Ein Jahr Freiwilligenarbeit in Südafrika
Mitte August lande ich nach genau 365 Tagen und Nächten in Südafrika wieder auf deutschem Boden in Frankfurt. Das südlichste Land auf dem afrikanischen Kontinent ist nun mehr als 8.000km weit entfernt und ich bin wieder in Deutschland. Hinter mir liegt ein zehnstündiger Nachtflug, begleitet von einem ständigen Surren der Klimaanlage, das mich frösteln ließ. Jetzt gleich ist es also so weit: Hinter den Gepäckbändern und der Glastür warten sehnsüchtig Familie und Freunde. Aber bin ich eigentlich schon bereit, Südafrika „goodbye“ zu sagen?
Drehe ich die Zeit genau ein Jahr zurück, so sehe ich mich ebenso am Frankfurter Flughafen stehen, den Backpacker-Rucksack gepackt mit Erinnerungsfotos, kleinen Geschenken von Freunden und leeren Tagebüchern. Durch eine Glasfront hatte ich damals auf die Maschine geschaut, die mich in eine andere Welt bringen sollte. Mir war mulmig zumute gewesen. Im Flugzeug hatte ich unter Tränen in meinem Abschiedsbuch all die rührenden Worte und Ratschläge gelesen, die mir mit auf den Weg gegeben worden waren. Die Verabschiedung von Freund, Familie und Freunden war mir sehr schwer gefallen. Insbesondere während der ersten Zeit in Südafrika hatte ich allzu oft darüber nachgedacht, was ich wohl in Deutschland gerade verpasste. Diesen Gedanken „abzuschütteln“ hatte einige Wochen gedauert und so hatte ich mich vor Ort nur langsam auf das mir neu Gebotene einlassen können.
Zusammen mit acht anderen Freiwilligen meiner Entsendeorganisation arbeitete ich im Abraham Kriel Kinderheim in Potchefstroom, einer kleinen Universitätsstadt etwa 120km südwestlich von Johannesburg. Das Heim war bereits 1956 gegründet worden und bietet heute rund 220 Kindern und Jugendlichen zwischen drei und 18 Jahren ein Zuhause. Viele der von uns betreuten Kinder waren aufgrund familiärer Probleme von ihren leiblichen Eltern oder Verwandten getrennt worden und lebten schon seit mehreren Jahren im Kinderheim. Oft waren sie seelisch, körperlich oder sexuell misshandelt oder als ehemalige Straßenkinder in die Obhut des Kinderheims gegeben worden. Die jungen Bewohner waren nach Alter und Geschlecht getrennt in neun Häusern untergebracht, in denen jeweils ein Freiwilliger und eine „Tannie“ mit ihnen wohnten und sich um sie kümmerten. „Tannie“ ist übrigens Afrikaans für „Tante“, wobei der Begriff recht weit gefasst wird. Es gab klare Regeln und Hierarchien. Die Mädchen durften sich am Tisch nicht unterhalten und verwendeten stattdessen festgelegte Handzeichen, um den anderen mitzuteilen, dass sie beispielsweise Butter oder Brot gereicht bekommen wollten. Sie wurden streng religiös erzogen und die Bibel spielte eine elementare Rolle in ihrem Leben. Jungen und Mädchen durften sich auf dem Gelände nur zu vorher angemeldeten und festgelegten Besuchszeiten in einem abgetrennten Bereich treffen, der für die Betreuer und „Tannies“ von allen Seiten einsehbar war. Viele dieser „Werte“ und Regeln konnte ich nur schwer begreifen und nachvollziehen.
Ich war zuständig für die Hausaufgabenbetreuung, den Nachhilfeunterricht und die Freizeitgestaltung von 28 Mädchen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Abends setzte ich mich zu den Mädchen auf ihre Zimmer und wir erzählten, lachten, sangen und spielten zusammen. Neben der Erfüllung meiner Aufgaben war es für mich das Wichtigste, einen Zugang zu ihnen zu finden und so zum Zuhörer, Ratgeber und Wegbegleiter für sie zu werden: Jemand, der ein offenes Ohr für ihre kleinen und großen Sorgen hatte und sich Zeit nahm. Jemand, der in das Leben dieser Jugendlichen eintauchte und ihnen die Aufmerksamkeit schenkte, die sie verdienten. Diese Aufgabe machte für mich den wahren Wert meines Freiwilligendienstes aus. Wenn sie sich mir anvertrauten und mich an ihren Leben teilhaben ließen, war das der größte Vertrauensbeweis. Dieses positive Gefühl trug mich immer wieder und zeigte mir, dass ich dort genau richtig war. Der Abschied von den Mädchen fiel mir sehr schwer. In einem selbst bemalten Block hatten sie all die vielen kleinen Anekdoten und Geschichten aufgeschrieben, die wir gemeinsam erlebt hatten. Viele dieser „kleinen“ Momente würden mir so noch lange in Erinnerung bleiben. Ich überließ ihnen einen persönlichen Schutzengel und gemeinsam geschossene Fotos, die sie mich hoffentlich nicht ganz vergessen lassen würden.
„Mit einem lachenden und einem weinenden Auge“
Nun bin ich wieder zurück auf deutschem Boden – und als ich den Wartenden hinter dem Gate am Flughafen endlich in die Arme falle, bin ich mir sicher, wieder zu Hause zu sein. Die Vorfreude auf diesen Moment und mein Leben in Deutschland hatten mich in den letzten Wochen meines Freiwilligendienstes immer wieder begleitet. Und so war ich in Südafrika genauso aufgebrochen, wie ich Deutschland ein Jahr zuvor verlassen hatte: mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Auf dem Weg vom Flughafen in meine Heimatstadt Köln halten wir vor einem kleinen Café, weil ich auf die Toilette gehen will. Ich habe völlig vergessen, dass man in Deutschland für die WC-Benutzung 50 Cent bezahlen muss und erschrecke, als die Kellnerin dies von mir in gereiztem Ton verlangt. Kulturschock von der ganz anderen Seite. Deutschland ist so anders als Südafrika!
„Nach meiner Rückkehr muss ich erst einmal lernen, mit meinen Erfahrungen umzugehen“
Nach all dem Trubel in den ersten Tagen und Wochen nach meiner Rückkehr muss ich erst einmal lernen, mit meinen Erfahrungen umzugehen. Nach all den vielen und spannenden Geschichten, die zu Beginn noch jeder hören will, kommt irgendwann die Ernüchterung. Ein „aber in Südafrika ist das so“ nervt schon ziemlich bald viele meiner Freunde. Ehrliches Interesse wird mir fast ausschließlich von denjenigen entgegengebracht, die meinen Aufenthalt von Anfang bis Ende mitverfolgt haben. Mit den Erwartungen der anderen an mich kann ich zunächst schlecht umgehen. Mir ist, als erwarte man von mir, dass ich schnellstmöglich wieder zurück in meine alte Rolle finden und genau dort ansetzen soll, wo ich aufgehört habe. Mit der Zeit entwickle ich Verständnis und höre auf, jedem zu erzählen, wie das so ist als weiße Frau in Johannesburg oder dass die Apartheid immer noch in den Köpfen der Südafrikaner vorhanden ist.
Manchmal wünsche ich mir, als heimliche Beobachterin nur für einen Tag noch einmal dabei zu sein, wenn die Mädchen von der Schule kommen, über Jungs quatschen oder Netball spielen. Mein Freiwilligendienst hat mich bewegt, geschockt, gefesselt und an meine Grenzen gebracht. Die Mädchen haben mich aufgenommen und mich durch ihre Lebensfreude begeistert. Ich habe von ihnen gelernt und mich zugleich ganz nah an ihre Herzen getraut. Was geblieben ist, ist die tiefe Verbundenheit mit einem Land und seinen Menschen, die mich berührt haben. Die Sehnsucht, die mich ganz bestimmt wieder zurückkehren lässt. Die Bewunderung für die Lebensart der Menschen und die Freude, ein kleiner Teil von ihnen geworden zu sein. Das Kribbeln in den Beinen, wenn ich höre, dass jemand über Südafrika spricht. Und das Gefühl, eine zweite Heimat gefunden zu haben – obwohl Deutschland mein Zuhause ist.
Mara Kurnap, 22, war als weltwärts-Freiwillige für ein Jahr in Südafrika. Sie studiert Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln.
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