Unterricht auf Nepalesisch

Als Freiwillige gelehrt und gelernt

weltweiser · Freiwilligenarbeit · Unterricht · Nepal
GESCHRIEBEN VON: SARINA PFEILER
LAND: NEPAL
AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
NR. 3 / 2013, S. 47-48

Triefend vor Schweiß laufe ich bei mindestens 40°C schnellen Schrittes durch die brennende Sonne und sehne mich nach jedem noch so kleinen Luftzug, der über mein Gesicht streift und mir einen kurzen Moment der Abkühlung verschafft. Mein Fahrrad musste ich zu Hause stehen lassen, da durch die Hitze beide Reifen geplatzt sind. Sehnsüchtig erreiche ich das kleine u-förmige Gebäude, in dem bereits 500 Schüler in blauen Schuluniformen für den Unterricht Platz genommen haben.

Ein Raunen hallt mir entgegen, als ich durch den Garten des Innenhofs laufe. Schnell flüchte ich mich unter einen Ventilator, der mir die ersehnte Abkühlung bringt, und bereite meinen Kunstunterricht vor. Dann nehme ich meine Unterlagen und laufe an den Klassenzimmern der Kindergartenkinder vorbei, die mir sogleich entgegenspringen und versuchen, mich in ihren Raum zu ziehen. Nachdem sie enttäuscht wieder zurück in ihre kleinen Klassenzimmer gebracht werden, blicken sie mir durch die Gitterstäbe der Fenster sehnsüchtig nach, da sie heute nicht dran sind. Weiter geht es, vorbei an den Viertklässlern, denen ich auch nicht unbemerkt bleibe. Schließlich erreiche ich die Klasse 3A, die ich nun unterrichten werde. Ich betrete das Klassenzimmer und fühle mich gleichzeitig überfordert und geehrt. Alle Schüler springen auf, kreischen fast hysterisch meinen Namen und versuchen, mir die Hand zu schütteln. Wie eine Prominente bahne ich mir meinen Weg durch die Klasse, erreiche über Umwege die Tafel, hole tief Luft und schaue in 30 erwartungsvolle Gesichter: Meine Unterrichtsstunde beginnt. Die Schüler lieben mich, weil ich nicht zu hart zu ihnen bin und sie nicht schlage – was es mir letztendlich aber erschwert, sie zu bändigen. Alltag in Nepal, meinem neuen Zuhause, und ein ganz normaler Start in den Tag.

Ich bin in einem örtlichen Trainingszentrum stationiert, das Menschen aus ganz Nepal über Themen wie alternative Energie, Hygiene bis hin zu Sexualität aufklärt und in den einzelnen Gemeinden Hilfe zur Selbsthilfe leistet. Der Organisation gehört ein eigener Radiosender an sowie zwei Schulen und eben ein Freiwilliger – in diesem Fall ich – , der je nach eigenem Interesse in verschiedenen Bereichen eingesetzt werden kann. Nach meiner Ankunft hatte ich angegeben, mich besonders für die Arbeit in der Grundschule zu interessieren, und kaum hatte ich dies geäußert, wurde ich auch schon zur Lehrerin befördert. Damit bin ich gleichermaßen „ausgebildet“ wie die meisten der anderen Lehrer hier, die ich seither „Kollegen“ nennen darf. Kurz nachdem ich angefangen hatte, die Viertklässer zu unterrichten, riefen die Eltern der Zweit- und Drittklässler bei mir an, um mich auch als Lehrerin für ihre Kinder zu gewinnen. Daraufhin setzte ich mich mit dem Schulleiter zusammen und wir entschieden, dass ich in verschiedenen Klassen die Fächer Kunst, Musik und Sport unterrichten würde – allesamt Fächer, die für die Schüler völlig neu waren. Hoch motiviert wollte ich sogleich loslegen, musste aber schnell feststellen, dass die Schule außer einem Fußball keinerlei Ausstattung und Materialien besaß. Also beschloss ich, selbst zu investieren und unter anderem einige Malutensilien zu kaufen. Vieles ist hier sehr günstig und auch die Lebenshaltungskosten sind niedrig: Für eine fünfstündige Busfahrt zahlt man umgerechnet 2,50 €; ein Essen für vier Personen bekommt man schon für 2 €.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Den Kindern gefiel ihr neuer Unterricht sehr, und auch ich freute mich, nachdem anfängliche Schwierigkeiten überwunden waren und die Kinder die neuen Farben nicht nur auf die Tische klecksten, sondern sie schließlich auch zu Papier brachten. Durch meinen überraschenden Erfolg wurde ich schon bald mit zusätzlichen Aufgaben betraut und durfte die Bücherei der Schule verbessern und mich um den Kindergarten kümmern. Eine besonders verantwortungsvolle Aufgabe bestand außerdem darin, die Betreuer des Kindergartens in unserem Trainingszentrum darin auszubilden, ihren Unterricht kreativer zu gestalten. Obwohl ich keine ausgebildete Trainerin bin, konnte ich den Kollegen einige Erfahrungen aus meiner eigenen Schul- und Kindergartenzeit vermitteln und Anregungen mit auf den Weg geben, da sie bis dato nur die Methode des reinen Auswendiglernens kannten und anwendeten.

„Die Idee des „Helfens“ musste ich allerdings noch relativieren“

Rückblick: Um zu berichten, wie ich an einem der heißesten Orte Nepals zwischen all den Kindern landete, muss ich etwas ausholen. Schon mit 16 Jahren nahm ich mir vor, nach dem Abitur ins Ausland zu gehen, um dort als Freiwillige zu „helfen“. Damals stieß ich bei meiner Recherche bereits auf das Programm „weltwärts“ und ließ es bis zum Abitur nicht mehr aus den Augen. Die Idee des „Helfens“ musste ich allerdings noch relativieren, denn schnell wurde mir klar, dass ich als Abiturientin zwar über viel theoretisches Wissen verfügte, jedoch noch keinerlei praktische Ausbildung vorweisen konnte. Mir wurde bewusst, dass ich im Ausland wahrscheinlich selbst mehr lernen würde als anderen helfen zu können. Als ich über die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) einen geförderten Platz im „weltwärts“-Programm erhielt, bestätigte sich diese Einschätzung. Auf dem Vorbereitungsseminar teilte man mir mit: „Sei dir bewusst, dass du in diesem Jahr viel mehr mitnehmen kannst, als du geben wirst!“ Doch dies hielt mich nicht von meinem Vorhaben ab und ich wollte zeigen, dass ich den Anforderungen gewachsen war.

„Man konnte die Spitzen einiger Berge des Himalayas durch die Wolken blitzen sehen“

Es spielte für mich keine Rolle, in welchem Land ich eingesetzt werden würde, mir ging es vielmehr um die Art des Projektes. Also ließ ich das Schicksal entscheiden und gelangte auf diese Weise nach Nepal – dem Land, in dem sich der Mount Everest befindet. Viel mehr wusste ich eigentlich nicht über das ferne Reiseziel, genau genommen wusste ich nicht einmal, wo Nepal überhaupt liegt. Die Zeit bis zur Abreise verlief rasch und schon saß ich zusammen mit anderen Freiwilligen im Flugzeug und konnte aus der Luft einen ersten Blick auf die beeindruckende Schönheit Nepals werfen: Man konnte die Spitzen einiger Berge des Himalayas durch die Wolken blitzen sehen. Wir erreichten die pulsierende Hauptstadt Kathmandu, wurden aus dem Flughafen geleitet und von einem nepalesischen Begrüßungskomitee mit bunten Schals und gewöhnungsbedürftig duftenden Blumenketten behängt. Unsere Freude über den freundlichen Empfang verflog jedoch, als sich herausstellte, dass man Geld für diese Zeremonie von uns verlangen wollte: Welcome to Nepal.

„Die Nachbarstadt ist schmutzig und paradiesisch zugleich“

Zurück im Jetzt: Inzwischen habe ich mich gut in meiner Gastfamilie in Gaindakot eingelebt. Die Stadt befindet sich in der subtropischen Gangestiefebene Terai, die entlang der Grenze zu Indien verläuft – eine Gegend, in der das heiße Klima eine große Herausforderung darstellt. Ein ganz normaler Tag beginnt für mich schon um 5 Uhr morgens, wenn ich aufstehe; einerseits, da es kurz darauf so laut im Haus wird, dass an Schlaf nicht mehr zu denken ist, andererseits, damit ich noch die Kühle des Morgens genießen kann. Dann nehme ich mein Fahrrad und fahre in die 4km entfernte Nachbarstadt am Rande des tiefsten Flusses von Nepal, die ihren ganz eigenen Charme hat: Sie ist schmutzig und paradiesisch zugleich und besitzt sogar einen eigenen Sandstrand. Auf dieser Strecke werde ich für gewöhnlich von allen Menschen, die in der Nähe der Straße wohnen, aufmerksam beobachtet und mehrmals angesprochen. Neuigkeiten sprechen sich hier schnell herum und die „Buschtrommeln“ in Gaindakot arbeiten ununterbrochen. Kurz darauf treffe ich mich mit meinen nepalesischen Freundinnen zum Sport und stelle immer wieder fest, dass für manche Bewegungen scheinbar nur Nepalis geschaffen sind.

Nach dem Frühsport fahre ich zurück nach Gaindakot und meine Gastmutter kocht mir leckeren Milchtee. Mittlerweile ist sie tatsächlich zu meiner zweiten Mutter geworden. Gegen 10 Uhr gibt es Dal Bhat zu essen. Dabei handelt es sich um ein traditionelles nepalesisches Gericht, das aus Reis mit Linsen und Gemüse besteht, und das meist morgens und abends gegessen wird. Anschließend gehe ich zur Arbeit in die Schule. Nach dem Unterrichten fahre ich für gewöhnlich wieder in die Nachbarstadt, manchmal zu meiner Schneiderin, um nachzusehen, ob sie meine neuen Kleider schon fertig genäht hat. Dann sitze ich noch eine Weile bei den unglaublich talentierten Schneiderinnen, plaudere mit ihnen und genieße dabei einen kleinen Snack. Ein ganz normaler Tag, könnte man meinen – jedoch passieren jeden Tag aufs Neue Überraschungen: So kommt es vor, dass ich spontan zu einer Hochzeit eingeladen werde, eine ungeplante längere Reise in einen anderen Ort unternehme, einem Nepali erklären muss, dass ich ihn nicht so einfach heiraten kann, oder dass ich wieder etwas völlig Neues in meiner Stadt entdecke.

„Ich habe ein zweites Zuhause fernab der Heimat gefunden“

Im Moment versuche ich, jeden Augenblick in vollen Zügen zu genießen. Ich habe ein zweites Zuhause fernab der Heimat gefunden und fühle mich hier wohl, auch wenn ich unter ständiger Beobachtung der Einheimischen stehe. Im Laufe der vergangenen Monate hat sich mein Nepali, die Sprache Nepals, deutlich verbessert. Vor allem über das Thema Essen kann ich mittlerweile hervorragend sprechen, denn das ist das Hauptgesprächsthema mit meiner Gastmutter sowie mit allen anderen Personen, die ich auf der Straße treffe. Diverse nepalesische Feste habe ich mitgefeiert und jedes Mal eine wunderschöne „Tikka“ aufgemalt bekommen – einen Punkt auf der Stirn, der meist rot gefärbt und manchmal mit Reis vermischt ist. Ich bin auf statt in einem Bus gefahren, habe gelernt, beim Einkaufen zu handeln wie die Einheimischen und mich in die hier allgegenwärtigen großen Stoffläden zu wagen. Ich habe die Hitzeperiode überlebt und die Monsunzeit genossen. Mittlerweile unterrichte ich die Kinder in Nepali und habe durch großzügige Spenden Sport-, Musik- und Kunstutensilien sowie Spielzeug wie zum Beispiel Hüpfbälle für die Kindergartenkinder kaufen können. Meine letzte Amtshandlung in Nepal wird ein Anti-Gewalttraining für die Lehrer meiner Schule sein, die zur Bestrafung noch immer den Stock benutzen. Zudem plane ich eine Reise in die Stadt Ilam, die für ihren vorzüglichen Tee bekannt ist. Nepal wird mir immer als ein Land mit verschiedensten Gesichtern in Erinnerung bleiben und bestimmt werde ich eines Tages hierhin zurückkehren.

Sarina Pfeiler, 21, aus Nersingen bei Ulm ist mittlerweile aus Nepal zurück. Sie plant, Psychologie zu studieren, und kann sich vorstellen, später im Ausland zu arbeiten.

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