Freiwilligendienst am Goethe Institut in Santiago
Ich wollte ein halbes Jahr weg; einmal nicht den trüben europäischen Winter erleben. Ich wollte während des Wintersemesters einfach nicht in der Uni sitzen, sondern etwas Neues kennenlernen. Ausprobieren, wie es ist, woanders zu leben und zu arbeiten. Also bewarb ich mich bei »kulturweit«, dem Freiwilligendienst vom Auswärtigen Amt in Kooperation mit der Deutschen UNESCO-Kommission. Es klappte! Ein paar Monate nach meiner Bewerbung hielt ich die Zusage in der Hand: Sechs Monate lang würde ich im Goethe-Institut in Santiago de Chile in der Kulturprogrammabteilung arbeiten.
Südamerika, Goethe-Institut, Kulturprogrammabteilung: Genau so hatte ich es mir vorgestellt! Nach beschwerlichen Behörden- und Arztgängen, diversen Anträgen und dem Warten auf das Visum war es dann so weit: Sachen packen – ein Koffer oder zwei? Alles noch einmal überdenken. Abschied nehmen von Freunden und Familie. Und auf ging es: Von Berlin nach Frankfurt über SãoPaulo weiter nach Santiago de Chile. Der Flieger trug mich über den Atlantik und die schneebedeckten Anden und entließ mich knappe 16 Stunden später in die Hauptstadt Chiles und in mein Abenteuer.
Als ich am Tag meiner Ankunft mit meinen Koffern aus dem Flughafengebäude trat, schlug mir eine eisige Kälte entgegen. Eigentlich war der Plan doch ein anderer gewesen: dem Winter entfliehen! Hier herrschte er aber noch – das stellte ich ziemlich schnell fest. Weil Chile auf der südlichen Erdhalbkugel liegt, sind die Jahreszeiten den unseren entgegengesetzt. So war zum Beispiel Weihnachten ein ganz besonderes Erlebnis: Sonnenschein und Temperaturen bis zu 35°C. Ich, schwitzend in Top, kurzer Hose und Flipflops unterwegs. Weihnachtsmusik im Radio, auf den Straßen, im Supermarkt. Weihnachtsdekoration, bunte Beleuchtung und eine große Krippe mit den Heiligen Drei Königen vor der Municipalidad de Providencia, dem Rathaus meines Stadtviertels. Völlig ungewohnt bei den Temperaturen. Ungewohnt anders. Aber ungewohnt schön.
Die chilenische Hauptstadt liegt etwa in der Mitte des Landes, das von einer enormen Nord-Süd-Erstreckung gekennzeichnet ist. Wenn man Glück hat und nicht allzu viel Smog über der Stadt hängt, hat man vom Hügel Cerro San Cristobál einen einzigartigen Blick auf die schneebedeckten Anden, die im Osten des Landes liegen. Gelassen, wohl organisiert, teilweise europäisch und US-amerikanisch geprägt – wenn man die Anhäufung der Fastfood-Ketten betrachtet –, so präsentierte sich mir die Stadt. Beeindruckt war ich von dem öffentlichen Verkehrssystem. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, das jedoch auf keinen Fall: Die Metro-Stationen waren mit Flachbildfernsehern ausgestattet, hier und da waren WLAN-Hotspots und es gab eine „Metro-Biblio“, eine U-Bahn-Bibliothek, in der sich die Fahrgäste gegen eine geringe Jahresgebühr Bücher ausleihen können. Eine tolle Erfindung! In den Stoßzeiten morgens und am frühen Abend konnte es allerdings sein, dass ich drei Bahnen abwarten musste, um in eine hineinzukommen, in der sich nicht ein Konglomerat an Menschen tummelte. Dass sich die Chilenen oft über ihr Nahverkehrssystem beschweren, konnte ich nicht nachvollziehen. Für mich fuhr es sich immer super.
„Meine Arbeit war sehr abwechslungsreich und spannend“
Im geografischen Zentrum der Stadt, nicht unweit der Plaza de Armas und dem Museo de Bellas Artes, befand sich mein Arbeitsort, das Goethe-Institut. Bereits fünf Tage nach meiner Ankunft trat ich meinen Freiwilligendienst an. Die ersten Wochen über besuchte ich vor der Arbeit von 9 Uhr bis 14 Uhr gemeinsam mit den anderen Freiwilligen einen Spanischkurs. So rief ich mir während der ersten Tageshälfte mein Spanisch wieder in Erinnerung und ging danach arbeiten. Das Goethe-Institut in Santiago gliedert sich in die drei klassischen Sparten Kulturprogramm, Spracharbeit und Bibliothek mit Informationszentrum. Meinen ersten Arbeitstag in der Kulturprogrammabteilung fand ich fantastisch, da ich gleich feststellte, dass es viele spannende Projekte geben würde, die in den nächsten Monaten auf mich zukommen sollten. Häufig wurde ich von Freunden gefragt: „Und was machst du da genau?“ Meine Antwort: „Kulturveranstaltungen mitorganisieren!“ Ich assistierte bei der Planung und Umsetzung von Konzerten, Ausstellungen, Filmreihen, Theatervorstellungen, Workshops und Seminaren. Ich betreute deutsche und internationale Künstler, die für Workshops und Kulturveranstaltungen nach Chile kamen, und ich schrieb Texte für die Website, für deren Pflege ich zuständig war. Meine Arbeit war sehr abwechslungsreich und spannend und ich hatte nette Kollegen und Chefs.
„Mein Kontrastprogramm zum geordneten Santiago, in dem ich lebte“
Ich war sowohl im Büro tätig als auch viel außerhalb unterwegs. So kam es vor, dass ich einige Male beruflich in der etwa 120km entfernten bunten Hafenstadt Valparaíso war, zum Beispiel zur Eröffnung des „Science Tunnels“, einer Wanderausstellung der Max-Planck-Gesellschaft. Mir gefiel „Valpo“, wie die Chilenen die charmante Stadt nennen. Streetart, steil hinaufsteigende Straßen, kleine, verwirrende Gassen, verwinkelte Treppen, bunte Häuser und die alten, versteckten Aufzüge, die ihre Fahrgäste auf die zahlreichen Hügel bringen, prägen das Stadtbild. Das Gewirr im Hafen, die frische Luft, der Blick vom Cerro Concepción aufs Meer, alles unvergessliche Eindrücke, die mir diese Stadt geschenkt hat. In meiner Freizeit bin ich immer wieder gerne dorthin gefahren. Es war mein Kontrastprogramm zum – von mir so empfundenen – geordneten Santiago, in dem ich lebte.
Während meines Aufenthalts wohnte ich in einer sehr netten, internationalen WG im östlich vom Zentrum gelegenen Stadtteil Providencia. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Stadtteile östlich des Stadtzentrums immer vornehmer werden. Große, breite Straßen, riesige Einkaufszentren, stark gesicherte Mietshäuser und beeindruckende Glasbauten lassen alles sehr aufgeräumt und US-amerikanisch wirken. Hier treffen sich Anzugträger, Businessladies, Austauschstudenten und gut situierte Chilenen. „Das Wohnzimmer der Ausländer“, formulierte es mein kolumbianischer Mitbewohner treffend. Dass die Chilenen gern demonstrieren, dass sie die Sprache der „Ausländer“ sprechen, erfuhr ich von einem chilenischen Freund und oftmals auch am eigenen Leib. Doch ich war gar nicht daran interessiert, Englisch zu sprechen. Deshalb wurde ich manchmal sauer, wenn ich auf Englisch angesprochen wurde. Das passierte vor allem, wenn mein Blick einen Moment länger auf der Speisekarte verharrte – meist allerdings nicht aufgrund von Sprach-, sondern aufgrund extremer Entscheidungsschwierigkeiten, was die Wahl meines Gerichts betraf. Dagegen halfen nur konsequent auf Spanisch formulierte Antworten.
„Wenn ich die Brücke des Río Mapocho überquerte, trat mir eine andere Welt entgegen“
Das ist die eine Seite von Santiago, die ich während meiner Zeit kennenlernen durfte. Aber es gibt auch eine andere, fernab der polierten Fassaden, an den Stadträndern in Richtung Flughafen: sanierungsbedürftige Häuser, ärmliche Hütten, improvisierte Behausungen. Der einfache Wechsel der Straßenseite konnte oft ganz andere Eindrücke hervorrufen. Immer, wenn ich die Brücke des Río Mapocho überquerte, um auf die „Vega“, den größten Obst-, Gemüse-, Käse- und Fischmarkt zu gelangen, trat mir eine andere Welt entgegen: Hier präsentierte sich mir ein viel lebendigerer und authentischer Teil des chilenischen Lebens in der Hauptstadt. In unseren Mittagspausen waren wir, andere Praktikanten und ich, öfter dort, um zu essen oder um Obsteinkäufe fürs Wochenende zu erledigen, da die Preise wesentlich moderater waren als im großen Supermarkt. Im Allgemeinen waren die Ausgaben fürs Essen mit denen in Europa vergleichbar. Es gab einige Lebensmittel, die sogar teurer waren, wie beispielsweise Cornflakes, andere wiederum waren billiger als zu Hause. Seit meiner Rückkehr vermisse ich besonders meinen chilenischen Lieblingsnachtisch, den „mote con huesillos“. Das ist eine Art Pfirsich-Graupen-Kompott, das auf der Straße in Bechern als erfrischendes Sommergetränk verkauft wird – lecker.
„Cachai?“
Meine Zeit in Chile wird mir unvergesslich bleiben, vor allem wegen der vielen kleinen Begebenheiten wie der täglichen Kaffeebestellung, bei der ich viel gelernt habe. Bestellt man einen „café con leche“, einen Milchkaffee, bekommt man Milch mit Nescafé-Pulver serviert. Ein Kaffee mit wenig Milch nach europäischem Verständnis heißt hier „cortado“. Ein Lächeln zauberte mir immer wieder der chilenische Plural für „Kuchen“ auf die Lippen: „kuchenes“. Wie das Wort wohl in das Land gekommen ist? Durch die vielen deutschen Einwanderer im 19. Jahrhundert, die sich vor allem im chilenischen Süden niedergelassen haben. Auch das chilenische Spanisch hat einen festen Platz in meinem Wortschatz gefunden, vor allem der Ausdruck „Cachai?“ – „Verstehst du?“. Dieses Wort bringen die Chilenen gern in jedem zweiten Satz unter. Die Umgangssprache hat es mir zu Beginn sehr schwer gemacht, die Chilenen zu verstehen, aber nach einiger Zeit lernt und gewöhnt man sich an die Chilenismen. Nach sechs Monaten, diesmal bei extremer Hitze, verließ ich dieses kontrastreiche Land wieder. Den europäischen Winter ausgespart und in meinem Gepäck einen Haufen neuer Eindrücke. Hasta la próxima, Chile!
Katharina Bienert, 25, kommt ursprünglich aus der Nähe von Hannover und ist Absolventin des Studiengangs Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Sie gehörte zur ersten Generation der »kulturweit«-Freiwilligen, die im September 2009 ausreiste.
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