Der typische Work & Travel-Reisende

Studie und Selbstversuch

weltweiser · Work & Travel · Australien
  • GESCHRIEBEN VON: HENRIKE THELEN
  • LAND: AUSTRALIEN
  • AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
  • PROGRAMM: WORK & TRAVEL
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 3 / 2013, S. 65-66

War ich selbst ein typischer Work & Travel-Reisender? Weiblich, 24 Jahre alt, Abitur und Studentin. Ich reise gerne und war bereits als Austauschschülerin für längere Zeit im Ausland. Vor meinem Studienabschluss und dem Einstieg ins Berufsleben wollte ich gemeinsam mit meinem Freund eine Auszeit nehmen, das Leben genießen, mit einem Bulli durch Australien reisen, Gelegenheitsjobs annehmen und Abenteuer erleben. Da ich Geographie mit den Schwerpunkten Tourismus und Kultur studierte, war mein Studienfach ganz nebenbei wie gemacht für eine Diplomarbeit über deutsche Work & Travel-Reisende in Australien.

Ziel meiner Arbeit war es, einen ersten Überblick über die Charakteristika der deutschen Work & Travel-Reisenden in Australien zu erhalten. Gemeinsam mit einer der größten deutschen Work & Travel-Organisationen, beschloss ich, dafür Reisende, die ihren Aufenthalt selbst organisiert hatten, sowie Programmteilnehmer zu befragen und beide Gruppen miteinander zu vergleichen. Da es bisher nur sehr wenig bis gar keine wissenschaftliche Literatur über (deutsche) Work & Travel-Reisende gibt, beschäftigten mich vor allem grundsätzliche Fragen: Wer sind die Reisenden? Warum machen sie Work & Travel? Wie reisen sie? Und welche Erwartungen haben sie an ihre Reise?

Im August 2010 machten mein Freund und ich uns auf den Weg nach Melbourne. Wir kauften einen Van und die Reise begann – und mit ihr meine Befragungen. Ich befragte alle, die mir begegneten. Ich sprach wildfremde Menschen an und erkundigte mich danach, ob sie Work & Travel machten und wo sie herkamen. Sagten sie „Ja“ und handelte es sich um Deutsche, fragte ich weiter, ob sie mit oder ohne Organisation unterwegs seien. Aus Zeitgründen interviewte ich vor Ort in Australien nur diejenigen, die ohne eine Organisation, also selbstorganisiert reisten. Die Programmteilnehmer meines Kooperationspartners befragte ich mit dessen Hilfe erst nach meiner Rückkehr im Sommer 2011 per Online-Fragebogen. Insgesamt wertete ich 277 vollständige und gültige Fragebögen aus, davon 117 von selbstorganisiert Reisenden und 160 von Programmteilnehmern.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
25. April
Online
Wherever you are
18 bis 20 Uhr
Großer Wannsee in Berlin
27. April
Berlin
Dreilinden-Gymnasium
10 bis 16 Uhr
Panorama von Aachen
27. April
Aachen
St. Leonhard-Gymnasium
10 bis 16 Uhr
Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt
04. Mai
Darmstadt
Lichtenberg-Gymnasium
10 bis 16 Uhr

Wie inzwischen weithin bekannt sein sollte, waren mein Freund und ich nicht die einzigen deutschen Work & Travel-Reisenden in Australien. Im Geschäftsjahr 2010/11 stellte die australische Regierung 185.480 Working-Holiday-Visa aus, davon über 20.000 an 18- bis 30-jährige Deutsche. Das Visum erteilt den Reisefreudigen nicht nur eine einjährige Aufenthaltserlaubnis für Australien, sondern ermöglicht ihnen auch, zu arbeiten und so ihre Zeit vor Ort mitzufinanzieren – ein zentraler Aspekt von Work & Travel. Wer aber sind diese 20.000, wer sind die Antragsteller und Nutznießer dieser bilateralen Vereinbarung zwischen Deutschland und Australien? Neben Praktikanten und Au-Pairs sind es vermutlich vor allem „klassische“ Work & Travel-Reisende, die das Working-Holiday-Visum nutzen, obwohl dies an keiner Stelle erfasst wird. Die Zahlen bleiben daher vage und auch bei den Ergebnissen meiner umfangreichen Recherchen handelt es sich lediglich um Schätzungen, die jedoch von Work & Travel-Organisationen und vom unabhängigen Bildungsberatungsdienst weltweiser geteilt werden. Trotz oder gerade wegen dieser Datenunkenntnis konzentrierte ich mich auf Work & Travel-Reisende und ließ andere Nutzer des Visums außer Acht.

„Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der von mir Befragten lag bei etwa achteinhalb Monaten“

Insgesamt handelt es sich bei deutschen Work & Travel-Reisenden in der Regel um gut gebildete junge Menschen, die mehrheitlich zwischen 19 und 20 Jahre alt sind und häufig erst unmittelbar vor ihrer Abreise die Schule abgeschlossen haben. Gerade unter den befragten selbstorganisiert Reisenden gab es jedoch auch viele, die vor ihrer Australienreise bereits berufstätig waren. Es zieht ebenso viele Frauen wie Männer zu einem Work & Travel-Aufenthalt nach Australien. Mir fielen lediglich kleine Schwankungen auf, die sich im Mittel aber immer wieder ausglichen. Die Herkunft der befragten Deutschen erstreckt sich über das gesamte Bundesgebiet, wobei die Mehrzahl aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland NRW stammt. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der von mir Befragten lag bei etwa achteinhalb Monaten und hebt sich damit deutlich von der Dauer eines Urlaubs ab. Ein Grund, weshalb Work & Travel-Aufenthalte dieser Länge überhaupt durchführbar sind, ist sicherlich die Möglichkeit, Geld zu verdienen. Denn selbst, wer sparsam lebt und reist, benötigt bei einer Aufenthaltsdauer von mehreren Monaten mehr als das den Befragten durchschnittlich zur Verfügung stehende Startkapital von rund 4.000 €, auch wenn die Flugkosten nach und von Australien sowie gegebenenfalls anfallende Kosten für eine Work & Travel-Organisation hiervon nicht mehr bezahlt werden müssen.

„Die Erwartungen von über 90% der Befragten wurden vollständig oder teilweise erfüllt“

Natürlich stellte sich mir die Frage, warum so viele junge Deutsche für einen Work & Travel-Aufenthalt nach Australien reisen. Was bewegt sie dazu? Die stärksten Reisemotive sind das Bestreben, Natur, Kultur und Menschen kennenzulernen, sowie der Wunsch, sich persönlich weiterzuentwickeln. Zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung und -findung gehört unter anderem das Verlangen, unabhängiger und selbstständiger zu werden, dem eigenen Freiheitsdrang nachzugeben, sich möglichst weit von zu Hause zu entfernen und neue Erfahrungen verschiedenster Art zu machen. Daneben spielen Aspekte wie eine Auszeit nehmen, viel Neues und Anderes sehen und erleben sowie die Englischkenntnisse verbessern zu wollen für viele eine Rolle. Auch die gut ausgebaute Work & Travel-Infrastruktur motiviert manch einen dazu, die Reise in Angriff zu nehmen. Die Erwartungen der Befragten sind ihren Beweggründen in vielen Punkten ähnlich. Die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und die Hoffnung, viel Neues und Anderes zu sehen und zu erleben, stehen ganz oben auf der Liste. Erwartet wird zudem, dass man neue Kontakte schließt, seine Sprachkenntnisse verbessert und einfach nur Spaß hat. Vielleicht ist es für viele keine Überraschung, aber ich finde es dennoch bemerkenswert: Die Erwartungen von über 90% der Befragten wurden vollständig oder teilweise erfüllt.

„Etwas mehr als ein Viertel aller Befragten gaben an, allein durch Australien zu reisen“

Ein weiterer spannender Aspekt ist das Reiseverhalten. Beginnen Work & Travel-Reisende ihr Abenteuer allein oder mit anderen? Kaufen sie sich tatsächlich so häufig ein eigenes Auto, wie gemeinhin angenommen? Etwas mehr als ein Viertel aller Befragten gaben an, allein durch Australien zu reisen, die deutliche Mehrzahl jedoch ist mit ein bis drei Mitreisenden unterwegs. Besonders auffällig beim Vergleich von selbstorganisiert Reisenden und Programmteilnehmern einer Organisation ist, dass in der Gruppe der selbstorganisiert Reisenden über 50% mit einer weiteren Person reisen. Dies trifft hingegen nur für rund ein Drittel der befragten Programmteilnehmer zu. Sie reisen eher in kleinen Gruppen von drei bis vier Personen. Ein Grund dafür könnte sein, dass Programmteilnehmer ihre Reisepartner häufig erst in Australien oder auf dem Flug dorthin in der Gruppe der anderen Teilnehmer der Organisation kennenlernen. Selbstorganisiert Reisende kennen ihre Reisepartner meist bereits aus Deutschland. Die Wahl des Verkehrsmittels spiegelt diese Befragungsergebnisse wider. Knapp die Hälfte der selbstorganisiert Reisenden kauft in Australien ein Auto bzw. einen Van und benutzt das Fahrzeug als hauptsächliches Fortbewegungsmittel. Programmteilnehmer hingegen bevorzugen eher öffentliche Busse und das Flugzeug. Wer von vornherein mit einer vertrauten Person reist, wechselt den Reisepartner während des Aufenthaltes vermutlich nicht und ist eher bereit, gemeinsam viel Geld in einen fahrbaren Untersatz zu investieren.

Wann wird entschieden, wohin es geht? Wo trifft man auf die großen Backpacker-Massen und wo ist man praktisch allein? Unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel gaben die Befragten etwa zu 50% an, spontan zu entscheiden, wo sie lang fahren. Die andere Hälfte ist ebenfalls sehr flexibel: Zwar hat sich diese Hälfte Reisender vorab eine Route überlegt, ist aber jederzeit bereit, diese zu verändern. In gewisser Weise ist dies die Umsetzung des Motivs bzw. der Erwartung, unabhängig zu sein. Die meist bereiste Region Australiens ist der Osten, den über 90% der Befragten aufsuchten. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als hier viele der großen und bekannten Städte und Regionen liegen, zum Beispiel Sydney, Cairns und Brisbane mit dem weltbekannten Surfers Paradise direkt vor der Haustür. Ebenfalls sehr häufig wird der Süden des Landes bereist, in dem Melbourne, Adelaide sowie die Great Ocean Road liegen. Mit großem Abstand folgen der Westen, das Outback, der Norden und Tasmanien als weitere erfasste Regionen, wobei hervorzuheben ist, dass die befragten Programmteilnehmer mit Abstand mehr Regionen bereisten als die befragten selbstorganisiert Reisenden. Ein Grund dafür könnte sein, dass Letztere häufiger ein eigenes Fahrzeug besitzen, mit dem sie weniger weite Strecken zurücklegen können als die Programmteilnehmer, die eher eine Kombination aus öffentlichen Bussen und Flugzeugen nutzen.

“Was spricht eigentlich für die Reise mit bzw. ohne Work & Travel-Organisation?“

Aus meinem Vergleich der selbstorganisiert Reisenden und der Programmteilnehmer ergab sich eine für viele angehende Work & Travel-Reisende vermutlich sehr zentrale Frage: Was spricht eigentlich für die Reise mit bzw. ohne Organisation? Der größte Vorteil, wenn man sich für einen selbstorganisierten Aufenthalt entscheidet, sind sicherlich die Programmkosten, die entfallen. Insbesondere selbstorganisiert Reisende befürchten außerdem Einschränkungen der persönlichen (Entscheidungs-)Freiheit durch eine Programmteilnahme sowie einen geringeren Grad an Selbstständigkeit und weniger eigene Erfahrungen. Etwa ein Sechstel von ihnen vermutet zudem, zu wenige der versprochenen Hilfestellungen der Organisationen wirklich zu erhalten. Es gibt jedoch auch Aspekte, die für die Teilnahme an einem Work & Travel-Programm sprechen. Zwei Argumente für die Reise mit einer Organisation werden besonders oft genannt: Zum einen werden die Hilfestellungen der Organisation vor, während und vor allem zu Beginn des Aufenthaltes als besonders wichtig eingestuft – und das sowohl von Programmteilnehmern als auch von selbstorganisiert Reisenden. Zum anderen spielt die Sicherheit, einen Ansprechpartner sowohl in Deutschland als auch vor Ort in Australien zu haben, eine entscheidende Rolle. Dies beruhigt nicht nur die Teilnehmer, sondern auch deren Eltern, die insbesondere auf die jüngeren Reisenden einen nicht unbedeutenden Einfluss haben. Ein weiterer Vorteil steht in engem Zusammenhang mit der oben bereits besprochenen Thematik der Reisepartner. Auf dem organisierten Gruppenflug nach Australien besteht insbesondere für Alleinreisende die Möglichkeit, bereits vor der Ankunft Down Under Reisepartner kennenzulernen.

“Was zählt, ist am Ende, was man erlebt, wen man kennenlernt, was man sieht und welche Erfahrungen man sammelt, die einen das ganze Leben lang begleiten werden“

Ganz unabhängig davon, ob man ein typischer Work & Travel-Reisender ist, ob man mit oder ohne Organisation reist, stellt Work & Travel für junge Menschen ein großes und bedeutsames Vorhaben dar, das mit vielen neuen Situationen, Risiken und manchmal auch Schwierigkeiten verbunden ist. Dabei spielt das Bedürfnis der Reisenden nach Sicherheit eine wichtige Rolle. Selbstorganisiert Reisende legen beispielsweise großen Wert auf das Vorhandensein einer gut ausgebauten Work & Travel-Infrastruktur. Außerdem haben sie häufiger bereits in Deutschland einen Reisepartner, mit dem sie ihren Aufenthalt planen und vor Ort Entscheidungen vorab besprechen können. Programmteilnehmer reisen hingegen eher allein los und suchen den Rückhalt daher vermehrt bei der Organisation und anderen Programmteilnehmern. Weil jeder Mensch anders ist und andere Bedürfnisse hat, ist es unmöglich zu sagen, man sollte auf jeden Fall ohne oder unbedingt mit einer Organisation reisen. Was zählt, ist am Ende, was man erlebt, wen man kennenlernt, was man sieht und welche Erfahrungen man sammelt, die einen das ganze Leben lang begleiten werden.

Henrike Thelen, 25 Jahre alt, stammt aus Hannover und hat an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Geographie mit den Schwerpunkten Tourismus und Kultur studiert. Der Titel ihrer Diplomarbeit lautet „Analyse und Vergleich deutscher selbst- und fremdorganisiert Work & Travel-Reisender in Australien“. Derzeit macht sie ein Praktikum bei einer Austauschorganisation in Hamburg.

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Koala Bär
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