High School-Jahr in der Wüste Arizonas

Amerikanische Freiheit erlebt

weltweiser · Schüler im Wald von Arizona
  • GESCHRIEBEN VON: FREDERIC TENBERGE
  • LAND: USA
  • AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 4 / 2014, S. 22-24

Für meinen einjährigen Aufenthalt in den USA bewarb ich mich relativ spät, dennoch liefen die Vorbereitungen reibungslos und meine Austauschorganisation nahm mich schnell ins Programm auf. Zu dem Zeitpunkt träumte ich bereits von der berühmten Freiheit, der Unabhängigkeit, der Vielfältigkeit und der Toleranz des Landes.

Leider wurde ich als Letzter platziert. Ich verbrachte die ganzen Sommerferien zu Hause und wartete auf eine Nachricht meiner Organisation. Als in Deutschland bereits das neue Schuljahr begonnen hatte, war es endlich so weit. Mein Vater weckte mich morgens und erzählte mir von dem Anruf der Austauschorganisation. Schnell stand ich auf und rief zurück. Es ging nach Arizona, in den „Grand Canyon State“ der USA. Als ich das hörte, war mein erster Gedanke: ,,Super, du brauchst keine Winterjacke mitzunehmen!“ Ich war voller Vorfreude und konnte die Abreise gar nicht abwarten. In bereits fünf Tagen würde ich im Flugzeug sitzen. Es gab auch nicht mehr viel vorzubereiten: Ich schaute noch einmal die ganzen Unterlagen durch, packte meine Koffer und verabschiedete mich von allen meinen Freunden. Da ich meiner Gastmutter sogleich eine E-Mail geschrieben hatte, um mich kurz vorzustellen, konnte ich bereits die ersten Eindrücke sammeln. Sie wirkte sehr nett und erzählte mir, dass noch ein weiterer Austauschschüler aus Moldawien bei ihnen leben würde. Außerdem hätten sie drei Töchter, die bereits studierten und ab und zu vorbeikommen würden.

Nach dem traurigen Abschied am Flughafen verbrachte ich den 14- stündigen Flug mit verschiedenen Gedanken an das, was wohl alles auf mich zukommen würde. Beim Zwischenstopp in Atlanta musste ich sechs Stunden warten, aber glücklicherweise verging die Zeit schnell. Nachdem ich am Flughafen Tucson International gelandet war, holte ich mein Gepäck und wurde von meiner Gastmutter, einer ihrer Töchter, deren Ehemann und dem anderen Austauschschüler in Empfang genommen. Zusammen fuhren wir im VW-Bus nach Hause, wo ich gleich die Großeltern kennenlernte und mein Zimmer beziehen durfte. Es war eine Katastrophe. Statt eines richtigen Bettes lag nur eine Matratze auf dem Boden und es tropfte von der Decke. Als ich eines Tages eine Echse im Zimmer entdeckte, wurde mir klar, dass ich die Familie wechseln wollte. Zwar kommen Echsen in Arizona häufiger vor, doch das Zimmer war auch nicht der einzige Grund für meinen Wunsch. Es gab einfach zu viele Unterschiede zwischen uns. Meine Gastfamilie hatte viele Jahre in Mexiko und Kolumbien gelebt und kochte daher regelmäßig typisch mexikanische Gerichte, die mir überhaupt nicht schmeckten. Auch in anderer Hinsicht fühlte ich mich nicht wohl. Der Kulturschock stellte sich ein. Ich war mit zu vielen neuen Dingen auf einmal konfrontiert. An meiner Schule mit mehr als 3000 Schülern fand ich anfangs nur wenige Freunde. Stattdessen fuhr ich direkt nach der Schule nach Hause, um mit meinen Freunden in Deutschland per Skype zu telefonieren.

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Ich machte den Fehler, zu sehr an meiner Heimat festzuhalten und meine Situation in den USA ständig mit meinem Leben in Deutschland zu vergleichen. Da meine Betreuerin keine Ersatzfamilie finden konnte, entschied ich mich nach wenigen Wochen, doch zu bleiben. Ich sah ein, dass die Dinge in Arizona zwar anders, aber nicht schlechter waren. Meine Gastfamilie bemühte sich sehr, mich zu unterstützen und zu beraten, um mir das beste Jahr meines Lebens zu ermöglichen. Ich stellte also fest, dass alles an mir lag und an der Einstellung, mit der ich ins Ausland gegangen war, während ich zuvor die Probleme bei meiner Gastfamilie gesehen hatte. Nach meinem Entschluss, zu bleiben und meine Haltung zu ändern, verlief alles positiv. Ich wechselte das Zimmer und akzeptierte das Klima, die Pflanzen und die Tiere. Wer hätte gedacht, dass ich doch noch das beste Jahr meines Lebens haben würde? Ich feierte das lustigste Weihnachtsfest, das ich je hatte. Dabei lernte ich nicht nur viel über die amerikanische bzw. mexikanische Kultur, sondern auch etwas über die moldawische. Alle Häuser waren mit Lichterketten geschmückt, wie man es aus den Filmen kennt. Das Einzige, was zu Weihnachten fehlte, war der Schnee. Mich störte es jedoch nicht, dieses Fest bei 20°C zu feiern.

„Meine Teamkameraden nahmen mich herzlich auf und wir wurden die besten Freunde“

Ich befolgte den Rat meiner Gastmutter, einem Verein beizutreten, und ließ mich von einem Freund überreden, Mitglied im „Track and Field“-Team zu werden. Ich gehörte zu den Läufern und wir trainierten fünf bis sechs Mal pro Woche für jeweils circa vier Meilen. Von dem Zeitpunkt an ging es nur noch bergauf. Ich fand in den USA nicht bloß eine zweite Familie, sondern sogar eine dritte: Meine Teamkameraden nahmen mich herzlich auf und wir wurden die besten Freunde, die ich mir vorstellen konnte. Außerdem lernte ich, dass man nicht aufgeben, sondern kämpfen sollte, wenn man ein Ziel vor Augen hat. Früher habe ich nicht viel Sport getrieben, aber diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass es wichtig ist, neue Dinge auszuprobieren. Auch in der Schule war ich offener, ging häufiger auf andere zu und fand dadurch mehr und mehr Freunde. Natürlich verbrachte ich die Mittagspausen mit meinen Teamkameraden, aber ich hatte auch Kontakt zu anderen Schülern. Ich traute mich sogar, Referate in verschiedenen Fächern zu halten. Dank der großen Auswahl an meiner Schule war ich in der Lage, Kurse wie Journalismus und American History zu belegen. Diese zwei Fächer fand ich besonders spannend, da sie im Gegensatz zum Unterricht in Deutschland viel stärker meinen eigenen Interessen entsprachen.

„Ich versuchte mich außerdem im Schießen und Wandern“

Während meines Auslandsaufenthaltes stellte ich fest, wie tolerant die Amerikaner sind. Vielleicht hatte ich auch einfach Glück, dass ich eine vielseitige Schule besuchen durfte, in jedem Fall hatte ich mich noch nie so frei und akzeptiert gefühlt wie dort. Darüber hinaus genoss ich die vielen Unternehmungen und Ausflüge. An einem Nachmittag fuhr ich mit meinen besten Freunden auf einen Berg, von dem aus man die ganze Stadt sehen konnte. Ich kam mir unheimlich klein vor, zumal ich nur einen winzigen Teil von Tucson kannte: Downtown, das Universitätsgelände und natürlich meine Nachbarschaft. Dabei gab es noch so viel mehr zu entdecken. Ich versuchte mich außerdem im Schießen und Wandern. Wenn mich in Deutschland jemand gefragt hätte, ob ich wandern gehen will, hätte ich höchstwahrscheinlich abgelehnt. In Arizona war das aufgrund der Natur und der Dinge, die es zu entdecken gab, etwas ganz anderes. Darüber hinaus besuchte ich meine ersten Konzerte und spazierte nachts mit Freunden durch Downtown. Da meine Gasteltern Christen waren, ging ich oft mit in die Kirche. Dies waren ganz besondere Erlebnisse, die mir viel Spaß machten: Die Musik gefiel mir und die Leute waren sehr offen. Ich traf dort auch einige Gleichaltrige und konnte auf diese Weise neue Kontakte knüpfen. Es gibt einfach so viele Dinge, die ich ausprobiert habe. Vor allem aber habe ich verschiedene Eindrücke über die USA gesammelt. Heute gibt es für mich nicht diese eine, typisch amerikanische Lebensweise. Für mich steht Amerika für eine große Vielfältigkeit, weil einfach so viele unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen.

„Es liegt vor allem an einem selbst, was man aus seinem Auslandsaufenthalt macht“

Vor meiner Abreise veranstaltete ich eine „German dish party“, bei der es deutsche Gerichte wie Bratwurst, Sauerkraut, Kartoffelsalat und Thunfisch-Pizza zu essen gab. Das letzte Wochenende verbrachte ich mit meinen Freunden draußen in der Natur, um das zu tun, was wir am liebsten taten: am Lagerfeuer sitzen und schwimmen gehen. Mit meiner Gastfamilie besuchte ich die „Graduation“ des moldawischen Austauschschülers, der in den USA seinen Abschluss machte – er lebte seinen „American Dream“. Ganz am Ende ging ich noch einmal mit meinen besten Freunden „Burritos“ essen. Während mir das Essen bei meiner Gastfamilie zu Beginn nicht geschmeckt hatte, liebte ich inzwischen die mexikanische Küche. In den USA hat sich vieles bei mir verändert: Ich bin unabhängiger geworden und habe sehr gut Englisch gelernt. Ich empfehle es nur allen, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, weil man das Privileg hat, verschiedene Eindrücke zu sammeln und etwas von der Welt zu sehen. Es liegt vor allem an einem selbst, was man aus seinem Auslandsaufenthalt macht. Man sollte sich immer bewusst sein, wie viel die Eltern für dieses Jahr bezahlt haben und dass man zu den Glücklichen gehört, die die Chance haben, eine solche Erfahrung so früh im Leben zu machen. In den Ferien will ich wieder nach Arizona, in die Wüste, in die Hitze, all meine Freunde besuchen und meine zweite und dritte Familie wiedersehen. Folgendes Zitat trifft mein Gefühl am besten: „Isn’t it crazy how we can look back a year ago and realize how much everything has changed? The amount of people that have left your life, entered, and stayed. The memories you won’t forget and the moments you wish you did. Everything. It’s crazy how all that happened in just one year.“

Frederic Tenberge, 18, geht noch zur Schule und plant, nach seinem Abitur Journalismus zu studieren. Am liebsten würde er dafür in die USA zurückkehren – ans Auswandern denkt er auf jeden Fall.

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