Erasmus-Semester am italienischen Konservatorium
„Ach wie schön, du verbringst den Winter im warmen Italien.“ Diesen Satz bekam ich oft zu hören, bevor ich mein Auslandssemester am Conservatorio di Musica in Campobasso begann. Er stimmte jedoch nicht ganz: An Silvester lag mehr als ein Meter Schnee, und auch sonst war mein Auslandssemester in dem kleinen Städtchen in den süditalienischen Bergen ganz anders als erwartet.
Ich war mehr aus Zufall in Campobasso gelandet. Eigentlich wollte ich das Erasmus-Semester nutzen, um mein Englisch zu verbessern. Also setzte ich das schottische Glasgow und das englische Bath auf die ersten Plätze meiner fünf Wunschmöglichkeiten. Mangels englischsprachiger Alternativen füllte ich die restlichen Felder mit anderen Ländern. Ein paar Wochen später kam dann die Zusage für Campobasso. Meine Nummer 3 sollte es also werden, Plan C quasi. Zuerst musste ich noch einmal auf der Karte nachschauen, wo meine neue Heimat auf Zeit denn überhaupt lag: zweieinhalb Stunden südöstlich von Rom, Hauptstadt der kleinen, ländlichen Region Molise, mit ungefähr 60.000 Einwohnern. Je mehr ich las, plante und vorbereitete, desto größer wurde auch die Vorfreude auf das Abenteuer, welches da vor mir lag. Ein halbes Jahr, unzählige gepackte Kisten und viele emotionale Verabschiedungen später saß ich im Flugzeug nach Rom. Nach weiteren drei Stunden Zugfahrt durch die italienische Pampa kam ich endlich in Campobasso an. Am Bahnhof wartete Mario auf mich, ein Student des Konservatoriums, der mich zu meinem neuen Wohnort brachte.
Dort traf ich Toni, der mir ein Zimmer vermietete, und lernte sofort eine wichtige Lektion: Italiener sprechen kein Englisch. Das ist natürlich überspitzt und trifft in den touristischen Metropolen wie Rom auch nicht zu. Aber in Campobasso kam es mir oft so vor, denn von der ersten Minute an redeten alle meine Bekanntschaften nur Italienisch mit mir. Am Anfang war ich aufgrund meines dürftigen Wissens aus meinem dreimonatigen Volkshochschulkurs ziemlich überfordert. Aber es war die beste Methode überhaupt, um die wunderschöne italienische Sprache zu lernen, und am Ende meines Aufenthalts war ich ziemlich stolz, wie gut ich das Italienische inzwischen verstehen und sprechen konnte. Ziemlich schnell lernte ich eine weitere Lektion: Italiener haben Zeit. Und auch wenn das wieder eine unzulässige Verallgemeinerung ist, traf es doch zumindest auf meine Erfahrungen voll und ganz zu. Die Veranstaltungen am Konservatorium fingen nicht, wie angekündigt, Mitte Oktober an, sondern erst ganz gemächlich Anfang November. Zum Glück lernte ich gleich in den ersten Tagen nette andere Erasmus-Studenten kennen, sodass ich mir die Zeit bis zum Studienbeginn mit Ausflügen und gemeinsamen Abendessen vertreiben konnte. Bald zogen auch meine beiden neuen Mitbewohner ein, die mit mir in dem kleinen, schnuckeligen Häuschen mitten in der Altstadt leben sollten: ein Tscheche, der ebenfalls am Konservatorium studierte, und ein Italiener, der gerade erst von zu Hause ausgezogen war und nach jedem Wochenendaufenthalt bei seiner Familie von der „Mamma“ mit unzähligen Leckereien versorgt wurde, die er bei uns im Kühlschrank stapelte.
Essen schien nämlich für die Italiener fast wichtiger als alles andere und darauf wurde jede Menge Zeit verwendet. Nicht ohne Grund war die Innenstadt von Campobasso zwischen 13 und 16 Uhr wie leergefegt – um diese Zeit befand sich jeder, der konnte, zu Hause beim „pranzo“, dem Mittagessen. Kochen mit Italienern ähnelte oftmals einem Wettstreit, wer das Rezept in der besten Version kannte. Die italienische Küche ist eine Wissenschaft für sich. Aber auch ich erlag schnell dem Zauber, und der kulinarische Höhepunkt war der 1. Weihnachtsfeiertag. Eine Freundin nahm mich mit zu Bekannten, deren Eltern ein kleines Restaurant in den Bergen führten. All meine Erwartungen für diesen Tag wurden bei Weitem übertroffen, wir aßen circa fünf Stunden lang, und es gab eine leckere Spezialität nach der anderen. Auch von meiner Mensa träume ich heute noch. Es war keine Mensa wie an meiner Uni in Deutschland, sondern eher ein kleines Selbstbedienungsrestaurant, in dem neben den Studenten des Konservatoriums auch Angestellte aus der Umgebung zu Mittag aßen. Das Besitzerehepaar dieser Mensa war so herzlich, dass wir uns bald jeden Tag unterhielten und am Ende traurig verabschiedeten.
„Alle waren interessiert an uns und wollten uns integrieren“
Dieser enge Kontakt zu den Menschen in Campobasso war keine Ausnahme. Hatte ich am Anfang noch etwas skeptisch auf die Kleinstadt geblickt, lernte ich sie doch schnell zu schätzen, denn auch der Supermarkt-Kassierer und die Dame im Copyshop kannten mich bald und ließen mich in Campobasso heimisch fühlen. Die Beschaulichkeit der Stadt war auch im Konservatorium von Vorteil. Außer mir waren dort nur zwei andere Erasmus-Studenten, und alle bemühten sich, uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, waren interessiert an uns und wollten uns integrieren. Auch mein Unterricht war hervorragend. An der Uni in Hildesheim studiere ich Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Musik. Ich genoss es sehr, dass ich mich in Campobasso einige Monate lang komplett auf die Musik konzentrieren konnte. Während ich in Deutschland oft nur eine Stunde am Tag Klavier übe, konnte ich in Campobasso mindestens drei Stunden am Tag spielen, oft mehr. Meine Klavierlehrerin nahm sich immer sehr viel Zeit für mich, meistens dauerte der Unterricht doppelt so lang wie vorgesehen. Auch die übrigen Veranstaltungen unterschieden sich von meinem Studium in Deutschland. Es fing damit an, dass nirgendwo auf der ohnehin sehr unübersichtlichen Homepage ein Vorlesungsverzeichnis zu finden war.
„Ich lernte unglaublich viel am Konservatorium“
Stattdessen musste ich am Anfang des Studienjahres in persönlichen Gesprächen mit den Dozenten den Stundenplan festlegen und wöchentliche Zeiten vereinbaren. Doch dadurch waren meine Veranstaltungen perfekt auf mich abgestimmt. In Harmonielehre und Analyse bekam ich zum Beispiel Einzelunterricht, ein riesiger Luxus, der mich sowohl inhaltlich als auch im Hinblick auf mein Italienisch weiterbrachte. Ich liebte außerdem meinen Kammermusik-Unterricht, in dem ich mit einer Sängerin, die auch schnell zur Freundin wurde, ein kleines Programm erarbeitete. Oft hörte ich von Studenten, die von ihrem Erasmus-Semester zurückkamen, dass sie zwar persönlich und kulturell viel mitgenommen hätten, die Uni aber nicht sehr spannend gewesen sei. Bei mir war das Gegenteil der Fall. Ich lernte unglaublich viel am Konservatorium und konnte auch mein Klavierspiel ein ganzes Stück weiterentwickeln, wovon ich bis heute profitiere. Einige Ausflüge unternahm ich mit Erasmus-Studenten von der Uni, und gemeinsam bewunderten wir die Schönheit von Rom, Neapel und Florenz sowie von kleinen Städtchen in der Umgebung und am Meer. Italien wird nicht umsonst oft als „Land der Sehnsucht“ bezeichnet, die Kombination aus abwechslungsreichen, wunderschönen Landschaften und unglaublichen Bauwerken ist einfach atemberaubend.
„Weit weg von aller touristischen Hektik konnte ich hier richtiges italienisches Leben kennenlernen“
Ein wichtiger Bestandteil meines Lebens in Campobasso war auch der Chor, in dem ich mitsang. Gerade während der Weihnachtszeit, die ich in Campobasso verbrachte, hatten wir viele Chorauftritte, durch die ich kleine Dörfer in der Umgebung zu sehen bekam und eine tolle Zeit mit den anderen Chormitgliedern verbringen konnte. Das Schöne am Singen war, dass ich mich auch ohne perfekte Sprachkenntnisse sofort in den Chor integrieren konnte. Alle Chormitglieder nahmen mich von Anfang an herzlich auf, versuchten, mir Wörter aus dem lokalen Dialekt beizubringen, und luden mich zu einigen gemeinsamen Abenden ein. Nach meiner anfänglichen Skepsis und dem Anflug von Neid auf Freunde, die ihr Erasmus-Semester in angesagten europäischen Großstädten verbrachten, war mir bald klar, dass Campobasso das Beste war, was mir hätte passieren können. Weit weg von aller touristischen Hektik konnte ich hier ungefiltert richtiges italienisches Leben kennenlernen. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten konnte ich auch schnell italienische Freunde finden. Und als ich die typisch deutsche Genauigkeit erst einmal abgelegt hatte und mich nicht mehr über langgezogene Administrationsprozesse, Unpünktlichkeit oder Kommunikationsprobleme ärgerte, kam ich mit der Mentalität der Italiener gut zurecht. Viele Probleme ließen sich mit einer Portion Humor und Geduld besser lösen. Außerdem erweiterte sich mein Horizont in Hinblick auf Europa deutlich. Durch die anderen Erasmus-Studenten lebte ich in einem internationalen Umfeld, sodass ich indirekt noch andere Länder kennenlernte, mit denen ich bisher nichts zu tun gehabt hatte.
„Mein Aufenthalt endete mit einem Ausflug in einen wunderschönen Küstenort“
Immer wieder schwelge ich in Erinnerungen an spontane Abende mit Wein, tiefgehende Gespräche über Europa und den Rest der Welt, Gitarrenmusik, meinen tollen Klavierunterricht, Ausflüge ins Ungewisse oder den tschechisch-polnisch-portugiesisch-deutschen Heiligabend. Am meisten zu schätzen lernte ich die Herzlichkeit, die Lebensfreude und die Gelassenheit der Italiener. Und auf die Aussage: „Ach wie schön, du verbringst den Winter im warmen Italien“ konnte ich im Nachhinein doch noch mit „Ja“ antworten. Denn trotz der eisigen Januarkälte in unserem Altstadthäuschen war es dank der wundervollen Menschen, die ich kennengelernt hatte, eine der wärmsten Zeiten in meinem Leben. Dementsprechend traurig war ich, als die Zeit in Campobasso zu Ende ging. Auch wenn es schwierige Zeiten gegeben hatte und ich über die Weihnachtsferien ein bisschen einsam gewesen war, überwog doch eindeutig das Positive. Mein Aufenthalt endete mit einem Ausflug in einen wunderschönen Küstenort, zu dem mich zwei italienische Freundinnen eingeladen hatten. Bevor ich zurückflog, verbrachte ich noch zwei Tage in Rom bei einer französischen Freundin, die ich in Florenz getroffen hatte. Nach diesen beiden letzten Highlights sah die Landung auf dem Berliner Flughafen gleich doppelt so grau aus. Aber meine wertvollen Erinnerungen bleiben mir erhalten. Und die nächste Italienreise kommt bestimmt.
Katharina Merz, 22, will zunächst ihr Bachelorstudium an der Universität in Hildesheim abschließen. Dann möchte sie für zwei Monate als Freiwillige nach England oder Irland gehen, um ihr Englisch zu verbessern, und danach ihr Masterstudium beginnen.
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