Von spannenden Jobs und unbezahlbaren Erlebnissen
14.405 km: So lang war die Strecke, die ich in meinem Work & Travel-Jahr in Kanada zurücklegte. Nach meiner Rückkehr fragte jeder: „Und, wie war’s?“ „Sehr gut“, sagte ich dann. Es war aber nicht einfach nur gut. Es war aufregend und anstrengend, einsam und wunderschön, es war erlebnisreich, abenteuerlich und brenzlig, es war lang und kurz zugleich, es war erstaunlich, tränenreich, intensiv und zwischenzeitlich auch sehr kalt.
Für mich war schon lange klar, dass ich nach dem Abitur ins Ausland gehen würde, und Work & Travel gefiel mir als Programm am besten. Ich wollte ein Abenteuer erleben, ins kalte Wasser geworfen werden und auf mich allein gestellt sein. Außerdem reizte mich die Chance, viele verschiedene Arbeitsfelder auszuprobieren, weil ich mir von meinem Work & Travel-Jahr eine Erkenntnis für meinen späteren Berufswunsch erhoffte. Als Ziel suchte ich mir das zweitgrößte Land der Erde aus: Kanada. Meine Vorbereitungen begannen damit, mich bei einem Work & Travel-Anbieter anzumelden, der auch die Buchung der Flüge übernahm. Im Februar beantragte ich das Working Holiday Visum für Kanada, was mit einigen langen, verzweifelten Tagen am Computer einherging. Danach hieß es hoffen, dass alles klappt. Nach einem Monat hatte ich dann mein Visum, das ich mit etwas gemischten Gefühlen entgegennahm, denn nun wurde es ernst. Bei der Verabschiedung von meinen Freunden flossen wider Erwarten keine Tränen. Wir sagten zwar „bis in einem Jahr“, konnten uns aber gar nicht richtig vorstellen, was das bedeutete.
Meine mitreisende Freundin Sarah und ich fuhren mit unseren Familien im Schlepptau zum Flughafen. Dort wurde unser Vorhaben dann doch so real, dass mir sehr übel wurde und ich mich fragte, warum ich eigentlich diese bescheuerte Idee gehabt hatte. Mein Leben zu Hause war doch super, bei meinen Freunden und meiner Familie, warum sollte ich also wegfahren? Im Flugzeug nach Vancouver, der größten Stadt an Kanadas Westküste, wurden diese Gedanken allerdings von Neugier, Aufregung und Abenteuerlust abgelöst. Das Einzige, was wir von Deutschland aus organisiert hatten, waren die ersten drei Nächte im Hostel. Am zweiten Tag hatten wir ein Infotreffen im Büro unseres Veranstalters, bei dem wir beispielsweise Tipps zur Eröffnung eines Kontos und zum Abschließen eines Handyvertrags erhielten. Außerdem halfen uns die netten Mitarbeiter bei der Überarbeitung unserer Lebensläufe. Dann suchten wir uns über das Internetportal „Craigslist“ Wohnungsangebote heraus und vereinbarten Besichtigungen. Dabei kam es zu einigen ungewöhnlichen und manchmal auch unangenehmen Situationen, zum Beispiel gab es ein Apartment zu einem erschwinglichen Preis in einem luxuriösen Hochhaus, wobei wir uns natürlich fragten, wo der Haken war. Das fanden wir schnell heraus: Der Vermieter würde mit seiner Frau in einem Zelt im Wohnzimmer leben. Letztendlich entschieden wir uns für eine Zwischenlösung und mieteten für einen Monat ein Zimmer in einem Studentenwohnheim.
Nachdem wir nun einen Platz zum Schlafen gefunden hatten, machten wir uns mithilfe von „Craigslist“ auf die Jobsuche. Nach einigen halbherzigen Bewerbungen als Tellerwäscher fand ich die passende Aufgabe für mich: Mitarbeiterin in einer Hundetagesstätte. Ich konnte die Managerin von mir überzeugen und bekam dort einen Job als Teilzeitkraft. Da ich angesichts der hohen Ausgaben in der ersten Woche schon darüber nachgedacht hatte, bald den Rückflug antreten zu müssen, war ich sehr erleichtert, dass ich nach so kurzer Zeit eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Letztendlich ließ ich mich nicht von den hohen Ausgaben zu Beginn für Miete, Kaution, Fahrrad, Essen und andere Dinge verrückt machen. Nach einiger Zeit wusste ich, wo man günstig einkaufen konnte, und bekam auch einen Blick für Sonderangebote. Trotzdem stellte es sich als hilfreich heraus, dass ich viel Geld für die ersten zwei bis vier Wochen eingeplant hatte, da ich ja anfangs nicht wusste, wie schnell ich einen Job finden würde und welche Ausrüstung eventuell für meine Tätigkeit notwendig sein würde. Im Nachhinein erinnere ich mich sehr gerne an die Stimmung der ersten Wochen in Vancouver: an die Aufgeregtheit und das Gefühl, dass noch alles offen, formbar und machbar war. Natürlich gehörten aber auch einige Tage mit sehr starkem Heimweh dazu.
„Kontakte zu Kanadiern knüpfte ich vor allem durch die Arbeit“
Als Sarah und ich unser gemeinsames Auslandsabenteuer planten, war uns beiden klar, dass es passieren konnte, dass sich unsere Wege trennen. Deshalb war es für mich kein großer Schock, als Sarah entschied, nach einem Monat zurück nach Deutschland zu fliegen. Die Vorteile für mich lagen darin, dass ich nun gezwungen war, mich unters Volk zu mischen und mehr Englisch zu sprechen. Nach einem Monat zog ich in eine kleine WG in einem Viertel nahe der Innenstadt. Meine Arbeit machte mir großen Spaß, da meine Hauptaufgabe darin bestand, mit den Hunden spazieren zu gehen, und ich auf diese Weise viel draußen war. In meiner Freizeit setzte ich mich an den Strand, traf mich mit Freunden, ging zum Chor oder ins Community Center in meiner Nachbarschaft, wo Kurse und Workshops für wenig Geld und ohne Anmeldung angeboten wurden. An meinen freien Tagen unternahm ich kleine Ausflüge zu den unzähligen Parks, Inseln und Bergen in und um Vancouver herum. Kontakte zu Kanadiern knüpfte ich vor allem durch die Arbeit, aber auch im Chor lernte ich einige nette Einheimische kennen. Gleichaltrige sowie andere Work & Travel-Reisende traf ich eher durch Barabende und Ausflüge meines Work & Travel-Veranstalters, aber auch über die deutsche Facebook-Gruppe „Work & Travel Kanada“ und über das soziale Netzwerk „Meetup“.
„Ich arbeitete für einen Monat auf dem deutschen Weihnachtsmarkt in Vancouver“
Anfangs hatte ich mich gegen den Kontakt zu anderen Deutschen gesträubt, da ich so viel Englisch sprechen wollte wie möglich. Letztendlich zählten aber einige Landsleute zu meinen engsten Freunden, da ich zu ihnen einfach einen besonders guten Draht hatte. Wir konnten uns gegenseitig Tipps geben und gemeinsam Ausflüge zu Orten unternehmen, die die „Vancouverites“, die Einwohner von Vancouver, schon viel zu oft gesehen hatten. Außerdem kam ich bei der Arbeit noch genügend mit der englischen Sprache in Berührung. Ich hatte mir auch gar nicht zum Ziel gesetzt, perfektes Englisch ohne jeglichen Akzent zu lernen. Nach einiger Zeit suchte ich mir einen anderen Job, da ich mit meiner Tätigkeit zwar genug Geld zum Leben, aber nicht zum Reisen verdiente. Ich arbeitete für einen Monat auf dem deutschen Weihnachtsmarkt in Vancouver und verkaufte dort sieben Tage die Woche Schokolade – davon wuchs leider nicht nur der Bauch meines Sparschweins. Zu Weihnachten kam mich mein Freund besuchen und wir machten eine tolle Reise nach San Francisco. Danach packte mich das Heimweh zum ersten Mal so richtig, dank perfekter Nährbedingungen wie zu viel Freizeit, Kälte und Regen. Was ich dagegen tat? Erst einmal ließ ich mich ein paar Tage traurig und einsam sein, danach ging ich in eine Buchhandlung, guckte mir Reiseführer an und erinnerte mich daran, warum ich hier war. Ich kochte mir mein Lieblingsessen von zu Hause und unternahm so viel wie möglich mit Freunden. Danach ging es mit der Laune wieder bergauf.
„Ich reiste mit wachsenden Fähigkeiten und Englischkenntnissen weiter von West nach Ost“
Im Januar reiste ich zu einer kleinen Farm in den Rocky Mountains. Dort sollte ich meine erste WWOOF-Erfahrung machen. WWOOF steht für „World-Wide Opportunities on Organic Farms“. Das Konzept beinhaltet, dass an Nachhaltigkeit und Bioprodukten interessierte Menschen auf einer Farm gegen Kost und Logis ihre Hilfe anbieten. Im Winter gab es natürlich nichts anzupflanzen, daher half ich auf meiner ersten Farm dabei, eine Holzhütte für Gäste zu bauen. Auf meiner zweiten Farm konnte ich in einer gemeinnützigen Bäckerei mitarbeiten und wohnte in einer ehemaligen Kirche, während ich auf meiner dritten Farm das Haus mit einer Ziege – und natürlich den Farmern – teilte, Ziegen molk, Käse und Seife herstellte. Mit jeder neuen Farm reiste ich mit wachsenden Fähigkeiten und Englischkenntnissen weiter von West nach Ost. Die größte Herausforderung für mich war es, mich immer neu anpassen, einleben und wieder verabschieden zu müssen. Außerdem war es manchmal schwierig, mit dem Geld und dem Platz im Koffer zu haushalten. Des Öfteren musste ich mit mir kämpfen, um nicht dieses schöne T-Shirt für $40 zu kaufen. Manchmal verkniff ich mir aber auch zu viel und bereute es dann im Nachhinein. Dies war vor allem bei Aktivitäten der Fall, und die machten den Koffer ja auch nicht schwerer.
“Bei diesen Highlights fällt auf, dass die meisten von ihnen kostenlos waren“
Wenn ich zurückblicke, waren meine tollsten Erlebnisse ein wunderschönes Feuerwerk an Vancouvers Strand, ein Open-Air-Kinoabend mit Glühwürmchen, der Auftritt meines Gospelchores, die Polarlichter in der weiten Stille der Prärie mit ein paar Schafen um mich herum, meine ersten Surfversuche, ein zweiwöchiger Roadtrip mit zwei deutschen Freundinnen durch Kanadas Osten sowie ein nächtliches Eishockeyspiel mit meinen WWOOF-Kollegen bei -40°C auf einem kleinen See im Wald. Bei diesen Highlights fällt auf, dass die meisten von ihnen kostenlos waren. Trotzdem brauchte ich natürlich einiges an Geld, um über die Runden zu kommen. In der Gesamtsumme waren es 5.000 €, die ich mir größtenteils nach dem Abitur in Deutschland erarbeitet hatte. Durch diesen Puffer hatte ich die Freiheit, bei den Jobs etwas wählerischer zu sein und das zu tun, was mir wirklich Spaß machte, auch wenn dies vielleicht nicht die am besten bezahlten Tätigkeiten waren. Alles in allem kann ich es nur empfehlen, sich ein Jahr Auszeit zu nehmen, da man dadurch selbstständiger wird, viele tolle Menschen trifft, wunderschöne Erinnerungen sammelt, seine Sprachkenntnisse verbessert und ein ganz außergewöhnliches Jahr erlebt. Eine Erleuchtung für mein späteres Berufsleben hatte ich zwar nicht, aber ich konnte durch meine vielen verschiedenen Arbeitseinsätze doch feststellen, was für Tätigkeiten mir in meinem späteren Beruf wichtig waren. Mein Work & Travel-Jahr half mir damit auch ein wenig bei der Wahl meines Studienfaches.
Marja, 21, hat zwei Semester Kommunikationspsychologie in Görlitz studiert und sich dann doch für einen Richtungswechsel entschieden. Zur Orientierung absolviert sie erst einmal mehrere Praktika im Hotel und in einer Werbeagentur.
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