Abenteuer Work and Travel

Zu zweit durch Neuseeland

weltweiser · Work & Travel · Neuseeland · Abenteuer zu zweit
  • GESCHRIEBEN VON: CLAUDIA SCHEEL
  • LAND: NEUSEELAND
  • AUFENTHALTSDAUER: 10 MONATE
  • PROGRAMM: WORK & TRAVEL
  • ERSCHIENEN IN: (NIX FÜR) STUBENHOCKER.
    DIE ZEITUNG FÜR AUSLANDSAUFENTHALTE,
    Nr. 1 / 2011, S. 64-65

Zehn Monate Work & Travel in Neuseeland hatten mein Freund Jere und ich geplant. Mit unseren gesamten Ersparnissen, um die 3.000 € pro Person, traten wir die Reise an und nahmen uns vor, mehr zu reisen als zu arbeiten.

Zeigefinger und Daumen zusammendrücken, dadurch die Milchdrüsen abschnüren und dann die anderen Finger nacheinander schließen, um die Milch nach unten aus dem Euter zu drücken. So hat Susi es mir ein paar Mal erklärt und ich sitze vor der Ziege, die schon ihre dritte Essensration erhält, damit sie nicht ungeduldig wird, doch es kommt keine Milch. Der Schlüssel zum Erfolg liegt darin, erklärt mir Susi, dass ich den Rückfluss der Milch in das Euter stoppen muss. Ich versuche es noch einmal und denke mir, dass die Muskeln in meinen bleichen Fingern von jahrelanger Computerarbeit wahrscheinlich kümmerlich sind. Gegen Susis kräftige sonnengebräunte Hände komme ich wohl nicht an. Auf einmal schießt ein dünner Strahl heraus, spritzt in den Topf, den ich unter das Euter halte und ich füge Melken als neu erlernte Fähigkeit zu den Hunderten von Erfahrungen hinzu, die ich hier in Neuseeland bisher gemacht habe.

Wir erreichten das Land im neuseeländischen Herbst und waren uns unschlüssig, ob wir erst ein wenig Geld verdienen sollten, solange noch Erntezeit war, oder ob wir die letzten schönen Wochen vor dem Winter einfach genießen und das Land bereisen sollten. Wir entschieden uns für das Reisen. Nachdem wir in Christchurch auf der Südinsel unseren Jetlag überwunden und für umgerechnet etwa 1.000 € einen preiswerten Van erstanden hatten, konnte die Tour losgehen. Die Straßen um Christchurch herum beeindruckten uns nicht sonderlich, doch schon bald tauchten wir in die Fantasiewelt ein, die Neuseeland zum Drehort von „Herr der Ringe“ werden ließ. Über den Arthur’s Pass erreichten wir die rau anmutende Westküste. Weil die Natur dem Menschen dort keine Lebensgrundlage bietet, haben früher nicht einmal die Maori, die Ureinwohner Neuseelands, hier viele Siedlungen errichtet. Die raue See, die wir uns mit einer Pizza in der Hand vom verlassenen Strand aus ansahen, ist zu gefährlich zum Fischen, das Wetter ist zu unbeständig und die Hänge sind zu steil, um Landwirtschaft zu betreiben. Wir fuhren die Westküste entlang, besuchten verlassene Goldgräberorte, die von der Natur langsam zurückerobert werden, sahen die wunderschönen wilden Wälder, die zu dicht sind, um weit hineinschauen zu können, und erlebten die Einsamkeit, die hier im spärlich besiedelten Westen von ein paar Auswanderern bewusst gesucht wird.

junger Mann sitzt an Holztisch und tippt auf Laptop
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Im Süden angekommen, ging es weiter ins Landesinnere; hinein in eine Landschaft, die hauptsächlich goldgelb glüht. Große schroffe Berge ohne Bäume, an ihrem Fuße noch etwas grün oder braun, doch über diesem dünnen Streifen beginnt das goldene langfasrige Gras, das den Hügel in der Sonne zum Leuchten bringt. Wir zogen von einem Hostel zum nächsten und alle waren erstaunlich gut. Auf unserer Tour machten wir die Erfahrung, dass schlechtes Wetter manchmal die ideale Grundlage sein kann: In den Milford Sounds, einem Fjord, der zum Weltnaturerbe der UNESCO zählt, kann man die unzähligen Wasserfälle nur sehen, wenn es nieselt, die Wolken im Tal hängen und man auf dem kleinen Boot von allen Seiten nass wird. Über Queenstown, der Stadt für Bungeejumping und Skydiven, die am Rande der neuseeländischen Alpen liegt, ging es weiter zu Städten und zu Stränden mit Robben und lustigen Vögeln zurück nach Christchurch. Von dort aus fuhren wir noch ein Stück weiter Richtung Norden nach Kaikoura, wo wir zum ersten Mal erfuhren, was echte Angst ist. Aus knapp 4.000m Höhe sprangen wir aus einem kleinen Propellerflugzeug und am nächsten Tag aus nur einem Meter Höhe von einem Boot aus in eine Horde Delfine. Im Wasser mit den Delfinen hatte ich erstaunlicherweise mehr Angst. Mit Schnorchel und Neoprenanzug ausgerüstet, trieb ich auf den Wellen. Gespannt schaute ich unter mich in den dunklen Abgrund und mir wurde klar, wie klein ich doch war und dass ich vielleicht doch kein großes Tier unter mir durchtauchen sehen wollte. Plötzlich glänzte etwas und ich sah drei Delfine, wie sie auf mich zukamen, durch das Wasser glitten und nur zwei Meter entfernt unter mir hindurch tauchten. Ich erschrak zu Tode. Doch nach dem ersten Schock wollte ich nichts mehr, als dieses Erlebnis zu wiederholen.

„Nach Monaten Backpacker-Nahrung war die hausgemachte Kost mehr als willkommen“

Die Tage wurden kürzer und kälter und das Geld knapper und so suchten wir uns „sunny“ Nelson an der Nordspitze der Südinsel als idealen Ort für die Überwinterung aus. Bevor wir Ausschau nach einer festen Arbeit hielten, beschlossen wir, das „Wwoofing“ auszuprobieren. Die Abkürzung des weltweiten Netzwerks WWOOF, das 1971 in Großbritannien ins Leben gerufen wurde, steht für „World Wide Opportunities on Organic Farms“ und „willing workers“ werden in ganz Neuseeland gesucht. Für 20 € konnten wir das aktuelle „Wwoofing-Buch“ kaufen, in dem die Kontaktdaten der Familien stehen, die einem Unterkunft und Verpflegung als Gegenleistung für vier bis sechs Arbeitsstunden am Tag zur Verfügung stellen. Das Buch diente gleichzeitig als Mitgliedschaftsbestätigung für uns beide. Wir suchten uns zwei Familien aus, bei denen wir jeweils eine Woche arbeiteten. Die erste Unterkunft bot uns ein frisch verheiratetes Paar, das vor seinem Haus einen großen Hang mit einheimischen Bäumen aufforsten wollte, um den neuseeländischen Vögeln Nahrung und Schutz zu bieten. Unsere Aufgabe war es, an dem steilen Hang das Unkraut und die Pflanzen um die frisch gepflanzten Bäume herum zu entfernen. Wir lernten einheimische Bäume zu erkennen und gewöhnten uns schnell an die harte körperliche Arbeit. Nach über zwei Monaten Backpacker-Nahrung war die hausgemachte Kost mehr als willkommen und wir genossen es, eine Zeitlang am gleichen Ort zu verbringen. Unsere zweite Stelle auf der Ziegenfarm, auf der ich das Melken erlernte, war eine tolle Erfahrung. Die beiden Besitzer sind Selbstversorger. Ein wenig Geld verdienen sie über den Verkauf von Früchten und Wolle auf dem Wochenendmarkt in Nelson. Neben der Ziegenpflege arbeiteten wir viel im Garten und halfen bei der Käseherstellung.

„Ich ging vorbei, redete ein paar Worte mit dem Chef und schon wurde ich eingearbeitet“

Nach diesen zwei tollen Erfahrungen machten wir uns auf in das sauberste Hostel der ganzen Insel und handelten mit dem Besitzer einen Langzeitaufenthaltsrabatt aus. Wir kamen genau zu Beginn der ruhigen Saison, in der die Hostels anfangen, eine gewisse Anzahl von Leuten längerfristig zu beherbergen. Nun ging es an die Arbeitssuche. Der Herbergsbesitzer erklärte uns, dass es vor einem Jahr weitaus einfacher gewesen war, eine kurzfristige Arbeitsstelle zu bekommen, und Work & Travel tatsächlich so funktionierte, dass man reiste und an jedem Ort innerhalb von zwei bis drei Tagen einen Job fand. Mittlerweile ist Arbeitslosigkeit auch in Neuseeland ein Thema und Backpacker teilen ihre Zeit meistens so ein, dass sie ein paar Wochen bzw. Monate am Stück arbeiten und dann wieder eine Weile reisen. Gleich am zweiten Abend kam ich mit zwei Mädels ins Gespräch und über einen glücklichen Zufall wurde in dem Restaurant, in dem beide jobbten, gerade eine Kellnerin gesucht. Ich ging vorbei, redete ein paar Worte mit dem Chef und schon wurde ich eingearbeitet. Da ich im Restaurant immer nur nachmittags und abends arbeitete, bewarb ich mich zusätzlich als Reinigungskraft im Hostel. So waren meine nächsten vier Monate mit mehr oder weniger sechs Tagen Arbeit pro Woche gut ausgefüllt. Der Hostelbesitzer ging zwischendurch für fünf Wochen nach Kanada und ich übernahm während dieser Zeit für je zwei Tage in der Woche die Leitung der Herberge. Hierfür bekam ich gut 50 € pro Tag. Das Saubermachen war die Gegenleistung für mein Bett und im Restaurant verdiente ich durchschnittlich circa 160 € die Woche. Das hört sich nach relativ viel Lohn an, doch während der vier Monate konnte ich davon nicht wirklich viel sparen. Mein Freund ging zu einer Jobvermittlungsagentur und hatte ebenfalls Glück. Innerhalb einer Woche bekam er einen Job in einer Fischfabrik vermittelt, in der er die nächsten Monate fünf Tage die Woche von morgens 6 Uhr bis 14:30 Uhr für gut 250 € pro Woche arbeitete.

„Umso wichtiger waren die kleinen Ausflüge in die Umgebung, die uns immer wieder klarmachten, wofür wir eigentlich schufteten“

Der Winter in Nelson war sonniger und wärmer als die Winter in Deutschland. Es gab nur wenige Tage, an denen wir morgens die Scheibe des Autos kratzen mussten, und wenn die Sonne herauskam, konnte man im T-Shirt draußen sitzen. Die Zeit verging wie im Flug und der Alltag schlich sich ein. Das Erleben eines Arbeitsalltages in einem anderen Land ist wirklich eine sehr interessante Erfahrung. Nach einer Weile hatten wir vergessen, dass wir in einem der aufregendsten Länder der Welt waren. Umso wichtiger waren die kleinen Ausflüge in die Umgebung, die uns immer wieder klarmachten, wofür wir eigentlich schufteten. Die anderen Langzeitgäste im Hostel waren Taiwanesinnen, die ebenfalls in der Fischfabrik Arbeit fanden. Wir bildeten eine kleine Gemeinschaft, kochten zusammen, unternahmen Ausflüge miteinander und tauschten uns über die Kulturen aus. Auch im Restaurant fand ich weitere Freunde und so fühlten wir uns irgendwie wie zu Hause, nur anders. So war es dann auch ein eigenartig trauriger Prozess, unsere Jobs zu beenden und aus dem Hostel auszuziehen. Doch bevor es weiterging, überraschte uns ein Angebot, dass wir nicht ausschlagen konnten: Eine Herbergsbesitzerin bot meinem Freund und mir an, dass wir für zwei Wochen kostenlos in einer separaten Wohnung mit Bad und Küche wohnen dürften, wenn wir die Nachtschicht im Hostel übernehmen würden. Das bedeutete, dass wir zwischen 17:30 Uhr und 10:30 Uhr dafür verantwortlich waren, ankommende Gäste einzuchecken und das Feuer im Kamin am Laufen zu halten. Die Arbeit war nicht der Rede wert, denn kaum ein Backpacker sucht nach 20 Uhr noch eine Unterkunft.

Wir nutzten die weitere Zeit im Norden der Südinsel dazu, eine Kajak- und Reittour im Abel Tasman Nationalpark zu machen. Dann organisierten wir eine weitere „Wwoofing-Stelle“ in der Nähe von Christchurch, der Stadt, die kurz zuvor von einem kräftigen Erdbeben erschüttert worden war. Im Haus unserer neuen Gastfamilie spürten wir etliche Nachbeben. Auch hier, auf einer Pferdezuchtfarm, hatten wir eine tolle Zeit, halfen mit den Pferden und im Garten und ließen uns meisterlich bekochen. „Wwoofen“ bedeutete für uns, sich in einer Familie einzuleben, offen gegenüber verschiedenen Lebensstilen zu werden und dadurch die neuseeländische Lebensweise zu erfahren. Ich denke, dass Backpacker, die diese Gelegenheit wahrnehmen, einen viel besseren Eindruck davon bekommen, wie das Leben in Neuseeland tatsächlich ist. In diesen letzten Tagen vor unserer Weiterreise durch das Land lernten wir die neuseeländische Gastfreundschaft in geballter Form kennen: Zuerst ließ uns die Familie noch eine Nacht länger kostenlos bei sich wohnen, ohne dass wir dafür arbeiten mussten, ein paar Tage später bot uns eine andere Familie eine kostenlose Fahrt mit ihrem Jetboot auf dem Lake Wanaka an. Und wir hatten noch mehr Glück: Am gleichen Abend lernten wir australische Camper kennen. Von ihnen wurden wir zum Essen eingeladen und nach einem gemeinsamen Abend haben wir nun eine Anlaufstelle in Australien, wo wir auf unserem Rückweg nach Deutschland einen Zwischenstopp einlegen wollten. Wenn wir zurückblicken, dann sind es immer wieder die Menschen und die Erfahrungen, die sie uns bereitet haben, die im Gedächtnis hängen bleiben und die Zeit in Neuseeland so unvergesslich machen.

Claudia Scheel, 25, und Jeremias Endres, 26, haben auf dem Rückweg von Neuseeland noch die Länder Australien, Burma und Thailand bereist. Auf ihrem Blog www.ganzrechtsunten.de berichten sie über ihre Erfahrungen. Die beiden leben in Offenburg und schließen an der dortigen Hochschule momentan ihren Master in „Medien und Kommunikation“ ab.

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Koala Bär
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