Von geduldigen Franzosen und Sprachschülern aus aller Welt
Nachdem ich die Uni beendet hatte, stand mir nach den nervenaufreibenden Monaten der Magisterarbeit der Sinn nach Freiraum und Reisen. Direkt ins Arbeitsleben einzusteigen, wäre zwar eine denkbare Option gewesen, jedoch erschien es mir verlockender, meine neu erlangte Freiheit erst einmal für etwas anderes zu nutzen.
Ich wollte mir ein anderes Land anschauen und nicht zuletzt mein bis dato noch recht dürftiges Französisch aufbessern. Sofort kam mir der Gedanke, meine Reiselust am besten mit einem Sprachkurs zu verbinden. Ein Zeitraum von ein bis zwei Wochen wäre allerdings zu kurz gewesen, um eine wirkliche Verbesserung meiner Sprachkenntnisse zu erreichen. Also entschied ich, Nägel mit Köpfen zu machen und einen dreimonatigen Sprachkurs inklusive einer eigenen Unterkunft zu buchen. Bei einer ersten Internetrecherche stieß ich direkt auf sehr gute Angebote und fand schnell einen geeigneten Sprachreiseanbieter. Viel schwieriger war jedoch zu entscheiden, wohin die Reise gehen sollte: Kanada klang verlockend, Frankreich wiederum erschien mir als Wiege der französischen Sprache am sinnvollsten. Schließlich fiel meine Wahl auf Lyon, die zweitgrößte Stadt Frankreichs. „La ville de gueule“, die französische Hauptstadt der Gaumenfreuden, ist Entstehungsort des weltweit ersten Films und bekannt für seine UNESCO-geschützte Altstadt, noch dazu laut den Beschreibungen der Reiseanbieter eine unglaublich junge, dynamische Studentenstadt.
Meine zukünftige Sprachschule gefiel mir nach erster Betrachtung der Kurse ebenfalls sehr gut: Das Kursprogramm bestand aus einer ausgewogenen Mischung aus Grammatik, Hörverständnis, allgemeinem und praxisorientiertem Vokabular, französischer Kultur und mündlichem Ausdruck. Ich hatte die Wahl zwischen 15 und 25 Unterrichtsstunden pro Woche. Ich entschied mich für die intensivere Variante, um so viel wie möglich aus meinem Aufenthalt in Lyon herausholen zu können. Ich war erstaunt, wie unproblematisch sich die Vorbereitung meiner Reise gestaltete: Innerhalb von zwei Wochen war meine Reise gebucht. Vor der Abreise war nur ein kleiner Online-Sprachtest für die Einordnung meiner Sprachkenntnisse abzulegen. Abgesehen davon hatte mein Sprachreiseanbieter sowohl die Einschreibung bei meiner Sprachschule als auch die Buchung meines Ein-Zimmer-Apartments in einer zentralen Studentenresidenz ohne mein weiteres Zutun übernommen. Ich flog mit einem Direktflug von Hamburg nach Lyon und fand nach der Ankunft sofort die kleine Straßenbahn, die mich vom Flughafen innerhalb von 20 Minuten in den Stadtkern brachte und nahm von dort ein Taxi zu meiner Residenz. Da ich an einem Samstag anreiste, die Schule jedoch erst am Montag begann, hatte ich zwei Tage Zeit, um mich ein wenig in Lyon umzuschauen und die Formalitäten mit der Residenz zu klären. Zum Glück sprach eine der Empfangsdamen Englisch, sodass ich alle weiteren Erklärungen zur Vertragsunterzeichnung für das Apartment, für die Abrechnung von Strom und Wasser und die Hausordnung sehr gut verstehen konnte.
Dennoch, die ersten Herausforderungen ließen nicht lange auf sich warten: Mein Apartment sollte im Voraus mit Geschirr, Besteck, Bettdecke, Kissen und Handtüchern ausgestattet werden, wovon die Empfangsdame allerdings nichts wusste. Um zumindest am Anreisetag vernünftig schlafen zu können, stiefelte ich also am Samstagabend los, nahm die Metro bis zu Lyons großem Einkaufszentrum „Part-Dieu“ und kaufte mir die nötigsten Dinge wie Bettdecke und Kissen. Dieses Erlebnis war etwas ernüchternd, war doch vorab alles so reibungslos gelaufen. Im Nachhinein ließ sich das Problem aber am ersten Tag in meiner Sprachschule klären, sodass ich doch noch meine Utensilien erhielt. Den Sonntag verbrachte ich mit einer ersten Erkundungstour durch Lyon. Ich fuhr mit der Metro bis zu meiner Sprachschule, um am ersten Schultag nicht zu spät zu kommen, spazierte ein wenig an der Rhône entlang, kaufte in einem der vielen Supermärkte Lebensmittel ein und schaute mir meinen Stadtteil genauer an. Ich wohnte direkt in Lyons „Maghreb“-Viertel mit vielen kleinen arabischen Geschäften, afrikanischen Restaurants, Moscheen und Hochzeitsläden. Kurz gesagt war es eine unglaublich spannende Mischung, die ich nach kürzester Zeit sehr lieb gewinnen sollte. Dies lag nicht zuletzt an der großen Freundlichkeit, mit der mich die Ladenbesitzer bei jedem Einkauf grüßten, und ihrem Vergnügen daran, mir bei jeder Gelegenheit über ihre Kulturen, ihre Migrationsgeschichte, ihre Familien und natürlich auch über Spezialitäten ihrer Landesküchen zu berichten.
„Ich erschrak ziemlich, als ich von dem hohen Sprachniveau meines Kurses erfuhr“
Mein erster Tag in der Sprachschule blieb mir in sehr schöner Erinnerung: Ich wurde zuerst herzlich von einer Lehrerin an der Tür empfangen, die mich dann zu den anderen, bereits eingetroffenen Schülern brachte. Ich schloss mich sofort mit mehreren Studenten aus Russland, Deutschland und der Schweiz zusammen. An der Sprachschule waren von Brasilien, England, Kolumbien und den USA über Spanien, Russland und Deutschland bis hin zu China und Korea zahlreiche Nationen vertreten. Der Altersdurchschnitt lag bei Anfang bis Mitte 20. Die meisten Sprachschüler waren Studenten, die ihre Semesterferien nutzten, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Nach der ersten Begrüßung und der Einführung in das Freizeitprogramm der Schule sowie einigen Erklärungen zur Raumorganisation und der Vorstellung der Lehrer wurde jeder neue Schüler für einen kurzen mündlichen Sprachtest in einen separaten Klassenraum gebeten. Ich erinnere mich, dass ich ein ziemliches Kauderwelsch von mir gab, erstaunlicherweise schien es jedoch die Lehrerin so begeistert zu haben, dass ich direkt in den C1-Kurs platziert wurde. Ich erschrak ziemlich, als ich von dem hohen Sprachniveau meines Kurses erfuhr und protestierte mehr oder weniger vehement. Die Lehrer schienen jedoch so viel Vertrauen in mich zu haben, dass ich erst einmal gebeten wurde, in dem Kurs zu bleiben. Falls es mir gar nicht gefallen sollte, würde ich den Kurs noch wechseln können.
„Es herrschte ein offenes, herzliches Gruppenklima“
Für die eigene Sicherheit und auch das Selbstbewusstsein war es meiner Meinung nicht besonders förderlich, zu Beginn mit einem zu hohen Niveau anzusetzen. Die Hemmungen, in den ersten Tagen und Wochen frei heraus zu sprechen, sind sicherlich normal, doch durch ein zu hohes Sprachniveau unnötig Druck aufzubauen, war eher hinderlich. Ich war während der ersten Tage dementsprechend verunsichert, blieb aber letztendlich während meines gesamten Aufenthalts im C1-Kurs. Das lag vor allem an meinen fantastischen Lehrern, die sehr interessante sozialkritische, politische und kulturelle Themen behandelten, wie beispielsweise Frankreichs Sozialsystem, die Einwanderungs- und Umweltpolitik oder Identitätsbildung. Für jede Woche wurde ein Themenblock festgelegt und anhand unterschiedlicher Methoden vermittelt. Dazu gehörten Gruppendiskussionen, eigene Präsentationen, Diktate, Filmanalysen, Vokabeltests, Hörverständnisübungen und Umfragen, bei denen man Passanten nach ihrer Meinung fragen sollte. Manchmal musste ich mich ziemlich überwinden, während des Unterrichts frei heraus zu sprechen, aber eine bessere Übung hätte ich nicht haben können. Innerhalb kürzester Zeit verbesserte sich mein Sprachschatz um das Vielfache und dank der optimalen Kursgröße von fünf bis acht Schülern wurde jeder sehr gut gefördert. Es herrschte ein offenes, herzliches Gruppenklima, jeder Beitrag wurde wertgeschätzt und die internationale Zusammensetzung gab den Diskussionen die nötige Würze.
„Ich empfehle jedem, einfach drauflos zu plappern“
Neben dem Unterricht wurde jede Woche eine Evaluation der Sprachkenntnisse anhand eines Tests durchgeführt. Davor musste man keine Angst haben, es ging eher darum einzuschätzen, ob Fortschritte zu verzeichnen waren und in welchem Bereich mehr Förderungsbedarf bestand. Für mich waren diese Tests immer sehr spannend, schließlich ging es vor allem darum, die eigenen Sprachkenntnisse zu verbessern, und die Tests dienten als eine Art Spiegel dafür. Die kurzen Pausen zwischen den Unterrichtseinheiten verbrachten wir meistens zusammen im Gemeinschaftsraum. Dort wurden Ausflüge in den UNESCO-geschützten Stadtkern Lyons, ins Filmmuseum der Gebrüder Lumière oder zu Weinverkostungen besprochen. Wir planten Abendessen in den Restaurants des Sternekochs Paul Bocuse, die verhältnismäßig preiswert waren, oder auch Partys und Kneipentouren. Da Lyon eine sehr junge Studentenstadt ist, gibt es viele Bars und Clubs. Es gab keinen besseren Ort, um mit französischen Studenten in Kontakt zu kommen. Ich empfehle jedem, einfach drauflos zu plappern. Das Vorurteil, dass Franzosen eine Ablehnung gegenüber Menschen haben, die ihre Sprache nicht perfekt beherrschen, ist meiner Erfahrung nach kompletter Unsinn. Vielmehr erhielt ich jedes Mal Komplimente und weckte sofort die Neugier meiner Gesprächspartner. In den ersten Wochen lernte ich sehr nette französische Studenten kennen, die sehr viel Geduld hatten, und mit denen ich fortan viel unternahm. Dies war außerdem eine gute Strategie, um die Umgangssprache zu lernen. Meine Mitschüler und ich verabredeten uns auch häufig, meistens trafen wir uns in meinem kleinen Studio, gingen abends ins Kino oder zum Essen in die kleinen traditionellen Restaurants, die „Bouchons“.
„In den Gesprächen mit Franzosen schätzte ich besonders ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion“
Während des letzten Monats meines Aufenthalts in Lyon nutzte ich die guten Zugverbindungen von Lyon aus und fuhr einige Tage nach Paris und Marseille, um dort alte und neu gefundene Freunde zu besuchen. Diese Städtereisen kann ich nur wärmstens empfehlen. Lyon ist eine interessante Stadt, aber die Vielfalt Frankreichs lässt sich am besten durch weitere Reisen entdecken. Während meines dritten Monats merkte ich jedoch langsam, dass es Zeit wurde für etwas Neues. Die Sprachschule war weiterhin wunderbar, ich bekam dennoch große Lust, mit der Jobsuche zu beginnen und zu schauen, inwieweit meine neu gewonnenen Sprachkenntnisse mir dabei helfen konnten. Der Abschied von Lyon, der Sprachschule und meinen Freunden und Lehrern fiel mir schwer, aber die Aussicht auf das neue Abenteuer „Berufswelt“ und auf das Wiedersehen mit meiner Familie und meinen Freunden in Hamburg konnte die wehmütigen Gedanken vertreiben. Nach drei sehr intensiven Monaten in Lyon kann ich abschließend sagen, dass ich keine bessere Entscheidung hätte treffen können. Vor meiner Reise hatte ich nur mediale Bilder über Frankreich im Kopf. All die Vorurteile über Franzosen wie die Arroganz und Überheblichkeit, die irrationale Kunst- und Streikkultur, die Ablehnung gegenüber jedem, der kein perfektes Französisch spricht, bewahrheiteten sich kein einziges Mal, vielmehr wurde ich täglich vom Gegenteil überzeugt. In den Gesprächen mit Franzosen schätzte ich besonders ihre beeindruckende Fähigkeit zur Selbstreflexion. Selbst unangenehme Themen, egal ob privat oder öffentlich, wurden intensiv und kritisch hinterfragt. Ich war immer wieder erstaunt, wie sehr meine Ansichten zu Politik, Wirtschaft, Geschichte und Kultur denen meiner französischen Freunde und Lehrer glichen und wie offen ich meine Gedanken ihnen gegenüber äußern konnte und danach gefragt wurde. Alles in allem habe ich meine Sprachreise sehr genossen, Freunde fürs Leben gewonnen, meine Sprachkenntnisse um ein Vielfaches verbessert und noch dazu eine Kultur kennengelernt, die mir anfangs noch so fremd und andersartig erschien.
Abigail Nimoh, 27, ist nach Beendigung ihrer Sprachreise in Lyon nach Berlin umgezogen und arbeitet derzeit im Bereich internationales Personalmanagement. Um ihre Französischkenntnisse wieder aufzufrischen, steht als nächstes Reiseziel Marseille auf dem Plan.
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