Erfahrungsbericht einer Sprachreiseleiterin
Angefangen hatte alles mit einer eher planlosen Googlesuche und den Schlagworten „Arbeiten im Ausland“ und „Ferienjob Großbritannien“. Wer schon einmal Ähnliches im Internet gesucht hat, der weiß, wie schweißtreibend so eine Recherche sein kann. So wurde ich von einer Webseite auf die nächste geleitet.
Schließlich stieß ich auf die Stellenanzeige einer großen deutschen Sprachreiseagentur, die für Kinder und Jugendliche Sprachferien in Großbritannien und Frankreich organisiert. Sofort wurde ich neugierig: Ich habe schon immer gerne mit Kindern gearbeitet und als Leiterin einer Sprachreise könnte ich bestimmt auch meine eigenen Sprachkenntnisse auffrischen. Also bewarb ich mich und wurde zu einem Auswahl- und Einführungsseminar eingeladen. Während der drei Tage lernten ich und die anderen angehenden Sprachreiseleiter alles über Kinderkrankheiten, den Umgang mit Liebeskummer und die englische Lebensweise und Kultur.
Anfang August kamen wir nach 19 Stunden Fahrt mit dem Reisebus im kleinen südenglischen Küstenstädtchen Bexhill an. Drei Reiseleiterinnen inklusive mir hatten sechs Jungen und 24 Mädchen zwischen elf und 14 Jahren im Gepäck. Die Kinder waren nach der langen Anreise total aufgedreht und heiß auf die Stadt, während wir uns am liebsten erst einmal hingelegt hätten. Doch das war uns nicht vergönnt, schließlich wollten die Sprachreiseteilnehmer etwas erleben. Zuerst durfte jeder sein Gepäck bei seiner Gastfamilie abladen. Auch auf uns wartete ein Taxi, um uns zu unserer Gastmutter, einer liebenswerten älteren Frau, zu bringen. Dort würden wir drei Reiseleiterinnen, alle Anfang 20, die nächsten zwei Wochen wohnen und essen. Das Haus unserer Gastmutter sah so aus, wie man es sich – zumindest als Deutsche, die englische Kleinstädte nur aus Filmen kennt – vorstellt. Es war schnuckelig klein und hatte einen niedlichen Vorgarten. Überhaupt sahen in dem Wohngebiet Bexhills alle Häuser gleich aus und bildeten zusammen lange Reihen aus roten Backsteinhäusern. Das wurde uns noch manches Mal zum Verhängnis, wenn wir nachts versuchten, bei schwacher Straßenbeleuchtung unser Haus wiederzufinden.
Direkt im Ortszentrum von Bexhill liegt die Partnersprachschule des deutschen Sprachreiseveranstalters. Im Büro der Schule stelltenwir drei uns noch am Tag unserer Ankunft den Mitarbeitern und anderen Reiseleitern vor und bekamen als Begrüßung echte englische Küche serviert: gekauften Kuchen und Chips. Wir deckten uns mit Infomaterial ein und erhielten einen Ablaufplan für die nächsten zwei Wochen, auf dem bereits einige Ausflüge eingetragen waren. Das Büro war tagsüber immer von der Leiterin der Sprachschule besetzt. Das war gut, da wir drei gerade anfangs selbst noch wenig über die Gegend wussten, die Kinder uns aber oft mit einem Nachschlagewerk verwechselten. Insgesamt waren drei Kindergruppen und zwei Teenagergruppen hier. Nach dem Antrittsbesuch im Büro brachen wir zu unserem Treffpunkt am Youth Centre auf, wo uns 30 energiegeladene Kinder erwarteten. Wir waren etwas nervös, wie die Gruppe uns wohl aufnehmen würde, aber die Kinder waren so mit sich selbst beschäftigt, dass wir gar nicht viel falsch machen konnten. Am Abend kehrten wir zufrieden zu unserer Gastmutter zurück, die schon ein leckeres Essen vorbereitet hatte. Es gab Pastete mit Gemüse. Ich muss sagen: Die englische Küche ist besser als ihr Ruf! Zumindest gab unsere Gastmutter sich immer Mühe, abwechslungsreich zu kochen. So bereitete sie unter anderem Gemüse aus ihrem Garten zu. Häufig besorgte sie allerdings auch Pasteten oder Tartes für die Mikrowelle. In besonderer Erinnerung ist mir ein Zwiebeleintopf geblieben, für den unsere Gastgeberin ganze Zwiebeln kochte. Das war einer der Abende, an dem wir uns mit Verweis auf eine leider zu große Fish & Chips-Portion frühzeitig vom Tisch entschuldigen mussten.
„Am ersten Unterrichtstag machten alle Kinder einen Einstufungstest“
Während der zwei Wochen in Bexhill hatten die Sprachreiseteilnehmer insgesamt 25 Stunden Unterricht: montags bis freitags jeweils zweieinhalb Stunden, und zwar mal morgens, mal mittags, mal am späten Nachmittag. Den genauen Stundenplan hatte die Sprachschule festgelegt. Die Stunden vor bzw. nach dem Unterricht füllten wir mit Ausflügen und anderen Aktivitäten. Das hatte zur Folge, dass die Kinder nach einem Stadtrundgang noch in die Schule mussten, was sich negativ auf die Motivation von einigen ausgewirkte. Ansonsten gab es jedoch nie Beschwerden über die Schule oder den Unterricht, was man ja durchaus erwarten könnte, wenn junge Menschen in ihren Ferien die Schulbank drücken müssen. Am ersten Unterrichtstag machten alle Kinder einen Einstufungstest. Auf Grundlage der Testergebnisse teilte die Schulleiterin die Teilnehmer in drei gleichgroße Lerngruppen ein. Das hatte eine gute Durchmischung der Altersgruppen zur Folge. Schreibmaterial und Unterrichtsmaterialien stellte die Schule und so stand dem Lernen nichts mehr im Wege.
„Die Sprachlehrer waren noch jung“
Die Teilnehmer unserer Sprachreise waren übrigens aus ganz unterschiedlichen Gründen nach England gekommen. Da gab es die Kinder, die wirklich Probleme mit dem Englischen hatten und deren Eltern die Sprachreise als Nachhilfe sahen. Da gab es die Kinder, die schon richtig gut waren oder sogar zweisprachig aufwuchsen und ihrem Englisch noch den letzten Schliff geben wollten. Und es gab die Kinder gutbetuchter Familien, die in ihren Ferien eben einfach etwas Besonderes machen wollten. Die Sprachlehrer waren noch jung, kamen aus der Gegend um Bexhill und gestalteten den Unterricht sehr abwechslungsreich. Die Kinder bekamen Nachhilfe in Grammatik, füllten Lückentexte aus, hielten Dialoge und lösten Rätsel. Als besonders lustig habe ich ein Spiel in Erinnerung, das wie folgt funktioniert: Ein Kind beginnt und schreibt einen Satz auf ein Blatt Papier, klappt das Geschriebene um und gibt das Blatt an den Sitznachbarn weiter, der einen weiteren Satz hinzufügt, ohne den vorherigen Satz zu kennen. So wird das Blatt immer weitergereicht. Am Ende kommen die verrücktesten Geschichten dabei heraus.
„Sehr oft wurden wir Betreuerinnen als Schlichterinnen hinzugerufen“
Im Laufe der ersten Tage bildeten sich Cliquen: die „Erwachsenen“, die Quatschköpfe, die Braven, die Modepüppchen und schließlich die Jungen als fünfte Gruppe. Wie bei jeder Jugendfreizeit zickten sich schon bald die ersten Mädchen an und Pärchen fanden sich. Da die Kinder jeweils zu zweit, dritt oder viert bei ihrer Gastfamilie wohnten, bot auch das reichlich Stoff für Streitigkeiten und Seilschaften aller Art. Sehr oft wurden wir Betreuerinnen als Schlichterinnen hinzugerufen. Einige Teilnehmer hatten auch Probleme mit ihren Gasteltern. Mehrere Kinder beschwerten sich über die ungesunde Verpflegung, die die Gastfamilie ihnen jeden Tag mitgab. Das Lunchpaket bestand nur zu oft aus einer Tüte Chips und einem Joghurtbecher, der mit einer undefinierbaren, pinkfarbenen oder blauen Flüssigkeit gefüllt war. Kein gewohntes deutsches Schulpausenbrot eben. Zwei andere Mädchen bemängelten, dass ihre Gasteltern sich nie mit ihnen unterhielten, sondern ihnen lediglich das Essen auf den Tisch stellten und sich dann wieder in ihre Räume zurückzogen. Natürlich wurde den beiden Mädchen damit eine wichtige Gelegenheit genommen, die englische Kultur und Lebensart näher kennenzulernen. Andere Gastfamilien kümmerten sich hingegen sehr rührend, indem sie mit den Kindern Fotos anschauten und Spiele spielten. Bei dem Programm, das wir den Kindern boten, waren sie ohnehin nicht viel bei ihren Gastfamilien.
Einen besonders netten Nachmittag verbrachten wir in einem kleinen englischen Café, was aber vielmehr an ein Wohnzimmer erinnerte. Wir hatten die typisch englische Teezeremonie „cream tea“ vorbestellt. Nun saßen wir auf weißen Holzstühlen mit Blümchenüberzug und bekamen Schwarzen Tee mit Milch und englische „scones“ serviert. Dabei handelt es sich um eine Art helle Brötchen, die mit Sahne und Erdbeerkonfitüre gereicht werden. Besonders die Jungen machten sich einen Heidenspaß daraus, möglichst affektiert zu sprechen und den anderen Tee einzuschenken. Neben solchen und ähnlichen Nachmittagsaktivitäten organisierten wir mehrere Sportabende im Park, wo wir die Kinder auf den riesigen englischen Parkflächen umherlaufen ließen. Die Jungen und Mädchen kannten so viele Spiele, dass diese Abende nie langweilig wurden. Zu den Ausflügen, die die Sprachschule geplant und vorbereitet hatte, gehörten Ausflüge nach Hastings und Brighton. In Hastings nahmen wir an einer Führung durch einen ehemaligen Bergbau teil, in dem – aus Gründen der Anschaulichkeit – allerlei Puppen mit historischen Kostümen aufgestellt waren. Ich hatte den Eindruck, dass das vielen aus unserer Gruppe zu kindisch war, aber dadurch wurde die Führung eben unfreiwillig komisch. Genauso wie ein paar Tage später in Brighton, konnten die Teilnehmer in Hastings eine typische südenglische Kleinstadt und Gegend kennenlernen: überall gab es Fish & Chips-Buden, das Meer war rau und die umgebende Landschaft sehr grün. Auch von den kulturellen Sehenswürdigkeiten wie einem historischen Park und alten Kirchen zeigten sich die 30 Kinder sehr angetan.
“Schon Tage zuvor gab es kein anderes Thema mehr“
In der Mitte der zweiten Woche winkte dann endlich unser Höhepunkt, was das Ausflugsprogramm anging: ein Busausflug nach London. Schon Tage zuvor gab es kein anderes Thema mehr. Da die Kinder von sich aus den Wunsch an uns herantrugen, möglichst viel anzuschauen, bereiteten wir ein straffes Besichtigungsprogramm vor. Natürlich klapperten wir die bekannten Wahrzeichen ab: Buckingham Palace, Tower Bridge, Houses of Parliament und St Paul’s Cathedral. Um die Teilnehmer an ihrem Englisch arbeiten zu lassen, hatten wir sie im Voraus in Referatsgruppen eingeteilt. So musste nun jede Gruppe über ein Denkmal oder eine Kirche rezitieren. Leider schenkten die Zuhörer ihnen nicht die gewünschte Aufmerksamkeit. Es war einfach zu viel los in dieser Mode- und Weltmetropole. Die Krönung unseres Aufenthalts in der britischen Hauptstadt war der Besuch bei Madame Tussauds, auch wenn der Eintritt nicht gerade billig war. Bei dieser Gelegenheit entstanden tolle Fotos und nicht selten mussten wir erst einmal rätseln, wen die Wachsfigur eigentlich darstellen sollte.
„Wir grillten Marshmallows und rösteten Brot“
An einem Abend trafen wir uns mit einer weiteren Gruppe zu einem „bonfire“ am Strand von Bexhill. Wir zündeten ein riesiges Feuer an und grillten Marshmallows und rösteten Brot. Die Mädchen unserer Gruppe zeigten sich davon aber weniger angetan als von dem Leiter der anderen Gruppe, der bei Nachtanbruch romantische Lagerfeuerlieder auf seiner Gitarre zum Besten gab. Es war ein unvergesslicher Abend, wie er bei keiner Jugendfreizeit fehlen darf. Auf diese Weise flogen die Tage nur so dahin. Zwischen Videoabenden, einem großen Picknick, einem frühmorgendlichen Kegelausflug, einem Ausflug zum Seebad Eastbourne und einer Abschlussdisko lernten nicht nur die Teilnehmer, sondern auch ich viel über Land und Leute. In den zwei Wochen in England haben wir viel gesehen, viele Leute getroffen und einige Sachen aus Deutschland echt zu schätzen gelernt, wie zum Beispiel dunkles Brot und Sonnenschein. Die Sprachreise war eine Erfahrung, die niemand aus unserer Gruppe missen wollte.
Laura Buschhaus, 24, studiert den Bachelor-Studiengang Medienwirtschaft in Stuttgart. Während ihres Studiums hat sie ein Auslandssemester in Südfrankreich verbracht.
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