Reflexion und Entwicklung

Ein Jahr USA mit dem Parlamentarischen Patenschafts Programm

weltweiser · Parlamentarischen Patenschafts Programm · USA · Kalifornien
  • GESCHRIEBEN VON: LUKAS NUSSER
  • LAND: USA
  • AUFENTHALTSDAUER: 12 MONATE
  • PROGRAMM: SCHÜLERAUSTAUSCH
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 9 / 2019, S. 8-10

Mein Auslandsjahr, mein Abenteuer. Es war mehr als ein Repräsentieren des eigenen Landes und ein Versuch, die andere Kultur zu verstehen. Es ging darum, sich selbst kennenzulernen und zu verstehen, warum ich Verhalten anderer komisch finde und weshalb ich mich in Situationen unwohl fühle. Jeder von uns Stipendiaten und Stipendiatinnen hatte das Privileg, mit dem Parlamentarischen Patenschafts Programm in die USA zu reisen, aus einem individuellen Grund erhalten.

Wir sind gemeinsam auf die Zeit in der Fremde vorbereitet worden, jedoch sind wir nicht mit einheitlichen Erwartungen und Einstellungen in die USA geflogen. Unsere Geschichte hat nicht mitein ander begonnen, aber durch die gemeinsamen Herausforderungen, die vor uns standen, sich von Freunden und Familie für ein Jahr zu verabschieden, Essensgewohnheiten zu ändern, die Zeitumstellung und Sprachbarrieren sind wir trotz jeder Entfernung zusammengewachsen und hatten Gesprächspartner, die uns verstanden haben.

Den Beginn meines Auslandsjahres am Flugdatum festzumachen ist zu spät. Irgendwann zwischen Vorbereitungsseminar und Sommerferienbeginn sollte ich wohl beginnen zu berichten. Mit der Nachricht, meine Gastfamilie in Kalifornien erhalten zu haben, begann das Stechen im Magen. Ein Gefühl, das mir sagen wollte, dass ich doch gar nicht gehen muss und es mir doch eigentlich gut geht zu Hause in Deutschland. Ein Gefühl, das mir sagen wollte, dass es nicht einfach werden wird. Ein Gefühl, das mir sagen wollte, dass es genau darum geht! Dieses Gefühl, diese Angst, dieses Stechen zu überwinden und daran zu wachsen. So würde ich lernen, meine Emotionen zu lesen, sie zu deuten und zu überwinden. Mit dem Kennenlernen meiner neuen Familie – meines Gastbruders Marc und meiner Gasteltern – war alles vergessen. Es gab einen sehr herzlichen Empfang und ich war überglücklich. Und trotzdem brach ich zwei Tage später beim ersten Telefonat nach Deutschland in Tränen aus, noch bevor ich auch nur „Hallo“ sagen konnte. Ich habe das erste Mal in meinem Leben gespürt, was es bedeutet, Heimweh zu haben. Sich allein zu fühlen, einfach zurück zu wollen und keinen Grund zu sehen, um zu bleiben. Aus dem Grund beendete ich das Telefonat mit „Ich melde mich, wenn ich mich eingelebt habe. Hab euch lieb!“ und hatte längere Zeit keinen Kontakt nach Deutschland zu meiner Familie. Es war nicht leicht, aber erleichterte das Einleben gewaltig.

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Bekanntschaften zu machen fiel mir leicht. Freundschaften zu schließen dauert jedoch immer. Innerhalb von Tagen kann man nicht eine Freundschaft aufbauen, wie man sie sich in Deutschland über Jahre aufgebaut hat. Die gemeinsamen, peinlichen und aufregenden Erlebnisse fehlen. Eines meiner ersten Abenteuer mit meinen neuen Bekanntschaften war ein Ausflug mit dem Zug nach Los Angeles. Darauf folgte mein erster amerikanischer Carwash, um Geld zu sammeln, mit welchem wir einen Schulausflug in die Universal Studios finanzierten. In dieser Zeit waren wir gemeinsam komisch, haben gemeinsam gelacht und gemeinsam getanzt. Es waren Tage, an denen wunderbare Freundschaften geschlossen wurden. Später im Jahr sind manche dieser Freundschaften in die Brüche gegangen. Ich habe mich nicht mehr wohlgefühlt, wenn ich bei ihnen war, und sie haben mich ausgeschlossen. Ich hatte niemanden mehr, mit dem ich meine „Lunch break“ verbringen konnte. Alle meine anderen Freunde hatten eine andere Mittagspause. Also ging es wieder darum, neue Mitschüler kennenzulernen. Nun, da ich schon einige Zeit Teil der Schulgemeinschaft war, war es einfacher und ich konnte schneller enge Freundschaften schließen. Ich fing an, mich sehr gut mit den Tänzern unserer Schule zu verstehen, und durfte auch bei ihren zwei Shows mithelfen. Dadurch hatte ich eine Menge zu tun und war abgelenkt von Deutschland und Herausforderungen, die in den USA auf mich warteten.

„Meine eigene Kultur wurde mir im Ausland klar“

Das Jahr war intensiv. Intensiv, da ich alles stärker und bewusster wahrgenommen habe. War ich alleine, habe ich mir viel mehr Gedanken gemacht. Bei negativen Erlebnissen sind die Emotionen hochgekommen und man hat sich viel mit sich selbst beschäftigt. Jedoch kann ich sagen, dass ich durch die negativen Erlebnisse die positiven mehr zu schätzen lernte. Ich wertschätze es jetzt noch mehr, Freunde und Familie zu haben, die sich kümmern. Ich wertschätze inzwischen auch die kleinen Dinge – mit anderen etwas zu unternehmen, um eine schöne Zeit zu haben, gemeinsam Donuts zu essen und einen Film anzuschauen. In meinem Auslandsjahr hatte ich oft die Gelegenheit, mein eigenes Verhalten zu reflektieren und zu hinterfragen: Weshalb finde ich es merkwürdig, wenn mit Fingern gegessen wird? Wieso sind mir Tänze peinlich, obwohl jeder so tanzt? Woran liegt es, dass mir Pünktlichkeit so wichtig ist? In diesen Situationen und Momenten der Selbstreflexion lernte ich meinen eigenen Hintergrund kennen. Meine eigene Kultur wurde mir im Ausland klar. Zeitpunkte, in denen ich mich unwohl gefühlt habe, konnte ich oft im Nachgang verstehen. Unwissenheit über das, was gerade geschieht, und Angst vor dem Unbekannten waren meist die wichtigsten Gründe. Bedenken, was andere von mir denken könnten, waren ein weiterer Grund. Ich nahm mir immer vor, mir nicht so viele Gedanken zu machen. Es galt für mich, nicht spießig zu sein, neue Dinge auszuprobieren und Spaß zu haben.

„Wir haben mehr als gemeinsam gewohnt und gelebt“

Mit dieser Devise öffneten sich einige Türen. Wer eine positive Einstellung hat, findet schnell Freundinnen und Freunde und wird zu vielem eingeladen. Ich wurde auf traditionelle mexikanische Feiern, Jahresabschlussessen und Konferenzen zum Thema „Leadership“ eingeladen. Ich bin, wenn möglich, allen Einladungen gefolgt und bin von keiner Veranstaltung ohne ein Lächeln gegangen. Ein wichtiger Teil der Zeit im Ausland, ohne den mein Jahr mit Sicherheit anders verlaufen wäre, war meine kalifornische Familie. Wir haben mehr als gemeinsam gewohnt und gelebt. Wir haben zusammen Amerika entdeckt. Wir sind an langen Wochenenden und in den Schulferien verreist. Selten haben wir freie Zeit zu Hause verbracht. So boten sich mir atemberaubende Schnappschüsse vom Grand Canyon, ein Seminar in Washington D.C. und eine Woche in San Francisco. Außerdem ging es ein paar Tage nach Las Vegas, in die Universal Studios, ins Disneyland und nach San Diego. Dazwischen kamen ein paar Tagesausflüge nach Santa Monica, Palm Springs und ins Casino Resort, und im Frühjahr fuhren wir mit dem Kreuzfahrtschiff nach Catalina Island und Ensenada, Mexico. Ich habe mehr gesehen als die Mehrheit meiner amerikanischen Mitschüler. Durch das Unterkommen bei Verwandten meiner Gastfamilie konnte ich mehr als das typische Touristendasein erleben und hatte die Möglichkeit, den „Way of Life“ der jeweiligen Stadt zu erfahren und zu spüren.

Zentral für meine Auslandserfahrung war die Zeit in der Schule. Dort fand ich sozialen Anschluss und Beschäftigung. Mein Stundenplan bestand aus täglich sechs Fächern. Von 8 Uhr bis 15 Uhr fand regulärer Unterricht statt, anschließend ging es zu Schulclubs und zum Sport. Meine Lehrer bemühten sich alle, mir die südkalifornische Art des Lebens, den amerikanischen High-School-Alltag sowie die Eigenheiten von „Vista“ zu erklären. „Vista“ ist der Rufname von Vista del Lago unter den Lehrern und Schülern. Meine Lieblingsklasse war meine US Government and Economics Klasse mit Mr. Green. Die Schüler brachten eine positive Atmosphäre und angenehme Offenheit für mich in den Raum. Sehr schnell hatte ich feste Partner, mit denen ich zusammenarbeiten konnte. Freunde, mit denen ich im Unterricht sprechen konnte, während ich gleichzeitig Mr. Greens humorvollem und interaktivem Unterricht folgte. Ich hatte auch drei Advanced Placement Klassen belegt. AP Klassen sind College Level Klassen, welche schon in der High School, bei bestandenem Test, Credits für die anschließende Zeit am College geben. Meine drei AP Klassen waren Biologie, Englische Literatur und US-Geschichte. Ich konnte sehr viel in den Klassen lernen, was ich so wohl nie in Deutschland gelernt hätte.

„Ich durfte als Schauspieler und Stage Manager aushelfen“

Als Ergänzung zum Schulunterricht wählte ich die Schulclubs Interact, ASB, Theater und Psychologie, wobei die drei erstgenannten wohl die drei zeitintensivsten unserer Schule waren. ASB ist als kalifornisches Pendant zur deutschen SMV zu sehen. Wir haben alle Veranstaltungen unterstützt, vorbereitet und geplant. Dazu gehörten die Schulversammlungen, Bälle und die Distrikt-Veranstaltungen, die an unserer Schule stattgefunden haben. Der Theaterclub traf sich jeden Tag nach der Schule, um für eine der drei Shows pro Schuljahr zu proben. Bei so langem und häufigem Kontakt sind wir alle zu einer familiären Gruppe gewachsen. Ich durfte als Schauspieler und Stage Manager aushelfen und konnte so die Gruppe unterstützen. Interact ist ein von Rotary gesponsorter Club für die ehrenamtliche Arbeit in der eigenen Gemeinde. Mit Aufräumaktionen, Seniorenfeiern oder als Parklotsen halfen wir in unserer Stadt aus, wo Hilfe benötigt wurde. So sah ich neue Orte, traf Schüler anderer High Schools unserer Stadt, die mit uns gemeinsam aushalfen, und konnte etwas zurückgeben. Gerade dieses Zurückgeben ist ein sehr essenzieller Punkt in der amerikanischen Gesellschaft. Oft geht es darum zu überlegen, wie man zum jetzigen Standpunkt im Leben kam und wem man dafür danken sollte. Dank gilt als Auszeichnung und Würdigung für das Engagement anderer. Durch Interact bekam ich die Möglichkeit, an den Rotary Youth Leadership Awards, den RYLA, teilzunehmen. Ein Wochenende, an dem es darum ging, Menschen, die sich für andere in außergewöhnlichem Maße einsetzen, zu würdigen und im Allgemeinen zu zeigen, wie das noch besser gelingen kann.

“Das Stipendium des Bundestags war wegweisend für mich als Person“

Das Parlamentarische Patenschafts Programm hat meine höchste Anerkennung und meinen größten Dank. Das Stipendium des Bundestags war wegweisend für mich als Person. Ich konnte neue Sichtweisen kennenlernen und vor allem eigene neue Werte festigen. Wann im Leben, wenn nicht noch in der Jugend, kann man sich ein Jahr vom Alltäglichen verabschieden und woanders noch einmal aufs Neue beginnen. Eine neue Sprache lernen, neue Freundschaften schließen, neue Herausforderungen bewältigen, eine neue Kultur begreifen und lernen, wieder loszulassen vom Alten und Bekannten. Lernen, wie wichtig interkulturelle Bildung und Kommunikation ist, wie wichtig es ist, offen zu sein für das Unbekannte. Lernen, zuzuhören, um zu verstehen und zu begreifen – nicht, um zu antworten. All das sind meine Erfahrungen, die ich innerhalb von einem Jahr in den Vereinigten Staaten von Amerika gemacht habe. Ganz im Sinne der amerikanischen Dankeskultur möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Größter Dank geht an Thorsten Frei, meinen Paten-Abgeordneten des Bundestages, für die Auswahl zum Stipendium. Aber danken möchte ich auch einer Gemeinschaft von Freunden, auf die immer Verlass war, insbesondere Elisa, Leah, Merle und Tom, und natürlich meinen beiden Familien, meiner deutschen und kalifornischen, die immer Verständnis hatten, mich bei meinen Vorhaben unterstützt haben und für mich da waren.

Lukas Nusser, 18, besucht derzeit das Wirtschaftsgymnasium der Robert-Gerwig-Schule. Mehr über seine prägende Zeit im Ausland kann man auf seinem Blog https://lukastimeabroad.wordpress.com nachlesen.

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