Deutsch-französische Freundschaft
La France. Da denken die meisten als Erstes an den Eiffelturm, an einen schnurrbärtigen Franzosen im blau-weiß gestreiften T-Shirt und einem Baguette unter dem Arm, an Croissants auf dem Balkon mit Blick über Paris oder an Luxus an der Côte d’Azur. Jeder von uns hat gewisse Vorstellungen von Frankreich. Doch wie ist es, dort zu arbeiten und Deutschland in Frankreich zu repräsentieren?
Ich beschloss, meine Semesterferien zu nutzen, um genau das herauszufinden: Ich fand das Maison de Heidelberg, ein deutsches Kulturzentrum in Montpellier, und bewarb mich. Einfach mal zu fragen, ob grundsätzlich ein Praktikum möglich sei, kostete ja nichts. Was hatte ich schon zu verlieren? Also schrieb ich auf Französisch – und bekam prompt eine nette Antwort auf Deutsch. Natürlich seien Praktika möglich, und ich solle doch meine Unterlagen schicken, was ich dann auch tat. Bei meinem Bewerbungsgespräch per Skype erfuhr ich zu meiner Freude, dass eine Mitarbeiterin genau das Gleiche studiert hatte wie ich. Doch nun hieß es erst einmal warten. Eigentlich war eine Praktikumsdauer von nur sieben Wochen etwas kurz, doch mehr gaben die Semesterferien leider nicht her.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, die in Wahrheit nur zwei Wochen dauerte, bekam ich dann die Zusage – und tanzte erst einmal vor Freude durchs Zimmer. Dann ging es ans „Eingemachte“: Der Flug war schnell gefunden, die Suche nach einer Wohnung dauerte etwas länger. Für nur sieben Wochen eine Wohnung oder WG zu finden, war nicht einfach, aber schließlich stieß ich zufällig auf der Website Airbnb auf ein Ehepaar, das ein Zimmer untervermietete, und zwar genau im gleichen Haus wie mein Büro. Der Abschied von meiner Familie und Freunden war gar nicht so schwer. Zwar war ich traurig, dass ich nach meinen Klausuren an der Uni nur eine Woche zu Hause war, doch ich kam ja nach sieben Wochen bereits wieder. Außerdem nahm ich meine Mutter und Schwester für eine Woche Urlaub gleich mit nach Frankreich. So konnte ich meine ganzen Sachen auf drei Koffer verteilen, was ganz praktisch war. Der erste Tag beim Praktikum war ereignisreich. Nach einer Nacht im Hotel, da mein Zimmer bei der Familie noch nicht bezugsfertig gewesen war, ging ich morgens um 9 Uhr ins Büro. Von meinen Kollegen wurde ich sehr herzlich empfangen und gleich gefragt, ob ich Halb-Französin sei, da ich so französisch aussehe. Hier zeigte sich wieder, wie ausgeprägt die Vorstellungen über Land und Leute sein konnten.
Nach einer Einführung und einer Erkundungstour durch das Institut fing ich gleich mit der Arbeit an. Das Büro teilte ich mir mit zwei weiteren Praktikantinnen aus Deutschland. Für die Vorbereitung der bevorstehenden Veranstaltung am gleichen Tag wurde ich sofort mit einbezogen. Der deutschfranzösische Karnevals-Abend war ein voller Erfolg, und ich fiel um Mitternacht müde, aber froh, ins Bett. Zum Glück hatten meine Mutter und Schwester Lebensmittelvorräte für mich eingekauft. Es hatte eindeutig Vorteile, im gleichen Haus zu wohnen. Mein Alltag in Montpellier sah immer ungefähr so aus: Ich frühstückte um 8:45 Uhr, um 9 Uhr zog ich schnell die Schuhe an, verließ die Wohnung, lief die Treppe hinunter, eine andere Treppe wieder hinauf und war pünktlich im Büro. Das Maison de Heidelberg ist ein deutsch-französisches Kulturinstitut, das in den 1960er Jahren aus einer Kooperation der Universitäten in Montpellier und Heidelberg entstanden ist. Neben klassischen Sprachkursen dienen auch andere Angebote wie regelmäßig stattfindende Tandem-Treffen von Deutschen und Franzosen unter der Aufsicht einer Lehrkraft dazu, den Kontakt zur deutschen Kultur und Sprache zu fördern. Ein anderes Projekt namens „DeutschMobil“ zielt auf die Bewerbung des Deutschunterrichts an französischen Schulen ab.
Außerdem gibt es vielfältige kulturelle Veranstaltungen. Konferenzen behandeln beispielsweise deutsche Philosophen oder die deutsch-französischen Beziehungen, Vorträge werden zu Themen wie Atomkraft gehalten, im Gebäude findet man wechselnde Ausstellungen über die 20er Jahre oder den Städtewandel. Es finden Aktionen für Kinder zu Ostern, Weihnachten und Karneval statt. Auf Präsentationen und Themenabenden werden deutsche Filme vorgestellt und aktuelle deutsche Bücher besprochen. Außerdem wird regelmäßig ein deutsch-französischer Abend organisiert, ein sogenannter Stammtisch, der die Möglichkeit zu einem zwanglosen Austausch auf Deutsch und Französisch bei deutschen Spezialitäten bietet. Die „German Gemütlichkeit“ und „la vie française“ gaben dabei ein gutes Paar ab. Ich selbst arbeitete im Austauschreferat. Wir berieten Deutsche und Franzosen bei der Suche nach Praktika, Sommerjobs, Arbeitsstellen, Stipendien, Sprachschulen, Volontariaten und beim Verfassen von Bewerbungen. Denn wer in das jeweils andere Land ging, sollte vorher wissen, worauf er sich einließ und was ihn erwartete. Sicherlich war der Kulturschock weniger intensiv als bei einem Aufenthalt in einem Land mit größeren kulturellen Unterschieden, aber dennoch konnte eine gute Vorbereitung mit ausführlichen Informationen nicht schaden.
„Zwischendurch ergaben sich immer wieder spontane Gespräche mit Kunden“
Zudem vermittelte ich deutsch-französische Brieffreundschaften und stellte Kontakte zwischen Deutschen und Franzosen her, die an Programmen wie Au-Pair und Schüleraustausch interessiert waren oder selbst Gastfamilie werden wollten. Bei spezielleren Wünschen wie „Ich möchte, dass mein Brieffreund blonde Haare und braune Augen hat“, wurde diese Aufgabe mitunter ein bisschen schwieriger. Zwischendurch ergaben sich immer wieder spontane Gespräche mit Kunden. Wir veranstalteten außerdem Aktivitäten für Kinder wie zum Beispiel ein deutsches Osterfest, bei dem die Kinder Eier färben und suchen durften. Die Arbeit fand auf Deutsch und Französisch statt. Das war manchmal ein bisschen verwirrend, wenn ich gerade noch mit der Kollegin auf Deutsch geredet hatte und im nächsten Moment einen französischen Studenten beraten musste. Diese Herausforderung machte mir jedoch auch viel Spaß und ich konnte mein Französisch auf Beratungs- und Alltags-Tauglichkeit prüfen. Zusätzlich musste ich während meiner Zeit in Frankreich noch eine Hausarbeit für die Uni auf Englisch schreiben. Das befürchtete Sprach-Kuddelmuddel in meinem Kopf blieb aber glücklicherweise weitgehend aus.
„Ich wandelte auf römischen Spuren in Nîmes, fuhr zum Muschelessen nach Sète und unternahm Wanderungen in der Natur“
Während meiner Praktikumszeit bekam ich viel Besuch. Eine Freundin von mir studierte in Toulouse und kam mich für ein Wochenende besuchen, und eine andere Freundin verbrachte ein paar entspannte Tage nach ihren Klausuren bei mir in Südfrankreich. Darüber hinaus blieb ich mit Freunden und Familie per Skype, E-Mails und Postkarten in Verbindung. Auf diese Weise kam bei mir kein Heimweh auf, zumal es in Montpellier und der Region so viel zu entdecken gab, dass ich gar keine Zeit hatte, ins Grübeln zu kommen. Die vielen kleinen Straßen waren voll mit Geschäften und natürlich Bars und Kneipen. Etwas verängstigt angesichts der Vielzahl kleiner Gassen, hielt ich den Stadtplan am Anfang verkrampft wie eine Rettungsleine in der Hand, doch bald nahm ich ihn nur noch pro forma mit. Denn in Montpellier war es ungefähr so: Sobald ich dachte, ich hätte mich verlaufen, bog ich um die nächste Ecke und stellte fest, dass ich fast schon wieder vor dem eigenen Haus stand. Außerdem war die Umgebung perfekt für Entdeckungsreisen. Ich wandelte zum Beispiel auf römischen Spuren in Nîmes, fuhr zum Muschelessen nach Sète und unternahm Wanderungen in der Natur. Und dann war da natürlich das Meer, das am Anfang noch etwas kalt war, doch zum Ende meines Praktikums konnte mich niemand mehr von dem kühlen Nass fernhalten.
„Interkulturalität war also Alltagssache“
Viel davon unternahm ich mit meinen Kollegen. Da wir ein kleines Team waren und im ähnlichen Alter, verband uns glücklicherweise nicht nur die Arbeit, sondern es entstand ein sehr herzliches Verhältnis. Darüber war ich besonders froh, denn ich hatte mir vor dem Praktikum schon etwas Sorgen gemacht, wie ich mich mit den Kollegen verstehen würde. Ich traf während meiner Zeit in Montpellier viele verschiedene Menschen aus der ganzen Welt. Das lag unter anderem daran, dass ich die Wohnung mit einem französisch-britischen Ehepaar, einem amerikanischen Studenten und einem jungen Franzosen teilte. Interkulturalität war also Alltagssache. Eine Woche lang war außerdem eine Farmerin aus Finnland bei uns zu Besuch. Beim gemeinsamen Sonntagsfrühstück unterhielt ich mich mit ihr über Oster- und Weihnachtsbräuche auf der ganzen Welt. Und wenn sie einmal ein Wort nicht auf Französisch oder Englisch wusste, sagte sie es auf Schwedisch, das ich als Deutsche meist verstehen konnte. Montpellier, das Heidelberg-Haus und ich waren in der Zeit richtig gute Freunde geworden – und gute Freunde kann bekanntlich niemand trennen. Als ich nach dem Ende meines Praktikums in Deutschland aus dem Flugzeug stieg, war mein erster Gedanke: „Ich will zurück.“ Es war viel zu kalt, alle redeten wieder auf Deutsch und ich vermisste die Palmen. Statt Baguette, „Pain au chocolat“ und dem französischen Flair gab es auf einmal wieder Bratwurst, Brezeln und Dialekt. Doch dass ich eines Tages wiederkommen würde, stand bereits fest. Denn nach Montpellier kommt man laut den Einheimischen immer wieder zurück.
Linda Ringel, 21, studiert Kulturwirtschaft/International Cultural and Business Studies in Passau und plant bereits ein Auslandssemester in Kanada.
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