Schüleraustausch-Erfahrungsbericht: Soloauftritt im Pub
Irland – freundliche Menschen, grüne Landschaften, Schafe, Kartoffeln, lange Feiern, Kobolde, Elfen. Jeder verbindet etwas anderes mit Irland, doch was ich dort gefunden habe, hat alle meine Erwartungen übertroffen.
Fünf Monate Irland sollten es sein und die letzten Wochen vor dem Abflug nach Cork waren mit gemischten Gefühlen verbunden: Neugierde und Vorfreude auf der einen Seite und der immer näher rückende Abschied von Familie und Freunden auf der anderen Seite. Wenn der Abschied eins war, dann tränenreich, doch als ich im Flugzeug saß und mich auf dem Weg zur grünen Insel befand, siegten die Aufregung, meine Gastfamilie bald zu treffen, und die Freude darüber, einige Monate in dem Land zu leben, das angeblich jeden in seinen Bann zieht. Schon seit einiger Zeit stand ich in regem Kontakt mit meiner Gastfamilie, hauptsächlich mit meiner Gastschwester Steph, und konnte es kaum erwarten, meine neue Familie endlich kennenzulernen.
Alles kam so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber doch ein bisschen anders. Ein netter Empfang, eine mittelmäßige Schule mit vielen netten Mitschülerinnen und eine Gastfamilie, die einfach nur wunderbar war. Außer mir lebte noch eine Austauschschülerin aus Italien in meiner Familie, die zu einer sehr guten Freundin für mich wurde. Es war schön, immer jemanden an seiner Seite zu haben, mit dem man sich austauschen konnte, aber auch ungewohnt, plötzlich kaum noch Privatsphäre zu haben. Wir teilten uns ein Zimmer, machten uns jeden Tag gemeinsam auf den Schulweg und gingen auch in der Schule in eine Klasse. Ich lebte mich sehr schnell ein und in der Schule und auch in Carrigaline, einem Vorort von Cork, traf ich viele neue Leute, die alle offen und freundlich waren. Da fiel es mir leicht, Freundschaften zu knüpfen – sowohl mit Iren als auch mit einigen der zahlreichen anderen Austauschschüler aus verschiedenen Ländern. Wenn man offen ist und sich selbst bemüht, gibt es nichts Leichteres als sich einen neuen Freundeskreis in Irland aufzubauen.
Mein irischer Alltag unterschied sich im Großen und Ganzen nicht stark von meinem Leben in Deutschland. Der Schultag und der Schulweg waren deutlich länger, die ständigen Regenschauer waren gewöhnungsbedürftig und die „easy-going-Einstellung“ der Iren war sehr angenehm. Da ich im Winter in Irland war, verließ ich das Haus morgens im Dunkeln und kam erst mit der Dämmerung wieder nach Hause – ganz anders als in Deutschland. Aber nach einigen Wochen hatte ich mich auch daran gewöhnt. Das Dinner mit der ganzen Familie war immer besonders schön. Da ich schnell ein Teil der Familie geworden war und mit meinen Gasteltern über Gott und die Welt plaudern konnte, gab es nach dem Essen meist noch die gemeinsame obligatorische Tasse Tee. Die Iren lieben ihren Tee und trinken ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit. Schwarzer Tee mit Milch mag für den ein oder anderen nicht besonders einladend klingen, doch ich habe den „cup of tea“ kennen und lieben gelernt. Nach jedem Irlandbesuch müssen also jetzt ein paar Teebeutel mit nach Deutschland reisen.
„Nach dem Gottesdienst unterhielt man sich mit dem Pfarrer noch über die letzte Party“
Samstags oder sonntags stand bei meiner Familie immer ein Gottesdienstbesuch an. Ich konnte selbst entscheiden, ob ich mit meiner Gastfamilie in die Kirche gehen wollte oder nicht, was im katholischen Irland nicht unbedingt selbstverständlich ist. An fast jedem Wochenende begleitete ich sie gern und sang später sogar im Kirchenchor mit. Kirche in Irland ist ganz anders als in Deutschland. Kerle in Jogginghosen und verkaterte Studenten sitzen neben Familien und den Dorfurgesteinen. Gesungen wurde „Where is the love“ von den Black Eyed Peas und nach dem Gottesdienst unterhielt man sich mit dem Pfarrer noch über die letzte Party. An den Wochenenden ging es oft auch ans Meer, das mit dem Bus nur eine halbe Stunde entfernt lag. Zum Baden war es leider zu kalt, aber das Klettern auf den Klippen bot eine ausreichende Entschädigung und die Aussicht war jedes Mal atemberaubend. Hin und wieder unternahm ich Tagestouren, die mich zweimal nach Dublin führten. Die acht Stunden im Bus waren zwar anstrengend, aber dafür konnte ich das Großstadtfeeling genießen und ausgiebig shoppen gehen.
„Für mich fühlte es sich fast wie Weihnachten zu Hause an“
Nach einigen Wochen in meiner neuen Heimat kam dann doch etwas Heimweh nach Freunden und Familie in Deutschland auf. Das Normalste der Welt und nur halb so schlimm, wenn ich jetzt daran zurückdenke. Zwei Telefongespräche, ein großes Stück Kuchen und natürlich eine Tasse Tee später ging es mir auch schon wieder besser. Meine Gastmutter heiterte mich ganz lieb auf, sodass die Tränen von vor ein paar Stunden schnell wieder vergessen waren. Schon bald stand Weihnachten vor der Tür – eindeutig die schönste Zeit in Irland. Kekse und Milch für Santa und ein paar Karottenstücke für Rentier Rudolf wurden bereitgestellt und die Aufregung meiner beiden jüngeren Gastbrüder war unglaublich ansteckend. Am 25. Dezember wurde unser Hund Lucky um 6 Uhr morgens mit dem Auftrag in mein Bett gesetzt, mich zu wecken und aus den Federn zu locken. Und dann war das Auspacken der Geschenke angesagt, die Santa während der Nacht gebracht hatte. In Schlafanzügen machten meine Gastgeschwister und ich uns über die Geschenke her. Ich merkte dabei gar nicht, dass ich „nur“ die Austauschschülerin aus Deutschland war. Für mich fühlte es sich fast wie Weihnachten zu Hause an. Interessant war auch der weitere Tagesablauf. Nach gemütlichen Stunden im Schlafanzug und einem ausgiebigen Frühstück ging es zum Friedhof. In Irland besucht man an Weihnachten alle verstorbenen Familienmitglieder, um ein kleines Gebet zu sprechen. Eine sehr schöne und berührende Tradition. Abends versammelten wir uns zum großen Familienessen mit Truthahn, einer Vielzahl verschiedener Gemüse und natürlich Kartoffeln. Die traditionellen Knallbonbons durften auch nicht fehlen. Für mich war es eine unglaublich tolle Erfahrung, die Feiertage in einem anderen Land mit einer anderen Familie erleben zu dürfen und ich werde dieses Weihnachten wohl nie vergessen.
Die Wochen flogen nur so dahin und ich genoss jeden einzelnen Tag. Ich habe so viele wunderschöne Erinnerungen an diese fünf Monate – von zwei besonders prägenden Erlebnissen möchte ich gern noch berichten. Der Blarney Stone im bekannten Blarney Castle in der Nähe von Cork musste unbedingt geküsst werden, was demjenigen, der ihn küsst, ewige Beredsamkeit bescheren soll. Zusammen mit ein paar Freunden ging es also auf nach Blarney und oben auf der Burg drückte ich dem abgenutzten Blarney Stone einen Schmatzer auf. Nach dieser Aktion konnte ich, sehr zur Belustigung meiner Gasteltern, den ganzen Abend lang gar nicht mehr aufhören zu reden. Der Glaube versetzt anscheinend doch Berge. Wenn ich mich an Irland erinnere, dann denke ich oft an die Besuche im lokalen Pub. An einem Abend saßen die Musiker für die Livemusik neben mir auf der Bank, der Laden war voll, die Stimmung gut und auf einmal wurde angekündigt, dass Besuch aus Deutschland zu Gast sei. Nach kurzen Überredungsversuchen meiner Gastfamilie, die von meiner Textsicherheit wussten nahm ich tatsächlich das Mikro in die Hand und sang für den ganzen Pub „Ireland’s Call“, die Rugbynationalhymne von Irland. Begeisterung war die Antwort und alle schmetterten den Refrain lauthals mit. Eine deutsche Austauschschülerin singt in einem kleinen Ort in Irland die irische Rugbynationalhymne! Das kommt wohl noch nicht allzu oft vor. Ein unglaubliches Erlebnis.
„Einen Schüleraustausch nach Irland zu machen, war eine der besten Entscheidungen meines bisherigen Lebens“
Seitdem ich wieder in Deutschland bin, habe ich meine Gastfamilie schon einige Male besucht und Freunde fürs Leben gefunden. Das Fernweh packt mich immer wieder und jeder Besuch ist ein ganz besonderes Erlebnis. Irland ist zu meiner zweiten Heimat geworden. Einen Schüleraustausch nach Irland zu machen, war eine der besten Entscheidungen meines bisherigen Lebens und ich beneide all diejenigen, die ihren Auslandsaufenthalt noch vor sich haben. Make the most of it!
Julia Neugebauer, 20, hat im Frühjahr 2011 Abitur gemacht und anschließend für ein paar Wochen als Freiwillige in Neuseeland gearbeitet. Mittlerweile studiert sie medizinische Physik in Düsseldorf.
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