Fika i biblioteket

Eine Azubine in Schweden

GESCHRIEBEN VON: GINA FRIEDRICHS
LAND: SCHWEDEN
AUFENTHALTSDAUER: 1 MONATE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
Nr. 10 / 2020, S. 48-49

„Auf einem Ausbildertreffen wurde die Webseite „Azubimobil“ vorgestellt, die Auszubildende bei einem Auslandspraktikum unterstützt“, begrüßte mich meine Chefin eines Morgens. „Wäre das nicht etwas für dich?“ Die Arbeit mit meinem liebsten Hobby Reisen verbinden? Das klang wie ein Traum!

 Schon zu Beginn meiner Ausbildung zur Fachangestellten im Medien- und Informationsdienst in der Bücherei erzählte ich meiner Chefin, dass mich ein Auslandsaufenthalt während meines Praktikums sehr reizen würde. Am liebsten in Skandinavien, da ich gehört hatte, dass das Bibliothekswesen dort ziemlich fortschrittlich sein soll. Sofort setzte ich mich an den Computer. Auf der Webseite konnte ich zwischen bereits organisierten Praktika inklusive Unterkunft, An- und Rückreise und Praktikumsplatz und einem selbstorganisierten Praktikum wählen. Angebote in Bibliotheken gab es genug, allerdings keines davon in Skandinavien. Also musste ich selbst recherchieren. Ich informierte mich auf Facebook, holte mir Tipps in Bibliotheksgruppen und fragte Herrn Google zu Praktikumsberichten im Ausland und skandinavischen Bibliotheken aus. Auf den Webseiten fand ich die Programme der Bibliotheken und schrieb diejenigen an, die mich mit ihrer Internetpräsenz besonders überzeugten. Eine positive Rückmeldung bekam ich von Anneli aus der Stadtbücherei in Helsingborg, Schweden. Anneli antwortete mir mit Smileys auf meine formelle E-Mail und bat mich direkt, sie bitte zu duzen. Ziemlich ungewohnt, war ich doch förmlich darauf trainiert, ausschweifende E-Mails zu schreiben und meinen Gesprächspartner mit „Sehr geehrte(r) Herr/Frau“ zu begrüßen. Dass die Schweden keinen Wert auf solche Förmlichkeiten legen, sollte ich schon bald lernen.

Nun ging es mit dem Papierkram los – eine Beschäftigung, an der bestimmt jeder „Auswanderer“ Gefallen findet: In Absprache mit meiner Ausbildungs- und Praktikumsbücherei wurde ein Praktikumsplan mit Zielen erstellt, die ich nach meinem Aufenthalt in Schweden erreicht haben wollte, Verträge wurden unterschrieben und allerhand Informationen an jegliche Kammern und Berufsgenossenschaften sowie Versicherungen verschickt, bis es endlich losgehen konnte. Gleichzeitig musste ich meine Reise planen und mir eine Unterkunft besorgen. Um mich auf meinen Aufenthalt vorzubereiten, meldete ich mich außerdem für einen Schwedischkurs in einer Sprachschule an, den ich heute immer noch besuche. Meine Mutter begleitete mich nach Schweden und wir reisten in der Woche vor meinem Praktikum ein wenig durchs Land, ehe wir uns in Helsingborg niederließen. Helsingborg liegt in der Region Schonen direkt an der Westküste und hat ca. 110.000 Einwohner – damit ist die Stadt etwa doppelt so groß wie meine Heimatstadt, in deren Bücherei ich ausgebildet wurde. Vier Wochen würde ich nun in dieser Stadt verbringen. Natürlich war ich schon mehrmals ohne meine Eltern verreist, aber dieses Praktikum war die erste längere Zeit, die ich alleine im Ausland verbringen sollte. Das Hostel, in dem ich die nächsten Wochen wohnen würde, war mit einer Küche und Wäschekammer ausgestattet und lag unweit der Bibliothek, sodass ich diese zu Fuß erreichen konnte.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Elbphilharmonie in Hamburg
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Hamburg
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junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Die Aufregung, die ich am Morgen meines ersten Arbeitstages verspürte, legte sich schon bald. Carolin, eine junge Mitarbeiterin, die in der Verwaltung arbeitete, erwartete mich schon im Eingangsbereich der Bücherei. Sie nahm mich mit in ihr Büro und erklärte mir, wer in den nächsten Wochen meine Ansprechpartner sein würden und in welchen Abteilungen ich mitarbeiten würde. Carolin zeigte mir die Bücherei und in der Frühstückspause lernte ich die anderen Kollegen kennen. In der Bücherei redeten sich alle mit Du und Vornamen an – das kannte ich ja schon aus Annelis E-Mail. Das gute Arbeitsklima spürte ich sofort. Die Mitarbeiter waren superfreundlich, fragten mich nach meinen Intentionen und nach meiner Ausbildung und antworteten mir geduldig auf alle meine Fragen. In meiner Ausbildungsbücherei war ich zu dem Zeitpunkt die Jüngste. Alle anderen Kolleginnen und Kollegen waren älter als ich, hatten schon Familie und somit weitestgehend andere Interessen als ich. Deshalb freute ich mich besonders, dass ich in der Stadtbücherei in Helsingborg mit gleichaltrigen Kollegen zusammenarbeiten durfte. Wir verbrachten die Pausen miteinander auf der Dachterrasse mit Ausblick auf das Meer oder gingen irgendwo gemeinsam essen. Meine Kollegin Iptissam, mit der ich verschiedene Programme wie zum Beispiel Bastel- und Spielenachmittage in der Kinderbücherei betreute, lernte ein wenig Schwedisch mit mir und achtete stets darauf, dass ich nachmittags an die „Fika“ – die traditionelle Kaffeepause, dachte. Die Fika nimmt wirklich einen hohen Stellenwert bei den Schweden ein, das ist mir jetzt bewusst!

„Ich durfte mehrmals am IT-Workshop teilnehmen, bei dem Konsolenspiele ausprobiert und Roboter programmiert wurden.”

Meine Arbeitszeit entsprach ungefähr der in Deutschland. Von Montag bis Freitag war ich von ca. 8 bis 17 Uhr in der Bücherei. Ich durchlief die verschiedenen Abteilungen von der Buchauswahl über die Inventarisierung der Medien bis zum anschließenden Einordnen der Regale. Die Kollegen erklärten mir die verschiedenen Programme, die für Kinder und Jugendliche angeboten wurden, und ich durfte mehrmals am IT-Workshop teilnehmen, bei dem Konsolenspiele ausprobiert und Roboter programmiert wurden. Seit meinem Praktikum schwärme ich nun schon mehr als zwei Jahre lang von den kleinen Robotern, die durch einfache Farbcodes programmiert werden können, und versuche immer wieder, auch meine Kollegen in Deutschland von ihnen zu begeistern. Während meiner Praktikumszeit fand ein Stadtfest in Helsingborg statt, auf dem sich die Bücherei mit einem Stand präsentierte. Wir klebten Kindern Tattoos auf die Haut, die mithilfe einer App zum Leben erwachten. Am Samstag musste ich nicht arbeiten, aber ich wusste, dass einige Kollegen an dem Stand vertreten sind, und brachte ihnen Gebäck vorbei, das ich auf dem Fest gekauft hatte, und wir verbrachten den Morgen miteinander. Anneli aus den E-Mails lernte ich erst in meiner dritten Praktikumswoche kennen. Am letzten Tag lud sie mich zur Fika in ein kleines Café im 50er-Jahre-Stil ein und wir redeten über die Arbeit und das Bibliothekswesen, aber auch über private Dinge.

An den Wochenenden sah ich mir die Umgebung an. Ich lieh mir ein Fahrrad und erkundete den Fischerort Råå, der etwas außerhalb von Helsingborg liegt. Dabei lernte ich, dass man der Ausschilderung des Fahrradweges Folge leisten sollte und Trampelpfade nicht unbedingt für Fahrräder gemacht sind. Aber auch, wenn der Weg schwierig war und ich am Ende fix und fertig ins Hostel einkehrte, weil ich gegen den Wind radeln musste und mich auf dem Rückweg auch noch verfahren hatte, wurde ich mit wunderschönen Ausblicken auf das Meer und die Küste belohnt. Von Helsingborg aus benötigt man nur 20 Minuten mit der Fähre, die im Sommer im Viertelstunden-Takt fährt, um das benachbarte Dänemark zu besuchen. Auch diese Möglichkeit nutzte ich aus, besichtigte Schloss Kronborg, auf dem zu der Zeit die Hamlet-Festspiele stattfanden, und Helsingör. Aus verschiedenen Quellen bekam ich den Tipp, das Museum für moderne Kunst, Louisiana, in Helsingör zu besuchen. Jede Person, der ich von meinem Vorhaben berichtete, war begeistert, aber bei mir blieb die Begeisterung aus. Da gefiel mir mein Ausflug ins Wikingermuseum und in den alten Dom in Roskilde schon besser. Sowohl Helsingör als auch Roskilde sind meiner Meinung nach wirklich charmante Städte, die mich mit ihrem alten Fachwerk und den kleinen Gassen begeistert haben. Helsingör besticht zudem damit, dass man auf Hans-Christian Andersens Spuren wandeln und seine ehemalige Lateinschule bestaunen kann.

„Mich hat der Monat in Schweden mehr Selbstständigkeit gelehrt.”

In meiner letzten Praktikumswoche bekam ich Besuch von meiner Brieffreundin Bianca und ihrem Vater aus Franken. Den Besuch in Helsingborg verbanden sie mit einer kleinen Campingtour durch Schweden. Unser gemeinsames Ziel war der Kullaberg, ein Naturreservat in Form einer Halbinsel nördlich von Helsingborg. Wie eine Zunge ragt das Reservat mit seinen steilen Felsküsten ins Meer. Mit viel Glück kann man Schweinswale beobachten und andere seltene Tiere und Pflanzen sehen. Schmale Stufen, Taue oder Leitern führen vom festen Wanderweg abwärts zu feuchten Grotten und steinigen Stränden. Festes Schuhwerk ist hier ein Muss, der Ausblick ist den Abstieg aber definitiv wert. Vier Wochen vergingen schnell. Ich bin mir unsicher, ob ich gerne noch länger geblieben wäre oder ob ein Monat angemessen war. Dadurch, dass ich unter der Woche den ganzen Tag in der Bücherei verbrachte und am Wochenende durch Ausflüge beschäftigt war, blieb mir kaum Zeit, mein Zuhause zu vermissen. Erst Mitte der vierten Woche merkte ich, dass ich langsam doch gerne wieder heim wollte. Dennoch ist mir klar, dass ich mehr Zeit benötigt hätte, um das schwedische Bibliothekswesen wirklich intensiv kennenzulernen. Ich bin sehr dankbar für dieses Praktikum. Da ich noch bei meinen Eltern wohne, hat mich der Monat in Schweden mehr Selbstständigkeit gelehrt. Ich bin mit vielen Inspirationen und Ideen zurück nach Deutschland gekommen und würde in meiner weiteren Berufslaufbahn gerne nochmal ein Praktikum im Ausland machen: Am liebsten wieder in Schweden oder in Finnland!

„Bei meinen Reisen nach Schweden stand auch immer ein Treffen mit meinen schwedischen Bekannten an.”

Auch zwei Jahre später stehe ich noch immer in Kontakt mit einigen Kollegen aus der Stadtbücherei in Helsingborg. Bei meinen Reisen nach Schweden 2018 mit meiner Mutter und 2019 mit zwei Freundinnen stand auch immer ein Treffen mit meinen schwedischen Bekannten an. Wir verabredeten uns zum Mittagessen, zu Strandspaziergängen oder besuchten den Rhododendronpark. Anneli war wirklich überrascht, als ich sie eines Tages im Büro besuchte. Letztes Jahr besuchte mich ein schwedischer Freund in Deutschland, und er lernte die deutsche Autobahn- und Esskultur sowie das Ruhrgebiet kennen, in dem sich eine Stadt an die andere reiht, wovon er total beeindruckt war. Solche Szenerien sind ihm aus Schweden unbekannt. Das Praktikum half mir dabei, auf die Menschen zuzugehen und stärkte mein Selbstbewusstsein. Dadurch, dass ich noch immer Schwedisch lerne, kann ich meine Sprachkenntnisse im Austausch mit meinen schwedischen Freunden anwenden. Das macht Spaß und motiviert mich, weiter zu lernen und das Land weiterhin zu besuchen.

Gina Friedrichs, 24, macht momentan eine Fernweiterbildung in Bibliothekswissenschaften, um Bibliothekarin zu werden. Sie kann sich gut weitere Aufenthalte im Ausland vorstellen!

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