meines bisherigen Lebens gewesen waren, und noch viel mehr wusste ich, dass ich eines Tages wiederkommen würde. Im März nach meiner Rückkehr kam mich meine beste Freundin für zehn Tage in Deutschland besuchen, und ich stehe heute noch in sehr engem Kontakt zu meiner Gastfamilie und meinen Freunden. Und im letzten Sommer flog ich zurück nach Little Rock, meiner zweiten Heimat.
Svenja Kellershohn, 18, geht in Lindlar zur Schule, wo sie im Frühjahr 2013 ihr Abitur macht. Sie möchte Journalismus studieren. Vorher will sie sich ein halbes Jahr Auszeit nehmen und im Ausland als Sportanimateurin in einem Hotel arbeiten.
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