Freiwilligenarbeit im Waisenhaus in Südafrika
Wie alles begann: Die Idee war schon lange da. Zuerst gab es ein kleines Bild von Afrika in meinem Hinterkopf, und die Aussicht aufs Abitur. Aus dem Bild wurde ein Plan und der Plan reifte vor sich hin. Ich wollte gerne in einem Waisenhaus arbeiten, viel Zeit mit Kindern verbringen und am liebsten in einer Gastfamilie leben, um die Kultur hautnah zu erleben.
Ich bewarb mich bei verschiedenen Organisationen und ein paar Wochen später hatte ich es schwarz auf weiß: Ich war angenommen! Nach zwei Vorbereitungswochenenden wurde ich kurz vor meiner Abreise einer NGO in Johannesburg zugeteilt, die gemeinnützige Arbeit für insgesamt mehr als 8000 Bedürftige in fünf südafrikanischen Provinzen leistet. Und ehe ich mich versah, saß ich im Flugzeug auf dem Weg in ein Land, von dem ich zuvor immer nur träumen konnte: Südafrika. Es fiel mir schwer, das eigene, so vertraute Zuhause zu verlassen, und die Menschen, die immer für mich da waren. Aber andererseits war es auch genau das, was dieses Jahr so besonders machte: das Gefühl, alleine in die Ferne zu gehen und etwas Neues zu erleben, ohne die Eltern, Geschwister und Freunde. Ich hatte meine eigenen Vorstellungen von Afrika, doch diese waren schwammig und warteten noch darauf, Kontur und Inhalt zu bekommen.
Nach einem elfstündigen Flug fuhr ich gemeinsam mit anderen Freiwilligen in ein Vorbereitungscamp. Hier erfuhr ich nähere Details zu meinem Projekt. Dann war der Moment gekommen, ab sofort ging es für jeden von uns alleine weiter. Alle wurden zu ihren Projekten gebracht und mir wurde mitgeteilt, dass ich mittags von anderen Freiwilligen abgeholt werden sollte. Es wurde Mittag, es wurde Nachmittag, es wurde Abend – das war meine erste Begegnung mit der „African time“. Endlich kam das Auto mit drei Freiwilligen, zwei Engländerinnen und einer Deutschen. Mit ihnen würde ich die nächste Zeit zusammenwohnen. Wir waren ein internationaler Haufen, der immer wieder neu gemischt wurde. Da blieb das Leben spannend, Langeweile war ausgeschlossen. Wir kochten und aßen zusammen, entdeckten die netten Hipster-Gegenden mit all ihren schönen Vintage-Märkten, lernten die Einheimischen kennen und lieben, tranken einen Kaffee nach dem anderen, tanzten Salsa auf Dächern, lernten bruchstückhaft Zulu, Xhosa, Swahili und Setswana, veranstalteten Grill-Abende, stritten und vertrugen uns. Gemeinsam passten wir uns dem Leben in Johannesburg an. Vorher waren wir alle gewarnt worden, wie gefährlich es in der Stadt sein konnte, und so wagten wir uns Schritt für Schritt vor. Ich weiß noch, wie wir das erste Mal ein Taxi riefen und zu zweit Händchen haltend im Auto saßen, weil wir dachten, der Fahrer würde uns kidnappen. Später konnten wir darüber nur lachen.
Auf den Straßen herrschte immer ein reges Treiben: spielende, schreiende, lachende Kinder, Babys in bunten Tüchern hängend auf den Rücken ihrer Mütter, alte Frauen, die mit Mais gefüllte Körbe auf den Köpfen balancierten, als sei es das Einfachste der Welt, Männer, die an Autos schraubten, Straßenstände mit bunt aufgetürmtem Obst und Gemüse. Der Alltag wurde stets begleitet von Tanz und von überall her tönender House-Musik. Gestik und Gespräche, die afrikanischen Sprachen mit ihren Klicklauten erschienen dabei wie eine Art Schauspiel. Diese ansteckende Lebensenergie, die die Menschen umgibt, macht Südafrika für mich so einzigartig. Jedes Baby scheint sein Leben im Tanz und Gesang zu beginnen. Das konnte ich auch immer wieder bei der Arbeit beobachten. Apropos Arbeit: Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich an meinem ersten Arbeitstag durch die Korridore lief und hörte, wie die anderen Freiwilligen die vielen Mitarbeiter mit ihren wunderbar klingenden Namen begrüßten. Die Mitarbeiter empfingen mich mit offenen Armen und gaben mir von Anfang an das Gefühl, willkommen zu sein und dazuzugehören. Auch die Kinder nahmen mich schon am ersten Tag an die Hand und zogen mich durch die Räume. Eines saß auf der linken Schulter, ein anderes auf der rechten, und zwei weitere hielten mich an den Händen.
„Dabei fühlte ich mich fast selbst wie eine Mutter“
Unsere Aufgaben waren so vielfältig wie das Land selbst, kein Tag glich dem anderen und viele neue Projekte waren im Entstehen. Büroarbeit, Finanzen und Aufräumen gehörten sicherlich nicht zu den interessantesten Tätigkeiten. Aber in der Gruppe und mit den Mitarbeitern hatten wir immer unseren Spaß. Das jüngste Baby zählte gerade mal zwei Wochen und konnte ohne Probleme auf einer Hand Platz finden, die ältesten Bewohner waren 19 Jahre alt. Viele der Babys waren HIV-positiv oder hatten eine Behinderung, die sie körperlich oder geistig einschränkte. Ich durfte miterleben, wie die Babys krabbeln, sitzen und laufen lernten, wie sie begannen, nach Gegenständen zu greifen und wie sie ihre ersten Worte brabbelten. Wir fütterten, wickelten und badeten sie und begleiteten sie bei ihren wöchentlichen „Check-Ups“ ins Krankenhaus. Dabei fühlte ich mich fast selbst wie eine Mutter, wenn ich vor den Ärzten saß, ein Baby auf dem Schoß oder schlafend in einem Tuch auf den Rücken gebunden, und Fragen über seine Entwicklung beantwortete. Am schönsten war es zu sehen, wie sich langsam eine Beziehung zwischen den Kindern und uns aufbaute. Viele der Babys hatten das Glück, durch Adoption eine neue Familie zu finden. Auch wenn es nie leicht war, sie gehen zu lassen, freuten wir uns alle sehr für sie.
„Ich dachte mir Lieder und Tänze zu den Wochentagen, Jahreszeiten und Monaten aus“
An den Wochenenden nahmen wir die Kinder oft zu uns nach Hause, veranstalteten Wasserschlachten, fuhren für ein Picknick ins Grüne oder setzten uns für einen Kakao oder ein Eis in ein Café. Doch das war nicht meine einzige Rolle in dem Jahr. In der Parc Junior Primary School um die Ecke wurde ich von „Mommy“ zu „Teacher Anna“. Da hatte ich gerade selbst als Abiturientin die Schule verlassen, und schon stand ich als Lehrerin vor einer Klasse mit 40 erwartungsvoll blickenden Erstklässlern in blauen Schuluniformen. Anfangs musste ich lernen, all den Gesichtern einen Namen zuzuordnen, doch zuletzt war ich Freundin, Mama und Lehrerin zugleich geworden. Da war das Unterrichten eine reine Freude. Gemeinsam mit einer afrikanischen Lehrerin war ich für eine Klasse zuständig. Ich dachte mir Lieder und Tänze zu den Wochentagen, Jahreszeiten und Monaten aus. Auch den Unterricht in Mathematik, Englisch, Sport, Kunst, und was sonst noch so auf dem Lehrplan stand, verband ich häufig mit Tanz und einer Menge Spaß. Wenn ich erst nach Unterrichtsbeginn hinzustieß, war das Chaos groß. Die Kinder hatten mich schon durch das Fenster gesehen und sobald ich die Tür öffnete, rannten sie auf mich zu und riefen: „Teacher Anna! Teacher Anna!“
“Diese Wochen waren zwar sehr anstrengend, hätten aber lebendiger nicht sein können“
Neben dem normalen Unterricht gab ich Kurse für Kleingruppen verschiedenen Alters, um Schüler mit Lernschwierigkeiten zu fördern, und nachmittags half ich ihnen bei ihren Hausaufgaben. Auch im Waisenhaus betreute ich eine Hausaufgabengruppe. Die Kinder und Jugendlichen waren zwischen sechs und 19 Jahre alt. Sie wohnten in sogenannten Cottages, eingeteilt in 12er-Gruppen, und wurden von je zwei „house mothers“ betreut und bekocht. Zu meinen persönlichen Highlights des Jahres gehörten sicherlich auch die drei Camps, an denen ich teilnehmen durfte. Diese fanden mitten im Busch zwischen Pretoria und Johannesburg statt, um Kindern mit Krebs, Aids, Behinderungen oder lang andauernden Krankheiten eine Woche Spaß zu bieten. Die Camps waren spendenfinanziert und wir konnten sie individuell gestalten. Wir waren dafür verantwortlich, die verschiedenen Aktivitäten zu leiten und die Kinder rund um die Uhr zu betreuen. Diese Wochen waren zwar sehr anstrengend, hätten aber lebendiger nicht sein können. Obwohl viele der Kind den Großteil ihres Lebens im Krankenhaus verbrachten, hatten sie eine wirklich faszinierende positive Ausstrahlung. Sie schienen erstaunlich frei in all ihren Handlungen und verkörperten eine Unbeschwertheit, die ich noch nie zuvor erlebt hatte.
„Die Atmosphäre, die Lebenseinstellung, die Offenheit, das Gefühl, Zeit zu haben, auch das Wenigste zu teilen, willkommen zu sein – das ist das Flair Afrikas“
Und genau das ist die Faszination von Afrika: Es ist die Leichtigkeit, mit der die Menschen durchs Leben gehen. Die Atmosphäre, die Lebenseinstellung, die Offenheit, das Gefühl, Zeit zu haben, auch das Wenigste zu teilen, willkommen zu sein – das ist das Flair Afrikas, das ich nie vergessen werde. Seitdem ich zurück in Deutschland bin, ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht an meine „südafrikanische Familie“ denke und gerne ins nächste Flugzeug steigen würde, um in dieses wunderbare Land zurückzukehren. Es gibt so vieles, das mir aus diesem Jahr erhalten bleibt – und ich weiß ja jetzt, wie schnell man aus einem Traum Wirklichkeit machen kann …
Anna Fellmann, 21, studiert Psychologie in Freiburg. Vorher hat sie die Zeit zum Reisen genutzt, um einige der anderen Freiwilligen zu besuchen.
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