Mein erster Tag in Buthan
Wie bei jedem Auslandsaufenthalt gibt es auch in Bhutan eine Vielzahl neuer Eindrücke. Doch wenn wirklich alles anders ist – die Menschen, die Natur, die Kultur, die Architektur und die sozialen Strukturen – dann kann einen die Fülle der Eindrücke schon mal erschlagen. Vielleicht ist der vom Schlafentzug geprägte Ankunftstag ein passender Startpunkt. Denn schon an diesem ersten Tag fiel uns auf, dass wir wirklich weit weg waren von allem, was wir als „normal“ empfunden hatten.
„Wir“ – das sind sechs Studierende aus den USA und Deutschland, die im Sommersemester 2024 eine etwas ungewöhnliche Auslandserfahrung in Bhutan machten. Bhutan ist ein Land, das nicht jedem sofort ein Begriff sein wird, und noch viel weniger haben es tatsächlich schon einmal besucht. Allein die Tourismussteuer von 100 USD pro Tag sowie der Umstand, dass es keine Direktflüge von außerhalb Asiens nach Bhutan gibt, zeigen deutlich, dass Bhutan in Sachen Tourismus das Motto „Qualität statt Quantität“ großschreibt. Wer also nach Bhutan reisen möchte, muss tief in die Tasche greifen – die Anreise allein kann schnell über 1000 Euro kosten.
Für uns Studierende war das natürlich kein Thema, da das Studierendenvisum keine solche Tagessteuer beinhaltete. Aus Neugier habe ich einmal ausgerechnet, wie viel das Semester in Bhutan gekostet hätte, wenn ich als Tourist gereist wäre. Rechnet man 137 Tage mit 100 USD pro Tag, kommt man auf stolze 13.700 USD – ohne Flug, Unterkunft und alles Weitere. Da bin ich wirklich froh, dass der Bildungsaustausch dann doch Vorrang vor der Tourismuspolitik hatte.
Nicht, dass es besonders einfach gewesen wäre, an das Studierendenvisum zu kommen. Aber nachdem alle bürokratischen Hürden in Deutschland genommen und ein wirklich katastrophaler Zwischenstopp in einem Billighotel in Delhi überstanden war, landeten wir endlich in Bhutan. Ich weiß wirklich nicht, warum ich kein Bild vom eindrucksvollen Flughafen gemacht habe, aber wenn der (wohlgemerkt einzige internationale) Flughafen des Landes aussieht wie ein buddhistischer Tempel, weiß man schon, dass man an einem ganz neuen Ort angekommen ist. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als unser Ansprechpartner am College, Sonam – später von uns auch „Apa“ genannt (Dzonkha für „Vater“) – uns im traditionellen Gewand und mit dem für Bhutan typischen weißen Empfangsschal begrüßte.
In Bhutan ist es Brauch, jedem Besucher einen weißen Schal mit eingestickten Glückssymbolen zu überreichen. Auch wenn diese Schals heute häufig aus Synthetikstoffen und in Massen hergestellt werden, bleibt es ein schönes Andenken, das einen festen Platz in meinem Sammelsurium erhalten hat. Das zweite typische Gastgeschenk, das uns angeboten wurde, war Nga-Ja – ein spezieller Milchtee, der in Bhutan ähnlich wie Chai in heißer Milch zubereitet wird. Sehr lecker, wenn er gut gemacht ist, und immer eine willkommene Gelegenheit, sich aufzuwärmen.
Nachdem wir also in weiße Schals gehüllt und mit Tee sowie Keksen versorgt wurden – man merkt Bhutan ist ein Land mit kaltem Klima und warmen Menschen – machten wir uns auf den Weg zur Hauptstadt Thimphu. Es wäre ja auch absurd, wenn der einzige internationale Flughafen direkt in der Hauptstadt liegen würde – Fluglärm passt nun mal nicht zu einem Land, das „Glück“ als verfassungsmäßiges Ziel verfolgt. Wir fuhren in einem kleinen Bus über eine kurvenreiche Bergstraße, die sowohl meine Höhenangst als auch meine Ausdauer beim Fotografieren auf die Probe stellte. Auf der einen Seite der Straße stürzten sich steile Abhänge in die Tiefe, auf der anderen Seite konnte man eindrucksvolle Felsformationen und viele kleine Farmhäuser beobachten. Die Straße war eng, holprig und von den ständigen, haarsträubenden Überholmanövern der anderen Verkehrsteilnehmer geprägt. Selbst ich, der normalerweise nie an Reiseübelkeit leidet, konnte es kaum vermeiden, mich nach ein paar Überholmanövern schlecht zu fühlen.
Trotz der holprigen Fahrt versuchten wir, unsere Augen auf die neue Umgebung zu richten, während Sonam, nur von unseren Fragen unterbrochen, von seiner Familie, dem Land und dem College erzählte. Nach einer guten Stunde Fahrt erreichten wir dann schließlich das College. „Endlich!“, dachte ich, und ich glaube, das war der Gedanke, der uns alle verband. Mit etwa 25 Stunden Schlafentzug war ich wahrscheinlich noch besser dran als die Amerikaner:innen, die je nach Flugroute zwischen 36 und 72 Stunden unterwegs waren. Doch wir alle waren einfach froh, endlich angekommen zu sein und ein Bett zu sehen.
Doch der Empfang im College war nicht ganz so entspannt wie erwartet. Als wir gegen neun Uhr morgens im College eintrafen, war das Empfangskomitee noch auf einem ganz anderen Zeitplan. Statt uns sofort in unsere Zimmer zu bringen, gab es eine ganze Reihe von Begrüßungen, eine ausführliche Campustour und eine Vielzahl von administrativen Prozessen. Die Menschen hier waren unglaublich freundlich und gastbereit – nur leider hatte niemand bedacht, dass wir nach der langen Reise möglicherweise nicht gerade in der besten Verfassung waren, all die wichtigen Informationen auf einmal aufzunehmen. Gegen 16 Uhr wurden wir dann endlich auf unsere Zimmer entlassen. Zum Abendessen hat es an dem Tag, wenn ich mich richtig erinnere, niemand mehr geschafft.
Und so begann unser Abenteuer in Bhutan – mit einer Mischung aus Erschöpfung, Neugier und einer kleinen Portion Überforderung. Doch diese ersten Eindrücke sollten nur der Anfang eines einzigartigen und unvergesslichen Auslandssemesters in einem der faszinierendsten Länder der Welt sein.
Jonah Kleinings studiert Politik und Geschichte in Bonn. Seit September 2024 arbeitet er als Studentische Hilfskraft bei weltweiser und freut sich drauf, zukünftig noch viele weitere Länder zu bereisen.
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