Mein namibisches Abenteuer
Es war 5 Uhr morgens und stockdunkel, als ich über das Rollfeld des Hosea Kutako International Airports lief. Begrüßt wurde ich von einem eiskalten Wind: Willkommen in Windhoek, Hauptstadt von Namibia. Nach einem anstrengenden neunstündigen Flug endlich angekommen, sah ich erst einmal nichts weiter als das Flughafengebäude Windhoeks.
Ich war bereits unglaublich aufgeregt und gespannt, denn dies war die Stadt, in der ich die nächste Zeit als Austauschschülerin leben sollte. Als Erstes würde ich mich wohl an den afrikanischen Winter gewöhnen müssen. Doch wie war es überhaupt zu meiner Reise nach Namibia gekommen? Nach einigen Anlaufschwierigkeiten bei der Planung meines Auslandsaufenthaltes fand ich schließlich im Internet die Homepage einer Organisation, die einen Schüleraustausch in Namibia anbot. Bei dem Gedanken wurde ich ganz aufgeregt und beschloss, es zu versuchen. Also rief ich bei der Organisation an und erfuhr, dass die Anmeldefrist eigentlich schon seit Monaten abgelaufen war. Doch ich hatte Glück: Sie wollten für mich eine Ausnahme machen und mich ins Programm aufnehmen, falls ich noch am gleichen Tag die Formulare abschickte. Dann würden sie anfangen, nach einer Gastfamilie für mich zu suchen. Das stellte mich vor eine kurzfristige Entscheidung – sollte ich spontan sein und es einfach wagen? Auf jeden Fall! Vier Stunden später hatte ich die E-Mail verschickt. Als ich einige Zeit später einen Brief von der Organisation mit den Informationen zu meiner Gastfamilie erhielt, wurde es ernst. Ich fing an, meine Reise zu planen, tausend Dinge einzupacken und weitere Formulare auszufüllen. Mit meiner Gastschwester nahm ich auch schon Kontakt auf. Schließlich musste ich von Familie und Freunden Abschied nehmen. Da ich keine Ahnung hatte, was mich erwarten würde, war ich schrecklich nervös, aber gleichzeitig war die Vorfreude sehr groß.
Zwei Stunden nach meiner Ankunft saß ich im Haus meiner Gastfamilie in Khomasdal, einer Vorstadt von Windhoek, und versuchte zu realisieren, dass ich mir gerade auf einem anderen Kontinent das Staffelfinale von „Grey’s Anatomy“ auf Englisch ansah. Kurz überfiel mich Panik, doch meine Gasteltern und meine Gastschwestern Shatasha und Stacie beruhigten mich und bemühten sich sehr, mir das Ankommen zu erleichtern. Es war ein gutes Gefühl, nicht ganz auf mich allein gestellt zu sein, sondern hilfsbereite Menschen um mich herum zu haben. Nachdem ich abends früh ins Bett gegangen war, konnte es an meinem zweiten Tag richtig losgehen. Schule stand auf dem Plan, aber glücklicherweise nicht allein, sondern zusammen mit Shatasha. Das bedeutete gewöhnungsbedürftiges, frühes Aufstehen, da meine High School, die Delta Secondary School, ihren Unterricht um 7 Uhr begann. Es gab eine Reihe von Regeln zu befolgen: Jeder namibische Schüler musste eine Schuluniform tragen, die Mädchen mussten die Haare zurückbinden und Schmuck war verboten. Der Unterricht war etwas anders als in Deutschland. Während der drei Terms im Jahr wurden zwar benotete Tests geschrieben, allerdings zählten für die Abschlussnote ausschließlich die Prüfungen am Ende jedes Schuljahres. Außerdem hatte ich nur sechs Fächer, die jeden Tag unterrichtet wurden: Physical Science, eine Mischung aus Chemie und Physik, Biologie, Englisch, Buchhaltung oder Management und Deutsch als Muttersprache bzw. als zweite Fremdsprache. Da Namibia früher eine deutsche Kolonie war, sprechen heutzutage noch 20% der Einwohner Deutsch. Außerdem gab es verschiedene Wahlkurse wie Kunst oder Afrikaans.
An der Schule herrschte ein tolles Gemeinschaftsgefühl. Die Schüler kamen aus verschiedenen Stammeskulturen, alle waren mir gegenüber sehr offen und freundlich. Es fiel mir nicht schwer, Kontakte zu knüpfen, denn ich wurde gleich am ersten Tag circa 30 Leuten vorgestellt. Es stellte sich als viel schwieriger heraus, die teilweise sehr ungewöhnlichen Namen zu behalten, um nicht jedes Mal nur stumm zu lächeln, wenn mich jemand gegrüßte. Jeden Morgen wurde ich um 5:45 Uhr geweckt und nach einer kurzen Dusche frühstückten wir, häufig im Stehen, denn wir waren immer spät dran. Im Gegensatz zu mir mussten Stacie und Shatasha jeden Morgen ihre Schulröcke, Krawatten und Strümpfe in Rot und Weiß anziehen. Dann fuhr uns mein Gastvater Stefan zur Schule, denn öffentliche Verkehrsmittel gab es kaum und Unfälle mit den klapprigen Taxis waren an der Tagesordnung. Einmal in der Woche gab es eine Schulversammlung, für die man sich in alphabetischer Reihenfolge aufstellen musste und einem Vortrag eines Lehrers zuhörte, der meistens von einem Auszug aus der Bibel handelte und mit einer moralischen Ansprache für uns Schüler endete. Dann begann der Unterricht, der in der Regel recht passiv ablief, mit Ausnahme von Biologie. Meist gingen wir ins Labor und untersuchten Pflanzen unter dem Mikroskop. Da keiner so richtig wusste, was wir tun sollten, wurde ich häufig mit Fragen gelöchert, sodass ich in diesem Fach viele Leute kennenlernte. Nach drei Schulstunden fand eine halbstündige Pause statt, in der ich meiner Gastschwester im „Tuckshop“, einer Art Pausenkiosk, aushalf. Allerdings hatte ich meine liebe Not mit dem namibischen Geld und die Schüler waren nicht sehr begeistert von meiner Arbeit. Doch auf diese Weise konnten wir uns die besten Snacks sichern.
Später am Nachmittag wurden verschiedene Aktivitäten wie Volleyball, Komitee-Treffen der 11. Klasse oder Schulveranstaltungen organisiert. Anders als in Deutschland mussten wir nur wenige Hausaufgaben machen, wodurch wir viel Freizeit hatten. Allerdings verbot uns meine Gastmutter, einfach draußen auf der Straße herumzuspazieren, weil das zu gefährlich sei. Deshalb mussten wir erst in eines der Einkaufszentren oder in die Innenstadt fahren, um etwas mit Freunden zu unternehmen. Wir verbrachten viele Nachmittage daheim und sahen fern, redeten oder tanzten und sangen und hatten viel Spaß. Außerdem unternahm ich Ausflüge mit den anderen Austauschschülern. Auf diese Weise hatte ich immer genug Ablenkung, wenn ich mich nach meinem Zuhause sehnte, denn vor dem Heimweh hatte ich am meisten Angst gehabt. Nur einmal wurde die Sehnsucht zu stark, doch nachdem ich mich bei meiner Mutter ausgeheult hatte, ging es wieder bergauf. Ich denke, jeder muss selbst herausfinden, was gegen das Heimweh hilft. Bei mir war es auf jeden Fall am besten, das Gefühl nicht zu verdrängen.
„Dort sah ich zum ersten Mal eine richtige Wüste, die Namib-Wüste“
Während meines Aufenthaltes nahm ich an verschiedenen Veranstaltungen und Unternehmungen teil. Gleich am ersten Wochenende stand die Miss Delta Wahl auf dem Programm – eine Art Talentwettbewerb, der von einem Komitee der 11. Klasse ausgerichtet wurde und bei dem ich mithelfen durfte. Die ganze Aula sollte dekoriert werden und es wurden mehrere Ehrengäste, darunter auch ein namibisches Topmodel, erwartet. Trotz mehrerer Stromausfälle war es ein überwältigender Abend und so erinnerungswürdig, dass das Veranstaltungsplakat nun gerahmt an meiner Zimmerwand hängt. Zu meinem Geburtstag wurde eine tolle Überraschungsparty organisiert. Meine Gastfamilie und einige ihrer Verwandten überreichten mir Geschenke und ich durfte zwei riesige Geburtstagstorten anschneiden. Während meiner zweiten Woche fuhren wir in den Geburtsort meiner Gastmutter und ihrer 19 Geschwister und übernachteten dort auf einer Farm. Die Nachbarn wohnten in 4m² großen Hütten aus Wellblech und Pappe. Dies war ein ziemlicher Gegensatz zu dem, was ich in Windhoek gesehen hatte. Am Sonntag wurde im Hof ein Schaf geschlachtet. Meine Gastmutter wollte mich testen und meinte, ich sollte dabei sein, schließlich sei das eine einmalige Erfahrung. Während also die Kleinkinder seelenruhig Ball spielten, sah ich zu, wie dem Tier die Beine abgerissen, das Fell abgezogen und es auch gleich ausgenommen wurde. Außerdem fuhr ich mit meiner Gastfamilie nach Swakopmund, einer Küstenstadt am Atlantik. Dort sah ich zum ersten Mal eine richtige Wüste, die Namib-Wüste. Wir kletterten auf die Düne 7 und konnten von oben auf der einen Seite den Atlantik und auf der anderen die endlose Wüste sehen. Ich saß sprachlos auf der Spitze, zum einen wegen der zunehmenden Menge Sand in meinem Mund, aber auch aufgrund des überwältigenden Gefühls von Freiheit dort oben.
„Am Wasserloch des Etosha Nationalparks beobachteten wir Elefanten, Löwen und Rhinozerosse“
Gegen Ende meines Aufenthaltes nahmen wir Austauschschüler an einer von unserer Organisation geplanten Safari teil. Zuerst beobachteten wir in Swakopmund vom Boot aus Wale, Delfine, Robben, Pelikane und Möwen. Dann fuhren weiter wir in Richtung Norden zum Cape Cross, wo der erste Segler, ein Portugiese, das südliche Afrika entdeckt hatte. Zudem hielt sich dort die größte Seehund-Kolonie der Welt auf: Wo man auch hinschaute, überall lagen Seehunde, die ein Blöken von sich gaben, das stark an Schafe erinnerte, dazu stank es überwältigend. Als unser Bus weiter auf Schotterpisten in die Kalahari-Wüste holperte, eröffnete sich uns eine bizarre Welt mit milchigen Seen und roten Sandbergen, auf denen japanische Touristen kletterten. Am Wasserloch des Etosha Nationalparks beobachteten wir Elefanten, Löwen und Rhinozerosse. Dann ging es weiter durch immer gleichbleibende Steppengebiete zum schwarzen Brandberg. Dort sahen wir uns Felsmalereien von San-Buschmännern an. Namibische Fremdenführer zeigten uns versteinerte Bäume, eine 1500 Jahre alte Pflanze, die Welwitschia Mirabilis, und ein traditionelles Himba-Dorf. Schließlich kamen wir zum Fuße des Waterberges, den wir auch bestiegen und dabei von kleinen, äußerst frechen Affen verfolgt wurden.
Es ist kaum möglich, alle meine Erfahrungen zusammenzufassen, weil ich so viele außergewöhnliche Dinge erlebt habe, die mir sehr viel bedeuten. Zu den besonderen Erinnerungen zählen auch die unglaublich unbequemen Autofahrten zu dritt auf der kleinen Rückbank, die wir immer laut singend und „Biltong“, sehr leckeres getrocknetes Fleisch, essend verbrachten. Teilweise durften wir auch auf der Ladefläche des Pick-ups mitfahren, bei Sonnenuntergang und mit der afrikanischen Luft als Fahrtwind im Gesicht.
Anna-Sophie Humer-Hager, 17, geht zurzeit in Forchheim in die 11. Klasse. Nach ihrem Abitur würde sie gerne für ein Jahr in die Welt ziehen, entweder möchte sie als Backpackerin nach Australien, für ein Freiwilligenprojekt nach Afrika, am liebsten nach Namibia, oder als Couchsurfer durch Europa reisen.
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