Auslandssemester in Südafrika
Für mich hat es sich schon immer ein bisschen so angefühlt, als wäre ein Aufenthalt im Ausland heutzutage ein absolutes „must-do“. Wenn man nicht schon während der Schulzeit zumindest ein Jahr auf eine ausländische Schule gegangen ist, dann hatten die meisten spätestens nach dem Abitur im Rahmen einer Freiwilligenarbeit Erfahrungen im Ausland gesammelt.
Für mich persönlich kam es zu diesem Zeitpunkt nie in Frage, besser noch: Ich konnte meine Mitschüler oder Freunde nicht verstehen, die ihre Liebsten so mir nichts, dir nichts verließen, um dann in einem fremden Land mit fremden Leuten zusammen zu wohnen. Doch irgendwann während des Studiums stellte sich auch bei mir neben dem vertrauten Gefühl der Heimatverbundenheit ein neues, bis dato unbekanntes Gefühl namens Fernweh ein. Plötzlich war es für mich attraktiv, mich in das Neue, Unbekannte zu wagen, die Herausforderungen in einem fremden Land anzunehmen, und natürlich war ich schon immer neugierig, kamen doch die meisten meiner Freunde nach ihren Auslandsaufenthalten nicht mehr aus dem Schwärmen heraus. Frei nach dem Motto „wenn schon, denn schon“ entschloss ich mich, dass Südafrika die Heimat für mein Auslandssemester werden sollte. Meine Hochschule hat eine allgemeine Partnerschaft mit der Nelson Mandela Metropolitan University in Port Elizabeth, einer Küstenstadt etwa 800km entfernt von Kapstadt, und jedes Jahr gehen mehrere Studenten meiner Hochschule an diese Uni. Das International Office hatte also schon Erfahrung mit der Partneruni und war sehr hilfsbereit in Sachen Bewerbung. Ich machte noch einen Englischtest, um meine Kenntnisse besser einschätzen zu können, und die Bewerbung wurde abgeschickt. Etwa zwei Wochen später bekam ich den Platz und fühlte mich erst einmal wie benebelt. Ob das gerade wirklich geschehe, fragte ich mich in den folgenden Wochen gefühlt mehrere tausend Male.
Den Flug buchten wir als Erstes, etwa drei Monate vor Beginn der Reise. Danach beschäftigte ich mich damit, alle Unterlagen für mein Visum zusammenzusuchen: Ich ließ ein Röntgenbild meiner Lunge anfertigen, holte beglaubigte Kontobelege von der Bank und beantragte mein polizeiliches Führungszeugnis. Zusammen mit einem gigantischen Stapel Papier ging es frühmorgens gen Botschaft Berlin. Ich hatte ziemliche Panik, dass irgendetwas fehlte, obwohl ich den Stapel mehrere hundert Male auf Vollständigkeit überprüft hatte. Erst als der Botschafter mir bestätigte, dass alle benötigten Unterlagen eingereicht waren, atmete ich hörbar auf. Vier Wochen später lag mein Reisepass im Briefkasten – erweitert um das sechsmonatige Studentenvisum „for the Republic of South Africa“. Einerseits war ich stolz, andererseits gab es da ein mulmiges Gefühl in meiner Bauchregion, welches von Tag zu Tag größer wurde. Ich bin von Grund auf ein Mensch, der gerne zu viel nachdenkt, und das war wirklich kein Vorteil. Es begannen die ersten Verabschiedungen von meinen Liebsten und ich bekam kalte Füße und dachte ernsthaft darüber nach, das Auslandssemester nicht zu machen. Nach reiflichem Überlegen kam ich zu dem Schluss, dass ich es mache – wenigstens versuchen werde – und mir diese Chance nicht einfach entgehen lasse. Und es war die absolut richtige Entscheidung.
Die Universität war unerwartet gut organisiert. Ein Mitarbeiter aus dem International Office holte uns vom Flughafen ab und als wir zu unseren Shuttles gingen, strahlte mir die Sonne ins Gesicht und zum ersten Mal dachte ich, dass das kommende halbe Jahr vielleicht gar nicht so übel werden würde. Sie fuhren mit uns an der Beachfront entlang, wo Palmen die Promenade umsäumten und den Blick auf ein Meer freigaben, welches türkisblau glitzerte. Ich traute meinen Augen nicht. Unser Haus war ein Bungalow mit einer offenen, riesigen Wohnküche, in dem acht Studenten zusammenwohnen können. Jeder hatte sein eigenes, geräumiges Zimmer und man teilte sich zu zweit ein Bad. Wir hatten einen großen Garten mit Braai(Grill)-Platz und einem Pool. Es lag in Summerstrand, einer relativ wohlhabenden Gegend, etwa einen Kilometer vom Strand und einen Kilometer von der Uni entfernt. In der Gegend ist fast jedes Haus an Studenten vermietet, was praktisch ist, da sich somit niemand in der Nachbarschaft über zu laute Musik oder Partylärm beschwerte. Mit meinen Mitbewohnern verstand ich mich auf Anhieb. Alle waren aufgeschlossen, erzählten von sich und suchten Kontakt. Ich denke, das ist eine gute Grundvoraussetzung, um ein Auslandssemester zu absolvieren. Bei einem Orientierungswochenende in Tsitsikamma lernten wir International Students uns bei Spielen, afrikanischem Essen und sportlichen Aktivitäten besser kennen. Darauf folgte die Orientierungswoche, in der wir die Uni näher kennenlernten und unsere Kurse wählten.
„Ich stellte fest, dass ich mich sehr heimisch fühlte“
Ich belegte zwei Fächer, die ich mir auch zu Hause anrechnen lassen wollte, und zudem „Community Service Learning“, eine Art Freiwilligenarbeit im Township Walmer, bei der man wöchentlich in einem Projekt aushilft und einiges über Bildung und das Leben in Südafrika lernt. Ich war in einer Art Kindergarten und habe neben spielerischen Aktivitäten älteren Kindern bei Hausaufgaben geholfen. Diese Zeit hat mich sehr geprägt und mir eine neue Sicht auf die Welt ermöglicht, sodass ich den Kurs nur empfehlen kann. Grundsätzlich habe ich mich sehr schnell eingelebt. Das Leben in der WG fühlte sich bald sehr familiär an und ich hatte einen Freundeskreis, mit dem ich täglich gemeinsam etwas unternahm und die Stadt entdeckte. Ich ging ins Fitnessstudio, einkaufen in einem Supermarkt, der zum Erstaunen meiner Oma alle für uns üblichen Lebensmittel anbot, und joggte an der Promenade entlang des indischen Ozeans. Als nach einem Monat erster Besuch in Südafrika eintraf, fühlte ich mich, als hätte ich schon mehrere Jahre in Port Elizabeth gewohnt, und ich stellte fest, dass ich mich sehr heimisch fühlte. Port Elizabeth ist eine richtig kleine Studentenstadt. Zwar überschaubar, aber in einem halben Jahr wurde uns nie langweilig. Trotzdem erfährt man auch hier die starke Kluft zwischen Arm und Reich, die noch immer das gesamte Land lähmt. Auch wir „erlebten“ es, lebten wir im wohlhabenden und internationalen Summerstrand und arbeiteten im Rahmen des erwähnten Kurses im Township von Walmer in einem Kindergarten, zusammengeschustert aus Blechteilen und alten Holzbohlen, ohne feste sanitäre Anlagen. Die Kinder spielten im Sand zwischen alten Bierflaschen und an Stacheldrahtzäunen. Auch wenn mich dieses Bild anfangs ziemlich erschrak und wütend machte, bin ich im Nachhinein doch dankbar, das wahre Leben und nicht nur den Schein von Summerstrand kennengelernt zu haben.
„Die Uni informierte uns über alles und stand uns bei Bedenken und Fragen zur Verfügung“
Was mir im Voraus ziemlich viel Sorge bereitete, war der Sicherheitsaspekt in Südafrika. Während der Orientierungswoche kam eine Polizistin an unsere Uni und erklärte uns einige „Spielregeln“ zum Leben in Port Elizabeth. Wir sollten vermeiden, im Dunkeln zu Fuß umherzulaufen. Fenster und Türen sowie die Zufahrten zu unseren Häusern sollten stets verschlossen sein und Wertsachen nicht offen herumliegen beziehungsweise herumgetragen werden. Port Elizabeth besitzt ein wunderschönes Stadtzentrum mit vielen pompösen Bauten aus der Kolonialzeit. Sich dort allein oder außerhalb großer Gruppen aufzuhalten, ist jedoch nicht empfehlenswert, da es nicht nur als Zentrum der Stadt, sondern auch als Mittelpunkt allen Drogenhandels und von Prostitution gilt. Ich hielt mich brav an alle diese Regeln und machte die Erfahrung, dass mir in meinem gesamten Auslandssemester nichts passierte. Zum Ende des Semesters wurden mehrere Studenten auf dem Weg zur Universität überfallen. Auch an dieser Stelle informierte uns die Uni wieder über alles und stand uns bei Bedenken und Fragen zur Verfügung. Sie hielten uns dazu an, im Fall der Fälle einfach alles herzugeben, da erfahrungsgemäß Kriminelle in Südafrika bei Widerstand nicht zögerten, ihre Waffen einzusetzen. Und obwohl mir nichts passierte, waren diese Überfälle der erste und auch einzige Grund, weswegen ich während meiner Zeit im Regenbogenland ein mulmiges Gefühl bekam. Mir wurde bewusst, dass ich nie dauerhaft in einem Land leben könnte, in dem man sich draußen nicht frei bewegen kann, ohne ständig auf der Hut zu sein oder bestimmte Gebiete unbedingt zu vermeiden. Für ein halbes Jahr konnte ich mich jedoch problemlos auf solche Lebensumstände einlassen und mich mit den Vorsichtsmaßnahmen arrangieren.
„Südafrika hat viele Gesichter“
In der Anfangszeit hatten wir eine Vorlesung zum Thema „Heimweh“ und „Kulturschock“. Obwohl Heimweh im Voraus eine meiner größten Ängste war und ich mir sicher war, dass ich auf jeden Fall daran leiden würde, bekam ich schlichtweg nichts davon mit. Zunächst war ich einfach zu beschäftigt, sodass mir die Zeit fehlte, überhaupt nachzudenken, und später dann im Alltag angekommen, fühlte ich mich so wohl, dass ich zwar meine Familie und Freunde oft vermisste, aber deswegen nicht traurig wurde, weil ich wusste, dass ich sie wiedersehen aber bis dahin einfach die Zeit in Südafrika genießen würde. Neben unserem Alltag in Port Elizabeth oder an der Uni haben wir die restliche freie Zeit dazu genutzt, das Land Südafrika zu entdecken. Wir waren auf der Garden Route von Port Elizabeth nach Kapstadt unterwegs, fuhren für ein paar Tage noch einmal für einen Städtetrip nach Kapstadt, verbrachten Zeit in Knysna und Plettenberg, fuhren an Wochenenden in die Berge nach Hogsback oder Winterberg und bereisten die Wild Coast, wo wir in Durban starteten und das ursprünglichere Südafrika zu Gesicht bekamen. Südafrika hat viele Gesichter – das lernten wir auf unseren Ausflügen zuhauf.
Alles in allem war es ein atemberaubendes Semester, was mich als Person geprägt hat – ich bin zwar noch immer die, die ich auch vor meinem Auslandsaufenthalt war, jedoch traue ich mich nun noch eher an Unbekanntes, habe nicht nur mein Englisch, sondern auch meine Weltoffenheit erweitert und generell einen umfassenderen Blick auf das Weltgeschehen erlangt. Wenn ich jetzt vor Problemen stehe, dann denke ich einfach: „Du warst in Südafrika, es gibt also keinen Grund, weshalb du das hier nicht schaffst!“. Ich habe mir die gelassene Art der Südafrikaner beibehalten, denn trotz allem Disziplin- und Effizienz-Denken in Deutschland hilft es, manchmal einfach einen Gang herunterzuschalten und generell das Leben etwas mehr zu genießen, statt von einer Deadline zur nächsten zu hetzen. Südafrika hat mir gezeigt, dass überall auf der Welt die Menschen mit anderen Prioritäten ihr Leben gestalten und dass anders und ungewohnt nicht gleich falsch bedeutet. Es hat mich inspiriert und motiviert, neue Dinge in meinem Leben anzugehen.
Leonie Matt, 21, macht in Kürze ihren Bachelor-Abschluss in Logistik und kann sich gut vorstellen, auch während des Master-Studiums wieder eine Zeit im Ausland zu verbringen.
Lust auf mehr Erfahrungsberichte?
Dann klick auf den Auslandsstudium-Koala!