Au-Pair-Geschichten aus Amerika

„You know, it‘s hat-day, right?“

weltweiser · Erfahrungsbericht - Aupair USA - Chicago
  • GESCHRIEBEN VON: NATASCHA PANDEL
  • LAND: USA
  • AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
  • PROGRAMM: AU-PAIR
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 6 / 2016, S. 38-39

Nachdem ich mich von meiner Familie am Hamburger Flughafen verabschiedet hatte, begann mein Abenteuer als Au-Pair in den USA. In den Vereinigten Staaten angekommen, besuchte ich zuerst eine „Training School“ für Au-Pairs. Neben nützlichen Tipps und einem Erste-Hilfe-Kurs aßen wir unsere ersten Bagel und erfuhren vom sogenannten „Au-Pair-Tanz“.

Dieser geht wie folgt: Beim Kennenlernen der Gasteltern streckt eine Seite die Hand aus, während die andere Seite die Arme für eine Umarmung öffnet. Beide Seiten bemerken gleichzeitig ihren vermeintlichen Fehler, und nun wechselt die erste Seite von einem Händeschütteln zu einer Umarmung, während die andere Seite ihre Arme herunternimmt und die Hand ausstreckt. So geht es immer weiter – unsere Betreuerin sagte, sie habe dies einmal einige Minuten lang beobachtet. Ich dachte mir: „Ach was, das wird mir nicht passieren. Ich sehe schließlich, ob meine Gasteltern mir die Arme entgegenstrecken oder nicht.“ Als ich am Chicago International O‘Hare Flughafen ankam, war ich unglaublich aufgeregt. In meinem Kopf herrschte Leere. Ich dachte an rein gar nichts, so nervös war ich. Meine Gastmutter Jane hatte mich gesehen und rief mir zu. Ich streckte meine Hand zum Händeschütteln aus. Sie hatte unterdessen die Arme zu einer Umarmung ausgebreitet. Ich wechselte sofort in eine Umarmung, während sie mir die Hand hinhielt. Ich sah es und wechselte gleich wieder zurück. Diesmal hielt sie meine Hand fest. Wir schüttelten uns die Hände.

Anschließend fuhren wir nach Vernon Hills, einem Vorort von Chicago. Dort lernte ich den zwölfjährigen Mike und seinen drei Jahre jüngeren Bruder Sam kennen. Die erste Begrüßung war naturgemäß ein verhaltenes „Hallo“, sowohl auf meiner als auch auf ihrer Seite. Meine Gastmutter lockerte die Situation auf. Sie forderte die Jungen auf, mir alle Zimmer zu zeigen. Ich war überwältigt davon, wie groß das Haus war. Die Kinder hatten jeder ihr eigenes Zimmer mit einem Fernseher und ihr eigenes Bad. Mikes Zimmer sah aus wie bei einem normalen Teenager. In Sams Zimmer war eine gesamte Wand mit Cappis behängt, in allen Farben und Mustern. Außerdem gab es ein  orangefarbenes Spielzimmer mit PC, Sofa, Spielsachen, Playstation und Fernseher. Das Schlafzimmer meiner Gasteltern hatte die Größe einer Einzimmerwohnung – es fehlte nur noch die Küche. Bei der Rundführung kam ich zu der freudigen Erkenntnis, dass auch ich mein eigenes Bad hatte. Schnell gewöhnte ich mich an meinen Alltag als Au-Pair. Morgens um 7:30 Uhr bereitete ich Frühstück für die Kinder sowie ihre Lunchpakete vor – „Peanut Butter and Jelly Sandwiches“. Dazu gab es Obst und eine Capri-Sonne. Ich liebte meine morgendliche Routine mit den Kindern. Meine Gastmutter machte sich bereit für die Arbeit und mein Gastvater war bereits aus dem Haus. Die Jungen aßen, ich schmierte Sandwiches. Dabei liefen entweder Sportnachrichten, wenn es nach Mike ging, oder SpongeBob, wenn Sam sich durchsetzte.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Wenn die Kinder in der Schule waren, räumte ich das Geschirr weg und fegte durch. Ich machte ihre Wäsche und bezog alle zwei Wochen ihre Betten neu. Nach der Schule bereitete ich das Mittagessen vor und wir machten zusammen Hausaufgaben. Anschließend brachte ich die Kinder zu ihren Sportaktivitäten. Davon gab es sehr viele: Lacrosse, Basketball, Baseball, „personal training“ und Football. Wenn Sam kein Training hatte, gingen wir auf einen Spielplatz und tobten. Ich erlebte viele lustige und rührende Momente mit „meinen“ Jungen. Von einem besonders witzigen Erlebnis möchte ich erzählen: Meine Gastmutter fuhr auf Geschäftsreise und hatte mir zuvor gesagt, ich solle Sam an dem Tag bereits um 12:30 Uhr anstatt wie sonst um 14:30 Uhr von der Schule abholen. Am Vormittag stand ich in der Küche und hatte gerade das Frühstücksgeschirr weggeräumt und die Wäsche gewaschen, als das Telefon klingelte. Es war Sam. Sofort machte ich mir Gedanken. Warum rief er am Vormittag an? „Tascho?“, klang mein Spitzname der Kinder durch das Telefon. „You know, it‘s hat-day, right?“ „Oh Mann“, schoss es mir im gleichen Moment durch den Kopf, „ich habe ‚hat-day‘ vergessen!“ Bestimmt handelte es sich um einen Motto-Tag in Sams Schule, bei dem alle Kinder die Hüte und Kopfbedeckungen ihrer Wahl tragen durften – nur mein Junge nicht, weil sein Au-Pair es vergessen hatte. Bei den ganzen Feierlichkeiten kam ich nicht mehr hinterher. Ich antwortete hastig: „Yes, Sam.“ Im selben Augenblick legte er schon mit einem „Okay“ auf und hörte meine Frage nicht mehr, welchen Hut er denn wolle. Auch mein „and how many?“ verhallte in der toten Leitung.

„Ich – das Au-Pair – hatte vergessen, dass „hat-day“ an Sams Schule stattfand“

„Motto-Tag – in Sams Schule – vergessen“, schoss es mir bruchstückhaft durch den Kopf, als ich überstürzt in Sams Zimmer rannte. Ich raffte mit beiden Händen seine Cappis zusammen. Mit den Armen voller Cappis lief ich die Treppen hinunter und sprang ins Auto. Ich hatte noch Jogginghosen und einen braunen Pullover mit der gelben Aufschrift „Reese“ an und trug meine Haare in einem Dutt. Es blieb aber keine Zeit für normale Hosen, eine Haarbürste oder einen weniger gehetzten Gesichtsausdruck. Ich – das Au-Pair – hatte vergessen, dass „hat-day“ an Sams Schule stattfand. Wie konnte das passieren? Mein armer Junge saß ohne seine Cappis in der Klasse. Ich fuhr zu seiner Schule, parkte und lief zum Eingang. Dort klingelte ich am Außengebäude, um in das Sekretariat vorgelassen zu werden. Am liebsten wäre ich direkt zu seinem Klassenraum gegangen, hätte ihm die Cappis schnell gegeben, und er hätte sie hoffentlich rechtzeitig gehabt. Aber die Sicherheitsvorschriften der Schule besagten, dass jeder Besucher sich erst im Sekretariat anmelden musste. Der Summer brummte, ich drückte gegen die Tür, mit den Armen voller Cappis. Ich ging den kurzen Flur hinunter bis zur Tür des Sekretariats. Auch diese musste ich mit dem ganzen Körper öffnen. Nun stand ich in der Mitte des Raumes. Rechts von mir saß eine nett aussehende Dame, ebenso wie links von mir. Ich trug mein Anliegen vor, in meinen Jogginghosen und dem „Reese“-Pullover und mit dem unordentlichen Dutt. Mein Name sei Natascha, ich sei das Au-Pair von Sam. Er habe angerufen, um zu sagen, dass heute „hat-day“ stattfinde. Daher wolle ich ihm gerne seine Cappis geben.

„Wieder zu Hause, wurde mir bewusst, wie peinlich die Angelegenheit war“

Ich hatte mich voll auf meine kleine Ansprache konzentriert, mit nagenden Gewissensbissen. Ohne mit dem Tippen aufzuhören, fragte die Dame rechts von mir ihre Kollegin, ob sie von einem „hat-day“ wüsste. Dabei zog sie skeptisch eine Augenbraue hoch. Die andere Dame antwortete, sie werde in Sams Klasse anrufen, möglicherweise veranstaltete diese etwas Spezielles. Ich straffte kurz meine Schultern. Die Damen müssten schließlich nichts von einem internen „hat-day“ wissen. Kurz darauf sah ich Sam auf mich zukommen. Sein Grinsen wurde breiter und breiter, als er mich sah. Er kam vor mir zum Stehen. Ich zeigte ihm die Auswahl seiner Cappis in meinen Armen. „It‘s half day, Tascho“, informierte er mich, und war auch schon wieder verschwunden – ohne die Cappis. Die Erkenntnis hallte laut und deutlich in meinem Kopf: Es war „half day“, ein halber Schultag, und nicht „hat-day“, der Motto-Tag. Mit den Cappis in beiden Armen murmelte ich den beiden Damen zu, die  Angelegenheit wäre erledigt, und war auch schon samt Cappis aus dem Sekretariat verschwunden. Wieder zu Hause, wurde mir bewusst, wie peinlich die Angelegenheit war. Ich hatte „hat-day“ statt „half day“ verstanden. Ich fragte mich: „Warum musste das Kind murmeln? Warum vertraute er nicht darauf, dass ich seiner Mutter zuhörte und ihn pünktlich abholte?“ Schließlich holte ich tief Luft und sagte mir, die Sache wäre erledigt.

„Ich solle mir keine Sorgen machen, das könne jedem passieren“

In diesem Moment klingelte das Telefon. Es war das Sekretariat von Sams Schule. Eine der beiden Sekretärinnen war am Apparat. Sie stellte sich vor, aber ihr Name wurde in meinem Kopf verdrängt von der Frage, was sie wohl wollte. Sie informierte mich, dass sie herausgefunden hätten, worum es ging: „It’s half day and you understood hat-day.“ Ich stand in der Küche meiner Gasteltern und dachte mir, dass das Verdrängen dieses Erlebnisses nur eine Sekunde lang erfolgreich gewesen war. Antworten konnte ich allerdings nur „mmmh“. Und um noch einen draufzusetzen, sagte sie, ich solle mir keine Sorgen machen, das könne jedem passieren. Ich bedankte mich und legte auf. Im gleichen Moment fragte ich mich, wann ihr wohl schon mal der Fehler unterlaufen war, „hat“ und „half “ zu verwechseln. Ich wettete darauf, dass noch niemals ein Amerikaner „hat-day“ mit „half day“ verwechselt hatte – vor allem, da es anscheinend gar keinen solchen Motto-Tag gab! Wieder atmete ich tief durch. Ich hoffte, mein Junge erinnerte mich nicht daran, wenn ich ihn gleich von der Schule abholte. Aber Sam sagte nichts, als ich vorfuhr. Ich war erleichtert, das Thema war erledigt. Abends saß ich am Küchentisch. Die Kinder waren versorgt und schauten fern. Da kam mein Gastvater auf mich zu. Ich lächelte ihn an, er lächelte zurück. Dann wurde sein Lächeln zu einem Grinsen. Das Grinsen hatte ich heute schon auf Sams Gesicht gesehen – es musste genetisch vererbbar sein. Er blieb vor mir stehen. Ich wusste nicht, was er wollte. Ich saß da, schaute ihn an und fragte schließlich: „What?“ – „Hat-day, Tascho?“, war sein Kommentar, und ich verdrehte die Augen, bevor wir beide lachten. Auch meine Gastmutter wusste bereits Bescheid und kam nach ihrer Rückkehr breit grinsend auf mich zu. Diese Geschichte und viele weitere, die ich als Au-Pair erlebt habe, sind unbezahlbar. Deshalb kann ich nur empfehlen: „Schreibt eure eigenen Geschichten und geht als Au-Pair in die USA!“

Natascha Pandel, 30, studiert im Master Sozial- und Organisationspädagogik. Nach ihrem Abschluss möchte sie weiter mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

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Koala Bär
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