Drei Monate in Finnisch-Lappland
Während meines Masterstudiums hatte ich die Möglichkeit, ein Semester auszusetzen, und ich wusste genau, was ich in dieser Zeit tun wollte: Schlittenhunde in der Arktis trainieren! Zuvor war ich während eines kurzen Winterurlaubs in Lappland auf den Geschmack gekommen, hatte mich in Schnee und Eis verliebt. Und in die Arbeit mit Huskies. Danach war klar: Ich muss wiederkommen!
Mit diesem konkreten Wunsch machte ich mich selbstständig im Internet auf die Suche. Die speziellen Suchkriterien führten dazu, dass eigentlich nur ein Ort infrage kam, ein Familienbetrieb nördlich von Rovaniemi. Die Familie, die dort lebt, hält knapp 60 Huskies und bietet Übernachtungen, Schlitten- und Schneemobiltouren für Touristen an. Und sie suchen immer Freiwillige, die ihnen gegen Unterkunft und Verpflegung Arbeit abnehmen. Nach der ersten Kontaktaufnahme baten sie um eine richtige Bewerbung. Jetzt hieß es mein etwas eingerostetes Englisch aufzupolieren, einen Lebenslauf zu verfassen und mir ein Zeugnis über meine Sozialkompetenz zu besorgen. Letzteres übernahm glücklicherweise mein damaliger Chef an der Uni, für den ich zu der Zeit als Hilfskraft arbeitete. Noch ein nettes Foto dazu und dann hieß es nur noch Daumen drücken. Nach einigen Wochen gespannten Wartens kam dann die Zusage: Komm zu uns in den Norden Finnlands! Ich hätte vor Freude platzen können und stürzte mich begeistert in die Vorbereitung: Was trägt man bei Temperaturen von -40°C? Wo bekomme ich Polarstiefel her? Was ist das beste Material für Skiunterwäsche? Und wo finde ich eine nette Zwischenmieterin für meine Wohnung? Wie fliege ich am günstigsten? Über Oslo, Kopenhagen oder doch Helsinki? Gut, dass ich noch ein halbes Jahr Zeit hatte!
Die Monate vergingen wie im Flug und Anfang November stand ich am Flughafen, umringt von Familie und Freunden, die ich alle für ein Vierteljahr verabschieden musste. Es flossen die Tränen und nach ein paar letzten, heftigen Umarmungen machte ich mich auf den Weg. Ich weiß nicht, ob der netten Stewardess klar war, dass ich schon erwachsen bin, aber sie kümmerte sich rührend um mich, als sie mein verweintes Gesicht sah, bot mir einen besseren Platz und eine Tüte Nüsse an. Zwölf Stunden später war es dann so weit, die kleine Maschine, in die ich mittlerweile umgestiegen war, setzte auf, mitten im Nirgendwo. Feine Schneeschleier fegten über die Rollbahn, als ich mich auf das winzige Flughafengebäude zubewegte. Mein Koffer näherte sich auf dem Gepäckkarussell und meine Aufregung wuchs. Gleich würde ich meine zukünftige Chefin kennenlernen. Die Nervosität war ganz umsonst, Jaana lachte mich an, nahm mich in den Arm und erzählte mir auf der Autofahrt von ihren Kindern, ihrem Mann und dem Leben und Arbeiten in der Arktis. Gott sei Dank habe ich nie Probleme mit der englischen Sprache gehabt, sonst wäre der Abend anstrengend geworden. Sobald wir in meinem neuen Zuhause angekommen waren, lernte ich meine beiden aktuellen Mitstreiterinnen kennen: Sally aus England und Jo aus den Niederlanden. Mit den beiden wohnte ich in einer Holzhütte und unsere Aufgabe war es in erster Linie, die Hunde zu versorgen, denn knapp 60 Huskies wären für einen allein ein bisschen viel.
Da ich an einem Samstag ankam, stand direkt nach dem Vorstellen das Abendessen mit unseren Gastgebern an, wie jede Woche samstags. So lernte ich die „Bevölkerung“ von Korvala, dem kleinen Ort, an den es mich verschlagen hatte, kennen. Das waren neben Sally und Jo und dem Ehepaar Jaana und Seppo, die ganz allein ihr Unternehmen führen und drei junge Kinder haben, auch die Nachbarin Mel, der auch ein paar der Hunde gehören. Insgesamt gab es im Haus zwei Katzen und auf dem Gelände die 59 Huskies und drei Lapphunde. Todmüde fiel ich nach dem Abendessen ins Bett, mit dem Versprechen, dass Jo mich am nächsten Tag den tierischen Bewohnern persönlich vorstellen würde. Am nächsten Morgen half ich Jo also dabei, den Hunden Wasser zu bringen, versuchte mir 62 Namen und Fellgesichter zu merken, sah mir die Umgebung ein wenig an, spazierte einmal um den See und machte die ersten Erinnerungsfotos. Nach diesem Tag zur Eingewöhnung ging es los mit der Arbeit. Und die war hart, körperlich, aber auch geistig. Der klassische Arbeitstag mit Schlittenhunden sah so aus: Früh morgens musste einer von uns raus in die Kälte und den Hunden, die trainiert werden sollten, Wasser bringen. Dazu nahm man sich eine Dose Thunfisch, zwei Eimer Wasser, und los ging es ins Gehege. Als ich ankam, war es noch nicht besonders kalt, aber im Laufe meines Aufenthalts sanken die Temperaturen auf -40°C. Das hieß, dass mir das Wasser in den Eimern gefror, die Türriegel zu den Zwingern vereisten und ich mich durch kniehohen Schnee kämpfen musste. War das geschafft, frühstückten wir zu dritt in unserer Hütte. Dann wurde entweder trainiert oder Reparaturen ausgeführt.
„Die Schlitten schossen hinaus in die Weite der Arktis“
Da zunächst noch kein Schnee lag, mussten wir mit dem Quadbike trainieren. Das hieß, dass immer nur ein Team von zehn oder zwölf Hunden unterwegs war, die das Quad mit Jaana und einem von uns darauf zogen. Ohne, dass der Motor an war, wohlgemerkt! Und obwohl das Quad gut 600 Kilo wog, hatten die Hunde keine Probleme. Diejenigen, die nicht trainierten, brachten entweder die Zwinger in Ordnung und kümmerten sich um die Ausrüstung oder sorgten dafür, dass alles für den Ansturm der Gäste im Dezember bereit war. Schon bald nach meiner Ankunft fiel der erste Schnee und meine Aufregung wuchs mit jedem Zentimeter. Bald würde ich endlich wieder auf Schlittenkufen stehen, mit meinem eigenen Team vor mir und einem Winterwunderland um mich herum. Die wichtigsten Knoten hatte ich gelernt, ich wusste, wie man den Hunden das Geschirr anlegt, und die Schlittenkufen waren frisch geschliffen. Endlich war der Tag gekommen und wir brachten vier Teams aus den Zwingern. Die Hunde jaulten und bellten wie verrückt, warfen sich in die Leinen und ließen die Schlitten rucken. Jetzt hieß es, die Augen überall gleichzeitig zu haben und darauf zu achten, dass kein Hund sich von Halsband oder Geschirr befreite und dass die Doppeltür zum Zwinger geschlossen war. Dann kam der Moment: Einer nach dem anderen zogen wir an der „Anchorline“ und die Schlitten schossen hinaus in die Weite der Arktis. Meist trainierten wir nur kurze Runden, fünf bis elf Kilometer, dafür aber mit mehreren Teams. An einigen Tagen absolvierten wir aber auch Strecken um die 40 Kilometer. Die Hunde laufen zwar bis zu 25 km/h, aber nicht im Wald, und so waren wir oft mehrere Stunden unterwegs. Einmal war es so kalt, mit Windchill -50°C, dass mir die Zehen einfroren. Aber Jaana sagte ganz lässig: „Ach, das sind nur Erfrierungen ersten Grades, da bleiben keine dauerhaften Schäden!“ Und sie behielt recht, denn nach vier Monaten kam das Gefühl in die Zehen zurück.
„Und da waren sie! Flüssige Lichtschleier, Bänder, die über den Himmel rasten“
Sobald wir von unseren Trainingsläufen zurückkamen, mussten die Hunde erneut mit Wasser versorgt und Leinen, Geschirre, Halsbänder und Schlitten weggeräumt werden. Dann ging es ans Füttern und das Säubern der Gehege. Im Dezember kamen immer mehr Gäste und es standen zusätzlich Schneemobil-Touren, Langlauf und Eisfischen auf dem Programm. Außerdem halfen wir – in finnischer Tracht, sehr zur Erheiterung der Gäste – im Restaurant aus. Wir hatten immer viel zu tun, aber in Sally habe ich eine Freundin gefunden, mit der ich von Anfang an auf einer Wellenlänge war und mit der auch die ungeliebtesten Arbeiten Spaß machten: beispielsweise das Putzen einer Hütte, in der ein Wochenende lang sechs Studenten auf Abschlussfahrt gehaust hatten. Und neben all der Arbeit gab es immer wieder Momente, in denen ich einfach die unglaubliche Schönheit der Arktis erleben konnte. Zum Beispiel, als ich zum ersten Mal „Skijoring“ ausprobierte, also mich von einem der Huskies auf Skiern durch die verschneiten Wälder ziehen ließ. Oder als ich endlich wieder Nordlichter gesehen habe. Nach einem langen, harten Tag klopfte eines der Kinder an unsere Tür, um uns aufgeregt mitzuteilen, dass die Aurora über den Himmel flackerte. Sofort war alles andere vergessen, wir rannten zum See. Darauf hatten alle gewartet. Und da waren sie! Flüssige Lichtschleier, Bänder, die über den Himmel rasten. Manche waren so nah, dass man dachte, man könne sie berühren. Auch die Gäste kamen an den See, aber niemand sagte ein Wort. Alle legten den Kopf in den Nacken und starrten zu den Sternen hinauf, wo die grünen und violetten Geister des Nordens tanzten. Solche Augenblicke kann man nicht beschreiben. Momente, in denen man weiß, dass man das, was sich gerade vor den eigenen Augen abspielt, nie mehr im Leben vergessen wird.
„Die Zeit hat mich an persönliche Grenzen gebracht“
Ich habe meine Zeit in Finnland sehr genossen und denke gerne daran zurück, aber es war nun wirklich kein Urlaub. Es gab Tage, an denen ich am liebsten alles hingeschmissen hätte. Wenn es zum zehnten Mal in Folge nichts zu Essen gab außer Instant-Kartoffelpüree, weil unsere Arbeitgeber es nicht geschafft hatten, einzukaufen. Wenn die Kinder unverschämt zu uns waren und uns zusätzliche Arbeit bescherten. Wenn ich auf allen Vieren im Dunkeln (die Sonne ging für über einen Monat nicht auf) durch ein Gehege kroch, auf der Suche nach dem Napf, und mich plötzlich einem verwesenden Elchschädel gegenübersah. Wenn wir erst um elf Uhr abends mit der Arbeit fertig waren oder wir innerhalb von drei Stunden zwölf Hütten putzen mussten. Wenn wir Freiwilligen uns stritten, weil wir einen Lagerkoller hatten. Wenn wir wieder kein warmes Wasser und kein Internet hatten, oder wenn wir an Heiligabend doch noch eine Touristen-Tour machen mussten, obwohl wir den Tag frei gehabt hätten. Die angegebene Arbeitszeit von fünf bis sechs Stunden pro Tag war schlicht und einfach illusorisch. Es war in der Zeit nicht zu schaffen, all unsere Aufgaben zu erledigen. Und wenn dann die harte Arbeit nicht einmal durch frisches Essen oder eine angemessene Unterkunft entlohnt wurde, war das enttäuschend. Vielleicht hatte ich im Vorfeld auch zu hohe und unrealistische Erwartungen. Letztendlich bin ich froh, dass ich durchgehalten habe. Die Zeit hat mich an persönliche Grenzen gebracht, sodass ich jetzt mehr über mich, meine körperlichen Fähigkeiten und meine Belastungsfähigkeit weiß. Ich kann Eisangeln, Hundeschlitten fahren, mit einem Schneemobil rückwärts einparken und diverse Dinge, die ich in Deutschland so wahrscheinlich nicht gebrauchen kann. Aber das macht nichts, denn ich habe wahnsinnig viel gelernt und erlebt. Hätte ich es nicht gemacht, hätte ich es für den Rest meines Lebens bereut. Ich rate jedem, dem sich eine solche Chance bietet, sie zu nutzen.
Anuschka Dinter, 27, hat Geschichte an der Universität Bonn studiert und ist jetzt Teil des weltweiser-Teams. Mehr über Anuschkas Erlebnisse im Norden findet man auf ihrem Blog rosasreisen.de
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