Trampen, Schweigen und Campen

Reise durch Ozeanien und Asien

weltweiser · Weltreise · Nepal · Asien
GESCHRIEBEN VON: LINDA ANDREWS
LAND: OZEANIEN & ASIEN
AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
PROGRAMM: QUERWELTEIN
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
NR. 8 / 2018, S. 67-69

Wir schauten der Ratte dabei zu, wie sie vergnügt Stücke des Brotes abbrach und aß. Niemand sonst schien es weiter aufzufallen, daher gingen wir zur Besitzerin der Bäckerei und sagten in unserem höflichsten Tonfall: „Excuse me, Madam, a rat is chewing on your bread!“

Die Vietnamesin lachte herzlich und widmete sich wieder ihrer Arbeit. Auch wir lachten, zuckten mit den Schultern und aßen weiter unser Frühstück. Zu diesem Zeitpunkt waren wir schon seit über einem Jahr auf Reisen und ein halbes davon in Asien, fast nichts konnte uns mehr aus der Ruhe bringen. Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass wir gleichgültig unser Frühstück mit Ratten teilten? Alles fing damit an, dass mein Freund Moritz vor drei Jahren erklärte, nach seiner Ausbildung zum Zahntechniker gerne für ein Jahr nach Kanada gehen zu wollen. Da ich bereits längere Zeit in Kanada und er in Neuseeland verbracht hatte, beschlossen wir stattdessen, einfach auf Weltreise zu gehen. Ich verkündete diesen Plan auch gleich vergnügt im Freundes- und Familienkreis. Niemand wollte mir so recht glauben, dass diese Idee wirklich in die Tat umgesetzt werden würde, und so geriet das Thema für die nächsten eineinhalb Jahre in Vergessenheit. Nur aus meinem und Moritz Kopf verschwand es nie und während alle mit ihrem Leben beschäftigt waren, schmiedeten wir Pläne und sparten jeden Cent, den wir auftreiben konnten.

Ein halbes Jahr vor Abflug kauften wir ein One-Way-Ticket nach Australien und beantragten das Working Holiday Visum. Auf einmal fragte mein Vater doch genauer nach, was denn mein Plan für die Zeit nach meinem Bachelor-Abschluss sei. Als ich verkündete, für eineinhalb Jahre auf Weltreise gehen zu wollen, musste auch er schlucken. Er war von seiner Tochter schon so einige verrückte Ideen gewohnt, doch diese Idee überstieg auch sein Vorstellungsvermögen. Die Meinung meiner Mutter als „wenig begeistert“ zu beschreiben, wäre noch eine Untertreibung, sie war entsetzt und traurig. Doch Anfang Februar packten wir so viel in unsere Rucksäcke, dass diese fast platzten, ich steckte Papas fünf Euro für Notfälle ein, weinte mir die Augen aus dem Kopf und folgte Moritz ins Ungewisse. Wer hätte gedacht, dass dies das Abenteuer unseres Lebens werden würde? Wir landeten in Sydney und trampten prompt 2000 km die Küste hoch, da Moritz in Cairns ein Vorstellungsgespräch als Zahntechniker hatte. Nur ausgerüstet mit einem Schild, einem Zelt und einer ordentlichen Portion Glück, lernten wir in jedem Auto eine neue, interessante Person kennen. So fuhren wir zusammen mit Schlangenbesitzern, Hobbybierbrauern, Geschäftsmännern, Althippies, Minenarbeitern, Müttern, Hardrockfans, Rassisten und Abenteurern. Wir lernten dabei eine Menge über Australien und über das Leben im Allgemeinen, und zwei Wochen später erreichten wir Cairns. Der angebotene Job umfasste nicht genug Wochenstunden und so nutzten wir unsere Zeit lieber zum Finnisch-Lernen, Billiardspielen und zum Entspannen in Hängematten.

Neues Schloss in Stuttgart
20. April
Stuttgart
Eschbach Gymnasium
10 bis 16 Uhr
junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
21. April
Online
Wherever you are
17 bis 19 Uhr
junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
25. April
Online
Wherever you are
18 bis 20 Uhr
Großer Wannsee in Berlin
27. April
Berlin
Dreilinden-Gymnasium
10 bis 16 Uhr

Zwei Wochen später fanden wir dann Jobs und zwar in Brisbane. Während ich mich als größter Tollpatsch der Welt im Kellnern probierte, sollte Moritz sein Glück als Pizzalieferant versuchen. Das Leben in der australischen Großstadt war hart – wir lebten im billigsten Hostel der Stadt, hatten kaum Geld zum Essen und liefen jeden Tag mehrere Kilometer zu Fuß, da wir uns keine Bustickets leisten konnten. Dafür war in unserem Hostel für Unterhaltung gesorgt: Vor allem Oskar, ein ungefähr 50-jähriger Pole, der schon seit acht Jahren in diesem Hostel im Achterschlafsaal lebte und Erdbeeren in Krankenhäusern verkaufte, sorgte immer wieder für lustige Geschichten. Wir hatten eine gute Zeit, aber als dann unsere beiden Arbeitgeber ihre Betriebe schlossen, verließen wir Brisbane und fanden Jobs mitten im australischen Outback auf einer Rinderfarm. Moritz arbeitete zunächst als Gärtner, während ich für den Haushalt und die drei Kinder zuständig war. Nach einem Monat verließ uns die Köchin der Farm und wir wurden gefragt, ob wir ihren Job übernehmen könnten. Moritz, der noch nie in seinem Leben gekocht hatte, verkündete selbstbewusst: „Klar, das bekomme ich hin“ und wurde daraufhin der beste Koch, den die Farm je gesehen hatte. Es war eine sehr anstrengende Arbeit, wir standen um fünf Uhr morgens auf und arbeiteten bis fünf Uhr abends. Moritz kochte vier Mahlzeiten pro Tag für 15 hungrige Cowboys, während ich mich mit den wohl schlimmsten Kindern des Outbacks herumschlug. Trotzdem waren wir glücklich, denn wir waren mitten im Nirgendwo, umgeben von Kängurus und Kühen, weit weg vom Konsumwahn und der Hektik der Städte.

„Wir waren mitten im Nirgendwo, umgeben von Kängurus und Kühen“

Nach fünf Monaten sagten wir der Einsamkeit, den Cowboys und den Kängurus ade und machten uns auf nach Neuseeland. Aus Geldmangel wurden wir in Neuseeland zu Dauercampern. Unser Zelt wurde bei jedem Wetter – meist Dauerregen – und an jedem Ort aufgestellt und wieder trampten wir durch die Gegend. Nach einer Weile wurden wir wie echte Kiwis zum Teil der Natur, badeten in eiskalten Bächen und schliefen auf den schönsten Berggipfeln. Wie gerne wären wir noch länger geblieben, doch das Paradies rief uns. Wir hatten Flüge zu den Cook Inseln gebucht. Wir flogen mitten in den Pazifik und hinein in eine andere Welt. Hier gab es vor allem eines, und das war Zeit! Dadurch halfen die Einwohner der Hauptinsel, Rarotongas, immer, gerne und jedem. Wir bewegten uns mal wieder fast ausschließlich durch Trampen fort und dabei hielt fast immer das erste Auto für uns, und auf der Fahrt bekamen wir meistens auch noch Obst oder Bustickets geschenkt. Von den relaxten pazifischen Inseln ging es weiter ins turbulente Bali – ein Kulturschock, mit dem ich erst einmal nicht umzugehen wusste. Unser Hotelzimmer war voller Kakerlaken und hatte eine nicht funktionierende Toilettenspülung. Meine schlimmsten Alpträume schienen wahr zu werden. „Mach dir keine Sorgen, alles wird gut“, verkündete Moritz, reparierte die Toilettenspülung und brachte die Kakerlaken alle behutsam einzeln nach draußen, während er meine „Töte sie!“-Rufe geflissentlich ignorierte. Und er sollte Recht behalten. Wir fanden unser eigenes, kleines Paradies auf Nusa Penida, einer kleinen Insel zwischen Bali und Lombok. Wir lernten, Roller zu fahren, und erkundeten einsame, abgelegene Strände. Wir aßen unser Essen von Straßenständen und unterhielten uns in Zeichensprache mit unserem neuen Freund Nyoman, der gleichzeitig der Besitzer unserer Unterkunft war und erstklassige Mangosäfte machte.

„Wir badeten in eiskalten Bächen und schliefen auf den schönsten Berggipfeln“

Doch dann kam Weihnachten und auf einmal übermannte uns eine Mid-Travel-Crisis. Alles fühlte sich falsch an, das ständige Reis-Essen, das Nichts-zu-tun-Haben, das Immer-am-Meer-Sein. Zum Glück verließen wir Indonesien kurz darauf und flogen nach Malaysia, wo wir uns mit einer meiner besten Freundinnen, Leo, trafen. Malaysia und Leos Lebensfreude schafften es, unsere Abenteuerlust wiederzubeleben, und gemeinsam erkundeten wir versteckte Höhlen und den Dschungel Borneos. In Malaysia erkannten wir, dass das ständige gemeinsame Reisen schnell langweilig werden würde, und wir beschlossen, uns für ein paar Wochen zu trennen, und stiegen in unterschiedliche Flugzeuge. Für mich ging es nach Kambodscha, für Moritz nach Sri Lanka. An meinen ersten Tagen in Kambodscha hatte ich Angst vor allem, davor, ein Tuktuk zu nehmen, mit Menschen zu reden oder etwas alleine zu unternehmen. Die armen Kambodschaner, die mich in den ersten Tagen sahen: Ich starrte sie alle zornig an, überzeugt davon, dass sie mich alle ausrauben oder vergewaltigen wollten. Zum Glück schafften andere Reisende und die unglaubliche Gastfreundlichkeit der Einheimischen, mich bald vom Gegenteil zu überzeugen, und ich plauderte mit Mönchen, besuchte Pfefferfarmen, beeindruckende Tempel und Höhlen. Nachdem wir drei Wochen alleine unterwegs gewesen waren, trafen wir uns in Myanmar wieder und jeder hatte eine Menge zu erzählen.

„Gemeinsam erkundeten wir versteckte Höhlen und den Dschungel Borneos“

Aber schon am nächsten Tag musste unser aufgeregtes Geplapper verstummen, denn wir hatten uns für einen zehntägigen Schweige-Meditationskurs angemeldet. Dabei schliefen wir in sehr einfachen Unterkünften auf harten Betten, standen morgens um 4 Uhr auf, um erst einmal zwei Stunden zu meditieren, anschließend gab es Frühstück und eine erneute dreistündige Meditation, bevor wir um 11 Uhr mittags das letzte Essen des Tages zu uns nahmen. Wir meditierten und lauschten Vorträgen zur Meditationstechnik bis abends um 20 Uhr, bevor wir todmüde in unsere harten Betten fielen. Das taten wir zehn Tage lang, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Manche Teilnehmer wurden dabei verrückt, andere depressiv, aber für uns war es eine der besten Erfahrungen unseres Lebens. Nach zehn Tagen kamen wir glücklich, dankbar und tiefenentspannt in die Welt des Sprechens zurück, was anfangs ein großer Schock war. Myanmar war das Land, das uns auf dieser Reise am besten gefiel. Aus irgendeinem Grund waren wir jeden Tag glücklich, vielleicht lag es an dem vielen Lächeln der Menschen, vielleicht an der beeindruckenden Landschaft oder am guten Essen. Wir unterrichteten Englisch an einer Schule, wir sahen den Sonnenaufgang über Bagan und einsame, abgelegene Landstriche. Eines Tages müssen wir wiederkommen – so viel ist sicher.

„Nach zehn Tagen kamen wir glücklich, dankbar und tiefenentspannt in die Welt des Sprechens zurück“

Wie schon damals in Neuseeland, fühlte es sich falsch an, Myanmar zu verlassen, aber unser guter Freund Peter erwartete uns in Vietnam. Wir hatten zusammen auf der australischen Farm gearbeitet und waren überglücklich, ihn wiederzusehen. Leider regnete es sehr viel in Vietnam und wir konnten uns nicht so sehr für Land, Leute und Essen erwärmen wie in bisherigen Ländern, aber trotzdem hatten wir eine gute Zeit. Wir hatten Geschmack am Alleinreisen gefunden, also trennten wir uns wieder für einige Wochen, und während Moritz Laos erkundete, ging es für mich nach Singapur und anschließend nach Nepal. Eine Woche später kam auch Moritz nach Nepal und wir beschlossen, den höchsten Gebirgspass der Welt zu erklimmen. Da so viele es versuchten, dachten wir, dass es ein einfaches Unterfangen werden würde, aber als uns bei 4000 Höhenmetern langsam die Luft wegblieb, fragten wir uns, wie wir auf die Idee kommen konnten, ohne passende Ausrüstung bei Schneestürmen auf 5400 m klettern zu wollen. Doch Moritz ruhige Art und der Kauf von Handschuhen brachten uns dazu, durchzuhalten, und als wir neben all den tibetischen Gebetsfähnchen auf dem Pass standen, wussten wir, es war genau die richtige Entscheidung gewesen. Noch einmal stiegen wir in ein Flugzeug und landeten im letzten Land auf dieser Reise: Indien.

„Wir beschlossen, den höchsten Gebirgspass der Welt zu erklimmen“

Delhi schaffte es trotz aller Vorwarnungen, uns aus der Fassung zu bringen: Leichen auf der Straße, Ratten im Hotelzimmer, fehlende Kanalisation und Toiletten. Dieses Mal brauchten wir wirklich lange, um uns an das Land, das Essen, die Menschen und die fremde Kultur zu gewöhnen, aber als wir uns dann darauf einließen, wurden wir belohnt durch wunderbare Freundschaften, interessante Einblicke in fremde Religionen und Essen, dessen Geschmack wir niemals vergessen werden. Im Sommer, genau 16 Monate nach Verlassen Deutschlands, flogen wir nach Hause. Wir wussten, die Welt zu bereisen ist einfach, wir hatten nichts Großes erreicht und doch haben wir uns verändert. Bei Problemen bleiben wir ruhig, während andere schon längst die Fassung verlieren. Wir versuchen über die Schwächen von Menschen hinwegzusehen und sie stattdessen so zu nehmen, wie sie sind. Jeden Tag freuen wir uns über funktionierende Toiletten, Toilettenpapier und sauberes Trinkwasser. Natürlich haben wir Fernweh und vermissen vieles, doch wir sind dankbar dafür, dass wir über ein Jahr lang die Zeit hatten, jeden Tag als Abenteuer zu sehen, beeindruckende Menschen und Landschaften kennenzulernen und uns einfach lebendig zu fühlen.

Linda Andrews, 24, macht derzeit ihren Master in Wirtschaftswissenschaften in Hannover und plant für die Semesterferien Reisen nach Tadschikistan, Grönland und Georgien.

Lust auf mehr Erfahrungsberichte?

Dann klick auf den Querweltein-Koala!

Koala Bär
Nach oben scrollen