Meine Sprachreise nach Irland
„Nach dem Abi will ich unbedingt mal weg.“ Diesen Gedanken hatte ich schon seit Jahren. Konkreter sind meine Vorstellungen dann Anfang der zwölften Klasse geworden. Ich mag die englische Sprache sehr, deshalb sollte es in ein englischsprachiges Land gehen. Nordamerika und Australien konnte ich bald ausschließen. Neben den teuren Flügen war es mir auch einfach zu weit weg. Als ich mich daraufhin näher mit Großbritannien und Irland beschäftigte, faszinierte mich die kleinere grüne Insel
Ich informierte mich über verschiedene Möglichkeiten, einen Auslandsaufenthalt in Irland zu verbringen, und blieb schließlich an einer Sprachschule in Galway hängen. So würde ich gezielt an meinem Englisch arbeiten und gleichzeitig Irland kennenlernen können. Ähnliche Vorstellungen hatte auch eine Bekannte, Lena. Unsere Eltern sind befreundet, deshalb hatten wir uns schon ab und zu gesehen. Wir begannen, uns auszutauschen und meldeten uns schließlich für drei Monate an derselben Schule an. Nach den ersten Wochen fanden wir in einen Alltag. Vormittags fand normaler Englisch-Unterricht statt. Wir hatten ein Buch und vorgeschriebene Themen, aber die Atmosphäre war sehr locker. Wir waren meistens nicht mehr als zehn Schüler, deshalb unterhielten wir uns viel miteinander und erzählten von unserer Kultur zu Hause.
Im Herbst war das Sparen und Vorbereiten vorbei und es ging endlich los. Von München aus flogen wir nach Dublin. Dort stiegen wir in einen Bus, der uns nach Galway, an die Westküste Irlands brachte. Unsere Unterkunft war ein Zimmer in einer WG eines Studentenwohnheims. Wir waren sehr gespannt, mit wem wir uns für die nächsten Monate eine Wohnung teilen und auch, wie wir miteinander auskommen würden. Unser Mitbewohner stellte sich als Marco aus der Schweiz vor und wir verstanden uns von Anfang an gut. Der erste Schultag begann mit einem mündlichen Einstufungstest, nach dem wir unseren Levels zugeteilt wurden. Lena und ich kamen in die gleiche Klasse, setzten uns aber auseinander, damit wir nicht miteinander Deutsch reden konnten. Ich hatte einen netten, brasilianischen Sitznachbarn und lernte außerdem eine französischsprachige Schweizerin und einen Spanier kennen, die ebenfalls neu waren. Am Nachmittag nahmen wir an einer Stadtführung teil, die von der Schule für Neuankömmlinge organisiert wurde. Die Tour endete schließlich in einem spontanen Pub-Abend, bei dem wir uns mit Leuten aus verschiedensten Ländern anfreundeten. Wir erfuhren außerdem, dass viele davon im gleichen Wohnheim lebten und wir praktisch Nachbarn waren. Unser Lehrer war Ire und brachte uns neben Grammatikregeln auch andere wichtige Dinge bei. Zum Beispiel, dass nur schwarzer Tee richtiger Tee ist und in welchen Pubs man unbedingt gewesen sein muss.
Zum Mittagessen trafen wir uns mit anderen Schülern zum Sandwichessen und anschließend gab es Kurse, an denen man freiwillig teilnehmen konnte. Beispielsweise eine Stunde über irische Kultur, Aussprache-Training oder einen Buchclub. Außerdem wurde jeden Montag ein englischer Film gezeigt, den wir kein einziges Mal verpassten. Dabei hatten wir mit der zuständigen Angestellten der Schule viel Spaß. Jeden Freitag fand zudem ein Test über den Stoff der Woche statt. Anfangs war ich nervös deswegen, aber wir wurden gut darauf vorbereitet und das Ergebnis war mehr für uns selbst zur richtigen Einschätzung. Während es in der Schule gut lief, wir einen tollen Lehrer und Klassenkameraden hatten, gab es mit der Wohnung leider bald Probleme. Das Fenster in unserem Zimmer ließ sich nicht komplett schließen und es wurde immer kälter. Die gemeinsame Waschmaschine gab den Geist auf und nachts flog eine Zeit lang regelmäßig die Sicherung heraus, sodass alles im Gefrierfach auftaute. Stück für Stück bekamen wir zum Glück Hilfe und es wurden Geschichten daraus, über die wir mit Marco und den Nachbarn lachen konnten. Nach etwa drei Wochen hatte ich das schlimmste Heimweh überwunden und war nur traurig, dass ich die Geburtstage meines Bruders und meiner Mutter nicht mitfeiern konnte. Ablenkung und überraschendes Schulfrei bekamen wir Mitte Oktober, als Hurrikan Ophelia auf Irland traf. Von den landesweiten roten Wetterwarnungen lasen wir am Tag vorher. Beim Abendessen mit Marco machten wir noch Witze, wie es uns auf dem Schulweg wegwehen würde. Als die Wettervorhersagen aber immer dramatischer wurden, Geschäfte ankündigten, geschlossen zu bleiben, und der öffentliche Transport stillgelegt wurde, fragten wir uns, ob überhaupt Unterricht stattfinden könnte. Am nächsten Morgen bekamen wir dann die Nachricht, dass auch unsere Schule nicht öffnen würde. Weil durchgehend gewarnt wurde, die Häuser nicht zu verlassen, verbrachten wir den Tag damit, Muffins zu backen, aus dem Fenster zu sehen und die Nachrichten zu verfolgen.
„Die weite Landschaft mit großen Seen war sehr beeindruckend“
An den Wochenenden planten wir, so viel wie möglich zu sehen und zu unternehmen. So war ich zum ersten Mal bei einem Hunderennen und einem Rugbyspiel. Obwohl der Spanier aus unserer Klasse dabei war und mir die Regeln erklärte, verstehe ich das Spiel bis heute nicht ganz. Mehr Freude hatte ich beim Irish Dancing. Es sah von außen bestimmt komisch aus, wie wir durch den Raum hopsten, aber es machte richtig Spaß. Bei unserem Trainer sah es so leicht aus, wir dagegen mussten alles geben, um die Beine nur halb so schnell bewegen zu können. Am Ende konnten wir die Schritte aber alle und wollten gar nicht mehr aufhören. Unser erster Tagesausflug ging nach Connemara, ein Gebiet im Westen Irlands. Die weite Landschaft mit großen Seen war sehr beeindruckend. Wir sahen eine alte Ruine und viele Schafe. Davon gibt es dort wesentlich mehr als Menschen. Außerdem konnten wir – wie schon öfter – das typisch irische Wetter erleben. Es änderte sich jede Viertelstunde und von strahlendem Sonnenschein bis zum Hagel war alles dabei. Dafür habe ich auch noch nie so viele Regenbögen wie in Irland gesehen. Wenn dann noch die Sonne zwischen der Wolkendecke herausbrach, war das schon ein besonderer Anblick. Man musste nur auf alles gefasst sein und nach dem Motto „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung“ leben.
Ein aufregendes Wochenende hatten wir auch, als wir zu siebt beschlossen, nach Nordirland zu fahren. Am Freitag trafen wir uns nach dem Unterricht an der Haltestelle. Eine direkte Verbindung nach Belfast gab es nicht, deshalb mussten wir erst drei Stunden quer durch Irland reisen, um von Dublin aus einen Bus in den Norden zu nehmen. Leider war der Verkehr so dicht, dass wir zu spät in der irischen Hauptstadt ankamen und den Anschluss verpassten. Nach einer kurzen gemeinsamen Panik fanden wir allerdings einen freundlichen Busfahrer, der uns eine Stunde später trotz ungültiger Tickets mitnahm. Ziemlich müde kamen wir nachts im Hostel an und mussten in unser Zimmer schleichen, weil dort schon jemand schlief. Den nächsten Tag verbrachten wir mit einer Bustour, die uns zu einer abenteuerlichen Hängebrücke und schließlich zum Giant‘s Causeway brachte. Die sechseckigen Basaltsäulen während des Sonnenuntergangs zu sehen, zähle ich zu den besten Momenten meines Auslandsaufenthalts. Im Wohnheim in Galway kannten wir mittlerweile alle Bewohner unseres Stockwerks. Zuerst ab und zu, später mehrmals pro Woche, trafen wir uns abends alle in einem Apartment. Es gab viel zu Essen und zu Lachen, gemeinsame Spieleabende, und wenn Marco seine Gitarre holte, wurde laut gesungen. Wir luden Mitschüler aus Gastfamilien ein und sammelten Stühle und Tische aus allen Wohnungen, um für jeden einen Platz zu haben. Weil besonders viele Schweizer unter uns waren, feierten wir einmal sogar eine Schokofondue-Party mit echter Schweizer „Schoggi“, die freundliche Eltern geschickt hatten. Bei diesen Treffen lernte ich nicht nur Englisch, sondern auch französische Zungenbrecher, italienische Zahlen und wie man auf Spanisch nach der Toilette fragt. Nach sechs Wochen ging es leider damit los, dass wir uns von einigen der Leute verabschieden mussten, die ich wirklich mochte. Unser Kreis wurde kleiner. Das war schade, aber dadurch unternahmen wir auch mehr mit den Leuten, die blieben, und lernten uns besser kennen als in einer großen Gruppe. Ich verstand mich sehr gut mit Alice, einer Italienerin. Wir machten zusammen Ausflüge nach Connemara und Limerick, trafen uns jeden Tag zum Mittagessen und gingen montags zum Film in der Schule.
„Der Großteil unserer Klasse bestand aus Brasilianern“
In der Vorweihnachtszeit wurden die Klassen immer kleiner und wir wurden schließlich mit Schülern desselben Levels zusammengelegt. Der Großteil unserer Klasse bestand aus Brasilianern, die nach Irland ausgewandert waren und für die Weihnachtszeit nicht nach Hause flogen. In den Pausen lernten wir seltsame portugiesische Slang-Wörter, während wir erklären sollten, wie man dieses deutsche „ch“ eigentlich ausspricht. Ich bekam auch eine Beschreibung, wie ich den brasilianischen Supermarkt in Galway finde. Das freute mich besonders, weil ich es liebe, Süßigkeiten aus anderen Ländern zu probieren. So aß ich zum ersten Mal „Goiabada“, das von der Konsistenz an festere Marmelade erinnert und aus der Guave-Frucht hergestellt wird. Ich hätte nie gedacht, dass ich in Irland so viel über Brasilien lernen kann. Am letzten Schultag veranstalteten die Lehrer ein großes Weihnachts-Quiz. Es gab „Mince Pies“, ein kleines Gebäck mit einer Füllung aus Früchten und Nüssen, Punsch, und viele Fragen rund um das Thema Weihnachten. Gespielt wurde in Teams und ich schaffte es mit Lena und zwei brasilianischen Mädchen auf den zweiten Platz. Als Gewinn bekamen wir Schokolade und sogar einen Gutschein für das Café nebenan. Weil es die letzte Gelegenheit war, lösten wir diesen gleich anschließend zum Mittagessen ein. Es war ein komisches Gefühl, sich von seinen Klassenkameraden zu verabschieden und nicht „Bis Montag!“ sagen zu können. Weil viele einen Tag vor uns abreisten, hatten wir den letzten gemeinsamen Pub-Besuch schon gefeiert und verbrachten den letzten Abend mit Packen, Putzen und einem Film. Unser Abreisetag war schneller gekommen als gedacht, aber ich freute mich auch auf meine Familie und Freunde in Augsburg. Wir fuhren im Bus zusammen mit Alice zum Flughafen und trafen dort noch zwei weitere Italiener aus der Schule. Gemeinsam warteten wir und zögerten den Abschied so lange hinaus, bis wirklich jeder zu seinem Gate musste. Wir wünschten uns auf Irisch „Nollaig Shona Dhuit“, also frohe Weihnachten, wie wir es gelernt hatten, und ich war einfach glücklich, dass ich so viel erlebt hatte.
Julia Klingauf, 19, ist seit einiger Zeit Mitglied der Jugend-Redaktion der Augsburger Allgemeinen und studiert an der Hochschule Ansbach Medien.
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