Kinderhüten am anderen Ende der Welt
Zwei kleine Kinder, rund 400 Kälber, 40 Kühe, sechs Hühner, drei Lämmer, eine Katze und ein Hund: Eine quasi alleinerziehende Mutter mit diesem Aufgebot an Trubel braucht Hilfe. Vor einem Jahr hätte ich mir wohl nicht träumen lassen, dass genau ich die Person sein würde, die auf einem neuseeländischen Bauernhof einer völlig chaotischen Frau das Leben erleichtern sollte.
Doch so stand ich am anderen Ende der Welt mit zwei heulenden Kindern, die nichts anderes wollten als zu ihrer Mama. Anstatt mich an der endlosen grünen Weite mit dem strahlend blauen Meer am Horizont zu erfreuen, befand ich mich im Dauerstress. Denn neben dem Beschäftigen der quengelnden Kinder sollte ich die Wäsche waschen, das Haus aufräumen und kochen. Für eine frisch gebackene Abiturientin, die sich zwei Tage nach dem Abiball in ihr Traumland aufgemacht hatte, war dies nicht unbedingt der leichteste Job, doch sicherlich einer der spannendsten.
Bereits seit Jahren stand für mich fest, dass ich nach der langen Schulzeit ins Ausland und dort mein Leben mit Abenteuern statt Lernen auf den Kopf stellen wollte. Damit ich während dieser Zeit auch wirklich frei und unabhängig sein konnte, wählte ich das am weitesten von Deutschland entfernt gelegene Land aus: Neuseeland. Wirklich viel Ahnung von dem kleinen Inselstaat hatte ich nicht, trotz dieser Tatsache blickte ich meinem Auslandsaufenthalt eher entspannt entgegen. Gar nicht so entspannt war dagegen die Vorbereitung als Au-Pair. Über 400 Stunden Arbeit mit Kindern musste ich vorweisen, um mich überhaupt bewerben zu können. Also verbrachte ich sehr viel Zeit mit Babysitten und verdiente mir nebenher noch etwas Geld zum Herumreisen in Neuseeland. Nachdem ich mich beworben hatte, fand ich ziemlich schnell eine passende Familie: Tim und Narelle lebten zusammen mit ihren beiden drei- und vierjährigen Kindern Leighton und Hayley auf einer Farm im Nordwesten der Nordinsel Neuseelands. Da Tim jeweils drei Wochen am Stück auf einem Boot arbeitete, war Narelle in der Hochsaison regelmäßig alleine auf der Farm und konnte sich neben den Kühen nicht auch noch um ihre Kinder kümmern. Also brauchten sie Unterstützung und die sollten sie in diesem Jahr von mir erhalten.
Nach 26 Stunden Flug kam ich in Neuseeland an und erfuhr zunächst in einem Orientierungskurs alles über Erdbeben, Allergien bei Kleinkindern und den beliebten Kuchen „Lamington“. Dort lernte ich Rachel aus San Francisco kennen, die meine beste Freundin in Neuseeland werden sollte. Da ich wusste, dass sie in der Nähe von mir wohnte, machte ich mir weniger Gedanken darüber, ob ich schnell Freunde finden würde. Diese Sorgen waren ohnehin unbegründet: Die anderen Au-Pairs befanden sich in der gleichen Situation und wollten auch möglichst schnell Kontakte knüpfen. Außerdem waren die Einheimischen ebenfalls sehr nett. Zwei Tage nach dem Orientierungskurs ging es zu meiner Gastfamilie nach Taranaki und ab diesem Zeitpunkt begann mein neues Leben auf dem Bauernhof. Sobald die Kinder aufgewacht waren, fing mein Arbeitstag an und endete erst nach erbitterten Kämpfen um das furchtbar langweilige Zähneputzen und Schlafengehen. Hört sich nicht nach einer traumhaften Zeit an? Das war es aber! Denn in der Zeit zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang entdeckten wir zusammen die wunderschöne Umgebung am Strand, erlebten Abenteuer auf Spielplätzen und bauten Freundschaften zu anderen Au-Pairs und ihren Schützlingen auf. Zu Hause kochten wir, besuchten Narelle auf der Farm und zogen zwei kleine Lämmer mit der Flasche auf. Letzteres war für mich, die im Ruhrpott aufgewachsen war und nie etwas mit Tieren zu tun gehabt hatte, eine echte Herausforderung. Morgens um 6 Uhr lief ich mit zwei müden Kindern zum Stall, weil sie unbedingt „Cutie“ und „Bumblebee“ füttern wollten, füllte Milch ab – und fütterte die Tiere letztendlich doch selbst. Ich musste lachen, wenn ich an meine Freunde zu Hause dachte, die mir das niemals zugetraut hätten.
„Doch irgendwann wurde mir bewusst, dass ich mich als Kind ähnlich verhalten hatte“
Nach und nach entwickelte sich ein tolles Verhältnis zwischen den Kindern und mir, jedoch brauchte das auch so seine Zeit. Hayley und ich verstanden uns von Anfang an sehr gut. Zusammen waren wir ein Dream-Team und sie half mir besonders zu Beginn, wenn ich etwas noch nicht wusste. Bei Leighton war die Situation etwas schwieriger, da er eine Sprachbehinderung hatte und bis auf wenige Wörter überhaupt nicht redete. Zudem liebte er seine Mutter so sehr, dass er jedes Mal herzergreifend weinte, wenn diese zur Arbeit musste. Zwischendurch zweifelte ich dadurch etwas an meinen Fähigkeiten als Nanny, schließlich sollten sich die Kinder ja über die Zeit mit mir freuen. Doch irgendwann wurde mir bewusst, dass ich mich als Kind ähnlich verhalten hatte. Danach lief es von Tag zu Tag besser, und als ich eines Morgens aufwachte, weil sich die beiden in meinem Bett an mich gekuschelt hatten und dort weiterschlafen wollten, erlebte ich wohl einen der schönsten Momente als Au-Pair.
„Ich seilte mich 30 Meter in die schwarze Tiefe einer Höhle zum Blackwater Rafting hinab“
Bei so vielen Aktivitäten mit den Kids und den vielen neuen Eindrücken kam ich überhaupt nicht dazu, mein Zuhause in Deutschland zu vermissen. Tatsächlich hatte ich in den ganzen acht Monaten gar kein Heimweh, was aber nicht unbedingt der Normalfall sein muss. Während meiner Zeit in Neuseeland brach ein anderes Mädchen ihren Aufenthalt ab, da es mit der Familie einfach nicht geklappt hatte und das Heimweh dadurch unerträglich geworden war. Schließlich bedeutete ein solches Leben so weit weg von zu Hause eine immense Umstellung in allen Bereichen. Dazu gehörte zum einen natürlich die Sprache: Selbst für diejenigen, die des Englischen mächtig sind, ist der „Kiwi-Slang“ ganz schön ungewohnt. Selbst als ich die verrückten Neuseeländer irgendwann ohne Probleme verstehen konnte, gab es genügend anderes Gewöhnungsbedürftiges. Spaghetti auf Toastbrot und die neuseeländischen Schokoladenfische hätte ich für fast jeden Preis gegen Schwarzbrot und Nutella eingetauscht. Doch der Verzicht darauf lohnte sich natürlich!
Außerdem erlebte ich Abenteuer, von denen die meisten in Deutschland nur träumen können. Ich seilte mich 30 Meter in die schwarze Tiefe einer Höhle zum Blackwater Rafting hinab, bestieg den Mount Taranaki und bewunderte in einem Kajak sitzend Millionen von Glühwürmchen. Nebenbei lernte ich die Neuseeländer und damit das netteste Volk der Welt kennen, aber auch viele junge Menschen in meinem Alter, die ebenfalls das Abenteuer Ausland wagten. Besonders freundete ich mich mit anderen Au-Pairs aus der Umgebung an. Innerhalb kurzer Zeit kannten wir einander so gut, als wären wir schon zusammen zur Grundschule gegangen und hätten das halbe Leben miteinander verbracht. Immerhin trafen wir uns nicht nur zu sogenannten „playdates“ mit den Kindern, sondern reisten auch am Wochenende durch das wunderschöne Neuseeland. Da in Taranaki nicht nur deutsche Au-Pairs wohnten, sondern auch schwedische, amerikanische und neuseeländische, war der Kulturmix perfekt.
„Von diesem Aufenthalt werde ich noch mein Leben lang erzählen und profitieren“
Nach sechs Monaten, die wie im Flug vergangen waren, fiel mir der Abschied von meiner Gastfamilie schwer. Vor der Rückkehr nach Hause hatte ich aber noch zwei weitere Monate vor mir, in denen ich mit meiner Freundin Luisa durch Neuseeland und Australien reisen wollte. Diese Zeit war der krönende Abschluss meines Auslandsaufenthaltes. Knapp einen Monat fuhren wir mit dem Auto, das meine Gastfamilie uns geliehen hatte, über die Südinsel, und konnten uns an den beeindruckenden Bergen, Gletschern, Buchten und Wäldern einfach nicht sattsehen. Häufig hielten wir mitten auf der Straße an, um ein Foto zu machen. Zwar ging auf unserer Reise auch eine ganze Menge schief – Strafzettel, geklaute Milch oder falsch eingeplante Fahrzeiten sind nur einige Beispiele. Doch jedes Mal konnten wir darüber lachen und fuhren einfach weiter. In Australien reisten wir auf der traditionellen Route von Ayers Rock nach Cairns und dann mit dem Bus bis nach Sydney. Wir sammelten so viele Eindrücke, die wir erst einmal verarbeiten mussten, und als wir uns zu Hause die Bilder anschauten, konnten wir so manches Mal nicht glauben, dass wir tatsächlich all diese kleinen Wunder gesehen hatten. Aber genau so war es: Zusammen hatten wir zwei tolle Länder erkundet, Menschen aus der ganzen Welt kennengelernt und niemals die gute Laune verloren.
Zurück in „good old Germany“ kann ich sagen, dass diese acht Monate zu den unvergesslichsten meines Lebens gehören. Und wer noch überlegt, ob er das Abenteuer Au-Pair vielleicht auch wagen sollte, dem kann ich nur dazu raten! Von diesem Aufenthalt werde ich noch mein Leben lang erzählen und profitieren. Denn erst in Neuseeland ist mir bewusst geworden, wie stark ich in bestimmten Situationen bin und wie gut ich mit Schwierigkeiten umgehen kann. Es war wirklich nicht immer leicht mit den Kindern, der Sprache und dem gänzlich anderen Leben auf dem Bauernhof. Aber nun weiß ich, dass ich diesen Herausforderungen selbst am anderen Ende der Welt gewachsen war. Und jeder, der das auch erleben will, sollte sich bewerben, einen Flug buchen, die Tasche packen und aufbrechen!
Sara Schurmann, 20, studiert Germanistik und Kunstgeschichte in Münster und möchte später wahrscheinlich Journalistin werden. Sie will so bald wie möglich wieder ins Ausland reisen, am liebsten für ein Praktikum. Außerdem plant sie einen Besuch bei ihrer besten Au-Pair-Freundin in San Francisco.
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