Von der Neugier treiben lassen

Reisen und Arbeiten in Neuseeland mit dem Working Holiday Visum

weltweiser · Reisende am Wandern in den Bergen
  • GESCHRIEBEN VON: STEFANIE BLUM
  • LAND: NEUSEELAND
  • AUFENTHALTSDAUER: 5 MONATE
  • PROGRAMM: WORK & TRAVEL
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 6 / 2016, S. 65-66

„Jetzt oder nie!“, dachte ich mir und kündigte kurz entschlossen meine Arbeit, stellte meine wenigen Besitztümer bei Freunden unter und besorgte mir online ein Working Holiday Visum für Neuseeland – das konnte man schließlich nur bis zu seinem 30. Lebensjahr bekommen. Dann machte ich mich auf nach Aotearoa, ins Land der langen, weißen Wolke, wie die Neuseeländer ihre Heimat in der Sprache der Maori nennen.

Da ich bereits während meines Studiums viele Auslandserfahrungen sammeln konnte, entschied ich mich gegen die Unterstützung durch eine Vermittlungsorganisation. Meine Versuche, bereits von Deutschland aus per E-Mail einen Job in Neuseeland zu ergattern, scheiterten zwar, aber ich war optimistisch, dass sich vor Ort schon alles von selbst ergeben würde. Der Abschied von meiner Familie und meinen Freunden fiel mir doch recht schwer, zumal ich mich tatsächlich ans äußerste Ende unserer weiten Welt begeben würde. Aber ich sagte mir, dass man letztlich im Leben nur die Dinge bereut, die man nicht getan hat. Erschöpft von dem langen Flug, betrat ich schließlich nach Mitternacht neuseeländischen Boden und fuhr zu meinem reservierten Hostel in Auckland. Da dort die Dichte an deutschsprachigen, jobsuchenden Backpackern besonders hoch war, holte ich mir gleich ein paar nützliche Tipps bei Gleichgesinnten. Dann fuhr ich mit der Fähre nach Waiheke Island, einer kleinen Insel vor der Küste von Auckland. Dort wollte ich Berit und Matt, einem deutsch-neuseeländischen Pärchen, bei der Gartenarbeit helfen. Sie holten mich direkt am Hafen ab. Ich hatte sie noch in Deutschland über die neuseeländische WWOOF-Website kontaktiert und meinen Besuch mit ihnen abgesprochen.

Beim WWOOFen – das ist die Abkürzung für „World-Wide Opportunities on Organic Farms“ – meldet man sich gegen einen kleinen Betrag für ein Jahr bei dem Netzwerk des entsprechenden Landes an und erstellt online ein eigenes Profil. Die Mitglieder sind ökologische, kleinbäuerliche Betriebe oder Selbstversorger, die Unterstützung von Freiwilligen gegen Kost und Logis suchen. Bei meinem Einsatz musste ich nur vier Stunden am Tag im großen Garten mit anpacken und hatte dafür mein eigenes schönes Zimmer und wurde durch Berits unglaubliche Kochkünste verwöhnt. Sie hatte früher ein eigenes Restaurant auf der Südinsel besessen, stellte alles selbst her und kochte nur mit frischen Zutaten aus dem Garten, sodass ich locker für zwei bis drei Personen aß. Ich war sehr schnell in den harmonischen Tagesablauf der beiden integriert und fühlte mich sofort als Teil der Familie aufgenommen. Ich stand morgens früh mit den beiden auf, Matt kümmerte sich um das Frühstück und Berit und ich gingen mit dem Hund spazieren. Während die beiden bei der Arbeit waren,  widmete ich mich unter Anleitung von Tractor, dem Kater, dem Garten. Die Abende verbrachten wir oft mit langen, anregenden Gesprächen. Es blieb auch immer genug Zeit für ausgiebige Wanderungen, um die wunderschöne, vielfältige Natur der Insel zu erkunden. Nach nur eineinhalb Wochen war ich richtig traurig, als ich Abschied nehmen musste, doch Besuch aus Deutschland hatte sich angekündigt.

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Mit einer Freundin bereiste ich in den nächsten Wochen beide Inseln Neuseelands und war immer wieder erstaunt, wie abwechslungsreich das Land doch ist. Obwohl Neuseeland etwas kleiner als Deutschland ist, könnte die Landschaft nicht unterschiedlicher sein. Traumhafte Strände wechseln sich mit imposanten Berg- und Vulkanlandschaften ab und weiße Gletscherzungen ragen bis in den üppigen Regenwald hinein. Besonders die vielen Begegnungen mit Tieren auf der Südinsel beeindruckten mich sehr. Als mein Freund mich besuchte, mieteten wir für einen Monat ein Wohnmobil und trafen an einsamen Stränden auf Pinguine und Seehunde und sahen Delfine vor der Küste. Aber natürlich bestand mein Aufenthalt in Neuseeland nicht nur aus aufregenden Reisen, denn zwischendurch musste ich mir auch immer wieder Jobs suchen, um die hohen Lebenshaltungskosten in Down Under begleichen zu können. Vor allem das Essen war sehr teuer, und Obst und Gemüse waren eigentlich nur zur entsprechenden Saison bezahlbar, sodass ich im Supermarkt fast ausschließlich nach Angeboten Ausschau hielt. Auch die Jobsuche war bei Weitem nicht so leicht, wie ich gehofft hatte. Die Zahl der arbeitswütigen, internationalen Backpacker überstieg gerade außerhalb der Erntezeiten das Angebot an Stellen, und oft wurden Mitarbeiter gleich für mehrere Wochen oder Monate gesucht. Da ich aber nur insgesamt fünf Monate Zeit hatte und ein paar Mal Besuch bekam, wollte ich nicht länger als ein paar Wochen an einem Ort bleiben, um möglichst viel von den beiden Inseln Neuseelands zu sehen.

„Richtig glücklich war ich mit meiner Arbeit und den Kollegen erst am Ende meines Aufenthalts“

Schließlich bekam ich einen Job auf einer Melonenfarm und machte mich auf den Weg in den einsamen Norden. Bis zu zehn Stunden am Tag saß ich neben anderen jungen Deutschen hinter einem Traktor und rammte in Akkordarbeit Wassermelonensetzlinge in den, je nach Wetterlage, mal steinharten, mal matschweichen Boden – und das für den Mindestlohn. Nach knapp zwei Wochen reichte es mir. Ich war doch nicht ans andere Ende der Welt geflogen, um mit deutlich jüngeren Deutschen Stunde um Stunde die gleiche monotone Bewegung auszuführen und den ganzen Tag Traktorstaub einzuatmen. Außerdem fehlten mir ausreichend Ablenkungsmöglichkeiten in der Freizeit. Ich hatte nämlich kein Auto und bereute dies oft, da ich somit an manchen entlegenen Orten festsaß. Ich kann daher nur jedem empfehlen, sich in Neuseeland ein Auto anzuschaffen. Erst ein paar Wochen später fand ich erneut über ein Jobportal für Backpacker eine kurzfristige Beschäftigung als „Sandwichmaker“. Doch so richtig glücklich war ich mit meiner Arbeit und den Kollegen erst am Ende meines Aufenthalts, als die Erntezeit begann. Auf einer Kirschplantage in Cromwell auf der Südinsel fand ich unter den zahlreichen internationalen Pflückern gute Freunde, und wir verbrachten viele schöne Stunden in unserer kleinen improvisierten Wohnung direkt auf der Farm und zwischen den Kirschbäumen. Da ich etwas zu perfektionistisch war und fast nie die geforderten drei Eimer pro Stunde erntete, arbeitete ich zusätzlich noch in der Kirschenauslese im Packhaus am Fließband und abends im Büro, sodass ich finanziell gut über die Runden kam.

„Die Kiwis waren in der Regel sehr freundlich, entspannt und aufgeschlossen“

Generell beeindruckte mich immer wieder, wie gut die Strukturen für Backpacker in Neuseeland doch waren. Die jahrelange Erfahrung mit dem Working Holiday Visum war deutlich erkennbar. Die Steuernummer konnte problemlos in jeder größeren Stadt beim Finanzamt innerhalb weniger Tage beantragt werden, und ein Auto konnte man in Christchurch oder Auckland preiswert von anderen Backpackern kaufen. Die online ausgeschriebenen oder durch Mund-zu-Mund-Propaganda beworbenen Jobs konnten in der Regel sofort und ohne bürokratischen Aufwand angetreten werden. Als eine der wenigen Backpacker ohne Auto wurde ich sogar direkt von der Bushaltestelle abgeholt, und meist stellte der Arbeitgeber auch gleich eine Wohnmöglichkeit für eine relativ geringe Miete zur Verfügung. Die Kiwis waren in der Regel sehr freundlich, entspannt und aufgeschlossen, und an das neuseeländische Englisch gewöhnte ich mich recht schnell, wenn es mir vielleicht auch etwas leichter fiel, da ich bereits ein Jahr in den USA gelebt hatte. „Sweet as, bro!“ gehörte zum Beispiel zu den häufig verwendeten Ausdrücken, wenn etwas sehr nett oder cool war. Darüber hinaus ist das Land fast flächendeckend mit netten, preiswerten Hostels ausgestattet. Wer wie ich gern wandert, findet in fast jedem Winkel Neuseelands ein wunderschönes Stück Natur zum Entdecken. Auch trifft man überall auf andere Backpacker aus allen möglichen Ländern und knüpft sehr schnell Kontakte, auch wenn ich meist zu den Ältesten gehörte, da der Altersdurchschnitt der Reisenden in etwa bei 20 Jahren lag.

„Ich erhielt viele wertvolle und lehrreiche Einblicke in die neuseeländische Kultur“

Da ich zudem nur recht kurz an einem Ort blieb und auch noch Besuch von meinem Freund und einer Freundin bekam, blieb leider wenig Zeit, richtige Freundschaften aufzubauen. Heute halte ich nur noch mit einer chilenischen Freundin den Kontakt, die ich während der Kirschernte kennengelernt habe. Gerade in den Phasen der Jobsuche war ich immer sehr dankbar, WWOOFen als Alternative nutzen zu können. Insbesondere durch das intensive Erleben des Alltags und die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Menschen hatte ich kaum Heimweh, erhielt viele wertvolle und lehrreiche Einblicke in die neuseeländische Kultur und wurde mit neuen, alternativen Lebensansätzen konfrontiert. Obwohl ich mich nie zuvor für Au-Pair-Aufenthalte interessiert hatte, bekochte und betreute ich für eine Weile gern die zwei kleinen Kinder einer jungen Familie, während die Mutter im Bioladen arbeitete. In einem Hippiedorf ließen mein Freund und ich uns von der Stimmung des Nichtstuns anstecken und versackten eine Weile in der Nähe von Neuseelands schönstem National Park Abel Tasman. In einem Meditationszentrum nahm ich neben dem Entfernen von Spinnweben und dem Zupfen von Unkraut an einer „Sweat Lodge“ teil, einem vierstündigen Gruppen-Schwitzen in einem aus Decken gebauten Indianerzelt samt Gesang und Friedenspfeife. Dabei eröffnete sich mir eine ganz neue, spirituelle Welt aus Engelkarten, Meditation und Guru-Besuchen.

„Insgesamt verging die Zeit viel zu schnell“

Auch die Erfahrungen beim Übernachten waren sehr unterschiedlich: Während ich bei englischen Aussteigern auf der Südinsel eine Wellblechhütte neben ihrem schicken Wohnhaus zugewiesen bekam, rückte im Norden eine vierköpfige Familie in einem kleinen Schlafzimmer zusammen, um mehr Platz für weitere internationale WWOOFer zu schaffen. Einmal wurde ich mit starken Vorurteilen gegenüber Deutschen konfrontiert, traf aber meistens auf offene, liebenswürdige Menschen, die Fremden tolerant und gastfreundlich begegneten. Insgesamt verging die Zeit viel zu schnell, und obwohl das Weiterziehen oft anstrengend war, da ich selten länger als zwei Wochen an einem Ort blieb, erfüllte mich doch in der Regel ein wohlig prickelndes Gefühl von absoluter Freiheit. Ich war nie in bürokratischen Verträgen oder sonstigen Verpflichtungen eingebunden und konnte stets weiterziehen, wenn mich erneut die Unruhe und Neugier packte. Die abwechslungsreiche und aufregende Mischung aus Arbeiten, Reisen und WWOOFen, die das Working Holiday Visum ermöglicht, kann ich nur jedem empfehlen. Dieses Gefühl der unbegrenzten Möglichkeiten hat meine Zeit in Neuseeland besonders geprägt, und davon werde ich auch noch lange zehren.

Stefanie Blum, 31, arbeitete nach ihrer Rückkehr als Koordinatorin für internationale Freiwilligendienste, bis sie schließlich erneut ihren Rucksack packte, um selbst an einem Europäischen Freiwilligendienst in Armenien teilzunehmen.

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