Anekdoten aus dem Leben eines „Canguro“
„Canguro“ – das heißt eigentlich „Känguru“ auf Spanisch, aber der Begriff wird in Spanien auch als Spitzname für ein Au-Pair gebraucht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Spanisch eine sehr bildhafte Sprache ist, und die Spanier sich ein Au-Pair wohl wie eine Känguru- Mutter vorstellen, die die Kleinen den ganzen Tag in ihrem Beutel herumträgt.
Als frischgebackene Abiturientin war ich jedenfalls schon sehr gespannt auf die bevorstehenden zehn Monate mit meinen beiden Känguru-Kindern, der dreijährigen Clara und dem anderthalbjährigen Otto. Bestens vorbereitet mit allen wichtigen Informationen über die spanische Kultur sowie über den Alltag eines Au-Pairs, ausgestattet mit den Grundkenntnissen in der spanischen Sprache und abgesichert durch den Vertrag einer Au-Pair-Agentur machte ich mich also auf nach Málaga, an die Südküste Spaniens, und dachte: nun kann nichts mehr schiefgehen. Doch weit gefehlt, als Au-Pair – so stellte es sich heraus – passieren einem tagtäglich unvorhergesehene Dinge. Dass ich mich vor Ort Herausforderungen stellen musste, auf die mich keine Internetrecherche und kein Sprachkurs hätten vorbereiten können, merkte ich aber dann doch ziemlich schnell. Ein großes Thema für mich waren beispielsweise die kulturell oder familienbedingten Unterschiede in Erziehungsfragen. Als 19-Jährige hatte ich eigentlich schon genaue Vorstellungen davon, wie Kindererziehung auszusehen hat, auch wenn ich selber noch kein Kind großgezogen hatte. Dabei orientierte ich mich natürlich an meiner eigenen Kindheit, dem Erziehungsstil meiner Eltern und an den Erfahrungen, die ich als Babysitterin gesammelt hatte. Aus aufkommender Nervosität blätterte ich sogar noch im Flugzeug in Erziehungsratgebern. In Málaga angekommen, bemerkte ich bald: andere Länder, andere Sitten.
Dabei bin ich mir nicht sicher, ob tatsächlich die Kultur in unseren Ländern den Unterschied machte, oder vielmehr die gesellschaftlichen Kreise, in denen ich mich in Spanien bewegte. Meine Gastfamilie besaß ein eigenes Hotel. Für meine Gastmutter war es enorm wichtig, dass ihre Kinder, Clara und Otto, sich im Hotelrestaurant benahmen, das heißt, sie sollten still sein und möglichst unbemerkt bleiben. Dass sie ihr Essen aufaßen, war dagegen weniger wichtig. Für mich bedeutete dies, mir jede Menge Ablenkungsmanöver auszudenken, damit wir im Restaurant nicht unangenehm auffielen. Das Thema Konsequenz warf ich dabei so manches Mal über Bord. In den Kreisen, in denen meine Gastfamilie sich bewegte, war es enorm wichtig, gut auszusehen und sich chic zu kleiden. Samstage verbrachten wir häufig mit ausgedehnten Shoppingtouren, zu denen die Kinder auf bestimmte Art und Weise, meist im Partnerlook und farblich abgestimmt, zu kleiden waren. Meine Aufgabe war es, den Kindern beim Anziehen zu helfen, doch verzweifelte selbst ich ab und zu daran, die Auswahl der Klamotten – mit Strumpfhosen, Hosenträgern und Kleidchen mit verschiedenen Knopfleisten – zu verstehen. Am schwierigsten war es jedoch, die Kinder dazu zu überreden, die für sie vorgesehenen Kombinationen tatsächlich auch anzuziehen. Bei der anschließenden Tour durch die unzähligen Geschäfte der Stadt hatte meine Gastmutter natürlich sehr viel mehr Spaß als ihre Kinder oder ich. Für mich war es gewöhnungsbedürftig zu sehen, dass die Kleinen auch an diesem Tag nicht einfach Kind sein konnten, nicht in eine Pfütze hüpfen durften, sondern ausschließlich die schönen Klamotten, natürlich unbeschmutzt, zur Schau stellen sollten. Damit das Outfit den Tag ohne Flecken überstand, versprach die Mutter den Kindern in regelmäßigen Abständen kleine Lollis oder andere Geschenke zur Belohnung. Das „Gesehenwerden“ spielte übrigens auch auf den dortigen Kindergeburtstagen eine große Rolle. Die Partys, die ich in Málaga miterlebte, muss man sich wie ein richtiges Event vorstellen. Häufig wurde extra ein Animateur angeheuert, der die kleinen Gäste mit Hüpfburgen, Luftballonfiguren und Schminkaktionen bespaßte, während die Eltern mit Smalltalk und Sekttrinken beschäftigt waren. Ein Auge auf die aufgeregte Kinderschar warfen dabei lediglich die Nannys und Au-Pairs.
Die Tatsache, dass die Kinder in Spanien viel später ins Bett gehen als in Deutschland, war mir natürlich bereits bekannt. Und wer Südspanien im Sommer kennt, weiß auch, dass die Temperaturen zum Spielen am Abend viel angenehmer sind. Dass die Kinder unter der Woche aber, und zwar teilweise schon mit zweieinhalb, in eine Art „Schule“ gehen – und zwar ganz egal, wann sie ins Bett gekommen sind –, war mir neu. In der Vorschule wird zwar noch sehr viel gespielt, allerdings manchmal auch schon Englisch unterrichtet. Alles in allem war ich der Auffassung, dass die Pflichten ein ziemlich strammes Programm für die Kinder meiner Gastfamilie darstellten. Der Einblick in diese für mich ganz andere Kindheit als die, die ich aus meinem bisherigen Leben kannte, war für mich eine faszinierende Erfahrung. Hundertprozentig einverstanden war ich mit den Entscheidungen, die für die Kinder getroffen wurden, selbstverständlich oft nicht. Doch zu Beginn meines Aufenthaltes traute ich mich kaum, meine Gastmutter darauf anzusprechen oder ihr sogar zu widersprechen. Aber mit der Zeit ließ ich mich auf die eine oder andere Diskussion ein oder stellte ihr meine Sichtweise der Dinge dar. Ich hatte sogar den Eindruck, dass sie zum Teil wirklich offen und dankbar für meine aktive Mithilfe war. Dennoch passte ich auf, dass ich ihr nicht zu sehr in die Erziehung „hineinpfuschte“, denn erstens fühlte sie sich dann irgendwann doch angegriffen und zweitens waren unterschiedliche Erziehungsstile natürlich auch für die Kinder verwirrend. In bestimmten Situationen schüttelte ich deswegen lieber nur stumm mit dem Kopf und lernte zu akzeptieren, dass es eben nicht meine eigenen Kinder waren und ich mich anzupassen hatte.
„Dieses „Nicht-zimperlich-Sein“ gehörte zum Au-Pair-Dasein eben einfach dazu“
Im Allgemeinen schwankt man als Au-Pair in der Rolle zwischen großer Schwester und Ersatzmutter. Die Kinder waren, wenn sie mit mir im Spiel versanken, mein größter Fan und auch mir bereitete das Zusammensein mit ihnen meistens viel Spaß. Sich um die Kleinen zu kümmern bedeutete aber nicht ausschließlich, eine entspannte Zeit zu verbringen, sondern sich auch mit den unangenehmen Dingen zu beschäftigen. Dazu gehörte auch die Vorbereitung auf unsere Schwimmbadbesuche: Sachen packen, Kinder ins Auto, Windeln wechseln, Badesachen an, eincremen, Schwimmflügel über die Ärmchen, Hut auf, Schuhe an und so weiter. Fast jede Aktion wurde von lautem Gebrüll begleitet. Je häufiger wir jedoch diesen kleinen Ausflug unternahmen, desto geübter wurde ich und die anfängliche Aufregung wich der Gewohnheit. Und auch wenn es schwerfiel, denn eigentlich wollte ich mich bei den Kindern ja auch nicht unbeliebt machen, lernte ich, die Kinder nicht immer nur mit Samthandschuhen anzufassen. Dieses „Nicht-zimperlich-Sein“ gehörte zum Au-Pair-Dasein eben einfach dazu. Aber für die Anstrengungen wurde ich auch immer wieder belohnt. Einmal kam es zum Beispiel mit Clara zu einer heftigen Auseinandersetzung über das Zähneputzen. Ehrlich gesagt befürchtete ich schon, dass sie den Rest des Abends nicht mehr mit mir reden würde. Doch nur fünf Minuten später, nachdem sich ihre Wut gelegt hatte, sagte sie mir mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht: „Te quiero mucho!“, was so viel heißt wie „Ich habe dich sehr lieb!“.
„Insgesamt bin ich unglaublich froh, die Erfahrung als Au-Pair gemacht zu haben“
Immer wieder gehörte es für mich dazu, kreativ und erfinderisch zu sein. Dies galt im Besonderen, wenn die Kinder mal krank wurden. Wenn unser Highlight, der tägliche Spielplatzbesuch, wegen Fieber ausfiel, musste spontan ein Ersatzprogramm her. Also brachte ich ihnen lustige Reime und Kinderlieder bei, spitzte Stifte an und sammelte Blätter, damit Clara ihrem Vater ein tolles Herbstbild basteln konnte. Und wir spielten Einkaufen. Unglaubliche drei Stunden wiederholte ich den Satz: „Guten Tag, was kann ich denn bei ihnen kaufen?“ Am Ende des Tages verabschiedete sich zwar meine Stimme, aber solange ich nicht auch noch Fieber bekam, blieb ich optimistisch. Insgesamt bin ich unglaublich froh, die Erfahrung als Au-Pair gemacht zu haben. Zum einen bin ich meinem Ziel, fließend Spanisch sprechen zu können, ein großes Stück nähergekommen. Durch den täglichen Besuch der Sprachschule und die Sprachpraxis in der Familie verbesserten sich meine Spanischkenntnisse wirklich enorm. Nach zehn Monaten in Spanien fühlte ich mich in der Sprache sicherer als in Französisch nach sechs Jahren Unterricht. Zum anderen konnte ich alle Daheimgebliebenen mit schönem Wetter, leckerem Hotelessen und einem eigenen Appartement neidisch machen. Ich habe also in jeder Hinsicht von diesem Jahr profitiert.
„Ich lernte sehr viele interessante Leute kennen und bereiste fast ganz Andalusien“
Ganz besonders interessant und wertvoll war es aber, einmal ganz nah den Alltag einer anderen Familie miterleben zu dürfen, in deren Kultur einzutauchen und einen Einblick in eine für mich häufig ganz andere Lebenswelt zu erhalten. Mit den Kindern war es natürlich nicht immer leicht, und ich zweifelte so manches Mal an meinen Fähigkeiten. Zum Beispiel in dem Moment, als Otto auf die Bettkante fiel und ein riesiges blutendes Loch über dem Auge klaffte. Aber dadurch, dass ich diese Situationen aushalten und meistern musste, fühle ich mich nun viel selbstbewusster und ich denke, dass ich auf das spätere eigene Muttersein eindeutig besser vorbereitet bin. Aber neben all den Herausforderungen gab es auch so viele unglaublich schöne Augenblicke, in denen wir herzlich miteinander lachten. Gerne erinnere ich mich an die Situation, in der Clara mein Piercing entdeckte und mich schockiert fragte, ob mir das nicht wehtue. Als ich antwortete, dass es nur anfangs etwas gepikst hätte, ich es jetzt aber gar nicht mehr merken würde, antwortete sie nur trocken: „Also mir würde das sehr wehtun!“ Auch außerhalb der Familie habe ich das Leben in Spanien sehr genossen. Ich lernte sehr viele nette und interessante Leute kennen und bereiste fast ganz Andalusien. Allen, die an einem Au-Pair-Programm interessiert sind, kann ich daher aus tiefstem Herzen empfehlen, offen zu sein für eine neue Familie und für neue Herausforderungen. Ihr werdet mit vielen schönen Momenten belohnt werden.
Tabea Kayser, 23, studiert internationales Tourismusmanagement an der Hochschule Bremen und ist sowohl innerhalb als auch außerhalb ihres Studiums viel in der Welt unterwegs. Weitere Abenteuer beschreibt sie auf ihrem Blog taventuras.wordpress.com.
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