Als „Silver Fox“ in South Carolina

Lehrreich, fremd und unvergesslich – Schüleraustausch in den USA

weltweiser · Schülerin mit Maskottchen
  • GESCHRIEBEN VON: MARTINA SCHRAFF
  • LAND: USA
  • AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 6 / 2016, S. 10-12

Das erste Mal kam mir die Idee, ein High-School-Jahr in den USA zu verbringen, als ich Broschüren  darüber in unserer Stadtbibliothek sah. Beim Durchblättern dachte ich mir: „Das muss toll sein, diese Jugendlichen scheinen so viel zu erleben!“ Daraufhin spielte ich ein paar Jahre lang mit dem Gedanken, selbst für ein Jahr auf eine High School zu gehen.

Doch ich war mir unsicher und hatte Bedenken wegen meiner schulischen Leistungen und meiner Freunde. Trotzdem – der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Daher besuchte ich die JugendBildungsmesse in München. Nach einer  umfassenden Beratung, Erfahrungsberichten aus erster Hand und jeder Menge Kataloge im Arm war mir klar: Ich wollte einen Schüleraustausch machen. Diese Chance hatte ich nur einmal in meinem Leben. Jetzt oder nie. Am nächsten Tag schrieb ich meine erste Bewerbung. Die folgenden Wochen und Monate waren geprägt von einer Menge Interviews bei verschiedenen Organisationen. Als ich mich für eine Agentur entschieden hatte, ging es weiter mit meiner Bewerbungsmappe. Diese wollte ich natürlich besonders gut machen, um meine Chancen auf eine tolle Gastfamilie zu erhöhen. Jetzt hieß es warten. Jeden Tag war ich die Erste am Briefkasten, wenn der Postbote kam. Beim Vorbereitungstreffen meiner Organisation hatte ich noch immer keine Familie und wurde langsam aufgeregt. Die Betreuer versicherten uns zwar, dass der Großteil der Schüler erst später platziert werden würde, doch die Spannung stieg trotzdem.

Nachdem ich mein Visum beantragt hatte, flatterte dann ein weiterer Brief ins Haus. Ich dachte mir: „Ich habe bereits mein Visum und alle anderen Informationen erhalten. Das kann nur der Brief zur Gastfamilie sein!“ Das war er auch, und somit stand fest – ich ging nach South Carolina. Nun stiegen Aufregung und Vorfreude stetig, da mein Traum vom High-School-Jahr bald Wirklichkeit werden würde. Kurz vor meiner Abreise organisierten meine Eltern eine Abschiedsfeier mit meinen Freunden für mich, und auch von meinen Verwandten verabschiedete ich mich mit einer Besuchstour. Schließlich war es so weit: In 6.556km, acht Stunden und 52 Minuten würde ich zum ersten Mal amerikanischen Boden betreten. Meine Organisation bot die Möglichkeit an, gleich nach der Ankunft in den USA Washington D.C. zu besuchen und danach zur Gastfamilie weiterzureisen. Dieses Angebot nahm ich an, denn ich hatte diese tolle Stadt schon so oft in den Nachrichten gesehen und wollte das Weiße Haus auch einmal mit eigenen Augen betrachten. Nach dem Besuch in Washington flog ich weiter zu meiner Gastfamilie. Diese empfing mich mit Amerikaballons am Flughafen. Nach vielen Umarmungen ging es in mein neues Zuhause – allerdings nicht, ohne auf dem Weg noch kurz durch einen „Drive-Thru“ zu fahren und Milchshakes für alle zu bestellen. Dann hatte ich erst einmal Zeit, um auszupacken und anzukommen. Ich gab jedem Familienmitglied ein Gastgeschenk und bekam eine kleine Hausführung. Am nächsten Tag hatte ich Geburtstag. Es gab Kuchen und Geschenke, außerdem gingen wir zu Starbucks und erkundeten South Carolinas Hauptstadt Columbia.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Die ganze erste Woche war sehr ereignisreich. Ich wählte meine neuen Schulfächer und trat dem Schwimmteam bei, das bereits im Sommer anfing, für die Herbstsaison zu trainieren. Ich kann nur jedem Austauschschüler raten: Seid von Anfang an aktiv und bringt euch ein. Dann kommen Gefühle wie Heimweh nämlich gar nicht erst auf. Bald fing dann auch die Schule an. Am Anfang war ich sehr beeindruckt von der Präsenz der Schulfarben, des Maskottchens und vom „High School Spirit“ im Allgemeinen. Jeder, so schien es, trug T-Shirts mit dem „Dutch Fork Silver Fox“ darauf. Am ersten Schultag verlief ich mich noch das ein oder andere Mal in dem Gebäude, da meine Schule mit mehr als 2.000 Schülern recht groß war. Doch schon nach kurzer Zeit kannte ich die Wege von Klassenzimmer zu Klassenzimmer, zur Cafeteria und zur Bushaltestelle. Da ich in fast jeder Klasse unterschiedliche Mitschüler hatte, war es überhaupt kein Problem, Freunde zu finden. Am Anfang unterschätzte ich jedoch die Kraft der Klimaanlagen und fror manchmal den ganzen Tag. Der Unterricht gefiel mir sehr gut. Da jeder Lehrer sein eigenes Klassenzimmer hatte, gingen wir Schüler von Lehrer zu Lehrer. Die Klassenzimmer waren immer sehr schön dekoriert. Meine Englischlehrerin hatte beispielsweise Poster von Shakespeare und Hemingway und in meinem Theaterraum hingen zahlreiche Bilder bisheriger Aufführungen an den Wänden. Das Fächerangebot war enorm und die Schüler konnten schon sehr früh nach ihren Interessen wählen. Egal, ob Kindererziehung, Ingenieurswesen oder Orchester, es war für jeden etwas dabei.

„Für meine Mitschüler war die Vorstellung, dass ich aus Europa komme, sehr faszinierend“

Die Lehrer mussten der Schulleitung per Computer die Anwesenheit der Schüler mitteilen, da alle unterschiedliche Stundenpläne hatten und das Schwänzen ansonsten nicht aufgefallen wäre. Wenn ein Schüler zu spät zur Stunde kam, erhielt er einen sogenannten „Tardy“ – wer zu viele hatte, musste nachsitzen. Sehr ungewohnt für mich waren die Pässe, die man sich jedes Mal schreiben lassen musste, wenn man das Klassenzimmer verließ, um auf die Toilette oder zum Sekretariat zu gehen. Die anfängliche Angst, im englischsprachigen Unterricht nicht mitzukommen, legte sich schnell. Der behandelte Stoff war insgesamt deutlich einfacher, als ich es aus Deutschland gewohnt war. Viele Tests bestanden aus Multiple-Choice-Fragen und wir durften Notizen und das Internet zu Hilfe nehmen. Zum Schuljahresbeginn bekam jeder Schüler sein eigenes iPad. Somit konnten Hausaufgaben und Klassenarbeiten auf dem iPad geschrieben werden und dem Lehrer per App eingereicht werden. Da so viel des täglichen Lebens an der Schule stattfand, traf ich meine Mitschüler überall: bei Footballspielen, in Clubs, beim Sport. Für viele meiner Mitschüler war die Vorstellung, dass ich aus Europa komme, sehr faszinierend. Ständig musste ich etwas auf Deutsch sagen. Wenn ich dann zum Beispiel „ich heiße Martina und komme aus Deutschland“ sagte, waren sie begeistert: „That sounds so cool!“ Eine meiner Mitschülerinnen konnte sich überhaupt nicht vorstellen, dass ich deutschsprachig aufgewachsen war und Englisch als Zweitsprache gelernt hatte – und sie dennoch verstehen konnte. Sie dachte lange Zeit, ich würde zu Hause auch nur Englisch reden.

„Come in, Martina, you’re part of the family now, too!“

An Weihnachten fuhren meine Gastfamilie und ich zu deren Verwandten in Wisconsin – die Fahrt dauerte 17 Stunden! Meine Gastoma begrüßte mich mit den Worten: „Come in, Martina, you’re part of the family now, too!“ Weihnachten war eine besonders schöne Zeit für mich, da die ganze Familie zusammenkam und fast zwei Wochen miteinander verbrachte. Natürlich fehlte mir meine deutsche Familie auch sehr. Doch die Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit meiner amerikanischen Familie ließen mich Anflüge von Heimweh sehr schnell vergessen. Nach Weihnachten hatte ich die Möglichkeit, mit meiner Organisation einige schöne Reisen zu unternehmen. Die Gruppe bestand aus circa 50 Austauschschülern aus ganz Amerika. Wir alle hatten ähnliche Erfahrungen gemacht und es tat sehr gut, sich auszutauschen. Ich reiste nach Orlando zu Disneyworld. Dort wurde ich wieder richtig zum Kind – ein Foto mit Mickey und Minnie Mouse durfte natürlich nicht fehlen. Außerdem verschlug es mich an die Westküste, genauer gesagt nach Kalifornien. Ich besichtigte die wunderschönen Städte Los Angeles und San Francisco. Es war einfach toll, all die Sehenswürdigkeiten zu besuchen, die ich schon so oft in Filmen gesehen hatte.

„Die letzte Zeit war zugleich die schönste für mich“

Als an unserer Schule Frühlingssportarten angeboten wurden, ging ich zu den „Cheerleading Tryouts“ beim Basketball. Ich freute mich sehr, als ich ins Team der Cheerleader aufgenommen wurde. Allerdings war es sehr schwierig, neben dem Sport noch zusätzlich die Clubtreffen wahrzunehmen. Am Anfang des Schuljahres hatte ich mich nämlich für alle möglichen Clubs angemeldet, da ich mich für so vieles interessierte. Doch die Clubtreffen und das Training überschnitten sich zeitlich oft, daher musste ich mich jedes Mal entscheiden, was ich lieber machte. Dies fiel mir sehr schwer, und bald wurde mir alles zu viel. Ich hatte das Gefühl, keiner Sache gerecht zu werden. Ich redete mit meinen Gasteltern darüber und sie rieten mir, mich entweder auf den Sport oder die Clubs zu konzentrieren, da ich beides zeitlich gar nicht vereinbaren konnte. Nachdem ich diesen Ratschlag umgesetzt hatte, ging es mir deutlich besser. Das Schuljahr neigte sich schon langsam dem Ende zu. Die letzte Zeit war zugleich die schönste für mich, da ich viele enge Freunde gefunden und mich eingelebt hatte. Außerdem fanden an der Schule Events wie der Abschlussball, die „Prom“, statt, die ich nie vergessen werde. Mittlerweile war ich ein richtiger „Silver Fox“ und wollte gar nicht mehr weggehen. Die letzten Wochen vergingen auf einmal unglaublich schnell. Dann stand der letzte Schultag vor der Tür und das hieß vor allem eines: Abschied nehmen.

Mein Gastvater hatte eine kleine Überraschung für mich parat. Er organisierte eine Abschiedsfeier mit meinen besten Freunden, die sehr schön war. An meinem letzten Wochenende ging ich mit meiner Gastfamilie essen, um noch einmal für South Carolina typische Gerichte mit Meeresfrüchten wie „Shrimp and Grits“ und „Crab Cakes“ zu genießen. Schließlich kam der Tag der Abreise. Nun konnte ich die Tränen einfach nicht mehr zurückhalten. Nach zehn Monaten musste ich mich von meiner amerikanischen Familie verabschieden, die ich so lieb gewonnen hatte. Der Abschied am Flughafen fiel mir sehr schwer, doch meine Gastfamilie versicherte mir, dass wir auf jeden Fall den Kontakt halten würden. Bei meiner Ankunft am heimischen Flughafen empfingen mich meine Familie, Freunde und Verwandte mit Deutschlandfahnen. Später gab es dann erst einmal Weißwürste mit Brezeln. Ich hätte eigentlich hundemüde sein müssen, doch vor lauter Freude und Adrenalin war ich hellwach. Ich konnte es noch gar nicht glauben, wieder in Deutschland zu sein. Rückblickend bin ich unglaublich froh, mich für das High-School-Jahr entschieden zu haben, trotz der Zweifel zu Beginn. Ich habe mich sehr stark weiterentwickelt und bin in meiner Persönlichkeit gewachsen. All diese Erfahrungen kann mir kein Mensch mehr nehmen, und ich werde mein ganzes Leben noch von ihnen erzählen und profitieren.

Martina Schraff, 19, besucht das Wirtschaftsgymnasium in Friedrichshafen am Bodensee und möchte nach ihrem Abitur International Business studieren.

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