Sprachschüler in Damaskus
NOUR TRITT VOR IHRE NEUE KLASSE UND STRAHLT DIE SPRACHSCHÜLER AN, DIE SIE NUN FÜR DIE NÄCHSTEN VIER WOCHEN IN „FUSHA“, DEM HOCHARABISCHEN, UNTERRICHTEN WIRD. MUNTER HÜPFT SIE DURCH DAS KLASSENZIMMER UND RUFT IMMER WIEDER „SABAH AL KHER“ – „GUTEN MORGEN“ UND „SALAM ALIKUM“ – „FRIEDE SEI MIT EUCH“, BIS SIE UNISONO DIE DARAUF PASSENDEN ANTWORTEN ERHÄLT UND DIE GRUPPE AUS ALLER WELT LANGSAM WACH IST.
Nour erklärt, wie sie sich den Unterricht vorstellt. Sie mag hart arbeitende Schüler. Wer zu spät kommt oder keine Hausaufgaben macht, muss zehn Syrische Lira, circa 15 Cent, in ihre kleine Kasse zahlen; sie hält sie klimpernd hoch. Reich will sie werden, einen Mercedes kaufen, das Geld aus der kleinen bunten Kasse soll ihr dabei helfen. „Made in Germany“ ist in Syrien hoch geschätzt. Wenn sie „weeii“ ruft, muss von der Klasse ein „hooo“ als Antwort folgen, so will sie sich die ungeteilte Aufmerksamkeit sichern. Sie sagt es mit einem so strahlenden Gesicht, dass niemand auf die Idee käme, es ihr auszuschlagen.
Vor zwei Wochen bin ich in Damaskus angekommen. Ein Sprachkurs an der Universität soll mir die so elegant von rechts nach links schwingende Schrift näherbringen. Schon morgens auf dem Weg zum Unterricht ist die Hitze erdrückend, ich kann mich nur in Zeitlupe bewegen. Die etwa 1,8 Millionen Einwohner der syrischen Hauptstadt scheinen sich alle gleichzeitig auf den Straßen zu bewegen. Gelbe Taxis bahnen sich hupend einen Weg quer über die sechsspurige Fahrbahn. Ein ohrenbetäubendes Hupkonzert antwortet ihnen. Am Straßenrand stehende Passagiere springen im letzten Moment beiseite, andere springen auf losfahrende Busse auf. Minibusse kommen abrupt vor Passagieren zu stehen und saugen sie in Sekundenschnelle in ihr Inneres. Ich beeile mich, einen dieser Busse zu erwischen und mich hinzusetzen, bevor er mit einem Ruck wieder anfährt. Es bleibt keine Zeit, die Schiebetür zu schließen, bevor sich der Wagen in Bewegung setzt. Mit einem kräftigen Tritt auf die Bremse lässt der Fahrer kurze Zeit später die Tür ins Schloss sausen. Hinter uns wieder wildes Hupen.
Auf dem Campus angekommen, hole ich mir am Kiosk im Keller noch schnell einen starken arabischen „qahwa“ – in der syrischen Umgangssprache wird der Kaffee „ahwa“ genannt. Ein Segen, den ersten Buchstaben weglassen zu dürfen, denn der ist für Nicht-Muttersprachler schwer auszusprechen. Gerade noch rechtzeitig zum „weeii“ schlüpfe ich in das klimatisierte Klassenzimmer und bin gespannt darauf, was wir heute lernen. Wir, das sind Kursteilnehmer von überall her: Pakistan, Norwegen, Italien, Spanien, USA, Griechenland, England, Frankreich, Deutschland, Russland und Australien. Jeder ist aus anderen Gründen hier und alle sind sehr nett und schon viel in der Welt herumgekommen. Alle Augen sind aufmerksam nach vorne auf die junge Frau gerichtet, die so viel Herzlichkeit, Frohsinn und eine große Zufriedenheit mit ihrem Leben ausstrahlt. Ihre leuchtend himbeerfarbene Körperbedeckung trägt sie über Jeans, dazu Turnschuhe. Außer ihren Händen ist kein Stück Haut zu sehen. Sie bedeckt ihr Haar mit einem weißen Kopftuch, das ihr schönes Gesicht noch deutlicher zur Geltung bringt. Eine moderne Sonnenbrille ist geschickt auf dem Kopftuch festgesteckt. Sie hat ein Gesicht wie der Mond, sagt man auf Arabisch, eines der schönsten Komplimente. Im Deutschen zählt „Mondgesicht“ wohl eher nicht zu den Koseworten.
„Manche der Obst- und Gemüsesorten kenne ich nicht“
Heute lernen wir Vokabeln für das Einkaufen auf dem Markt. Nour hat kleine Obstmagneten und Bilder mitgebracht, denn bei einigen komplizierten Sorten reicht ihr Englisch nicht aus, um uns zu erklären, um was es sich handelt. Manche der Obst- und Gemüsesorten kenne ich nicht. Auf dem Markt habe ich rosa-weiß marmorierte Bohnen entdeckt, die aus einer gleichfarbigen Schale herausgeschält werden und roh ein bisschen wie frische Erbsen schmecken. Morgens, noch bevor sich die Hitze des Tages über die Straßen legt, versammeln sich die syrischen Bauern in der Nähe meines Hauses. Unter einem großen Wellblechdach am Straßenrand bauen sie ihr erntefrisches Obst und Gemüse auf. Jeden Morgen, wenn ich auf dem Weg zu meiner Haltestelle dort vorbeigehe, bieten die Bauern mir an, bei den leuchtend roten Tomaten, den saftigen Pfirsichen und den nach frischer Erde riechenden Zucchini zuzugreifen. „Bitte ein Kilo Tomaten, ein halbes Kilo Gurken und anderthalb Kilo Pfirsiche. Wie viel macht das?“ Nach einiger Zeit des imaginären Begutachtens und Feilschens macht sich bei allen in der Klasse der Hunger bemerkbar und wir sehnen die Pause herbei, um etwas zu essen. Wie wird es da wohl Nour gehen, die jetzt mit Beginn des islamischen Fastenmonats Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nichts essen und nichts trinken darf?
„Endlich wird er ertönen, der Rufgesang der Imame“
Nach einem heißen, endlos erscheinenden Tag werden die muslimischen Familien heute Abend in ihren Häusern beisammensitzen und sehnsüchtig auf das Zeichen warten, das ihnen bedeutet, mit dem Essen und Trinken zu beginnen. Sie warten darauf, das vor ihnen stehende Wasser die trockene Kehle hinunterlaufen zu lassen, die Süße der zäh-klebrigen Datteln auf der Zunge zu spüren, die saftigen Salatblätter zu zerkauen und die Würze des gebratenen Hähnchens zu schmecken. Endlich wird er ertönen, der Rufgesang der Imame, der von den Minaretten der Moscheen unüberhörbar durch die Viertel der ganzen Stadt getragen wird. Wenn die Imame verstummen, wird sich Stille über die Straßen legen. Die Läden sind dann bereits geschlossen, es werden kaum noch Leute auf den Straßen anzutreffen sein. In allen Wohnungen wird Licht brennen und die Familien werden sich dem hingeben, was vor ihnen steht.
„Weeii“ – Zeit, weiterzumachen. „Hooo“ – Jeder trabt nach der Pause fröhlich wieder auf seinen Platz, beladen mit eisgekühlter Limonade, Kaffee und „saj“, dünnen salzigen, mit Tomaten belegten Fladen, die wunderbare Käsefäden ziehen, wenn man ein Stück abreißt. Nour ist nicht anzumerken, dass sie vermutlich ebenfalls hungrig ist, konzentriert wie immer korrigiert sie unsere Aussprache und übt Dialoge mit uns. Einige Teilnehmer kommen verspätet aus der Pause zurück und Nour klingelt sofort mit der kleinen bunten Kasse. „Hast Du Geschwister? Bist Du ledig?“ Zögerlich leise kommen die ersten Antworten, noch verunsichert von dem fremdartigen Klang, den Rachen, Gaumen und Zunge produzieren sollen. „Lauter“, bittet Nour und zeigt lachend auf ihr Kopftuch, die „hijab“. „Meine Ohren sind bedeckt, ich kann nichts hören“, sagt sie. Persönliche Fragen wie die nach dem Familienstand sind in den arabischen Ländern keineswegs zu persönlich, sodass wir uns nun quer durch den Raum gegenseitig fragen und beantworten, ob wir ledig oder verheiratet sind. Die ganze Klasse ist ledig. Mit einem verschmitzten Lachen erzählt Nour, dass sie mit ihren 27 Jahren ebenfalls noch nicht verheiratet und glücklich darüber ist. Man sieht ihr an, dass sie noch viele Pläne hat, bevor sie heiratet.
„Sie steckt es routiniert unter dem Kopftuch fest“
In der nächsten Pause scharen sich einige Sprachschüler um eine Karte von Damaskus und diskutieren, wie man zum Einkaufszentrum kommt. Es hat sich herumgesprochen, dass es dort im Erdgeschoss einen Supermarkt gibt, der auch Müsli, Vollkornbrot und andere westliche Produkte bereithält. Es gibt keine Bushaltestellen und keine Fahrpläne, man muss genau wissen, wo man in welches Fahrzeug einsteigt und wo man es anzuhalten bittet. Nour wird hinzugezogen, sie versucht uns den Weg verständlich zu erklären. Ihr Mobiltelefon klingelt, ein aufklappbares Nokia. Sie steckt es routiniert unter dem Kopftuch fest und benutzt es so als Freisprechanlage. Geschäftig rennt sie dabei umher und spricht in der Schnelligkeit, die nur die eigene Sprache zulässt. Als sie die erstaunten Blicke einiger Studenten wahrnimmt, lacht sie und sagt, die „hijab“ sei einfach sehr praktisch. Sie hat sich erst vor vier Jahren dazu entschieden, sie zu tragen, einige ihrer Freundinnen tragen sie nicht. Nour löst das Durcheinander im Klassenzimmer mit einem „weeii“ auf; ein diesmal etwas müdes „hooo“ zeigt, dass wir für die letzte der vier Stunden bereit sind.
„An der Hauptstraße stehen die Autos wie wütend schnaubende Bullen hinter der Ampellinie“
Gegen 13 Uhr schleiche ich schließlich in der bleiernen Mittagshitze nach Hause. An der Hauptstraße stehen die Autos wie wütend schnaubende Bullen hinter der Ampellinie. Sie werden scheinbar nur von einem unsichtbaren Bindfaden zurückgehalten und warten röhrend und hupend auf Grün. Wenn ich selbst während der Rotphase wartend an einer Ampel stehe, hebe ich prüfend meine Füße an, nur um sicherzugehen, dass das Gummi meiner Flip Flops nicht mit dem Teer verschmilzt. Zu Hause angekommen, ziehe ich mit einer Hand die Schuhe aus und schalte gleichzeitig mit der anderen die Klimaanlage an. Meine Kleidung wandert vollständig in die Wäsche und innere Ruhe kehrt erst ein, als das kalte Duschwasser auf meiner Haut verdampft.
Abschlussprüfung. Vier lernintensive Wochen sind vergangen, unsere Schwingungen sind schneller und schon etwas weniger krakelig geworden, die Aussprache der komplizierten Laute etwas näher am Original. 28 Buchstaben, die sich in ihrer Schreibweise verändern, je nachdem, ob der Buchstabe am Anfang, in der Mitte oder am Ende des Wortes steht. Nour geht durch die Reihen und legt jedem von uns syrische Schokoladen-Brownies neben die Prüfungsblätter. Die hat sie von dem Geld in der kleinen Kasse gekauft – der Mercedes wird wohl noch warten müssen.
Sonja Steiner, 33, hat für ein kleines arabisches Familienunternehmen in Damaskus gearbeitet und in Vorbereitung darauf am Sprachkurs teilgenommen. Mittlerweile ist sie als Program Manager für einen Logistikkonzern in Frankfurt am Main tätig. Das Schreiben ist ihr Hobby und ihr Traum ist es, eines Tages einmal einen Roman zu veröffentlichen.
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