Ein Interview mit Isabella Naujoks
Stubenhocker: Nach dem Abitur bist du für acht Monate um die halbe Welt gezogen. Wie bist du auf die Idee gekommen?
Isabella: Das Wort „Weltreise“ hatte für mich schon immer etwas Faszinierendes an sich. Für mich war klar, dass ich nach dem Abitur erneut ins Ausland will. Als Gastschülerin war ich bereits zehn Monate in den USA gewesen und wollte nicht noch einmal so viel Zeit in einem Land verbringen, sondern mehr sehen. Somit kam ein Au-Pair-Programm oder ein FSJ für mich nicht infrage. Auf einer Messe für Auslandsaufenthalte habe ich dann ein Mädchen getroffen, das genau das gemacht hat: eine Weltreise. Von da an war das mein neuer Traum.
Stubenhocker: In welchen Ländern bist du gewesen?
Isabella: Ich war in Nepal, Thailand, Kambodscha, Vietnam, Australien, Neuseeland, Samoa, Fidschi und in den USA.
Stubenhocker: Hattest du jede Etappe deiner Reise vorab bis ins Detail geplant oder hast du viele Dinge dem Zufall überlassen?
Isabella: Meine Eltern fühlten sich beide nicht so ganz wohl bei dem Gedanken, mich als junge Frau allein durch die Welt ziehen zu lassen, daher habe ich besonders für den Anfang viel geplant. Je entspannter ich während meiner Reise wurde, desto weniger habe ich darüber nachgedacht, was als Nächstes kommt. Das hat natürlich auch mehr Raum für Flexibilität geboten. In Neuseeland zum Beispiel bin ich ohne Plan am Flughafen angekommen und habe drei weitere Deutsche kennengelernt, denen ich mich spontan angeschlossen habe und mit denen ich zwei Monate rumgereist bin.
Stubenhocker: Gereist bist du sicherlich mit leichtem Gepäck: Wie sieht denn der Inhalt des Rucksacks einer Weltreisenden aus?
Isabella: Das war mit der schwierigste Teil: „Was nehme ich mit?“ Man hört immer wieder, dass man nicht viel braucht. Das konnte ich aber erst glauben, als ich es selbst ausprobiert hatte. Immer dabei waren Taschenmesser, Desinfektionsmittel und Taschenlampe. Eingepackt habe ich natürlich auch viele T-Shirts. Je nach Kultur im jeweiligen Gastland sollte man sich angemessen kleiden können und generell eher ältere Kleidungsstücke mitnehmen, da die Kleidung sowieso dreckig wird oder kaputtgeht. Für einen Teil meiner Reise hatte ich zudem einen Schlafsack dabei sowie die obligatorische Reiseapotheke, Wanderschuhe und Flip-Flops. Es ist Wahnsinn, was in so einen Rucksack passt. Als ich nach acht Monaten nach Hause kam und meinen Schrank geöffnet habe, konnte ich meinen Augen kaum trauen: „So viele Sachen? Das brauche ich doch gar nicht!“ Da habe ich dann erst einmal aussortiert.
Stubenhocker: Bist du vor allem als Tourist gereist oder hast du vor Ort gearbeitet, wenn ja, was hast du gemacht?
Isabella: In Nepal habe ich für vier Wochen in einem Waisenhaus gelebt und in Kambodscha einen Monat lang in einer Englischschule unterrichtet. Die Arbeit hat mir einen ganz anderen Einblick in das jeweilige Land ermöglicht, sodass ich mir ein „richtiges“ Reisen ohne Freiwilligenarbeit inzwischen gar nicht mehr vorstellen kann. Als Tourist lernt man immer nur einen Ausschnitt der Kultur kennen und erfährt wenig über die Eigenartigkeit des Landes. Oft habe ich übrigens auch bei Bekannten von meiner Familie übernachtet, Couchsurfing im Bekanntenkreis sozusagen. Dadurch habe ich ebenfalls eine viel bessere Vorstellung von dem Leben im jeweiligen Land bekommen. In Neuseeland habe ich mich an Work & Travel versucht. Aufgrund der wenigen Jobangebote und meiner knapp bemessenen Zeit habe ich es jedoch nur zwei Tage als Traubenpflückerin ausgehalten.
Stubenhocker: Welche Tätigkeit, welches Projekt hat dir besonders gefallen?
Isabella: Am meisten beeindruckt hat mich die Arbeit im Waisenhaus in Nepal. Dort lebten 25 Kinder im Alter von sechs Monaten bis 15 Jahren unter der Aufsicht von drei Betreuerinnen. Nepal an sich ist ja schon sehr arm, das Leben im Kinderheim war also äußerst bescheiden. Die Lebensfreude trotz der schwierigen Umstände und die Selbstlosigkeit der Heimmütter haben mir imponiert. Oft habe ich allerdings gemerkt, wie sehr eine weitere helfende Hand im Kinderheim fehlte. Die Betreuerinnen hatten alle Hände voll damit zu tun, zu kochen, zu gärtnern und den Haushalt zu erledigen, da fehlte oft einfach eine tröstende Umarmung oder Zuspruch. In Nepal hat keiner Zeit für Rücksicht oder persönliche Anteilnahme. Jeder kämpft im Endeffekt um sein eigenes Überleben, obwohl die Organisation, die das Waisenhaus unterhält, alles tut, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Zu meinen Aufgaben gehörte hauptsächlich, den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen und mit ihnen zu spielen. Sie genossen die Tatsache, dass da eine Person war, die ihnen uneingeschränkt Aufmerksamkeit schenkte. Konstant kletterte jemand an mir herum oder hing wie eine Klette an mir, teilweise wurde ich an beiden Händen in verschiedene Richtungen gezogen. Ich fühlte mich sehr wohl, sehr geliebt und sehr willkommen. Zwar hat das mit dem Erlernen des nepalesischen Tanzes nicht so gut geklappt, dafür war es ein sehr schönes Gefühl zu merken: Ich werde gebraucht. Klar geworden ist mir bei meiner Arbeit im Waisenhaus zudem, dass wir uns unser Glück immer vor Augen halten sollten. Als Europäer schätzt man es gar nicht wert, dass man Wasser aus der Leitung trinken kann, ungeschältes Obst isst und nicht jeden Tag Reis mit Linsen essen muss. Es gibt so viel, wofür wir dankbar sein müssen, und darüber denken wir viel zu wenig nach.
Stubenhocker: Wie hast du deine Reise finanziert?
Isabella: Vor meiner Reise habe ich gearbeitet und Geld gespart. Dadurch, dass ich in sozialen Projekten geholfen habe, konnte ich vergleichsweise kostengünstig wohnen. Außerdem habe ich versucht, oft bei Bekannten unterzukommen oder durch Zelten Geld zu sparen.
Stubenhocker: Immer unterwegs ohne festes Zuhause: Wie hast du dich gefühlt?
Isabella: Teilweise war es sehr anstrengend, ständig „on the go“ zu sein. Immer dann, wenn ich mich gerade in einem Land eingewöhnt hatte, musste ich es schon wieder verlassen. Meine Eltern haben mich für einige Wochen in Vietnam besucht, und als der Zeitpunkt des Abschiednehmens kam und ich mich allein in das nächste unbekannte Land aufmachte, war das schon sehr schwierig. Oft habe ich überhaupt nicht gewusst, was mich an meiner nächsten Station erwartet, da gab es einfach so viele unbekannte Faktoren. Schlecht ist es mir vor allem gegangen, wenn ich krank war. Da wünscht man sich einfach nur zu seiner Mutter, die sich um einen kümmert und einem Tee bringt. Die Verarbeitung der vielen Eindrücke wurde oft zu einer Herausforderung, da ja immer wieder neue hinzukamen. Es ist unglaublich, wie viele nette Menschen ich beim Reisennkennengelernt habe. Obwohl ich an sich ja allein gereist bin, war ich nie allein. Ich habe mich darin bestärkt gefühlt, mich selbst mehr zu trauen und anderen Menschen mehr zu vertrauen. Und letztlich war das Gefühl der Unabhängigkeit einfach überwältigend.
Stubenhocker: Welche Höhepunkte gab es auf deiner Reise um die Welt?
Isabella: Unvergesslich bleibt zum Beispiel ein Sonnenuntergang auf 2.000m Höhe mit Blick auf ein paar Achttausender im Himalaya-Gebiet. Ich habe mich gefühlt wie der Aussteiger Chris McCandless, dessen Leben in „Into the Wild“ verfilmt wurde. Oder der Halbmarathon, den ich in der Tempelanlage Angkor Wat gelaufen bin, die zum Weltkulturerbe zählt. Als Höhepunkt habe ich aber nicht nur konkrete Ereignisse erlebt, sondern einfach auch das Glück, so viele verschiedene tolle Dinge erleben zu können.
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Stubenhocker: Wie bist du mit Heimweh und Kulturschock umgegangen?
Isabella: Generell hatte ich wenig Heimweh und auch wenige Kulturschocks. Ich bin immer mit niedrigen Erwartungen in das nächste Land gereist, sodass es nur besser werden konnte als in meinen Vorstellungen. Man muss sich immer nur den Satz denken: „It’s not better, it’s not worse, it’s just different.“ – So hat das bei mir ganz gut geklappt. Einen richtigen Kulturschock habe ich komischerweise nur in den USA gehabt, wo ich ja bereits zehn Monate als Gastschülerin gelebt hatte. Nach dem Aufenthalt in Asien hatte sich meine Sichtweise einfach sehr verändert. In Momenten, in denen ich Heimweh hätte kriegen können, bewies sich Ablenkung als das beste Mittel. In Nepal bin ich mir unter den 28 anderen Nepalesen oft einsam vorgekommen, vor allem, da ich sie oft nicht verstand und umgekehrt. Wenn ich dann abends in meinem Zimmer gesessen und an zu Hause gedacht habe, hieß es: Zähne zusammenbeißen und nach unten zu den anderen gehen. Obwohl ich nur dabeigesessen, gelächelt und dem komischen Wirrwarr aus Lauten zugehört habe, war das immer toll. In solchen Situationen lohnt es sich echt, über seinen Schatten zu springen und dem Heimweh nicht nachzugeben. Als ich in Kambodscha Malariaverdacht hatte, krank in meinem zugigen Zimmer in Nepal lag, unser Auto in Neuseeland zum zweiten Mal kaputt ging und ich einen Tag vor meinem Weiterflug mit 40ºC Fieber in Samoa im Bett lag, habe ich mich schon gefragt: „Wärst du jetzt lieber in Deutschland?“ Die Antwort war immer „nein“.
Stubenhocker: Wo hast du dich besonders zu Hause gefühlt?
Isabella: In Nepal, aber auch in Kambodscha habe ich mich sehr wohl gefühlt. Die Menschen dort waren unglaublich nett. An der Englischschule außerhalb von Phnom Penh habe ich mit zwei anderen deutschen Mädchen gearbeitet, mit denen ich mich sehr gut verstanden habe. In unserem Dorf waren wir Exoten. Ständig sind Kinder hinter uns hergerannt, Menschen haben uns gewunken oder zu einer Kleinigkeit zu essen eingeladen. Die Lebensweise ist einfach so locker, unkompliziert und spontan, ganz anders als hier in Deutschland. Auch das Ehepaar Da und Sovandred, das für uns gekocht und auf uns aufgepasst hat, war sehr herzlich. Wenn wir von einem unserer Ausflüge zurückkamen, war das wirklich ein Gefühl wie nach Hause kommen.
Stubenhocker: Was war deine witzigste Begebenheit in Bezug auf die Sprache bzw. Verständigung?
Isabella: Eine Freundin wollte uns Frühstück von einem Restaurant um die Ecke holen. Verwirrung von Anfang an: Zuerst hieß es, sie hätten keinen Reis, und das bei einem asiatischen Restaurant. Dann drückte der Kellner ihr die Bedienungsanleitung für den Grill in die Hand, wollte ihr das Fleisch und Gemüse roh verkaufen und ihr noch nicht einmal Besteck geben – außer, sie hätte extra dafür bezahlt. Als das Ganze dann auch noch acht Dollar kosten sollte, in Kambdoscha wahnsinnig viel Geld, wurde es ihr zu bunt und sie machte Anstalten zu gehen. Zu guter Letzt gab man ihr aber zum Glück doch noch eine Riesenportion an Fleisch, Gemüse und Reis mit.
Stubenhocker: Bist du als „anderer Mensch“ nach Hause zurückgekehrt? Hat sich deine Sicht auf die Welt verändert?
Isabella: Ich habe meine Meinungen gefestigt, bin selbstbewusster und selbstständiger geworden. Ich habe einen anderen Blickwinkel gewonnen und beziehe in meine Denkweise jetzt auch die Dritte-Welt-Länder mit ein. Ich habe gelernt, dass wir nicht allein auf der Welt sind und man immer versuchen sollte, an die Interessen aller zu denken.
Stubenhocker: Wie ging es dir nach deiner Rückkehr nach Deutschland?
Isabella: Die ersten paar Wochen waren richtig schwer. Ich habe mich ziemlich fremd gefühlt und außerdem allein mit meiner Erfahrung. Äußerlich merkt man es mir nicht an, aber innerlich habe ich schon das Gefühl, mich sehr verändert zu haben. Dadurch, dass ich noch so viel Zeit bis zum Beginn meines Studiums hatte, hing ich ein bisschen in der Schwebe. Ich fand Deutschland langweilig und grau, die Deutschen größtenteils unfreundlich und meine Heimatstadt hässlich und asozial. Aber ich war trotzdem froh, wieder in einem richtigen Bett zu schlafen, meine Sachen in einen Kleiderschrank räumen zu können und vor allem meine Familie und Freunde wieder um mich zu haben.
Isabella Naujoks, 20, stammt aus dem Ruhrgebiet. Mittlerweile studiert sie Jura in Hamburg. In ihrem Buch „Abi und dann weg“, das 2013 erscheint, berichtet sie über ihre Zeit unterwegs.
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