Auslandsjahr mit Höhen und Tiefen

„High School Spirit“ in den USA

weltweiser · Schüler auf Brücke vor Skyline
  • GESCHRIEBEN VON: MARIUS HEIBEL
  • LAND: USA
  • AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    NR. 5 / 2015, S. 26-27

Bereits in meiner Kindheit war ich häufig unterwegs und hatte das Glück, viele Länder zu bereisen. Somit hatte ich schon früh den Wunsch gefasst, eine Zeitlang im Ausland zu verbringen. Ich beschloss, für ein Jahr in die USA zu gehen. Dafür mussten einige Gespräche geführt und Verträge unterschrieben werden.

Nach einer gefühlten Ewigkeit kam endlich die Zusage, es sollte in den Großraum Seattle gehen. Ich kontaktierte meine Gastfamilie mit einiger Skepsis, da ich nicht wusste, was mich erwarten würde, war jedoch positiv überrascht: Die Erzählungen meiner Gastmutter weckten gleich Interesse bei mir und ich konnte es kaum abwarten, die Familie endlich kennenzulernen. Die Zeit bis zu meiner Abreise verging wie im Flug. Ich erledigte letzte Formalitäten, verabschiedete mich von Freunden und stand schließlich mit meinen Habseligkeiten am Flughafen. Nach vielen Stunden kam ich endlich in den USA an. Um den Start in das Auslandsjahr zu erleichtern, nahm ich gemeinsam mit anderen Austauschschülern an einem Vorbereitungsseminar in New York teil. In den folgenden Tagen lernte ich viele nette Jugendliche kennen. Da ich größtenteils auf Gleichgesinnte traf, verstand ich mich mit den meisten auf Anhieb und erlebte unvergessliche Stunden im „Big Apple“. Voller Euphorie ging es nach drei Tagen weiter zu meiner Gastfamilie. Ich sollte über Portland, Oregon, nach Seattle reisen, da aber mein Flug etliche Stunden Verspätung hatte, musste ich meinen Anschlussflug umbuchen. So wenige Tage nach meinem Aufbruch von zu Hause komplett auf mich alleine gestellt zu sein, war eine ganz neue Erfahrung. Völlig erschöpft und mit reichlich Verspätung kam ich in Seattle an und wurde am Flughafen von meiner Gastfamilie abgeholt.

Mein erster Eindruck bestätigte sich gleich: Sie waren sehr nett und einem unbeschwerten Jahr konnte nichts mehr im Wege stehen. Auf der anschließenden Heimfahrt schlief ich sofort ein – meine Ankunft hatte ich mir definitiv anders vorgestellt. Bis Schulbeginn hatte ich nun noch mehr als zwei Wochen Zeit, um mich an alles zu gewöhnen. In dieser Zeit war ich oft unterwegs, um einen Eindruck von meiner neuen Umgebung zu bekommen und einige Ziele in der Region aufzusuchen, die ich unbedingt sehen wollte. Auch wenn sich meine Familie gut um mich kümmerte, erkannte ich schnell, dass ich definitiv mit den falschen Erwartungen hergekommen war. Dieses Jahr in den USA bedeutete nicht einfach nur Urlaub. Meine Gasteltern waren berufstätig und hatten auch sonst viel zu tun, sodass sie von Anfang an Unterstützung von mir erwarteten. Ob beim Kochen, Putzen oder anderen Hausarbeiten, überall musste ich mit anpacken. Zuerst stand ich diesen Tätigkeiten voller Abneigung gegenüber, aber bald stellte ich fest, wie viel Spaß es machte, zusammen mit anderen zu kochen. Außerdem konnte ich noch einiges über amerikanisches Essen und andere Gewohnheiten lernen.

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Als die Schule begann, besaß ich bereits erste Kontakte, da ich mich zuvor für das „X-Country“-Team eingetragen hatte und jeden Tag zum Training ging. „X-Country“ bedeutete einfach nur Laufen, meist trat man in 5km langen Rennen gegen andere Schulen an. Die ersten Wochen in der Schule, die nur etwa 900 Schüler hatte, waren von Arbeit geprägt, da ich meine Sprachkenntnisse noch um einiges verbessern musste. Zum Glück hatte ich eine Fächerkonstellation, die große Freiräume zuließ. Mein Stundenplan bestand aus Mathematik, Chemie, amerikanischer Geschichte, Englisch, Kochen, Fotografie und Sport. Ich begann, meine Familie von Tag zu Tag mehr ins Herz zu schließen. Auch die sprachlichen Barrieren wurden immer niedriger, sodass ich bald mein neues Leben so richtig genießen konnte. Durch meine Mitgliedschaft im Sportteam kamen viele gute Freundschaften zustande. Ich durfte den „spirit“ miterleben, der bei den Amerikanern im Sport eine große Rolle spielt. Ich wurde von meinem Team getragen und als Teil des Ganzen ges en. Eine solche Unterstützung, auch für schwächere Teammitglieder, hatte ich vorher noch nie erlebt. Eines der besten Beispiele für den „spirit“ waren die Footballspiele. Ein Großteil der Schule war vertreten, angezogen in den Schulfarben, und feuerte lautstark im Kollektiv das Team an. Nach dem Ende der ersten Sportsaison musste ich mir leider eine neue Sportart suchen, da das Schuljahr in drei verschiedene Saisons unterteilt war.

„Die Wochenenden standen aber ganz im Zeichen der Familie“

Durch die gewonnenen Freundschaften war ich oft unterwegs und lernte auf diese Weise meine neue Heimat kennen. Mittlerweile konnte ich auch die Schule ohne Anstrengung meistern, was mir ein Höchstmaß an Freizeit verschaffte. Die Wochenenden standen aber ganz im Zeichen der Familie, ob auf Campingausflügen in der Umgebung oder einfach nur auf dem Sofa. Dank der Leidenschaft meiner Gasteltern für das Camping konnte ich das Land von einer ganz anderen Seite kennenlernen. Meistens übernachteten wir mitten in der Natur, weit entfernt von dem Trubel der Städte. So lernte ich auch schnell den Bundesstaat Washington lieben. Die beeindruckende Natur, gepaart mit der Ruhe fernab des Massentourismus, begeisterte mich am meisten. Auf unseren Ausflügen brachten mir meine Gasteltern neben dem Fliegenfischen auch das eine oder andere Kartenspiel bei, welches uns bis spät in den Abend hinein beschäftigte. Doch als es auf den Winter zuging, hatte ich leider einen Tiefpunkt erreicht. Wie zuvor erwähnt, musste ich mich für eine neue Sportart entscheiden. Ich wollte unbedingt ringen, doch nach einigen Wochen brach ich mir beim Training die Hand. Dadurch hatte ich nachmittags keine größere Beschäftigung mehr und mich packte die Langeweile, da die meisten meiner Freunde die Nachmittage beim Sport in der Schule verbrachten.

„Ein weiteres großes Ereignis war die Reise nach Hawaii“

Obwohl ich zuerst etwas niedergeschlagen war, wollte ich nicht so schnell aufgeben, und das war genau die richtige Entscheidung. Kurze Zeit später konnte ich ein Angebot des Schuldistrikts nutzen, und meinem großen Hobby, dem Skifahren, nachgehen. Daraufhin verbrachte ich viele Samstage in den Bergen. Ich lernte viele neue Menschen kennen, mit denen ich auch nach Ablauf des Programms noch häufig in die Skigebiete fuhr. Skifahren in den USA gehört zu den Erfahrungen, die ich nicht mehr missen möchte. Es machte mir persönlich so großen Spaß, dass ich jede Woche aufs Neue dem Samstag entgegenfieberte. Ein weiteres großes Ereignis war die Reise nach Hawaii, die für die Austauschschüler meiner Organisation durchgeführt wurde. Ich hatte mich bereits lange darauf gefreut, und es wurde letztendlich auch eine unvergessliche Woche. Nach einem sechsstündigen Flug von Seattle nach Honolulu betrat ich endlich hawaiianischen Boden. Wie schon beim Einführungsseminar in New York, fand ich schnell Freunde und wir genossen ein Woche im Paradies. Leider war die Zeit viel zu kurz und schon musste ich wieder zurück ins wesentlich kältere Seattle. Trotzdem war ich froh, wieder zurück zu sein, denn inzwischen war ich in der Phase meines Auslandsjahres angelangt, an die ich mich besonders gerne zurückerinnere.

„Ähnlich wie bei den anderen Sportarten war auch hier das Gefühl, zu einem Team zu gehören, überragend für mich“

Mittlerweile war ich nicht mehr nur der Austauschschüler, sondern ein fester Teil der Gemeinschaft. Meine freie Zeit war dementsprechend begrenzt, da ich mich erneut einem Sport gewidmet hatte, verschiedene Unternehmungen mit anderen Jugendlichen aus meinem Umfeld plante und natürlich viel Zeit mit meiner Gastfamilie verbrachte. In der dritten Sportsaison hatte ich mich für „Track and Field“ entschieden, was auf Deutsch Leichtathletik bedeutet. Ähnlich wie bei den anderen Sportarten war auch hier das Gefühl, zu einem Team zu gehören, überragend für mich. Da mir der Sport besonders lag, konnte ich mich dementsprechend für höhere Wettbewerbe qualifizieren. Die Anerkennung, die mir zuteil wurde, war unbeschreiblich und mit keiner Erfahrung in Deutschland vergleichbar. Es war schade, dass auch diese Saison lediglich zehn Wochen dauerte, da ich gerne mehr Zeit mit meinem Team verbracht hätte. Dieses war für mich zu einer Art Familie geworden, denn wir verbrachten jeden Tag mehrere Stunden gemeinsam beim Training auf dem Feld. In dieser späten Phase meines Austauschjahres wurde mir erst bewusst, was ich mir alles aufgebaut hatte. Ich hatte einen großen Freundeskreis gefunden und – was viel wichtiger war – ein tolles Verhältnis zu meinen Gasteltern entwickelt, die für mich einer richtigen Familie gleichkamen. Obwohl ich ihnen am Anfang mit Skepsis begegnet war, wurden wir während des Jahres unzertrennlich. Ich lernte so viel von ihnen und meine Gastfamilie ebenso von mir. Heute kann ich rückblickend sagen, dass ich in dem Jahr unzählige Eindrücke gesammelt und vor allem sehr viel über mich selbst gelernt habe. Ich kann jedem nur raten, diesen Schritt zu gehen, denn mit ein wenig Selbstdisziplin wird ein Austauschjahr zu einem nachhaltig prägenden Erlebnis, an das man sich lange erinnern wird. „So go for it!“

Marius Heibel, 19, besucht zurzeit das Gymnasium und plant nach seinem Abitur ein Studium mit internationaler Ausrichtung.

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