Wenn dein Rucksack nach Kimchi riecht

Auslandssemester in Taiwan

GESCHRIEBEN VON: KIRA HOFFMANN
LAND: TAIWAN
AUFENTHALTSDAUER: 6 MONATE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
NR. 10 / 2020, S. 59-60

Wenn dein Rucksack nach Kimchi riecht, das du von der Großmutter deiner taiwanesischen Freundin bekommen hast, und dir beim Auspacken nach einem Wochenendausflug in die Berge Taiwans ein Pineapple Cake entgegenfällt, dann bist du so richtig in Taiwan angekommen!

Die erste Woche verging im Flug, dann der ganze erste Monat, und sogar das darauffolgende halbe Jahr. Ein Grund dafür sind sicherlich die aufregenden und horizonterweiternden Erfahrungen während meines Aufenthaltes in Taiwan. Ein weiterer ist außerdem die lange Vorfreude auf das Auslandssemester, beginnend ab dem Zeitpunkt, an dem ich die endgültige Zusage von meiner Hochschule und der Gasthochschule bekam. Ich weiß noch genau, wie sehr ich mich auf Taipeh, auf ein dortiges Wiedersehen mit Freunden, auf die Uni und das Reisen freute. Vor und während meines Auslandsaufenthaltes wurde ich immer wieder gefragt: „Wie kamst du auf Taiwan?“ Letztendlich war es Glück und inzwischen fühlt es sich auch ein wenig wie Schicksal an. Als ich in meine Wohngemeinschaft in Konstanz zog, um in das erste Semester meines Soziologiestudiums zu starten, lernte ich meine Mitbewohnerin aus Taiwan kennen. Aus dem Kennenlernen wurden Unternehmungen, Ausflüge, lange Gespräche beim gemeinsamen Kochen von deutschen und taiwanesischen Gerichten und letztendlich sitze ich wegen meiner damaligen Mitbewohnerin nun hier, schreibe meinen Erfahrungsbericht und blicke zurück auf ein Semester voller unglaublich toller Erfahrungen.

Meine Heimathochschule, die Universität Konstanz, war sehr hilfreich und die Bewerbung für den Aufenthalt an der National Taiwan University (NTU) bestand aus Application Form, Lebenslauf, Studienvorhaben, Transcript of Records, aktueller Kursliste, Gutachten sowie einem Sprachnachweis. Darauf folgte ein mündliches Auswahlgespräch vor einem Ausschuss. Nach der Zusage meiner Heimatuniversität folgte die Bewerbung an der NTU. Hierzu musste ein Motivationsschreiben sowie der Scan des Ausweises und das Transcript of Records hochgeladen werden. Nach der Zusage der NTU wurden noch ein paar Dokumente als Scan angefordert, unter anderem der Nachweis über eine Kranken- und Unfallversicherung sowie das Resultat einer Gesundheitsprüfung bei einem Arzt. Gleichzeitig bewarb ich mich um das Baden-Württemberg-Stipendium mit meinem Lebenslauf, dem Notennachweis und einem Begründungs- und Motivationsschreiben. Der Bewerbungsprozess war wirklich aufwändiger als gedacht – aber es hat sich allemal gelohnt!

Neues Schloss in Stuttgart
20. April
Stuttgart
Eschbach Gymnasium
10 bis 16 Uhr
junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
21. April
Online
Wherever you are
17 bis 19 Uhr
junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
25. April
Online
Wherever you are
18 bis 20 Uhr
Großer Wannsee in Berlin
27. April
Berlin
Dreilinden-Gymnasium
10 bis 16 Uhr

Ich habe Taiwan sicherlich auf eine ganz besondere Weise kennenlernen dürfen. Ich konnte nicht nur Erfahrungen und Reisen zusammen mit anderen Austauschstudenten machen, sondern außerdem die taiwanesische Kultur aus Sicht der Einheimischen kennenlernen. Ein einprägsames Erlebnis war dabei eine fünfstündige Zeremonie in einem daoistischen Tempel zusammen mit der Familie einer taiwanesischen Freundin. Die Menschen tanzten im Gespräch mit Gott, als seien sie in Trance und zwischen den Welten. Das war wirklich eine ganz besondere Erfahrung. Als ich zu dieser taiwanesischen Freundin und ihrer Familie über das Chinesische Neujahr zu Besuch kam, erwartete mich noch ein weiteres Abenteuer. Kaum eine halbe Stunde angekommen, fiel ihr Cousin in einen Trancezustand, bei dem ein daoistischer Gott durch ihn mit der Familie sprach (es klingt ein wenig verrückt, wenn ich es so schreibe). Der Gott riet der Familie, in den Süden Taiwans zu fahren und fünf bestimmte, von dem Gott lokalisierte Tempel zu besuchen. Und genau das machten wir dann auch, als der Cousin wieder aus dem Trancezustand aufwachte: Taschen packen und los ging unser Kurzurlaub in den Süden Taiwans. Dabei übernachteten wir eine Nacht zu acht im Auto, besuchten letztendlich insgesamt sieben verschiedene Tempel und dort stattfindende Zeremonien und schliefen auch eine Nacht in einem Tempel! Ich bin immer noch sprachlos, wenn ich über diese Tage nachdenke. Gut, dass ich es hier aufschreiben und nicht aussprechen muss. Kaum zu glauben, aber so ist es passiert!

„Was für ein tolles Gefühl ist es dann, einige Schriftzeichen nach und nach um sich herum zu entdecken und zu verstehen.“

Die National Taiwan University hat ihren Ruf als Vorzeigeuniversität Taiwans sicherlich zu Recht. Die Kommunikation mit der Gasthochschule war einfach und unproblematisch und ich erhielt vorab hilfreiche Broschüren zur Organisation für die erste Zeit in Taipeh. Auch das Zimmer im Wohnheim wurde von der NTU organisiert. An der Uni besuchte ich zwei Kurse zur Gesellschaft Taiwans, in denen ich viel zu Geschichte, der China-Taiwan-Beziehung, aber auch zu Frauen- und LGBT-Bewegungen erfuhr. Das führte dazu, dass ich selbst die größte LGBT-Parade Asiens besuchte, was ich nur jedem empfehlen kann. Die Stimmung dort war unfassbar mitreißend. Außerdem belegte ich einen Kurs namens „Big Picture“, in welchem die Weltpolitik und der Handel sowie Geostrategien der einzelnen Kontinente behandelt wurden. Die Professoren aller meiner Kurse waren sehr kompetent und gestalteten ihre angebotenen Seminare und Vorlesungen stets anschaulich. Auch der Chinesischkurs hatte es in sich! Er fand zwei Mal pro Woche jeweils drei Stunden statt. Die Hausaufgaben und Tests beanspruchten eine Menge Zeit, aber was für ein tolles Gefühl ist es dann, einige Schriftzeichen nach und nach um sich herum zu entdecken und zu verstehen – im Bus, auf den Schildern, auf Menüs.

„Natürlich war es noch interessanter, von den Kindern zu hören, was sie an Taiwan schätzen und welche Feste ihnen besonders gefallen.“

Ein ganz außergewöhnliches Format der National Taiwan University trägt den Namen „International Companions for Learning“, welches vom Bildungsministerium Taiwans unterstützt wird. Innerhalb dieses Formates haben internationale und nationale Studenten der NTU die Möglichkeit, einmal pro Woche mit taiwanesischen Kindern von Schulen aus allen 22 Städten Taiwans zu skypen. Diese Kinder wohnen vor allem in ländlichen Gebieten und haben wenige Möglichkeiten, in internationalen Austausch zu treten. Dieses Programm hat mir sehr gefallen. Ich konnte den Kindern etwas über Deutschland erzählen und sie mir über Taiwan. So hatten nicht nur die Kinder die Möglichkeit, Genaueres über ein Land zu erfahren, wie zum Beispiel über die Kultur, das Essen, interessante Orte und Geschichten sowie Bräuche und Traditionen, auch ich konnte mein Herkunftsland von einer anderen Seite kennenlernen und analysieren. Beim Vorbereiten der Präsentationen für die Skype-Gespräche wurde auch ich von neuen Details über Deutschland überrascht. Und natürlich interessierten mich die Reaktionen der Kinder. Über den Fakt, dass es in Deutschland über tausend Wurstarten gibt, dass Haribo aus Deutschland kommt und dass wir nicht alle immer Lederhosen und Dirndl tragen und auch nicht alle jeden Tag Bier trinken, lachten und staunten sie besonders. Natürlich war es noch interessanter, von den Kindern zu hören, was sie an Taiwan schätzen und welche Feste ihnen besonders gefallen. Mein ICL-Partner und ich schickten den Kindern einen Adventskalender mit deutschen und taiwanesischen Kleinigkeiten. Ich bin sehr froh, dass ich am ICL-Programm teilnehmen konnte, und würde es definitiv jedem weiterempfehlen, der an der National Taiwan University studiert. Es fördert nicht nur den kulturellen Austausch, sondern regt auch die Reflexionsfähigkeit bezüglich der eigenen Herkunft an.

Ich denke an mein Begründungsschreiben für das Baden-Württemberg-Stipendium zurück. In diesem schrieb ich: „Ich möchte bei so viel Glück, das ich sowohl auf der ganzen Reise, wie auch in meinem Leben in Deutschland habe, etwas zurückgeben“. Dies trifft nach meinem Auslandssemester in Taiwan definitiv immer noch zu. Vermutlich hat sich dieses Gefühl sogar noch einmal verstärkt. Noch immer möchte ich später einmal möglichst in einer internationalen Organisation arbeiten, die sich für Menschenrechte und/oder Umweltthemen einsetzt. Die Informationen und Diskussionen über Chinas Politik bezüglich der Menschenrechte und die Auseinandersetzungen mit Taiwan haben diesen Wunsch sicherlich noch verstärkt. Auch mein Bewusstsein für Nachhaltigkeit hat sich noch einmal verstärkt. Auch wenn die Mülltrennung in Taiwan vorbildhaft ist – der Plastikverbrauch ist es sicherlich nicht. Ebenso ist der Umgang mit manchen Tieren dort leider sehr fragwürdig. Es ist wirklich interessant zu sehen, wie man die Dinge neu betrachtet, wenn man ins Ausland geht. Und das verstärkt sich, je unterschiedlicher die eigene und die neu zu entdeckende Kultur sind. Die Gefahr ist groß, dass man eine bestimmte Zeit oder Kultur romantisiert, wenn man sie vermisst. Ob es die „eigene“ ist oder die „fremde“. Ich glaube, ich habe mein eigenes Land noch nie so gut kennengelernt wie in der Zeit, als ich in Taiwan war. Und das, obwohl ich über 9000 km entfernt von Deutschland war. Oder genau deswegen …

Als ich zurückkam, gab es dann eine Art umgekehrten Kulturschock. Man denkt, man kommt in die eigene Kultur zurück und alles müsste genau so vertraut sein wie vorher. Das war es aber nicht so ganz. Wie schön es war, meine Familie und Freunde wiederzusehen. Und doch habe ich ein, zwei Monate gebraucht, mich wieder so richtig an alles zu gewöhnen. Taiwan war horizonterweiternd. Und ich komme aus dem Vermissen nicht heraus. So gerne ich jetzt wieder daheim bin, so sehr vermisse ich auch die Zeit in Taiwan. Es kommt mir manchmal wie eine Art Film vor, der sich immer wieder vor meinen Augen abspielt. Dann muss ich mir immer wieder sagen, dass ich in diesem Film tatsächlich mitgespielt habe. Glück und Schicksal zugleich habe ich es zu verdanken, dass ich in Taiwan gelandet bin. Es ist ein unglaublich spannendes Land mit ebenso unglaublich freundlichen Menschen. Die Hilfsbereitschaft ist bemerkenswert. Genau diese Art und Weise, mit Menschen umzugehen, möchte ich noch mehr selbst pflegen. Ich würde mich zwar generell als offene und empathische Person bezeichnen, jedoch kann man von den Taiwanesen noch viel dazulernen.

Kira Hoffmann, 23, studiert Soziologie an der Universität Konstanz. Im kommenden Frühjahr reicht sie ihre Bachelorarbeit ein und danach plant sie noch einmal auf Reisen zu gehen, bevor sie in den Master startet.

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Koala Bär
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