Studieren an der Sorbonne
In Paris habe ich viel gelernt: Einfach die Straße überqueren, wenn die Autos anhalten, unabhängig davon, ob die Fußgängerampel rot oder grün leuchtet. Die Métro-Tür bleibt noch genau vier Sekunden nach dem ersten Piep-Ton geöffnet – reinspringen auf eigene Gefahr.
Kein Franzose sagt jemals „Oh là là!“. Das beste Obst und Gemüse gibt es auf dem Marché de Belleville. Man kann nie zu viele Fotokopien von wichtigen Dokumenten dabeihaben. Und Abkürzungen von häufig benutzten französischen Wörtern zu kennen verhindert auf Dauer Handkrämpfe. Manche dieser Erkenntnisse helfen, kleinen unangenehmen Situationen vorzubeugen, andere hingegen können einem schlicht das Leben retten. Wie sagt man so schön? Nicht für die Schule, sondern für das Leben soll gelernt werden. Der Bachelor-Studiengang „Deutsch-Französische Studien“ beruht auf einer Kooperation zwischen den Universitäten Bonn und Paris, sodass das Auslandsjahr fest zum Programm gehört. Bereits zu Beginn meines Bachelor-Studiums war also klar: Nach zwei Jahren am Rhein würde ich nach Paris aufbrechen. Genug Zeit, um alles vorzubereiten und voller Vorfreude auf die zwei Semester hinzufiebern.
Natürlich galt es erst einmal, viel Organisatorisches zu erledigen: Ich kümmerte mich um die finanzielle Förderung im Rahmen des Erasmus-Programms und beantragte zwei Urlaubssemester. Zum Glück konnten mir meine Kommilitonen, die schon in den Jahren zuvor ihr Auslandsjahr angetreten hatten, mit vielen Tipps behilflich sein. So konnte ich viele Dinge erledigen, die ich ansonsten mit Sicherheit vergessen hätte. Vor der Abreise sollte man beispielsweise unbedingt daran denken, bestimmte Dokumente ins Französische übersetzen zu lassen. Spätestens bei der Einschreibung an der Sorbonne wäre mir aufgefallen, dass die Uni das dafür benötigte Abiturzeugnis nur in der französischen Übersetzung akzeptiert. Sowieso ist die berüchtigte deutsche Bürokratie nichts im Vergleich zu der französischen Unart, für jede Art von Antrag eine Unmenge an Dokumenten und Fotokopien zu verlangen. Was im Immatrikulationsbüro der Sorbonne begann, setzte sich in ähnlicher Weise bei der Kontoeröffnung, beim Einrichten eines Telefon- und Internetanschlusses und beim Beantragen des Wohngeldes bei der französischen Familienkasse fort. Man kann allerdings auch Glück haben und auf einen netten Mitarbeiter treffen, der es nicht so eng nimmt mit der absoluten Vollständigkeit der Unterlagen. Positive Überraschungen sind somit nicht ausgeschlossen. Als ich den Kampf mit der Bürokratie überstanden hatte, stellte sich ein seltsames Gefühl der Zufriedenheit ein: Irgendwie hatte ich es schließlich doch geschafft!
Glück hatte ich bei der Suche nach einer Unterkunft. Zu Beginn hatte ich mir Sorgen gemacht, überhaupt ein geeignetes Zimmer zu finden, das weder zu weit entlegen noch unbezahlbar ist. Schließlich sind die Mieten in Paris hoffnungslos überteuert und es ist eher schwierig, etwas einigermaßen Bezahlbares zu finden. Man muss damit rechnen, dass man im Vergleich zu einer deutschen Studentenstadt ungefähr das Doppelte an Miete zahlt. Letztendlich ging in meinem Fall alles viel einfacher als gedacht. Zusammen mit einer Freundin konnte ich eine Wohnung von zwei Kommilitoninnen übernehmen, die gerade ihr Paris-Jahr beendet hatten. Ich wohnte ein wenig außerhalb von Paris, in dem schönen Vorort Neuilly-sur-Seine, der noch mit der Métro zu erreichen war. Da es in einer Metropole wie Paris sowieso nicht nur ein einziges Stadtzentrum gibt, war es nicht weiter schlimm, in einem Vorort zu wohnen. Einerseits hatte ich problemlos Anschluss an Paris und andererseits ergab sich der Vorteil einer etwas geringeren Miete. Außerdem konnte ich aufgrund meiner Wohnlage auch die Pariser Umgebung, wie die an Neuilly angrenzenden Vororte Levallois und Courbevoie, erkunden. „Banlieue“, das habe ich gelernt, steht eben nicht nur für Plattenbauten und hohe Kriminalitätsraten, sondern auch für eine ruhige und gleichzeitig städtische Wohngegend.
„Ich hatte an der Sorbonne erheblich mehr Veranstaltungen zu besuchen“
Abgesehen von den verwaltungstechnischen Hürden gab es die erste Überraschung an der Uni bei der „inscription pédagogique“, also der Anmeldung für die Lehrveranstaltungen. An der Sorbonne geschieht dies nicht online, wie an deutschen Unis üblich, sondern über persönliches Einschreiben vor Ort. Dabei muss man sich an allen Instituten, in denen man Veranstaltungen belegen möchte, zu bestimmten Terminen für die jeweiligen Kurse einschreiben. Für die „Deutsch-Französischen Studien“ waren die Kurse schon vorgegeben, sodass keine Entscheidungsmöglichkeit hinsichtlich der Auswahl der Kurse bestand. Trotzdem kostete es mich eine Menge Mühe, einen ordentlichen Stundenplan aufzustellen, ohne dass sich Pflichtveranstaltungen überschnitten. Weil ich Veranstaltungen aus verschiedenen Fachbereichen belegen musste, war es schwierig, alle Pflichtkurse so unterzubringen, dass diese nicht zeitgleich stattfanden. Außerdem musste ich natürlich auch an die Fahrtzeiten denken und zwischen zwei Kursen genug Zeit einplanen, um pünktlich von einem Institut zum nächsten zu kommen. Im Vergleich zu meinem Bonner Stundenplan hatte ich an der Sorbonne erheblich mehr Veranstaltungen zu besuchen. Ähnlich wie in Deutschland gibt es in Frankreich übrigens Vorlesungen, „cours magistral“ bzw. CM genannt, und Seminare, „travail dirigé“ bzw. TD genannt.
In der Methodik und im Aufbau unterschieden sich die Kurse oft stark von dem, was ich von der Universität Bonn gewohnt war. Als Studentin der „Deutsch-Französischen Studien“ musste ich so gut wie alle Prüfungen mitschreiben und wurde somit auf gleichem Niveau wie meine französischen Kommilitonen beurteilt. Obwohl die Veranstaltungen an der Sorbonne wie an meiner Heimathochschule in Modulen organisiert sind, gibt es nicht eine Modulabschlussprüfung, sondern einzelne Prüfungen in jedem Kurs. So kam es vor, dass ich für ein Modul, bestehend aus einer Vorlesung und zwei Seminaren, innerhalb eines Semesters insgesamt fünf Prüfungen ablegen musste. Bei sechs Modulen pro Semester kam da einiges zusammen und der Arbeitsaufwand war wirklich immens. Vor allem in den Vorlesungen ist die Lehrmethode eine andere als in Deutschland: Man kann sich darauf einstellen, dass man es vor allem mit Frontalunterricht zu tun hat. Ich schrieb also einfach mit, was der Dozent vorlas; das Ganze oft in einem unglaublichen Tempo. Nach einer gewissen Zeit gewöhnte ich mich daran, auch wenn die Mitschriften durch die zahlreichen Abkürzungen, die im Französischen üblich sind, oft an der Grenze zur Unlesbarkeit waren. Es ist auf jeden Fall ratsam, sich mit französischen Kommilitonen auszutauschen, was die Mitschriften anbelangt. Obwohl ich es als tendenziell schwierig empfand, Kontakte zu französischen Studenten zu knüpfen, da wir als ganzer Jahrgang der „Deutsch-Französischen Studien“ gemeinsam nach Paris gegangen waren, ist es dennoch nicht unmöglich und lohnt sich sehr.
„Ich lernte, wo es die leckerste Falafel der Stadt gibt“
Dass es auch ein Leben außerhalb der Uni gibt, lernte ich nicht erst in Paris. Diese Stadt bietet quasi unbegrenzte Möglichkeiten für die Freizeitgestaltung. Fernab von Hörsälen, Bibliotheken und den Vorbereitungen für die „contrôles continus“ und „contrôles terminals“ habe ich während meines Auslandsjahres vor allem eins gemacht: Paris in all seinen Facetten entdeckt und genossen. Ich war zwar schon einige Male in der französischen Hauptstadt gewesen, doch die außergewöhnlichen und weniger touristischen Ecken entdeckte ich erst im Laufe meines Studienjahres. Die Seine teilt die Stadt fast genau in eine Nord- und eine Südhälfte, „rive droite“ und „rive gauche“ genannt. Außerdem bieten die zwanzig schneckenförmig angeordneten Arrondissements Orientierung. Meine Entdeckungstouren waren jedoch immer dann besonders spaßig, wenn ich mir vorab nicht zu viele Gedanken darum machte, mich verlaufen zu können, sondern einen beliebigen Stadtteil einfach auf gut Glück durchkreuzte. Ohne Stadtplan funktioniert das am besten: Einfach eine unbekannte Ecke der Stadt aussuchen, in die Métro einsteigen, an einer beliebigen Haltestelle in der gewählten Gegend aussteigen und loslaufen. Sich komplett verlaufen kann man eigentlich nicht, denn ungefähr alle 500m trifft man auf eine Métro-Station, die einem als Orientierungspunkt dienen kann. Mit meiner Methode entdeckte ich Orte, die ich mit Stadtplan und Reiseführer in der Hand mit Sicherheit übersehen hätte. Ich lernte, wo es die leckerste Falafel der Stadt gibt, welcher Second-Hand-Laden die beste Auswahl hat und an welcher Straßenecke der Gemüse-Laden aus „Die fabelhafte Welt der Amélie“ zu finden ist. Paris hat also eine Menge zu bieten.
„Das Meer und die Landschaft Westfrankreichs bleiben für mich unvergesslich“
Allerdings nutzte ich mein Auslandsjahr auch dazu, das Frankreich abseits der Hauptstadt zu erkunden. Gemeinsam mit meinen Freunden unternahm ich einige Ausflüge in die nähere Umgebung. Wir fuhren zum Beispiel nach Chartres, einem Ort, der für seine Kathedrale bekannt ist. Ein Wochenendtrip führte uns an die französische Atlantikküste nach La Rochelle. Das Meer und die Landschaft Westfrankreichs bleiben für mich unvergesslich und ich bin froh, während meines Auslandsaufenthaltes auch Orte außerhalb von Paris gesehen zu haben. Wie einleitend geschrieben: Ich habe viel gelernt in Paris. Abgesehen von der unglaublichen Schönheit und Vielfalt der Stadt wird mir aber vor allem eins im Gedächtnis bleiben: In diesem einen Jahr hat sich das berühmte Paris mit seinen Boulevards, Museen, Cafés und Sehenswürdigkeiten für mich zu einer ganz anderen Stadt verändert. In einem Zusammenspiel aus dem Uni-Leben mit all seinen Schwierigkeiten, neuen Freunden, neuen Erlebnissen und dem Alltag in einer Metropole habe ich ein differenziertes Bild von der französischen Hauptstadt gewonnen, die dadurch von einem touristischen Ausflugsziel zu meinem ganz persönlichen Paris wurde.
Zerrin Kartal, 23, studiert mittlerweile an der Universität Mannheim „Kultur im Prozess der Moderne: Literatur und Medien“ mit dem Schwerpunkt Germanistik.
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