Freiwilligendienst am Goethe-Institut
„Oh mein Gott. Was sollen nur all diese Worte bedeuten?“ Es war 5 Uhr morgens. Ich war in Taschkent gelandet, der Hauptstadt von Usbekistan in Zentralasien. Hier sollte ich nun die nächsten fünf Monate einen Freiwilligendienst am Goethe-Institut absolvieren. Zwischen mir und meinem Abenteuer lagen nur noch die Zollkontrolle und ein Zettel voller unverständlicher russischer Worte.
Ich hatte zwar Russisch in der Schule gelernt, doch das war bereits fünf Jahre her. Mit einem Stift in der linken und einem Wörterbuch in der rechten Hand machte ich mich daran, den Zettel auszufüllen. Hatte ich zu verzollendes Gepäck? Ich war mir nicht sicher. Usbekische Sicherheitsmänner in grünblauen Uniformen beobachteten grimmig die Neuankömmlinge in der Flughafenhalle. Meine Augen brannten vor Müdigkeit und ich schwitzte, auch weil ich wusste, dass draußen vor dem Flughafen ein vom Goethe-Institut bestellter Taxifahrer auf mich wartete, der mich zu meinem Hotel fahren sollte. Viele Stunden Zug- und Flugreise lagen hinter mir, in denen ich mir meine Zukunft ausgemalt und in Erinnerungen geschwelgt hatte. Kurz zuvor hatte ich mich in einen jungen Mann verliebt. Genau einen Monat vor meiner Abreise, zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, waren wir ein Paar geworden, und nun hielt ich mich in einem 5000km entfernten Land auf. Unbemerkt hatte ich Löcher in die Luft gestarrt. Ich riss mich zusammen und füllte die Zollerklärung aus. Eine halbe Stunde später ging ich durch die Tür meinem ersten Auslandsabenteuer entgegen.
Ein halbes Jahr zuvor hatte mir der Freiwilligendienst „kulturweit“ eine E-Mail geschrieben: Ich war ausgewählt worden, für ein halbes Jahr nach Usbekistan zu gehen und dort am Goethe-Institut Taschkent zu arbeiten. Die Freude war groß, immerhin war ich noch nie länger im Ausland gewesen und konnte außerdem sinnvoll den Zeitraum zwischen Bachelor- und Masterstudium überbrücken. Ich muss jedoch gestehen, dass meine erste Amtshandlung war, das Land auf der Karte zu suchen. Vorher hatte ich kaum etwas von Usbekistan gehört, bald sollte ich dort leben und arbeiten. Noch am selben Tag ging ich in die Buchhandlung und kaufte mir einen Reiseführer. Mein erster Eindruck: viel Sand, karge Vegetation, ein strahlend blauer Himmel, schwarzhaarige, braungebrannte Menschen und wunderschöne Moscheen und Medresen mit bunten Kacheln und türkisblauen Kuppeln. Die nächsten Monate standen ganz im Zeichen des nahenden Abschieds. Ich las zwar viel, doch eine genaue Vorstellung, was mich erwartete, hatte ich nicht. Am meisten interessierte mich, dass circa 89% der Einwohner Muslime sind. Würde ich das im Alltag bemerken? Würden die Frauen Kopftuch tragen oder sogar vollständig verschleiert sein? Würde ich mit meinem Kleidungsstil auffallen? Zunächst nahm ich mit anderen Freiwilligen an einem zehntägigen Vorbereitungsseminar teil. Hier schloss ich einige Freundschaften und lernte, mich auf bestimmte Situationen im fremden Land einzustellen. Leider erfuhr ich bald, dass ich die einzige Freiwillige war, die nach Taschkent gehen sollte. Alle anderen waren mindestens zu zweit, nur ich sollte allein ins Unbekannte reisen. Plötzlich bekam ich ein wenig Angst, doch es gab kein Zurück.
Die ersten Wochen in Taschkent vergingen wie im Rausch. Alles Gelesene schien vergessen. Ich sog jede Kleinigkeit ein, ließ alles vorurteilsfrei in mich hineinströmen. Seit Kindertagen hatte ich nicht mehr so große, staunende Augen gehabt. Taschkent mit seinen 2,4 Millionen Einwohnern versprühte weniger orientalisches Flair als erhofft. Stattdessen prägte sowjetische Architektur aus den 70er Jahren das Stadtbild, alles war sehr weitläufig, die Luft immer etwas stickig vom Smog. Auf der Straße sah man sowohl modern als auch traditionell gekleidete Usbeken, es wurde Russisch und Usbekisch gesprochen. Die Mitarbeiter vom Goethe-Institut empfingen mich sehr herzlich. Bei einem Kollegen und seiner Familie fand ich meine Unterkunft für die nächsten fünf Monate. Offiziell war ich der Kulturprogrammarbeit zugeteilt, doch ich hatte das Glück, auch in andere Arbeitsbereiche wie die Spracharbeit und die Abteilung Information und Bibliothek hineinschnuppern zu können. Besonders viel Spaß machte mir die Arbeit mit den Sprachschülern. Wie ich zu meiner Überraschung feststellte, lernten viele junge Usbeken mit Eifer und Begeisterung Deutsch, die Sprachkurse waren immer ausgebucht. Viele, mit denen ich ins Gespräch kam, träumten davon, in Deutschland zu studieren oder zu arbeiten. Der Umstand, dass so viele junge Leute Deutsch sprachen, war für mich Fluch und Segen zugleich. Ich war fast nie gezwungen, Russisch oder Usbekisch zu sprechen und verbesserte daher meine Sprachkenntnisse nicht wesentlich. Auf der anderen Seite fiel es mir sehr leicht, mit den Einheimischen in Kontakt zu treten und Freundschaften zu schließen, weil die Sprachbarriere nicht so hoch war.
„Die Taxifahrten waren immer ein kleines Abenteuer“
Das von mir am häufigsten genutzte Fortbewegungsmittel in Usbekistan war das Taxi. Für die 9km lange Strecke von meiner Gastfamilie bis zum Goethe-Institut zahlte ich meist nur 3000 Sum, das entspricht circa 1 €. Die Taxifahrten waren immer ein kleines Abenteuer. Kaum stand man an der Straße, hielten schon die ersten Fahrer und fragten, ob man mitfahren wolle. Meist entschied ich mich nach Sympathie dafür oder dagegen. Der rasante Fahrstil verursachte regelmäßig Herzklopfen bei mir, zumal es als verpönt galt, sich anzuschnallen, und die meisten Autos auf den Rücksitzen gar keine Gurte hatten. Wenn ich den Fahrern auf ihre Frage hin erzählte, woher ich kam, staunten sie, da ich nicht ihrem Klischeebild der großen, blonden Deutschen entsprach. Meine abenteuerlichste Taxifahrt führte mich sechs Stunden durch die Wüste Kizilkum von Buchara nach Chiwa. Nie zuvor hatte ich etwas Anstrengenderes erlebt. Es war unerträglich heiß, mir war schlecht und die Straße war löchrig wie ein Schweizer Käse. Auf dem Weg passierten wir einige liegen gebliebene Autos. Gegen Ende begann der Fahrer auch noch, mit mir zu flirten, was mir sehr unangenehm war. Eine usbekische Freundin erklärte mich danach für verrückt, dass ich als Frau allein gereist war, denn das ist in Usbekistan unüblich. Aber ich hatte es überstanden und werde diese Fahrt wohl nie vergessen.
„Dank meiner usbekischen Freunde konnte ich das Land und die Lebensweise sehr gut kennenlernen“
Als ich ankam, war das Wetter noch relativ kühl, aber die Sonne ließ schon erahnen, dass dies nicht lange so bleiben würde. Bald stiegen die Temperaturen stetig an und pendelten sich zwischen 30°C und 40°C ein. Während meines Aufenthaltes regnete es etwa zweimal und nachts fiel die Temperatur selten unter 25°C. Das Beste, was man in dieser Hitze tragen konnte, waren luftige Kleider, die ich auf den vielen Basaren kaufte. Usbekistan ist ein Paradies für Frauen, die sich gerne weiblich kleiden, es gibt wunderschöne Kleider und hochhackige Schuhe. Der Einkauf auf den Basaren war ein Erlebnis für sich: Früchte, Gemüse und Süßwaren stapelten sich in rauen Mengen, warme Weißbrote waren aneinandergereiht und an den Gewürzständen erlebte man einen wahren Sinnesrausch. Dank meiner usbekischen Freunde konnte ich das Land und die Lebensweise sehr gut kennenlernen. Ich erlebte die Usbeken als herzlich, offen, hilfsbereit und sehr gastfreundlich. Kam ich zu Besuch bei einer usbekischen Familie, war ein üppig gedeckter Tisch vorbereitet und meine Gastgeber wurden nicht müde, mich zum Essen aufzufordern. Außerdem reiste ich viel, fuhr in die Ausläufer des Hochgebirges Tian Shan und besuchte die zwei schönsten und ältesten Städte Usbekistans, Samarkand und Buchara, durch die einst die berühmte Seidenstraße führte.
„Als mich mein Gastvater offiziell anmeldete, musste ich 30.000 Sum Schmiergeld zahlen“
Obwohl ich während meines Aufenthaltes im Großen und Ganzen ein gutes Leben führte, hatte das Land auch seine dunklen Seiten. Usbekistan wird seit 20 Jahren von Präsident Islom Karimov regiert, sein Einfluss auf das Parlament ist groß. Uniformierte Sicherheitskräfte beherrschen das Stadtbild. Es gibt Berichte von Schikanen gegenüber Menschenrechtsverteidigern und Journalisten, über Folter und Misshandlungen in usbekischen Gefängnissen. Von der Korruption der Behörden war auch ich betroffen: Als mich mein Gastvater offiziell anmeldete, musste ich 30.000 Sum Schmiergeld zahlen, damit die Anmeldung schnell bearbeitet wurde. In Bezug auf Partnerschaft, Heirat und Kinder merkte ich, wie viel mehr Freiheiten ich als deutsche Frau im Vergleich zu einer usbekischen genoss. Der gesellschaftliche Druck, einen Ehemann zu finden und früh Kinder zu bekommen, ist insbesondere in den ländlichen Gebieten sehr hoch. Scheidung ist zwar möglich, doch die Frau verliert dadurch erheblich an Ansehen.
Als ich schließlich nach Deutschland zurückkehrte, trieb mir der Anblick der grünen Bäume und Wiesen und der glatten Straßen Tränen in die Augen. Usbekistan war die aufregendste Erfahrung meines bisherigen Lebens. Besonders glücklich bin ich darüber, dass ich tief in die usbekische Kultur eintauchen konnte und Freundschaften geschlossen habe, die bis heute anhalten. Auch wenn ich nicht weiß, wann es so weit ist – nach Usbekistan werde ich auf jeden Fall zurückkehren.
Jana Richter, 26, studiert im Master Religion und Kultur in Berlin. Sie plant eine längere Reise durch Usbekistan und Kasachstan bis nach Russland, um diese Ecke der Welt noch besser kennenzulernen. Außerdem liebt sie es, fremde Städte zu erkunden.
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