Mein Semester in Thailand
Bangkok, es war anfangs nicht immer einfach mit uns zweien. Wir hatten unsere Startschwierigkeiten. Vielleicht war das Unverständnis für die Kultur und Denkweise des jeweils anderen zu groß. Vielleicht brauchten wir auch einfach Zeit, um uns aufeinander einzulassen. Aber ist das nicht eigentlich immer so? Braucht es nicht immer Zeit, um jemanden ins Herz zu schließen?
Und das habe ich, Bangkok, ich habe dich ins Herz geschlossen. – Als es Anfang letzten Jahres darum ging, einen Zielort für mein nahendes Auslandssemester zu wählen, sprach vieles für mich gegen Thailand: Ich war nie zuvor außerhalb Europas, geschweige denn in Asien gewesen. Ich sprach kein Wort Thai und war gerade erst mit meinem Freund zusammengekommen. Da war Liebeskummer vorprogrammiert. Doch trotz der nörgelnden Stimme in meinem Kopf, die mir wieder und wieder all die Nachteile eines Auslandssemesters in Thailand aufzählte, wuchs in mir trotzig und immer größer die Reiselust. Einen großen Teil dazu bei trugen die Studenten der höheren Semester. Sie kamen gar nicht mehr aus dem Schwärmen raus, wenn sie mit glänzenden Augen von ihrer Zeit im „Land des Lächelns“ erzählten und Fotos von traumhaften Orten rumzeigten. Und so entschied ich mich, den Versuch zu wagen und mich für ein Auslandssemester in Bangkok zu bewerben. Die Nachfrage danach war groß. Ich war natürlich nicht die Einzige, die sich von den Erzählungen der höheren Semester hatte mitreißen lassen. Doch mit ein wenig Glück ergatterte ich einen der begehrten Plätze an der Chulalongkorn University Bangkok.
Die Vorbereitungen auf meine viereinhalb Monate Thailand waren überschaubar. Ein Besuch bei der Thailändischen Botschaft zum Beantragen eines Studenten-Visums, die Einholung einiger Dokumente meiner Versicherung sowie ein Gesundheitscheck waren erforderlich – aber auch während des Semesters gut machbar. Viel Organisation nahm mir zum Glück meine Universität ab. Als ich dann am Flughafen in Hamburg stand und es daran ging, Abschied zu nehmen, war ich aber dennoch nicht annähernd so gut vorbereitet, wie ich gehofft hatte. Im Gegenteil: Zumindest emotionaler Art war ich so unvorbereitet, wie es nur ging. Bis zum Abflug heulten mein Freund und ich ganze Sturzbäche an Tränen, was uns einige mitleidige Blicke einbrachte. Ich hatte im Laufe meiner Schulzeit bereits längere Zeit bei einer Gastfamilie in Spanien gewohnt, war es also gewohnt, mehrere Monate von Freunden und der Familie getrennt zu sein. Dieser Abschied von meiner ersten großen Liebe war dann aber doch etwas ganz anderes. So begann mein Auslandssemester mit unzähligen Tränen des Abschiedsschmerzes und auch mein Start in Bangkok war holprig. Nach über zwölf Stunden anstrengenden und nervenzehrenden Fluges kam ich mit einigen Kommilitonen am Flughafen in Bangkok an. Wer leider nicht ankam, war mein Koffer. Nach über einer halben Stunde in einer Schlange mit Leidensgenossen erfuhr ich, dass er sich noch in Dubai, unserem Umsteige-Flughafen befand. Ich bekam ein Dokument und das Versprechen, er würde noch im Laufe dieses Tages zu meinem neuen zu Hause gebracht werden. Ohne Gepäck, dafür ordentlich aufgeregt und todmüde zugleich, fuhr ich mit einer Kommilitonin durch unsere neue Heimat zu unseren gemieteten Zimmern.
Dieser erste Tag war, verständlicherweise, nicht gerade der glücklichste im Laufe meines Auslandssemesters und auch unsere Zimmer trugen nicht gerade dazu bei, dass wir uns willkommen fühlten. Jeder hatte ein neon-grün gestrichenes, aber geräumiges Zimmer mit eigenem angrenzenden kleinen Bad. Sicherlich könnte man meinen, dies sei nun wirklich kein Grund zum Meckern, für thailändische Verhältnisse sei dies sicher mehr als akzeptabel. Und derjenige hätte wohl auch Recht. Doch an besagtem ersten Tag in Bangkok führten die grellen Wände, die Neon-Röhren an der Decke, die dem Raum ein Gefängnis-Gefühl verliehen, das Fenster, das zu einer Hausmauer hin gelegen war und keinerlei Licht spendete, und vor allem die Umgebung, in der das Haus stand, bei mir zu einem halben Nervenzusammenbruch. Wenn ich versuche, den Kulturschock zu beschreiben, den ich in Bangkok zum ersten Mal in meinem Leben erlebte, dann erzähle ich immer diese eine Geschichte. Noch an dem Tag der Ankunft entschieden meine Kommilitonin und ich, nach dem Auspacken – zumindest sie packte aus, mein Koffer war ja noch immer verschwunden – unsere neue Nachbarschaft zu erkunden. Wir traten also aus dem Haus und da wir keinerlei Ahnung hatten, wo wir uns befanden, gingen wir kurzerhand in eine der kleinen Straßen. Nach ein paar Minuten fanden wir uns inmitten eines Gewirrs aus kleinen Gassen wieder, die sich alle zu ähneln und kein Ende zu haben schienen. Auf den sandigen Straßen fuhren kreuz und quer Taxis, Autos, unzählige Mofas und motorisierte Tuktuks. Auf den Gehwegen und teilweise auch auf der Straße standen Stände mit Essen, die sogenannten Garküchen. Auf wackligen Plastikhockern saßen um Plastiktische herum Menschen jeden Alters und aßen undefinierbares Essen oder spuckten die Reste einfach auf die Straße. Dazu kam ein Pegel aus Stimmengewirr und Motorenlärm, nur noch zu übertreffen durch die unglaubliche Schwüle, die ich als Hamburgerin noch nie zuvor erlebt hatte. Kurzum: Alles neu. Alles anders. Alles wirklich zu viel für mich.
„Mit der Zeit begann ich immer mehr, mich an das sorglose Leben in Thailand zu gewöhnen“
Doch wir versuchten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und bestellten mit Händen und Füßen unser erstes Essen an einer Garküche. Und hatten das erste Erfolgserlebnis in unserer neuen Heimat. Für umgerechnet nur 40 Cent erhielten wir jeder eine Schüssel mit einer leckeren Gemüsesuppe. Genauso gut, wie diese erste Mahlzeit in Bangkok unseren strapazierten Nerven tat, halfen mir auch die kommenden Tage, mich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Mein Körper gewöhnte sich überraschend schnell an die neue schwül-heiße Umgebung mit fast 90% Luftfeuchtigkeit. Was aber noch viel wichtiger war: Mit der Zeit begann ich immer mehr, mich an das sorglose Leben in Thailand zu gewöhnen und anzupassen. Es kam mir nicht mehr komisch vor, wenn mir eine fünfköpfige Familie inklusive Neugeborenem auf dem Arm, alle ohne Schutzhelm, auf einem Mofa entgegenkam. Oder wenn am Straßenrand, direkt neben unserer Wohnung, an einem kurzen Band am Fuß angebunden, Kampfhähne Tag und Nacht gehalten wurden. Oder wenn erwachsene Frauen in Hello-Kitty-Badelatschen händchenhaltend durch die Stadt liefen. Wer längere –oder auch kürzere – Zeit in Thailand ist, lernt das Komische, Seltsame, für westliche Menschen häufig Unlogische einfach zu akzeptieren. So wie die Thais es tun. Ihr Lebensmotto: „Mai pen rai“ – Was soll’s?! Warum sich aufregen, wenn man sowieso nichts daran ändern kann? Einfach hinnehmen und nicht weiter darüber nachdenken. Gerade für mich, die man in vielen Belangen als klischeehaft deutsch betiteln könnte, da mir Pünktlichkeit, Ordnung und Struktur im Leben sehr wichtig sind, war es eine komplett neue Erfahrung, statt über alles und jeden nachzugrübeln, die Dinge einfach mal so zu nehmen, wie sie kommen. Mir gefiel diese neue Denkweise sehr.
„Diese Einfachheit machte mein Leben sehr viel ruhiger“
Je länger ich in Thailand war, desto mehr merkte ich, wie belanglos doch manche meiner Probleme in Deutschland sind und wie sinnlos es ist, an ihnen zu verzweifeln. Manches kann man einfach nicht ändern. Diese Einfachheit machte mein Leben sehr viel ruhiger. Stress hatte ich in Thailand wenig, was auch an meiner entspannten Gast-Uni lag, und bereits nach wenigen Wochen merkte ich, wie ich gelassener wurde und auch die Kopfschmerzen, die mich in Hamburg häufig quälen, verschwunden waren. Trotz all der Entspanntheit musste ich natürlich an den Vorlesungen meiner Gast-Uni, der Chulalongkorn University Bangkok, teilnehmen – zum ersten Mal in meinem Leben in „Schul“-Uniform. Da einige Kommilitonen ihren Weg nach Thailand gefunden hatten, waren unsere Kurse an den Studienablaufplan in Deutschland angepasst. Das hatte den Vorteil, dass die Vorlesungen auf Englisch statt auf Thai gehalten wurden und dass das Semester problemlos zu Hause angerechnet werden konnte, jedoch kamen wir so auch kaum in Kontakt mit den thailändischen Studenten unserer Gast-Uni. Die Einzigen, mit denen wir regelmäßig etwas unternahmen, waren unsere Paten.
„Ich bereue keine Minute, mich für dieses Auslandssemester entschieden zu haben“
Diese halfen uns bei allen Problemen und Problemchen im Laufe des Semesters und begleiteten uns auch auf die allmonatlichen Ausflüge. Letztere waren eines der Highlights meiner Zeit in Thailand. Wir lernten Mangroven-Bäume im Schlamm zu pflanzen, während freche Affen uns aus einiger Entfernung dabei zusahen, wir fuhren auf einem einfachen Brett, das an ein Seil gebunden war, Wasserski, durften auf einem riesigen Büffel reiten, von einem Floß in die schnelle Strömung eines Flusses springen, mitten auf dem Meer in einer Bambus-Hütte, die in 5 Metern Höhe auf einfachen Pfeilern stand, Fisch und Algen essen, wir lernten den ehemaligen Palast des Königs kennen, erkundeten alte Tempel-Ruinen, wir schliefen in Hütten direkt an einem Fluss und erlebten eine Menge weiterer „Abenteuer“. Unsere Koordinatoren gaben sich dabei größte Mühe, uns vielfältige Einblicke in ihr Land zu geben. Und das ist ihnen eindeutig gelungen. Ich bin mir sicher, dass es keine bessere Art gibt, Thailand so eindrucksvoll und ehrlich kennen- und lieben zu lernen. Ich bereue keine Minute, mich für dieses Auslandssemester entschieden zu haben, und bin wirklich sehr dankbar für unsere gemeinsame Zeit, Bangkok. – Mein Koffer wurde übrigens nachts um zwei Uhr geliefert, über 12 Stunden nach unserer Ankunft in Bangkok. Aber wie ich es in den viereinhalb Monaten gelernt habe: „mai pen rai!“
Julia Adame y Castel, 22, studiert derzeit Journalistik an der Macromedia University of Applied Sciences in Hamburg. Über ihre Zeit in Thailand hat sie auch einen Blog verfasst: https://sawadekabangkok.wordpress.com/author/juliaadameycastel/.
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