Viele erste Male

Freiwilligenarbeit in Frankreich

GESCHRIEBEN VON: KATRIN GABLER
LAND: FRANKREICH
AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
Nr. 10 / 2020, S. 40-41

Schule vorbei, Matura in der Tasche, jung und motiviert. So brach ich im Oktober nach Frankreich auf, um dort in einer kleinen Stadt namens Flers meine Freiwilligenarbeit zu leisten. Noch wusste ich nicht, welche prägenden Erfahrungen und überraschenden Entdeckungen ich in diesem Jahr machen würde. Einem Jahr voller erster Male, denn für einige Erlebnisse musste ich erst über 1300 Kilometer von zu Hause fort sein, um sie zum ersten Mal zu erleben.

Bei den meisten Freiwilligenprojekten gehört es dazu, seine eigene Kultur mit anderen auf verschiedenste Arten zu teilen. Als ich die Möglichkeit bekam, einen Kochworkshop über Österreich zu veranstalten, sagte ich sofort zu. Als jedoch die Frage kam, was ich denn kochen wollte, kam ich ins Grübeln. Wie sollte ich jemanden mit Überzeugung zeigen, wie man Schnitzel, Kaiserschmarren und Co. zubereitet, ohne es vorher jemals selbst zubereitet zu haben? Kochen war zwar schon immer eine Leidenschaft von mir (nicht nur, weil es zu der Sorte von Hobbys gehört, bei denen man das Ergebnis aufessen darf), jedoch hatte ich bis jetzt immer Freude daran, eher außergewöhnliche, exotische Gerichte auszuprobieren. Am Ende wurde daraus ein unvergesslicher Abend, an dem ich zum ersten Mal „richtig österreichisch“ kochte. Und die Schnitzel waren auch nur ein ganz kleines bisschen verbrannt.

Die kleine Stadt in der Normandie, in der ich mein Auslandsjahr verbrachte, war eine 50-minütige Zugfahrt vom Meer entfernt. Für mich als Mitteleuropäerin also nur einen Katzensprung. Von Anfang an war mir klar, dass ich, so oft es ging, ans Meer fahren würde. Ich habe zuvor schon öfter das Meer bei Sommerurlauben in Kroatien oder Italien besucht, jedoch musste ich gleich feststellen: Meer ist nicht gleich Meer. Wer schon mal den salzigen Wind des Atlantiks gespürt hat, weiß, wovon ich spreche. Das Wasser, die Strände, die Natur – alles ist so echt, so kraftvoll, so unglaublich schön. Fast jedes zweite Wochenende verbrachte ich irgendwo an den Küsten des Atlantiks. So kam es, dass ich gleich zwei erste Male erleben durfte: das erste Mal im Winter am Meer (ohne Schnee natürlich) und das erste Mal ganz alleine am Meer. Meine erste Woche in Frankreich verbrachte ich bei einer Gastfamilie. Nachdem ich am Vorabend todmüde ins Bett gefallen war, erlebte ich am ersten Morgen gleich einen kleinen kulturellen Unterschied. Als ich zum Frühstück erschien, fehlte noch einiges an Geschirr. Dachte ich zumindest. Statt Teller, Tassen oder Gläser befand sich für jeden nur eine einzige kleine Schüssel auf dem Tisch. Frisch und munter goss sich mein Gastgroßvater bereits Kaffee und Milch in seine Schüssel, nahm sich ein Stück Baguette, bestrich es mit Marmelade und gesalzener Butter und tunkte es vor dem Abbeißen noch einmal ordentlich in seinen Kaffee. Da wir uns ohnehin nur mittels Handzeichen oder dickem Wörterbuch verständigen konnten, machte ich es ihm einfach mal nach. Danach wurde der Kaffee aus der Schüssel geschlürft. Bon Appetit!

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Auch wenn es von außen so scheint, besteht ein Auslandsjahr nicht nur aus perfekten Sonnenstrahlmomenten, besonders im verregneten Norden Frankreichs. Neben Heimweh und anfänglichen Sprachschwierigkeiten ist mir vor allem ein Ereignis im Kopf geblieben: mein Geburtstag. Noch nie zuvor hatte ich meinen Geburtstag außerhalb von zu Hause verbracht. Normalerweise verbringe ich diesen Tag ganz gemütlich und kuchenessend mit der engsten Familie, die Nacht darauf, je nach Alter, feiernd umgeben von Freunden. Dieses Mal war es anders. Schon am Tag davor befand ich mich in einem melancholischen Stimmungstief und der Kuchen bei der Arbeit konnte mir auch nicht ganz darüber hinweghelfen. Meine Stimmung hellte sich erst auf, als ich ein riesengroßes Paket voll mit Geschenken von zu Hause erhielt. Mama, Papa, Schwester, Großeltern, Tanten und Cousinen – alle hatten etwas reingelegt! Schlussendlich war es einer meiner schönsten Geburtstage, denn an diesem Tag habe ich realisiert: egal, wie viele Kilometer ich von zu Hause weg bin, ich bin niemals allein.

„Zusammen mit meiner Großmutter verbrachte ich viele lustige Stunden an der Nähmaschine.“

Meine Freiwilligenarbeit leistete ich im MJC – La Maison des Jeunes et de la Culture. Dabei handelt es sich um ein Kultur- und Jugendzentrum, welches – ähnlich wie eine Volkshochschule – verschiedenste Kursangebote und Veranstaltungen für Jung und Alt im Programm hat. Neben einigen Sport- und Musikkursen gab es auch eine Bauchtanzgruppe, die regelmäßig kleine Vorführungen gab. Mich fasste man als gelernte Schneiderin dafür als Kostümgestalterin ins Auge. Zusammen mit meiner Gastgroßmutter verbrachte ich daher viele lustige Stunden an der Nähmaschine. Heraus kamen dabei acht bunte Patchwork-Bollywood-Röcke. Bei der Vorführung an sich hielt ich mich eher im Hintergrund und war dadurch umso überraschter, als ich meinen Namen durchs Mikrofon hörte: ein Blumenstrauß für mich, mit meinen 20 Jahren der erste, den ich jemals bekomme habe. Ich strahlte über das ganze Gesicht. Die Gegend, in der ich meine Freiwilligenarbeit verbrachte, war eher ländlich gelegen, sprich: Öffentliche Verkehrsmittel gab es kaum. Da ich mir das Herumreisen aber nicht nehmen lassen wollte, musste ich Alternativen finden. So kam es, dass ich mich eines Tages, zusammen mit einer weiteren Freiwilligen, an einer gut befahrenen Landstraße wiederfand und hoffnungsvoll den Daumen nach oben streckte. Ich kann mich noch genau an das Gefühl erinnern, als das erste Mal ein Auto anhielt. Freude und Erleichterung, da endlich jemand stehen blieb, gemischt mit Unsicherheit und Furcht. Unvermeidlich musste ich an meine Mutter denken, die mir als Kind eingetrichtert hatte, ja nie in ein fremdes Auto zu steigen. Glücklicherweise verliefen alle meine Autostopp-Aktionen immer positiv und fast alle Fahrer waren sehr sympathisch.

„Die Gastgeber nehmen sich meistens sehr viel Zeit, um dir ihre Heimat näher zu bringen und auch etwas über deine zu erfahren.“

Vom Trampen gleich zur nächsten kostenlosen Erfahrung: Couchsurfing! Für alle, die jetzt eher an eine verrückte Sportartdenken: Couchsurfing ist ein Online-Angebot, bei dem Einheimische einen kostenlosen Schlafplatz für Reisende anbieten. Es geht dabei vor allem ums Kennenlernen und Austauschen mit anderen Menschen und Kulturen. Die Gastgeber nehmen sich meistens sehr viel Zeit, um dir ihre Heimat näher zu bringen und auch etwas über deine zu erfahren. Oft kommt es auch zu gemeinsamen Unternehmungen. Während meines Auslandsjahres habe ich bei fünf verschiedenen Couchsurfinghosts in Frankreich und Portugal übernachtet. Von Übernachtung in einem leuchtturmartigen Gebäude in Dives-Sur-Mer und Ping-Pong-Turnieren mit einer portugiesischen Familie bis hin zum Singen von russischen Kinderliedern habe ich um einiges mehr erlebt und erfahren, als wenn ich bei meinen Reisen immer nur in Hotels und Hostels übernachtet hätte. So habe ich auch die französische Küche besser kennengelernt und die hat wirklich einiges zu bieten! Eigentlich hätte ich am Ende des Jahres rollend wieder nach Österreich zurückkehren müssen. Egal, ob Crêpes oder die pikante Variante Galettes, diverse Flammkuchen, Quiches, Tarte au pommes oder Moûles frites, alles schmeckt einfach köstlich! Wirklich alles? Nein, nicht alles. Schnecken zum Beispiel nicht. Zumindest nicht die aus der Tiefkühltruhe. Da konnte auch die Knoblauch-Kräutersauce, die es dazu gab, noch so verführerisch duften. Als ich nach langem Kauen endlich den schwarzen, kaugummiartigen Klumpen herunterschluckte, war mir gehörig der Appetit vergangen. Schnecken sind und bleiben für mich halt lieber Lebewesen als Gaumenschmaus!

“Ich schwelge noch immer gerne in Erinnerungen und denke an die vielen lustigen, schönen und bereichernden ersten Male.“

Fast am Ende dieses aufregenden Jahres sind wir – mein Rucksack und ich – in den Bus gestiegen und haben uns auf eine fast vierwöchige Rundreise begeben. Von Nantes über Bordeaux, ein Stück Portugal und Barcelona, über Narbonne und Carcassonne bis nach Montpeiller und Lyon. Darüber könnte ich noch lange erzählen. Zum Beispiel über das eine Mal, als ich – ohne Handy und Geld – den letzten Bus vom Strand in Sête zurück in die Stadt verpasste oder dass mir die Seafood-Paella am Markt in einem kleinen Dorf in Südfrankreich besser schmeckte als in Barcelona. Oder über Kevin, den sympathischen Start-up-Unternehmer, den ich bei einer Mitfahrgelegenheit von Spanien nach Narbonne kennenlernte und den ich eine Woche später in seiner Heimat Marseille wiedertraf – Rooftopbar und Cocktails inklusive. Über Lina, meine japanische Zimmerkollegin im Hostel, die ich immer wieder zufällig in Avignon traf, bis wir uns entschlossen, einfach gemeinsam weiter die Gegend zu erkunden, oder Dan, den Engländer, der ganz alleine mit dem Motorrad unterwegs war. Die Liste ist unendlich und daher war das zwar meine erste, aber definitiv nicht meine letzte Backpacking-Reise. Mein Auslandsjahr in Frankreich ist zwar mittlerweile schon etwas her, trotzdem schwelge ich noch immer gerne in Erinnerungen und denke an die vielen lustigen, schönen und bereichernden „ersten Male“, die mich damals so geprägt und meine Neugier auf andere Länder und Kulturen geweckt haben. Auf viele weitere!

Katrin Gabler, 23, befindet sich momentan auf Backpacking-Reise in Asien. Ab nächsten Herbst wird sie weiter studieren und auf jeden Fall ein Semester im Ausland verbringen! 

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Koala Bär
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