Ein Traum wurde Wirklichkeit
Es ist der 27. Januar und ich stehe vor dem Gate B31 am Frankfurter Flughafen, bereit, das größte Abenteuer meines Lebens zu beginnen. Vor mir liegen ungefähr 30 Stunden Flug zusammen mit den rund 80 anderen Austauschschülern meiner Organisation.
Die letzten Tage in Deutschland habe ich mit Kofferpacken, Freunde treffen und Abschied nehmen verbracht. Ich bin aufgeregt und kann nicht abwarten, endlich in Neuseeland und meinem neuen Leben anzukommen. Für mich stand schon immer fest, dass ich ein Auslandsjahr machen wollte, und innerhalb von ein paar Monaten wurde mein Traum zur Realität. Als ich dann am 29. Januar in Te Anau, einer kleinen Stadt mitten in der Fjordlandschaft auf der Südinsel Neuseelands, ankam, konnte ich es immer noch nicht richtig glauben. Meine Gastfamilie begrüßte mich herzlich und am besten gefiel mir von Anfang an, dass ich sofort als Familienmitglied und nicht als Gast gesehen wurde. Das half mir dabei, mich in den relaxten „Kiwi-Lifestyle“ einzufinden. In den ersten Tagen half mir meine Gastfamilie sehr und unternahm einiges mit mir. Meine Gastmutter Linda zeigte mir zum Beispiel Te Anau und Manapouri. Bill, mein Gastvater, überhäufte mich als „Fish & Game Manager“ mit Informationen über die Tier- und Pflanzenwelt der Fiordlands und meine Gastgeschwister Kate und Hamish erzählten mir alles über Schule, Sport und die verschiedenen Fernsehprogramme.
Drei Tage nach meiner Ankunft stand mein erster Schultag bevor. Ich war total aufgeregt, nicht wegen der Schule an sich, sondern wegen der anderen Schüler, die später vielleicht meine Freunde werden würden. Ich wurde von der Schulleiterin, Ms Miller, herzlich begrüßt und danach von meinem International Student Director zu meiner Klasse gebracht: 11Ve. Als ich den Klassenraum betrat, stellte ich zum ersten Mal fest, wie klein die Kurse an dieser doch überschaubaren Schule mit nur gut 200 Schülern waren. Mein Naturwissenschaftskurs bestand aus 16 Schülern und war damit meine größte Klasse. Im Geschichtsunterricht saßen gerade Mal fünf Schüler. Der erste Schultag war schrecklich: Ich hatte keine Ahnung, wo was war, und fühlte mich, als wäre ich die ganze Zeit am falschen Ort. Aber das war nichts im Vergleich zum zweiten Schultag, als noch Heimweh hinzukam. In Physik, der letzten Stunde des Tages, überkam es mich einfach. Das Gemeine an Heimweh ist, dass man nichts dagegen tun kann und dass man es nicht unbedingt zeigen möchte. Ich hatte in gewisser Weise auch das Gefühl, dass es peinlich ist. Das ist es natürlich nicht, aber wenn man Heimweh hat, schaltet das Gehirn einfach ab. Ich saß also im Physiksaal und versuchte meine Tränen zu unterdrücken, was mir natürlich nicht gelang. Ich kann nicht beschreiben, wie froh ich war, als es endlich läutete und ich nach Hause gehen konnte. Dort wurde ich sofort von meiner Gastmutter in den Arm genommen und getröstet.
Als ich mich einigermaßen beruhigt hatte, führte sie mich in mein Zimmer und gab mir sowohl eine Tasse Tee als auch das Telefon, damit ich in Ruhe meine Eltern anrufen konnte. Wir telefonierten insgesamt zwei Stunden miteinander. Nachdem wir aufgelegt hatten, ging es mir wieder gut. Erst jetzt realisierte ich, dass ich meine Eltern um 4 Uhr morgens geweckt hatte und dass die Telefonrechnung meiner Gastfamilie recht hoch werden würde. Aber nach diesem Nachmittag hatte ich – zum Glück – nie mehr Heimweh. In den darauffolgenden Wochen lebte ich mich ziemlich gut ein und verstand mich immer besser mit meinen Klassenkameraden. Ich wurde in das Volleyballteam meiner Schule aufgenommen und spielte jeden Freitagabend „Social Netball“. Bei den Schulveranstaltungen wie „Sports-Fun-Day“, „Athletics-Day“ und „Camp-Week“ hatte ich viel Spaß. Und dann kam der 12. März. Es war eine interessante Erfahrung, meinen Geburtstag ohne meine Familie und Freunde zu verbringen. Von meiner Gastfamilie bekam ich ein Geschenk und den traditionellen „sponge cake“, einen Biskuitkuchen. In der Schule wurde ich total überrascht. Meine Klassenlehrerin teilte mir mit, dass ich in der Mittagspause zu meinem Klassenzimmer kommen sollte, verriet mir aber nicht, warum. Ich tat, wie mir geheißen, um mich erst einmal auf dem Gang wiederzufinden, weil mich mein Mathelehrer nicht reinlassen wollte. Nach circa zehn Minuten ging er ohne ein Wort einfach davon und ich ging ein wenig verwirrt ins Klassenzimmer. Dort wurde ich mit einem „Happy Birthday“, Geschenken und haufenweise Kuchen von den Mädchen meines Jahrganges begrüßt. Wir hatten viel Spaß und ich werde diese ganz besondere Mittagspause nie vergessen!
„Bei Sportveranstaltungen versucht man, möglichst viele Punkte für das eigene Haus zu sammeln“
Das neuseeländische Schulsystem unterscheidet sich sehr vom deutschen Schulsystem, zum Beispiel in der Anzahl der Fächer. Neuseeländische Schüler belegen fünf oder sechs Fächer, während wir in Deutschland ungefähr 13 haben. Auch gibt es in Deutschland keine „Häuser“. An meiner Gastschule gab es vier: Rutherford, Mansfield, Hillary und Batten. Jeder Schüler und Lehrer gehört einem „House“ an, in meinem Fall war es Hillary. Zum Beispiel bei Sportveranstaltungen versucht man, möglichst viele Punkte für das eigene Haus zu sammeln. Am Ende des Schuljahres bekommt das Haus mit den meisten Punkten einen meist recht lustigen Preis, der sich jedes Jahr ändert. Eine Woche vor den Schwimmwettbewerben gab es „House-Meetings“, bei denen man sich für verschiedene Aktivitäten in Listen eintragen musste. Ich stand vor einer dieser Listen und murmelte mehr zu mir selbst „Was bedeutet ‚breast-stroke‘?“ Natürlich erwartete ich keine Antwort, als es von hinten kam: „Brustschwimmen“. Ganz ehrlich, wenn man in Neuseeland ist, dann erwartet man nicht, dass der eigene Physiklehrer aus Deutschland kommt, oder? Das Beste an der ganzen Geschichte aber war, dass niemand darüber nachgedacht zu haben schien, dass es für mich vielleicht interessant sein könnte, es zu wissen! So viel zum Thema: Ich gehe in einen kleinen Ort mit keinen anderen Deutsch sprechenden Menschen. Ich fand später nämlich noch heraus, dass die Mutter einer Freundin aus der Schweiz stammt.
„Natürlich ging ich auch auf den Schulball“
Die Monate vergingen wie im Flug und waren vollgepackt mit schönen Momenten. Über Ostern wanderte ich mit meiner Gastfamilie und den Pfadfindern den Routeburn Track, einen der „Great Walks of New Zealand“. Ich machte beim Musical „High School Spoof-Ical“ meiner Schule mit, das ein großer Erfolg wurde, und ehrlich gesagt irre viel Spaß gemacht hat. Natürlich ging ich auch auf den Schulball. Dieser wurde von den Abschlussschülern organisiert und hatte das Thema „Candyland“. Schon Wochen vor dem Ball wurde heiß diskutiert, wer mit wem hingeht, was man anzieht und was man mit den Haaren machen wird. Am Tag des Schulballs durften die älteren Schüler nach der dritten Stunde gehen, um sich fertig zu machen. Ich ging mit zu meiner Freundin Chloe und nach und nach kamen auch noch andere Mädels dazu. Chloes Tanten machten uns hübsch und schon vor dem Ball hatten wir alle viel Spaß und den halben Speicher unserer SD-Karten voll. Der Ball selbst fand in einem Hotel statt und war sehr schön. Ein DJ legte auf und wir tanzten vom frühen Abend bis Mitternacht weitgehend ohne Pause durch. Der krönende Abschluss des Balls bestand darin, dass die Rauchmaschine den Feueralarm des Hotels in Gang setzte und alle –auch die Gäste– das Hotel verlassen mussten und die Feuerwehr anrückte.
Nun blieben nur noch wenige Wochen, bis ich Te Anau verlassen musste. Diese verbrachte ich damit, mich mit meinen Freunden zu treffen und noch einmal alles richtig zu genießen. In meiner letzten Woche organisierten meine Freunde und meine Klassenlehrerin eine Abschiedsfeier für mich und wir trafen uns bei meiner Lehrerin zu Hause. Alle brachten etwas zu essen mit und wir redeten viel miteinander. Meine beste Freundin JB schenkte mir ein gerahmtes Foto, das uns beide auf dem Schulball zeigt. Die anderen überreichten mir haufenweise Abschiedskarten und eine DVD über das Fiordland. Außerdem unterschrieb jeder mein T-Shirt vom Hinflug, das so mit vielen schönen Erinnerungen verschönert wurde. Der letzte Schultag war sehr schwer für mich. Am Anfang war noch alles normal. In der Mittagspause lief ich mit ein paar Mädels herum, die Fotos von mir mit anderen Schülern und mit den Lehrern machten. Nach Schulschluss trafen meine Freunde und ich uns am Eingang und standen in einem Kreis beisammen.
„Am schwersten fiel es mir, mich von meiner Gastfamilie zu verabschieden“
Niemand wollte damit anfangen, sich zu verabschieden. Aber irgendwann musste jemand beginnen und wir fingen an zu weinen. Als alle gegangen waren, verabschiedete ich mich von meiner Schulleiterin, die ebenfalls ein paar Tränen verdrückte. Am schwersten fiel es mir, mich von meiner Gastfamilie zu verabschieden. Vor allem mein Gastvater und ich hatten sehr damit zu kämpfen, dass ich gehen musste. Die zwei darauffolgenden Wochen reiste ich mit meinen Eltern, die mich in Te Anau abgeholt hatten, durch Neuseeland und erforschte zusammen mit ihnen noch ein paar Ecken des Kiwilandes. Der Rückflug war lang und mit gemischten Gefühlen verbunden, weil ich noch ein zweites Mal Abschied nehmen musste. Und zwar von einem Land, das ich kennen und lieben gelernt hatte. Ich bin froh, dass ich mich trotz der Schulzeitverkürzung G8 für einen Auslandsaufenthalt während der 9. Klasse entschieden habe, und die sechs Monate in Neuseeland waren die besten meines bisherigen Lebens. Ich kann jedem wirklich nur empfehlen: Geht raus in die Welt, lernt euch selbst neu kennen; ihr werdet Erfahrungen machen, die ihr sonst nie gemacht hättet!
Johanna Hashagen, 15, lebt in Eltville am Rhein in der Nähe von Frankfurt. Sie besucht die Jahrgangsstufe 10 des St. Ursula Gymnasiums in Geisenheim und plant nach dem Abitur und vor dem Studium, noch einmal ins Ausland zu gehen.
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