Unterrichten, tanzen, leben

Lehren in einer Sprachschule in Brasilien

weltweiser · Jesusstatue in Rio de Janeiro
GESCHRIEBEN VON: ELIANE LORENZ
LAND: BRASILIEN
AUFENTHALTSDAUER: 5 MONATE
PROGRAMM: ARBEITEN IM AUSLAND
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
NR. 5 / 2015, S. 53-54

Als ich nach dem Abitur für ein Jahr als Au-Pair in die USA ging, hatte es begonnen: mein Fernweh. Danach war ich ein zweites Mal im Ausland und studierte für ein Semester in Spanien. Bald darauf hatte ich bereits mein nächstes Reiseziel ins Auge gefasst, und das hieß Brasilien.

Im Flugzeug auf dem Weg nach Brasilien war mir etwas schlecht, als ich zu realisieren begann, was vor mir lag. Nach meiner Ankunft würde ich ganz allein auf mich gestellt sein und in einem fremden Land leben und arbeiten. Zum Glück war ich jedoch gar nicht ganz alleine, da ich während meines Auslandsaufenthalts in den USA zwei Brasilianerinnen kennengelernt hatte, und wir waren enge Freundinnen geworden. Beide wohnten ganz in der Nähe von São Carlos und die Schwester der einen Freundin studierte sogar dort. Ihre Mutter holte mich vom Flughafen ab und brachte mich zur Sprachschule. Es tat gut, nach einer mehr als 24-stündigen Reise von einer offenen, freundlichen Person abgeholt zu werden, die sich auskannte. Auch in der Schule wurde ich sehr herzlich empfangen, jeder schien sich zu freuen, dass ich endlich da war. Ich konnte auch gleich mein neues Heim beziehen, direkt neben der Schule gab es ein kleines Appartement ganz für mich allein. An meinem ersten richtigen Arbeitstag stand bereits ein erstes Highlight an: Die Schule feierte ein typisch deutsches Oktoberfest, welches extra auf den Tag nach meiner Ankunft gelegt worden war. Auf diese Weise konnte ich ein bisschen von Deutschland erzählen und alle Schüler und Lehrer kennenlernen.

Dann ging meine Arbeit richtig los. Meistens begann ich erst mittags oder am Nachmittag, denn die Vormittage verbrachten die Studenten an der Universität. Ich unterrichtete Kleingruppen oder einzelne Schüler unterschiedlichster Sprachniveaus. Außerdem half ich dabei, die Bibliothek der Schule zu organisieren, übersetzte diverse Texte und assistierte bei der Umsetzung von Veranstaltungen und neuen Programmen. Zusätzlich war ich die Kontaktperson für Verlage in Deutschland, von denen wir Lehrmaterialien erhielten. Dabei musste ich häufig Deutsch, Englisch und Portugiesisch gleichzeitig anwenden. Das war vor allem zu Beginn gar nicht so einfach und erforderte viel Konzentration. Doch natürlich bestand mein Aufenthalt in Brasilien nicht nur aus Arbeit. An den Wochenenden hatte ich immer frei und auch die Vormittage standen mir zur Verfügung. São Carlos war eine mittelgroße Studentenstadt, die ich sehr bald kennen und lieben lernte. Am Abend war meistens etwas los, und wie in Brasilien üblich, trafen wir uns häufig in Bars, um Bier oder Caipirinha zu trinken. Eine weitere Beschäftigung war das Tanzen. Samba ist natürlich über die Landesgrenzen hinaus bekannt, doch Brasilien hat noch viele weitere Paartänze zu bieten.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Einer davon heißt Forró, und diesen Tanz wollte ich gerne ausprobieren. Ich besuchte einen Tanzkurs an der Universität, um neben den Schülern und Lehrern der Sprachschule weitere Bekanntschaften zu machen. Dies war die beste Entscheidung meines Aufenthalts, denn dort traf ich nicht nur Brasilianer, sondern auch internationale Studenten aus aller Welt, die schon bald zu engen Freunden wurden. Es gab nicht nur Tanzstunden, sondern auch Konzerte oder Feste mit Bandauftritten. Dies war gleichzeitig eine tolle Gelegenheit, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern. Vom ersten Tag an versuchte ich, so viel Portugiesisch wie möglich zu reden, auch wenn das zu Anfang gar nicht so leicht war, und ich in größeren Gruppen kaum ein Wort verstand. Doch bereits nach ein paar Wochen hatte ich keine Verständigungsprobleme mehr und erntete viele Komplimente für mein Portugiesisch. An den Wochenenden war ich sehr oft in Campinas und Jundiaí, den beiden Städten in der Nähe von São Carlos, wo meine Freundinnen lebten. Ich lernte deren Freunde und Familien kennen und bekam gute Einblicke in die Kultur Brasiliens. Meistens stand am Wochenende ein „Churrasco“ auf dem Programm, ein typisches Grillfest, welches üblicherweise mittags begann. Anders als in Deutschland gab es keine Würstchen, sondern Rindfleisch, Brötchen und eine Art Tomatensalat mit Zwiebeln.

„Die Millionenstadt wirkte gigantisch und war noch schöner, als man von Bildern und Filmen erahnen konnte“

Die Küche Brasiliens war ganz anders als die deutsche. Brot, so wie wir es kennen, gab es dort nicht. Stattdessen aßen die Brasilianer Toastbrot und jeden Tag mindestens einmal Reis mit schwarzen, roten oder weißen Bohnen und eine Sorte Fleisch. Das Gericht wurde auch im typischen „Restaurante por Quilo“ angeboten, dort zahlte man nach Gewicht. Besonders lecker waren die Säfte, die an jeder Ecke frischgepresst verkauft wurden. Wie in einem tropischen Land nicht anders zu erwarten, war das Obst viel saftiger und süßer als bei uns in Deutschland. Eine meiner Lieblingssorten war Acai, eine dunkle Beere, die vor allem im Norden Brasiliens vorkommt. Zu einer Art Mus verarbeitet und mit Banane, Erdbeere, Knuspermüsli, Sahne oder Milchpulver kombiniert, war dies eine perfekte Mahlzeit für heiße Tage. Denn heiße Tage gab es wirklich einige: Im Januar konnten die Temperaturen bis auf 40°C ansteigen und auch nachts wurde es nicht merklich kühler. Einen meiner schönsten Momente erlebte ich in Rio de Janeiro. Ich hatte das Glück, dort mit einem Freund Karneval feiern zu können. Die Millionenstadt wirkte gigantisch und war noch schöner, als man von Bildern und Filmen erahnen konnte. Die Stadt bebte von tanzenden, fröhlichen Brasilianern und Touristen und den Samba-Klängen, welche die ganze Nacht und den ganzen Tag zu hören waren.

„Es brauchte ein wenig Zeit und Geduld, bis ich Freundschaften geschlossen hatte“

Doch natürlich gab es nicht nur positive Momente. Fernab von der Heimat, der gewohnten Umgebung, von Familie und Freunden zu sein, war selbstverständlich nicht immer einfach. Das Internet und Telefonate per Skype ermöglichten zum Glück den Kontakt nach Deutschland. Doch die sozialen Kontakte sollten sich ja nicht nur auf Freunde und Familie zu Hause beschränken, sondern es war auch wichtig, Freunde in der neuen Heimat zu finden. Es brauchte ein wenig Zeit und Geduld, bis ich Freundschaften geschlossen hatte, doch nach einigen Wochen hatte ich viele Menschen in São Carlos kennengelernt und fühlte mich sehr wohl. Auch die Arbeit war eine ganz neue Erfahrung, da ich diese Art von Tätigkeit vorher noch nie gemacht hatte. Ich studierte zwar Englisch an der Universität, aber es war ein großer Unterschied, anderen eine Sprache beizubringen und die Grammatik zu erklären statt selbst in der Rolle des Schülers zu sein. Es war nicht immer einfach und einige Unterrichtsstunden liefen ganz anders ab, als ich sie geplant hatte. Doch ich konnte die anderen Kollegen jederzeit um Rat fragen und lernte mit der Zeit immer mehr.

„Wenn man sich an die Regeln hielt und die Gegebenheiten berücksichtigte, konnte man eine wundervolle, ungefährliche Zeit haben“

Im Alltag gab es einige Situationen, die im Nachhinein etwas gefährlich erschienen. Es ist vermutlich bekannt, dass Brasilien nicht zu den sichersten Ländern der Erde zählt. Armut und soziale Ungerechtigkeit waren große Themen und nicht zu übersehen. Dadurch gab es auch vermehrt Obdachlose und Bettler auf den Straßen. Ich wusste niemals genau, ob sie wirklich nur Geld wollten oder ein Messer oder eine Pistole dabei hatten. Alle Brasilianer, die ich traf, empfahlen mir, immer etwas Kleingeld in der Hosentasche zu haben, um im Notfall lieber etwas Geld zu geben als das Risiko einzugehen, überfallen und ausgeraubt zu werden. Außerdem sollte ich als Frau nicht alleine herumlaufen, vor allem nicht nachts. Daran musste ich mich erst einmal gewöhnen, denn in Deutschland konnte ich jederzeit mein Fahrrad nehmen und überall hinfahren, auch alleine und noch spät am Abend. In São Carlos achtete ich jedoch darauf, so wenig wie möglich alleine herumzulaufen, und ließ mich nachts abholen. Das war eine wichtige Lektion, die ich im Ausland lernte: „Vertraue darauf, was dir die Einheimischen raten, und begib dich nicht unnötig in Gefahr.“ Andere Länder, andere Sitten, dieser Ausspruch stimmte tatsächlich. Wenn man sich an die Regeln hielt und die Gegebenheiten berücksichtigte, konnte man eine wundervolle, ungefährliche Zeit haben. Alles in allem durfte ich einen unglaublich tollen und aufregenden Aufenthalt in einem Land voller wunderbarer Menschen erleben. Ich besuchte Orte, die mir die Sprache verschlugen, lernte Menschen kennen, deren Geschichten ich nie wieder vergessen werde, und kostete exotische Früchte, die ich jetzt noch in meinem Mund schmecke. Ich kann nur jedem raten, sich auf das Land einzulassen und nicht zu erwarten, dass alles so ist wie in Deutschland. Wenn mich heute jemand fragt, ob ich es wieder machen würde, so müsste ich keine einzige Sekunde überlegen: auf jeden Fall!

Eliane Lorenz, 25, studiert im Master Anglistik und Amerikanistik und möchte nach ihrem Abschluss eine wissenschaftliche Karriere an der Universität verfolgen. Vielleicht lockt sie das Fernweh dafür ein weiteres Mal ins Ausland.

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