Von Heimweh keine Spur

Ereignisreicher Auslandsaufenthalt in Down Under

  • GESCHRIEBEN VON: LISA
  • LAND: NEUSEELAND
  • AUFENTHALTSDAUER: 5 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    NR. 6 / 2016, S. 13-15

Warum entscheidet man sich für einen Auslandsaufenthalt? Sind es die Sprachkenntnisse, die neuen Erfahrungen oder doch eher die Auszeit von den gewohnten Abläufen? Für mich war klar, dass ich ins Ausland gehen wollte, um mir selbst eine Herausforderung zu stellen, um die Möglichkeit zu haben, über mich hinauszuwachsen und um ein neues Leben im Unbekannten aufzubauen.

Aber wann war der richtige Zeitpunkt dafür? Nach dem Abitur mit Work & Travel oder einem Freiwilligendienst? Oder wollte ich lieber das Leben auf einer High School miterleben? Ich kam zu dem Entschluss, dass ein Schüleraustauschprogramm das Passende für mich war. Die Möglichkeit, in der Schule neue Bekanntschaften zu schließen, mir einen Freundeskreis aufzubauen und Teil einer Gemeinschaft zu sein, war sehr verlockend. So kam es dazu, dass ich im Januar ins Flugzeug nach Auckland, Neuseeland, stieg. Mein Traum wurde wahr! Warum ich mich für Down Under entschieden hatte? Neuseeland bietet eine atemberaubende Landschaft, die ich selbst erleben und mit allen Sinnen wahrnehmen durfte. Mir kam es so vor, als sei die Vielfalt Europas vereinigt in einem einzigen Land. Einerseits gibt es endlose Sandstrände, das tiefblaue Meer mit winzigen, unbewohnten Inselgruppen, eiskalte Seen, die sich durch Täler schlängeln, und einsame Fjorde. Auf der anderen Seite finden sich schneebedeckte Berge und unberührte Natur mit immergrünen Bäumen und Farnen. Neuseeland ist das Land der Gegensätze, und wer sich einmal verliebt hat, kehrt mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit zurück.

Meine Eltern waren von meiner Idee, nach Neuseeland zu gehen, allerdings nicht besonders angetan. Es kostete mich viel Überredungskunst, aber mit guten Argumenten und der Unterstützung von Freunden willigten sie schließlich ein. Bis kurz vor dem Abflug realisierte ich gar nicht wirklich, was diese Reise eigentlich für meine Eltern und mich bedeutete. Es war ein Abschied für längere Zeit und wir wussten, dass sich vieles verändern würde. Nach der letzten Umarmung am Flughafen blieb mir allerdings keine Zeit für Tränen. Viel zu groß war die Vorfreude auf das Abenteuer, in das ich mich stürzen würde. Mit meiner Gastfamilie hatte ich schon vor meinem Abflug Kontakt aufgenommen. Zuerst schrieben wir uns E-Mails und verabredeten uns schließlich für ein erstes Gespräch per Skype. Ich war fürchterlich nervös und musste erst mal tief durchatmen, bevor ich das Telefonat annahm. Glücklicherweise waren sie sehr angenehme Gesprächspartner. Es entstanden keine längeren, unangenehmen Pausen, vor denen ich mich so gefürchtet hatte. Ich hatte die Möglichkeit, meine beiden Gastschwestern, 17 und 21 Jahre alt, und meine Gasteltern Bridget und Michael kennenzulernen. Das nahm mir einen großen Teil meiner Angst. Einen Monat später stand ich dann vor ihnen. Mit Schildern erwarteten sie mich bereits am Flughafen. Diesen Anblick werde ich mit Sicherheit niemals vergessen. Ich bin mir sicher, in diesem Moment waren wir alle sehr nervös, bis meine Gastmutter mich in ihre Arme schloss und die ganze Anspannung von mir abfiel.

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Meine größte Sorge war, dass ich mich mit Tori, meiner gleichaltrigen Gastschwester, nicht gut verstehen würde. Immerhin sollten wir die gleiche Schule besuchen, in einem Haushalt wohnen und möglicherweise dieselben Hobbys haben. Rückblickend kann ich sagen, dass es für mich ein großer Vorteil war, eine Gastschwester im gleichen Alter zu haben. Direkt nach meiner Ankunft wurde ich mit offenen Armen in ihren Freundeskreis aufgenommen. Tori ermöglichte mir, Teil ihres Lebens zu werden, und gab mir somit einen Einblick in ihre Welt. Meine Gastfamilie und ich passten sehr gut zueinander. Unser Umgang war respektvoll, aber auch vertraut und liebevoll. Land und Leute empfingen mich mit offenen Armen, sodass Heimweh für mich nie ein Thema war. Die Wochenenden verbrachten wir meist in unserem kleinen Ferienhaus am Meer, welches mich sehr an die Romane von Astrid Lindgren erinnerte. Da meine Gastschwester und ich immer Freunde einladen durften, waren diese Wochenenden etwas ganz Besonderes für mich. Kajaktouren, Kletterwald-Abenteuer und Wanderungen machten es möglich, sich besser kennenzulernen. Am Montag dann wieder gemeinsam in der Schule zu sitzen, über Gott und die Welt zu reden, zu lachen und sich das Mittagessen zu teilen, war eine ganz schöne Erfahrung. Es gab mir das Gefühl, willkommen zu sein und Freunde gefunden zu haben.

„Die Schüler sollten auf diese Weise individuell nach ihren Interessen und Talenten gefördert werden“

Das neuseeländische Schulsystem unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von dem deutschen, die Schüler müssen zum Beispiel nur fünf Fächer belegen. Meinen Interessen entsprechend bestand mein Stundenplan aus den Fächern Englisch, Drama, Dance, Paint und History. Unterricht im Klassenverband gibt es kaum, die Struktur gleicht eher einem Kurssystem. Meine Gastschule hatte noch weitere Besonderheiten: Es gab keine Klassenräume, der Unterricht wurde in mehreren großen Hallen abgehalten, in denen jeweils fünf Klassen nebeneinander saßen. Nicht der Lernstoff, sondern die Schüler standen im Mittelpunkt. Die Lehrer, die man übrigens beim Vornamen nennt, unterrichteten nicht wie in Deutschland ein Thema für die ganze Klasse. Stattdessen konnte jeder Schüler ein individuelles Thema wählen und dieses in der Unterrichtszeit bearbeiten. Die Schüler sollten auf diese Weise individuell nach ihren Interessen und Talenten gefördert werden und ihre Persönlichkeit entwickeln. Der Umgang der Schüler untereinander und mit den Lehrern war freundschaftlicher und offener, als ich es von Deutschland kannte. Mein Lieblingsfach war Drama, angefangen mit der Aufführung des Theaterstücks „Twelfth Night“ von Shakespeare über einen Stimmcoach-Workshop bis hin zur Entwicklung einer eigenen kleinen Performance. Der Anfang war nicht leicht, doch ich konnte mich immer auf die Hilfe meiner Klassenkameraden und Lehrer verlassen.

„Jede Chance wahrnehmen, nichts bereuen – das war mein Motto“

Wenn wir um drei Uhr nachmittags das Schulgebäude verließen, freute ich mich schon darauf, am nächsten Morgen wieder hier sein zu dürfen. Ich hatte nicht damit gerechnet, die einzige Austauschschülerin an meiner Schule zu sein. Das hatte den großen Vorteil, dass ich nur Englisch sprach. Nach sechs Wochen in Neuseeland träumte ich dann das erste Mal auf Englisch. Jede Chance wahrnehmen, nichts bereuen – das war mein Motto. So kam es dazu, dass ich Synchronschwimmerin wurde. Es war komplettes Neuland für mich, und anfangs hatte ich meine Zweifel, aber ich war bereit, mein Bestes zu geben, und bereute die Entscheidung keine Sekunde. Es war eine ganz neue Erfahrung, in einem Team zu schwimmen. Man musste sich auf jedes einzelne Mitglied blind verlassen können. Mein persönliches Highlight beim Synchronschwimmen war der Wettbewerb, an dem wir teilnahmen, das „North Island Championship“. Unsere Badeanzüge hatten wir unter dem Motto „Superhelden“ selbst entworfen. Meine Gastfamilie und viele Freunde waren zur Unterstützung und zum Anfeuern gekommen. Das war einer dieser Momente, in dem es mir vor Glück die Sprache verschlug. Zum ersten Mal fühlte ich mich wirklich zu Hause. Das Ergebnis war mir persönlich gar nicht so wichtig – dabei sein war alles! Doch als unsere Punktzahlen verkündet wurden und wir den ersten Platz in unserer Kategorie „Secondary School Free Combo“ belegt hatten, war mein Glück vollkommen.

Nach fünf Monaten im Paradies hieß es für mich Abschied nehmen. Meine Gastmutter hatte mich nach der Hälfte meines Aufenthalts gefragt, was ich bisher während meiner Zeit in Neuseeland am schwierigsten fand, was für mich die größte Herausforderung gewesen war. Zu dem Zeitpunkt lautete meine Antwort: „Die ersten Tagen waren die anstrengendsten, ich vermisste meine Familie und Freunde, musste mich an eine völlig neue Umgebung gewöhnen und hatte anfangs auch noch Probleme, die Sprache zu verstehen.“ Hätte sie mich nach meiner Rückkehr nach Deutschland gefragt, wäre meine Antwort anders ausgefallen. Das Schwierigste waren die letzten Tage. Ich wusste, dass ich in naher Zukunft in das Flugzeug steigen und meine neuseeländische Familie und meine neuen Freunde hinter mir lassen müsste. Es war verrückt, wie die Menschen, die am Anfang nur Namen auf einem Stück Papier waren, mit der Zeit Freunde, Familie und Schwestern wurden. Das Einzige, was mir Trost spendete, war der Gedanke, dass es kein richtiger Abschied war. Für mich stand fest, dass ich eines Tages wiederkommen würde. Auckland wird für immer mein zweites Zuhause sein. Mein Austausch brachte mir wertvolle Erfahrungen, wunderschöne Erinnerungen und lebenslange Freundschaften. Ich denke oft an die Zeit in Neuseeland zurück.

„Mein Auslandsaufenthalt hat mich und mein Leben verändert“

Es ist schön, genug Zeit zu haben, mich wieder in Deutschland, meinem ersten Zuhause, einleben zu können. Ich bin mir sicher, dass jeder Austauschschüler irgendwann seinen Platz zwischen diesen komplett verschiedenen Welten findet. Ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt, seinen größten Traum leben zu dürfen. Mein Auslandsaufenthalt hat mich und mein Leben verändert. Ich habe so viele verschiedene Menschen getroffen und mehr als nur die Sprache von ihnen gelernt. Meine Sicht auf die Dinge hat sich verändert. Ich bin reifer, selbstständiger und aufgeschlossener geworden und habe mir angewöhnt, neuen Herausforderungen mit Freude und Selbstvertrauen zu begegnen. Niemals aufzugeben, egal, welche Hürden sich mir in den Weg stellen, das ist Teil meiner neuen Lebenseinstellung geworden. Ich bin unendlich dankbar für all die wunderschönen Erfahrungen und Erlebnisse. Die Erinnerungen daran sind ein wertvoller Besitz und gleichzeitig der Anfang von einem neuen Traum. Ich werde immer an diese „Zeit meines Lebens“ zurückdenken. Habt den Mut, etwas Neues zu wagen, denn das ist die Basis für unvergessliche Erlebnisse und lebenslange Freundschaften. Ich wünsche euch von Herzen, dass auch ihr den Schritt nach vorne wagt und dass eure Träume wahr werden.

Meine fünf Auslandstipps:
1. Traut euch und redet Englisch, so oft ihr nur könnt. Seid aufgeschlossen und geht offen auf die Menschen zu, die Sprachkenntnisse verbessern sich mit jedem Wort.
2. „Take it easy“: Es gibt für alles eine Lösung.
3. „Feel the difference“ – Entdeckt neue Seiten an euch. Nehmt an einem besonderen Kurs teil, probiert eine Sportart aus, von der ihr noch nie gehört habt, und entdeckt eure Talente.
4. Lasst euch einfach mal treiben und erkundet eure neue Umgebung.
5. Macht euch bewusst, dass jeder Moment zählt. Viele Kilometer von zu Hause entfernt lebt ihr euer Leben, sammelt eigene Erfahrungen und entwickelt euch zu selbstständigen Persönlichkeiten.

Lisa, 19, möchte nach ihrem Abitur Psychologie und/oder Bildungswissenschaften studieren. Ihr neuer Traum ist es, an einem Universitätsaustausch mit der Auckland University teilzunehmen, um ein weiteres Mal in ihre zweite Heimat zurückzukehren.

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Koala Bär
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